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"Wir brauchen mehr Druck"

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) sieht den Ausbildungspakt zwischen Regierung und Unternehmen zur freiwilligen Schaffung von mehr Lehrstellen als gescheitert an. "Wir brauchen mehr Druck", sagte die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ingrid Sehrbrock. Eine Ausbildungsplatzumlage würde zudem für Gerechtigkeit zwischen Firmen sorgen, die nicht ausbilden, und jenen, die über Bedarf Lehrstellen anbieten.

Moderation: Gerd Breker |
    Gerd Breker: Wir nehmen es gerne und auch wohlwollend zur Kenntnis. Der Arbeitsplatzabbau hat sich verlangsamt, weiter verlangsamt. Was allerdings dramatisch bleibt und in der Auswirkung dramatischer ist als die nackten Zahlen, ist die Situation auf dem Lehrstellenmarkt. Das Bundeskabinett befasst sich heute damit. Die Kanzlerin beziffert die Lücke auf 50.000 bis 40.000 Lehrstellen, die fehlen. Daran hat der "Tag der Ausbildung" auch nicht allzu viel ändern können. Regierung und Wirtschaft hatten sich auf einen Ausbildungspakt geeinigt, um eine Ausbildungsplatzabgabe zu verhindern, und dann ist dieses dabei herausgekommen.

    Am Telefon begrüße ich nun die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Ingrid Sehrbrock. Guten Tag, Frau Sehrbrock!

    Ingrid Sehrbrock: Guten Tag!

    Breker: Der Ausbildungspakt, Frau Sehrbrock, scheint sich offenbar nur einseitig auszuzahlen, nämlich für die Arbeitgeber?

    Sehrbrock: Ja. Wer es noch nicht glauben wollte die ganze Zeit, der muss jetzt feststellen, dass dieser Ausbildungspakt kein wirksames Instrument ist gegen die Mängel auf dem Ausbildungsstellenmarkt. Es ist etwas für die Gutwilligen. Die kann man mit Appellen erreichen. Aber er ist nichts für die Verweigerer, und deshalb brauchen wir sicherlich mehr Druck auf die Betriebe. Das gilt insbesondere für die großen Betriebe, denn sie bilden im Verhältnis zu ihren Beschäftigten viel zu wenig aus. Bei der guten Ertragslage und bei der guten Konjunktur, denke ich, kann man das erwarten. Aber ich denke, wir brauchen mehr Druck. Mit diesem Pakt geht es nicht.

    Breker: Mehr Druck sagen Sie. Wie kann man denn mehr Druck erzeugen?

    Sehrbrock: Unser Modell ist ja nach wie vor eine Ausbildungsplatzumlage. Die würde Fairness herstellen zwischen den ausbildenden und den nicht ausbildenden Betrieben, denn heute ist es so, dass die einen sich die Mühe machen, junge Leute auszubilden, zum Teil auch über Bedarf, um ihnen eine Chance zu geben. Die anderen kaufen sich die Fachkräfte auf dem Markt ein. Das ist nicht in Ordnung. Das kann man auch als Wettbewerbsverzerrung bezeichnen. Deshalb sind wir der Meinung, dass das am besten mit einer Ausbildungsplatzumlage zu regeln ist. Die gibt es ja schon im Bau seit 30 Jahren. Die funktioniert dort auch hervorragend, wobei wir immer gesagt haben, wir sind für Vorrang in den tariflichen Regelungen. Das heißt, die Tarifpartner sollen Regelungen für sich und für ihre Branche erarbeiten. Wenn das aber nicht funktioniert und wenn es da keine Ergebnisse gibt, dann muss eine gesetzliche Umlage her.

    Breker: Dann ist der Staat gefordert. Ist der Staat aus Ihrer Sicht in diesem Moment jetzt gefordert?

    Sehrbrock: Ich denke, er ist gefordert. Es hilft nichts, herumzureden um das Problem, denn die Lücke ist ja sehr groß. Die rechnerische Lücke ist ja bei 215.000. Wenn man davon ausgeht, dass es 50.000 sein werden am Ende des Vermittlungsjahres, muss man ja wissen, dass dann schon ganz viele junge Leute in Maßnahmen gegangen sind, in schulische Ausbildungen, wo sie eigentlich gar nicht hingehen wollen. Das heißt, sie werden verschoben, sie bleiben dann in Warteschleifen, sie werden alt und älter. Das kann aber nicht unsere Sache sein, sondern wir müssen sicherstellen, dass junge Leute nicht erst mit 19, wie das heute der Fall ist, sondern mit 16 in eine Ausbildung gehen können. Das ist jedenfalls unser Anliegen und deshalb glaube ich, hat der Pakt sich eigentlich erledigt.

    Breker: Nun verweist der Arbeitgeberpräsident Hundt auf den Wegfall von einer Million Arbeitsplätzen, und davon seien halt auch Lehrstellen betroffen. Hat er damit so Unrecht?

    Sehrbrock: Nein, das stimmt natürlich, aber ich habe ja schon darauf hingewiesen, dass es gerade die großen Betriebe sind und denen geht es ja im Moment doch recht gut, dass die Großen im Verhältnis zu ihren Beschäftigten einfach zu geringe Ausbildungsquoten haben. Da wird seit Jahren mit einem sehr spitzen Bleistift gerechnet. Ich denke, es sind gerade die Großen jetzt gefordert, dass sie in dieser sich positiv entwickelnden wirtschaftlichen Lage auch wieder mehr ausbilden. Deshalb geht mein Appell auch an die großen Betriebe, sich das noch mal sehr genau vorzunehmen, denn das kann nicht sein, dass vor allen Dingen kleine und Mittelbetriebe ausbilden und die Großen ziehen sich aus der Verantwortung.

    Breker: Frau Sehrbrock, Sie haben es gerade gesagt. Es wird mit sehr spitzem Bleistift gerechnet. Der Kostenfaktor ist doch ein Argument, das man auch akzeptieren kann. Würde es sich lohnen, vielleicht die Vergütungen zu senken, also zwei Lehrlinge auf einem Platz, einem bezahlten Platz?

    Sehrbrock: Ich glaube der Finanzaspekt ist es gar nicht unbedingt. Es gibt Umfragen vom Bundesinstitut für Berufsbildung, die zeigen, dass der Faktor Kosten ziemlich weit hinten steht. Wichtiger ist den Betrieben, wenn es um die Frage geht, bilde ich aus oder bilde ich nicht aus, dass sie ausbildungsbegleitende Hilfen erhalten. Dieser Kostenfaktor spielt eine relativ untergeordnete Rolle. Wir wissen auch, dass es gerade entscheidend ist, welchen Fachkräftebedarf ich in Zukunft brauche. Das ist das, was die Betriebe motiviert, und weniger die Frage, kostet die Ausbildung jetzt 600 oder 800 Euro.

    Breker: Eine weitere kritische Anmerkung der Arbeitgeber ist ja auch oft die angeblich schlechte Schulausbildung der Lehrlingskandidaten. Gehören mehr in den Pakt als nur Wirtschaft und Politik?

    Sehrbrock: Wir bestreiten ja nicht, dass es junge Leute gibt, die mit schlechter Qualifikation aus der Schule kommen, aber man muss natürlich auch wissen, dass dort die Perspektivlosigkeit dieser jungen Menschen auch zurückwirkt in die Schule. Wenn junge Leute wissen, dass sie eh auf dem Ausbildungsmarkt keine Chance haben, weshalb sollen sie sich dann eigentlich in der Schule anstrengen? Wir wissen, dass das gerade in den Hauptschulen ein riesengroßes Problem ist. Also die Perspektiven müssen sich verbessern. Wir müssen aber auch den Betrieben, die ausbilden und die auch schwächere junge Leute in die Ausbildung nehmen, Hilfen anbieten. Das heißt, wir wollen, dass ausbildungsbegleitende Hilfen in Mathe, in Deutsch, in Fachkunde, möglicherweise auch sozialpädagogische Begleitung im Prinzip jedem Betrieb angeboten wird. Das geht in der Schweiz und das muss auch in Deutschland gehen. Das würde auch die Betriebe ein Stück entlasten und würde den schwächeren Schülern mehr Chancen geben.

    Breker: Fassen wir es noch einmal kurz zusammen, Frau Sehrbrock. Der Ausbildungspakt hat sich aus Sicht des Deutschen Gewerkschaftsbundes erledigt. Jetzt ist die Politik gefragt?

    Sehrbrock: Das kann man so sagen!

    Breker: Ingrid Sehrbrock war das. Sie ist die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes und CDU-Mitglied. Danke für dieses Gespräch.

    Sehrbrock: Bittesehr