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"Wir brauchen eine solche Anti-Terror-Datei"

Der ehemalige Bundesinnenminister Otto Schily hält eine Anti-Terror-Datei für unerlässlich. Diese dürfe allerdings nur als so genannte Index-Datei ausgelegt sein, damit der Quellenschutz der Geheimdienste nicht gefährdet sei. Der SPD-Politiker zeigte sich zuversichtlich, dass die Innenminister bei ihrem heutigen Treffen zu einer Einigung kommen.

Moderation: Christine Heuer |
    Christine Heuer: Im Juli hatten wir noch einmal Glück. Die Bombenattentate auf zwei Regionalzüge in Deutschland scheiterten damals an technischen Fehlern, die die Attentäter gemacht hatten. Dass die so genannten Kofferbomber danach festgenommen werden konnten, ist der Videoüberwachung an den Bahnhöfen geschuldet. Die Frage, wie hierzulande Attentaten besser vorgebeugt werden kann, ist politisch aber immer noch nicht beantwortet. Vielleicht geschieht das ja heute bei der Sonderkonferenz der Innenminister von Bund und Ländern, die sich die innere Sicherheit und unter diesem Stichwort vor allem die Anti-Terror-Datei vorgenommen haben.

    Wie können wir uns besser vor Attentaten, gerade auch vor islamistisch motivierten Attentaten schützen? Darum geht es jetzt im Gespräch mit dem ehemaligen Bundesinnenminister, dem Sozialdemokraten Otto Schily. Guten Morgen!

    Herr Schily, über die Anti-Terror-Datei ist ja jahrelang diskutiert worden, schon in Ihrer Amtszeit. Es hat lange gedauert. Nun sieht es so aus, als käme sie endlich. War dazu erst ein Attentatsversuch in Deutschland nötig?

    Otto Schily: Nein. Das hätte schon früher zu Stande kommen können, aber ich hoffe, dass jetzt die Tagung, die Sondertagung der Innenminister des Bundes und der Länder, dazu beitragen wird, diese Frage nun endlich vom Tisch zu bringen. Wir brauchen eine solche Anti-Terror-Datei. Die darf allerdings nicht als Volltext-Datei ausgestaltet sein, sondern sie sollte eine Index-Datei sein. Man spricht jetzt über eine erweiterte Index-Datei. Damit kann ich mich durchaus anfreunden. Aber für die Zusammenarbeit der entsprechenden Institutionen, der Sicherheitsinstitutionen ist eine solche Datei dringend erforderlich, denn es kommt ja auf die frühestmögliche Aufklärung an, die frühestmögliche Informationsvermittlung und Auswertung. Gerade im Zusammenhang der Schaffung des Anti-Terror-Zentrums, das sich ja sehr bewährt hat und inzwischen von allen in seiner Arbeit hoch anerkannt wird, ist auch eine solche Anti-Terror-Datei von großer Bedeutung.

    Heuer: Jetzt haben Sie, Herr Schily, meine Frage an Sie schon beantwortet, nämlich die, für welche Art Datei Sie sind. Sie haben gesagt, eine erweiterte Index-Datei, die fänden Sie in Ordnung. Was darf denn da drinstehen und was darf nicht drinstehen?

    Schily: Ich werde jetzt mit Ihnen nicht alle Details besprechen. Das ist auch glaube ich gar nicht so der entscheidende Punkt. Es ist jetzt umstritten, ob die Religionszugehörigkeit in einer solchen Datei enthalten sein kann und muss.

    Heuer: Kann sie?

    Schily: Das wird heute zu entscheiden sein. Das muss man nach den ermittlungstaktischen und Ermittlungsnotwendigkeiten entscheiden. Mir kommt es darauf an, dass zwei Dinge beachtet werden. Dazu braucht man eine sorgfältige Prüfung. Es darf nicht die Arbeit der Nachrichtendienste gefährdet werden. Das heißt der Quellenschutz muss absolut gewährleistet sein, denn sonst geht das zum Schaden der internationalen Kooperation der Nachrichtendienste. Und es darf auch kein Automatismus entstehen. Die Index-Datei dient dazu, dass dann die jeweiligen Sachbearbeiter noch einmal miteinander kommunizieren und den Sachverhalt aufarbeiten. Wenn man sich nur auf einen Automatismus verlässt, dann ist man schlecht beraten. Deshalb ist auch eine Volltext-Datei nicht das richtige Element.

    Heuer: Herr Schily, aber was heißt denn das in der Praxis, wenn Sie sagen "kein Automatismus". Sie haben die Religionszugehörigkeit, über die gestritten wird, gerade selber erwähnt. Soll die dann nur von Fall zu Fall in so einer Datei stehen, oder grundsätzlich?

    Schily: Nein. Das Verlangen jetzt ist, dass sie grundsätzlich da drinsteht. Ich hätte auch keine Einwände dagegen. Es gibt auch noch andere Faktoren. Unser Gespräch wird nicht die Zeit haben, dass wir jetzt alle Einzelheiten dabei erörtern. Das werden die Innenminister von Bund und Ländern heute mit großer Sorgfalt erörtern und ich bin sehr zuversichtlich, dass sie zu einem guten Ergebnis gelangen werden. Man muss nur die beiden Orientierungspunkte im Gedächtnis behalten, die ich genannt habe. Es muss den praktischen Erfordernissen dienen und es darf gleichzeitig auch nicht dazu führen, dass die Arbeit der Nachrichtendienste, die internationale Zusammenarbeit der Nachrichtendienste gefährdet wird.

    Heuer: An einem Punkt, Herr Schily, möchte ich dann aber doch noch mal konkret werden und auf ein Beispiel eingehen, das eine Rolle spielt in der Diskussion. Es gibt ja auch neue Vorschläge über die Anti-Terror-Datei hinaus. Zum Beispiel gibt es den Vorschlag, Fußfesseln für gefährliche Ausländer einzuführen. Ist das nun noch sachgemäß, oder ist das doch eher purer Aktionismus?

    Schily: Wir sind in einer schwierigen Lage, wissen Sie. Wir haben manchmal Situationen, da haben wir jemanden als gefährlich erkannt und können ihn gleichwohl nicht ausweisen, außer Landes bringen aufgrund humanitärer Erwägungen. Normalerweise würden wir ihn aufgrund der Gefährdungslage außer Landes bringen, aber wegen der humanitären Situation in dem Heimatland ist das nicht möglich. Dann müssen wir in der Tat nach Wegen suchen, wie wir dieser Gefahr begegnen. Wir können ja nicht einfach sagen na ja, jetzt bleibt dieser Gefährdungstatbestand erhalten, und dann ist es durchaus zulässig darüber nachzudenken, wie man einer solchen Gefahr begegnen kann. Ob dort dann eine elektronische Fußfessel das geeignete Mittel ist, das wird man von Fall zu Fall entscheiden müssen. Völlig ausschließen würde ich eine solche Erwägung nicht.

    Heuer: Wie groß schätzen Sie denn die Terrorismusgefahr in Deutschland gegenwärtig überhaupt ein? Ist die in diesem Jahr gewachsen?

    Schily: Jedenfalls sind die jüngsten Ereignisse nicht dazu angetan, eine Entwarnung auszusprechen. Ich möchte bei der Gelegenheit dem Bundeskriminalamt und allen voran seinem Präsidenten ein ganz großes Lob zollen für die Arbeit, die sie jüngst bei diesen Kofferattentaten durchgeführt haben. Das ist, wie ich finde, eine kriminalistische Meisterleistung. Ich bin sehr stolz auf das BKA, was diese Kollegen zu Stande gebracht haben. Ich habe aber immer gesagt, das ist eine Gefahr, Terrorgefahr, die nicht deshalb verschwunden ist, weil mal über einige Wochen oder Monate Ruhe eingekehrt ist in unserem Land. Ich habe auch immer betont, dass wir nicht außerhalb des Gefahrenspektrums sind. Sicherlich gibt es da Abstufungen, wer besonders gefährdet ist, welche Länder besonders gefährdet sind, welche Einrichtungen besonders gefährdet sind. Wir sind aber nicht außerhalb des Gefahrenspektrums und die große Gefahr, Frau Heuer, ist ja vor allen Dingen, dass sich solche spontanen Gruppen bilden auch aus der Gesellschaft heraus. Das ist wie ein Krebsgeschwür. Deshalb dürfen wir uns auch nicht allein auf polizeiliche, staatsanwaltschaftliche, justizielle oder im Ausland auch militärische Maßnahmen beschränken, sondern das Ganze ist gleichzeitig auch eine Aufgabe der geistig-politischen Auseinandersetzung. Das habe ich immer betont, weil wir müssen dafür sorgen, dass junge Menschen gegen diese schrecklichen Anwandlungen des verbrecherischen Terrorismus immunisiert werden. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die wir uns alle stellen müssen.

    Heuer: Herr Schily, eine Frage habe ich trotzdem noch. Wächst die Gefahr von Terroranschlägen durch einen Libanon-Einsatz der Bundeswehr?

    Schily: Den Zusammenhang würde ich nicht sehen. Der Libanon-Einsatz soll ja dazu beitragen, Dass dort nicht sich ein Krieg wiederholt, wie er jetzt tragischerweise entstanden ist. Deshalb würde ich eher sagen, ein Libanon-Einsatz im Rahmen einer UNO-Truppe kann dazu beitragen, dass der Terrorismus insgesamt zurückgedrängt wird. Selbstverständlich ist es auch so, dass jeder Auslandseinsatz wiederum fehlinterpretiert werden kann. Die Tatsache, dass wir in Afghanistan militärisch tätig sind, wird in bestimmten radikal-fundamentalistischen Kreisen sicherlich in diesem Sinne diskutiert. Aber das kann uns natürlich nicht beirren. Wenn wir uns sozusagen zu Geiseln terroristischer Gruppen machen lassen, also uns der Erpressung beugen, weil Bin Laden oder andere Gruppen meinen, das sei nicht in ihrem Sinne, dann sind wir ja schon heute verloren. Das kann nicht der Grund sein, von einer Beteiligung an einem UNO-Friedenseinsatz abzusehen.

    Heuer: Otto Schily, der ehemalige Innenminister. Herr Schily, ich danke Ihnen für das Gespräch!

    Schily: Bitte schön, Frau Heuer!