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Wir brauchen "mehr Unternehmergeist in diesem Land"

"Wir sind an der ganz großen Katastrophe vorbeigeschrammt." Thomas Greiner, Vorstandsvorsitzender der Dussmann-Gruppe, fordert von der Bundesregierung mehr unternehmerisches Denken zur Kosteneinsparung im Gesundheitswesen.

Thomas Greiner im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Gesundheitspolitik ist notwendigerweise eine Wanderbaustelle. Das war bisher so und wird auch künftig so bleiben. Das heißt, nach dem Spiel ist vor dem Spiel. So meint etwa Daniel Bahr, der Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, das Zusammenwirken von stationärer und ambulanter Vorsorge müsse verbessert, gesundheitsbewusstes Verhalten belohnt werden, und in den Krankenhäusern ließe sich auch noch einiges sparen. Fürs erste steht fest: der allgemeine Beitrag für die gesetzlichen Krankenkassen wird von 14,9 auf 15,5 Prozent angehoben. Zudem müssen sich die Versicherten auf höhere Zusatzbeiträge einstellen.
    Was das für ein Unternehmen bedeutet, wollten wir vor dieser Sendung von Thomas Greiner wissen, dem Vorstandsvorsitzenden der Dussmann-Gruppe. Das ist ein Dienstleistungskonzern, der rund 55.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in 25 Ländern beschäftigt. Ein Blick in den Leistungskatalog der Dussmänner, ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Gebäudemanagement, Pflegesektor, bekannt außerdem das Kulturkaufhaus in Berlin. Jahresumsatz rund 1,4 Milliarden Euro.
    Dienstleistung heißt automatisch viel Personal. Das heißt, auch der Anteil, den Thomas Greiner für die gesetzlichen Krankenversicherungen vieler seiner Beschäftigten zahlen muss, der wird um 0,3 Prozentpunkte steigen. Mit welchen Folgen?

    Thomas Greiner: Nun, wir sind bei Dussmann rund 25.000 Mitarbeiter in Deutschland, und wenn sie im Bereich der Reinigung, des Catering, Sicherheit oder in der Pflege arbeiten, haben sie natürlich viele Leute, die unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze liegen. Im Klartext gesagt bedeutet das für uns eine gewaltige Kostensteigerung. Ich gehe davon aus, dass wir von 25.000 Leuten über 22.000 Leute haben, für die wir diese 0,3 Prozent bezahlen müssen, und das Problem ist, dass von Unternehmen solche zusätzliche Kosten, die nahe an eine Million im Jahr herangehen, natürlich gewaltige Zwänge auslösen. Wir müssen zum Kunden, müssen den Kunden davon überzeugen, dass wir Preise erhöhen müssen, und in der Regel in dieser Wirtschaftssituation sind die Kunden leider nicht dazu bereit, sodass für uns einfach schwierige Fragen kommen: Müssen wir uns unter Umständen von Mitarbeitern trennen. All diese Zusammenhänge, bei der Gesundheitsreform kommen die mir einfach viel zu kurz.

    Heinemann: Chefs wie Sie zögern jetzt, einzustellen?

    Greiner: Für uns bedeutet das wie gesagt den Gang zum Kunden. Wir müssen mit dem Kunden reden, sagen, können wir die höheren Kosten umsetzen, und wenn wir das nicht können, glaube ich, kann man das für die ganze Wirtschaft sagen, werden Arbeitsplätze gefährdet, oder es wird weniger eingestellt. Was ich dabei vermisse, ist, dass man einfach zunächst mal, bevor man erhöht – das ist immer der einfachste Weg, Preise erhöhen. Ich glaube, der richtige Weg wäre, einfach mal zunächst zu sagen, wo kann man Kosten senken. Das ist die erste Frage, die, glaube ich, da der richtige Ansatz wäre.

    Heinemann: Aber immerhin: Die Zusatzbeiträge sind ja vom Lohn abgekoppelt, belasten also die Arbeitgeber nicht. Ist die Wirtschaft unterm Strich nicht doch ganz gut weggekommen?

    Greiner: Ich denke, man kann, wenn man sozusagen das, was tatsächlich eintritt, vor dem dann noch potentiell viel Schlechteren sieht, immer noch sagen, jawohl, wir sind an der ganz großen Katastrophe vorbeigeschrammt. Insgesamt bin ich der Überzeugung, es schadet, wenn die Leute sozusagen durch höhere Zusatzkosten belastet sind, auch wenn das nicht das Unternehmen ist. Unsere Mitarbeiter sind häufig im Niedriglohn-Bereich beschäftigt. Für die ist jeder zusätzliche Euro eine Belastung. Das führt dazu, dass anderswo weniger konsumiert wird, auch dort hat das wieder Auswirkungen, und ich glaube, es gehört einfach dazu, dass man sagt, bevor die Leute, die im Niedriglohn-Bereich arbeiten, mit höheren Kosten belastet sind, muss ich einfach öffentlich sagen, wo kann ich Kosten senken. Ich glaube, das wäre der richtige Weg.

    Heinemann: Aber ist es nicht grundsätzlich richtig – Sie arbeiten im Pflegebereich -, dass mehr Geld in das Gesundheitssystem fließen muss? Der medizinische Fortschritt geht weiter, die Menschen werden immer älter.

    Greiner: Da bin ich bei Ihnen. Ich glaube auch, dass wir einfach zwei Themen haben, die dazu führen werden, dass wir mehr Geld im Gesundheitsbereich brauchen. Das eine ist: Es gibt immer mehr Technik, es gibt immer bessere Technik, teurere Technik. Das andere ist natürlich: Es gibt immer mehr ältere Menschen. Beides wird dazu führen, dass unsere Kosten steigen werden. Aber gerade deswegen muss ich eben auch sehr verantwortungsbewusst prüfen, wo kann man Kosten senken und wie kann man Probleme effizienter lösen.

    Heinemann: Thomas Greiner ist der Vorstandsvorsitzende der Dussmann-Gruppe. – Wie zufrieden oder unzufrieden sind Sie generell mit der Arbeit der Bundesregierung?

    Greiner: Ich denke, die Bundesregierung ist gestartet mit den besten Wünschen der Wirtschaft. Ich denke, es gab hohe Erwartungen. Und wenn ich das mal für ein Unternehmen wie Dussmann sagen darf, das wie gesagt 25.000 Leute in Deutschland beschäftigt, war eine der großen Hoffnungen, dass Bürokratie abgebaut wird, und ich stelle eben fest, dass der Zug jetzt in eine ganz andere Richtung fährt. Nehmen Sie ein Programm wie "ELENA", wo es darum geht, dass immer mehr Verwaltungsaufgaben aus dem öffentlichen Bereich auf die privaten Unternehmen übertragen werden, dann können Sie daran erkennen, dass aus weniger Bürokratie leider immer mehr Bürokratie wird. Mir fehlt bei der Bundesregierung der klare ordnungspolitische Kurs, zu sagen, wie können wir unsere Wirtschaft stärken, wie stärken wir die Unternehmen, und an dem Punkt bin ich wie viele andere in der Wirtschaft mit der Bundesregierung unzufrieden.

    Heinemann: Können Sie ein Beispiel nennen für diese Bürokratie?

    Greiner: Dieses Programm "ELENA", von dem ich gerade gesprochen habe, bedeutet jetzt, dass wir als Unternehmen sämtliche Leistungen, die sozusagen von der öffentlichen Hand erbracht werden, mitarbeiterseitig abwickeln müssen, wenn es um Wohngeld geht, wenn es um Ausbildungsförderung geht, wenn es um Bafög geht, wenn es um Kindergeld geht. All diese Dinge werden, was deren Verwaltung anbelangt, immer stärker in die Unternehmen verlagert. Das bedeutet Investitionen in die IT, das bedeutet zusätzliche Mitarbeiter, bedeutet damit mehr Kosten. Das ist ein Beispiel, von dem ich überzeugt bin, dass es gerade in die andere Richtung geht.

    Heinemann: Herr Greiner, wenn Bezieherinnen und Bezieher von Hartz IV – Sie sprachen eben auch vom Niedriglohn-Sektor – künftig das Elterngeld gestrichen wird, müsste man dann nicht im Gegenzug auch einen höheren Spitzensteuersatz einführen?

    Greiner: Nun ist es ja zunächst so, was den Spitzensteuersatz anbelangt, dass heute rund 10 Prozent der Bevölkerung den allergrößten Teil der Einkommenssteuer bezahlen. Insofern kann man nicht so tun, als wäre da sozusagen in der Vergangenheit nichts passiert. Ich bin durchaus offen für die Frage, was passiert mit dem Spitzensteuersatz. Was ich von dieser Regierung erwarte, ist, dass man wie in Unternehmen permanent überlegt, wo müssen wir Kosten senken, wo können wir effizienter arbeiten, wo können wir Einsparungen treffen. Wenn all diese Dinge gut gearbeitet sind, dann, glaube ich, haben wir die ganzen Themen nicht, was das Elterngeld im Hartz-IV-Bereich anbelangt. Dann sind wir auch nicht darauf angewiesen, den Spitzensteuersatz zu erhöhen. Wenn alle anderen Kosteneinsparungspotentiale ausgeschöpft sind – man kann sich ja mal was überlegen bezüglich längere Arbeitszeiten im öffentlichen Dienst -, wenn all diese Dinge sozusagen realisiert sind und es dann erforderlich ist, den Spitzensteuersatz zu erhöhen, habe ich damit kein Problem.

    Heinemann: Hauptquartier Ihres Unternehmens ist Berlin. Wie zufrieden oder unzufrieden sind Sie mit dem Wirtschaftsstandort Berlin?

    Greiner: Der Wirtschaftsstandort Berlin bleibt aus meiner Sicht hinter den Möglichkeiten zurück. Berlin hat eine große Tradition als Dienstleistungsstandort. Ich glaube, die Berliner Regierung müsste viel aktiver daran gehen, Unternehmen nach Berlin zu bringen, kleine Unternehmen zu fördern. Diese Unternehmen, die in Berlin sozusagen bei null beginnen, brauchen insbesondere auch sozusagen von der öffentlichen Aufmerksamkeit die Unterstützung. Berlin ist, was Bürokratie anbelangt und was Belästigung durch Bürokratie anbelangt, eine der schwierigsten Städte dieser Bundesrepublik, weil es einfach eine mehrteilige Verwaltung gibt, und in dem Sinne bleibt Berlin aus meiner Sicht weit hinter seinen Möglichkeiten zurück, wenn es darum geht, neue Arbeitsplätze zu schaffen, auch ein Wirtschaftsstandort zu sein, der international wahrgenommen wird.
    Ich will Ihnen ein Beispiel sagen, was aber jetzt nicht nur Berlin anbelangt. Wenn sie ein Altenheim führen – und wir machen bei Dussmann in Deutschland über 90 Alteneinrichtungen -, dann haben sie über 800 Gesetze und Rechtsverordnungen, die sie einzuhalten haben. Das ist mehr wie beim Atomkraftwerk, über 800 Gesetze und Rechtsverordnungen. Daran können sie sehen, dass wir oft hier Bleiwesten auf den Schultern haben, wenn es darum geht, gute Arbeit zu machen. Das ist aus meiner Sicht ein Beispiel, das bundesweit gilt, das aber einfach zeigt: Wir sind hier am Punkt, wo wir nicht einfach weitermachen können.

    Heinemann: Stellen Sie sich vor, eine gute Fee käme zu Ihnen, würde Ihnen die Bleiweste wegnehmen und sagen, Sie hätten drei Wünsche frei. Was würden Sie sich wünschen?

    Greiner: Als Erstes glaube ich, dass es sehr wichtig ist, für dieses Land zu erkennen, dass wir in einer weltweiten Wettbewerbssituation stehen. Wir betreiben in Deutschland zu viel Nabelschau. Also eine Wettbewerbsorientierung, die einfach klar macht, wir stehen als Bundesrepublik im internationalen Wettbewerb. Dazu gehört zweitens mehr Abbau, also insgesamt weniger Bürokratie. Und der dritte Wunsch wäre, dass wir uns in dem Land klar machen, wie wichtig Unternehmer für dieses Land sind, dass wir in den Schulen, dass wir an den Universitäten daran arbeiten, wie können wir möglichst viele junge dazu motivieren, Unternehmer zu werden. Es ist schlecht, wenn der Hauptberufswunsch bei vielen Abiturienten und Studenten ist, anschließend im öffentlichen Dienst zu arbeiten. Wir brauchen sozusagen mehr Unternehmergeist in diesem Land.

    Heinemann: Wie kann man den stärken?

    Greiner: Ich glaube, das erste ist Vorbild. Das zweite ist aber auch, indem man sozusagen konsequent Lehrstühle einrichtet und den Leuten beibringt, was muss ein Unternehmer können, was muss er tun, indem man die Innovationskraft dadurch fördert, dass man einfach auch als Politik Zeichen setzt, junge Unternehmen fördert, Preise verleiht. Das, glaube ich, sind die Symbole, die wichtig sind.

    Heinemann: Thomas Greiner, Vorstandsvorsitzender der Dussmann-Gruppe, einer der größten Dienstleistungskonzerne in Europa.