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"Wir brauchen politische Lösungen"

Der Präsident des Europäischen Parlaments, Hans-Gert Pöttering (CDU), hat vor einer weiteren Eskalation des Konflikts zwischen Israel und der Hamas gewarnt. Sollte die israelische Armee eine neue Phase der Bodenoffensive einleiten, könne Europa dies nicht akzeptieren, sagte Pöttering.

Hans-Gert Pöttering im Gespräch mit Elke Durak | 09.01.2009
    Elke Durak: Der Weltsicherheitsrat hat also zu einer Waffenruhe aufgerufen, eine Resolution verabschiedet. Das israelische Sicherheitskabinett will noch heute darüber diskutieren, auch über das weitere Vorgehen im Gaza-Streifen. In der Nacht sind mindestens neun Palästinenser getötet worden. Das sind wohl die wichtigsten Nachrichten zum Gaza-Krieg.

    Mitgehört hat Hans-Gert Pöttering, Präsident des Europaparlaments. Guten Morgen, Herr Pöttering!

    Hans-Gert Pöttering: Guten Morgen, Frau Durak.

    Durak: Das sind keine guten Nachrichten, die wir da hören. Heißt das, wenn Israel eine dritte Phase vorbereitet, dass all die internationalen Vermittlungsbemühungen inklusive der Bemühung des Weltsicherheitsrates hinfällig sein könnten?

    Pöttering: Wenn diese dritte Phase wirklich käme, wäre es eine dramatische Zuspitzung, der wir in keiner Weise unsere Zustimmung geben können. Wir haben furchtbare Meldungen seit einigen Tagen über das Leiden der Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen und es muss schnell zu einer Waffenruhe kommen, und die Akteure innerhalb der Europäischen Union haben sich ja seit Tagen auch dafür eingesetzt und Israel sollte unsere Stimmen hören. Natürlich ist es völlig unannehmbar und es muss aufs Schärfste kritisiert werden, wenn Hamas mit Raketen israelische Städte beschießt. Das können wir nicht akzeptieren. Aber es muss jetzt schnell auch durch die Vermittlung Ägyptens zu einer Waffenruhe kommen, damit zunächst einmal den Menschen im Gaza-Streifen geholfen werden kann.

    Durak: Sie sagen, wir können das nicht hinnehmen, und meinen Europa, die EU, das Parlament, die internationale Gemeinschaft. Welche Möglichkeiten gibt es denn, unsere Interessen durchzusetzen?

    Pöttering: Wir können natürlich nur auf die Konfliktparteien einwirken und versuchen, sie zu überzeugen. Hamas ist natürlich eine Terrororganisation, aber ohne Hamas wird es auch keinen Waffenstillstand geben. Deswegen ist es wichtig, dass Ägypten und andere arabische Akteure hier auf Hamas einwirken, und wir sollten in aller Deutlichkeit den Israelis sagen, dass es nicht akzeptabel ist, dass das Leiden der Bevölkerung so weitergeht, dass selbst jetzt mittlerweile Angehörige der Vereinten Nationen unter Beschuss sind - natürlich nicht beabsichtigt, aber das zeigt die Dramatik der Situation, dass wir jetzt zu einem Waffenstillstand kommen, so dass dann Verhandlungen beginnen können. Und Israel sollte auch erkennen, dass es nicht eine militärische Lösung für das Nahost-Problem geben kann, sondern wir brauchen politische Lösungen. Unser Ziel muss sein, Israel in sicheren Grenzen, Palästina in sicheren Grenzen. Alle haben ihre Würde im Nahen Osten, und wir als Europäische Union, auch unsere amerikanischen Partner, auch die gemäßigten arabischen Staaten müssen natürlich ihren Beitrag leisten. Wenn das jetzt alles so weitergeht, das militärische Handeln, dann sehe ich sogar eine große Gefahr auch für die gemäßigten arabischen Staaten, die durch ihre Bevölkerung immer stärker unter Druck kommen. Und wir sollten alles tun, um den Präsidenten Mahmud Abbas zu unterstützen. Ich habe vorgestern lange telefoniert mit dem Ministerpräsidenten der palästinensischen Behörde, Ministerpräsident Fayad, und das sind doch vernünftige Leute, die dort sind, und die müssen wir stärken. Wenn es so weitergeht wie jetzt, dann schwächen wir sie weiter und treiben vielleicht den Radikalen immer mehr Menschen in die Arme.

    Durak: Wie kann man denn diese Kräfte stärken?

    Pöttering: Indem man jetzt politisch handelt. Das heißt, dass wir zu einem Waffenstillstand kommen und dass dann wirklich die internationale Gemeinschaft verhandelt, zusammen natürlich mit Israel und auch den anderen Partnern im Nahen Osten, aus Palästina. Wir selber verhandeln nicht direkt mit der Hamas, weil es sich um eine Terrororganisation handelt, aber man muss natürlich Partner haben, die mit Hamas reden, und das sind in erster Linie die Ägypter und andere arabische Staaten. Und es darf nicht so sein, wenn es jetzt einen Waffenstillstand geben sollte, von dem ich hoffe, dass er sehr schnell kommt, dass dann alles so weiterläuft wie in den letzten Jahrzehnten. Es muss eine wirkliche friedliche Regelung geben und die internationale Gemeinschaft muss sich engagieren. Es wird am Ende auch darum gehen müssen, dass Sicherheitskräfte der internationalen Gemeinschaft einschließlich der Europäischen Union in der Region engagiert sind, in Palästina engagiert sind, im Gaza-Streifen, weil der Frieden aus der Region bedauerlicherweise alleine nicht kommen kann.

    Durak: Einschließlich deutscher Truppen? Sie wissen, diese Frage kommt dann immer in solchen Zusammenhängen.

    Pöttering: Das ist jetzt als Präsident des Europäischen Parlaments nicht meine Aufgabe zu sagen, wer sich beteiligt. Das müssen die Regierungen selber sagen, und Bundeskanzlerin Angela Merkel war ja im engen Kontakt und hat den Präsidenten Frankreichs, Nicolas Sarkozy, aufgesucht. Das muss jede Regierung für sich entscheiden. Ich sage nur, dass die Europäische Union Teil einer solchen Friedenslösung sein muss, und Europa ist ein ehrlicher Makler im Nahen Osten. Ich bin eine Woche vor Weihnachten in vier arabischen Staaten gewesen. Man erwartet viel von uns, mehr noch als von den Amerikanern, weil man uns für objektiver, für fairer hält als die Amerikaner, die ja doch sehr stark ... wir stehen auch an der Seite Israels, aber die Amerikaner sehen immer vorrangig die Interessen oder die vermeintlichen Interessen Israels. Wir werden für einen sehr objektiven und fairen Partner gehalten, auch in der arabischen Welt, auch zunehmend bei Israel, und deswegen muss auch die Europäische Union stärker engagiert sein.

    Durak: Ein zweites kurzes Thema noch im Gespräch mit dem Präsidenten des Europaparlamentes: die Energiesicherheit. Nach vielem Hin und Her und auch Zurück sozusagen gibt es eine Einigung zwischen der Ukraine und Russland unter Vermittlung der EU, was die Gaslieferungen betrifft. Es bleibt die Abhängigkeit vieler europäischer Staaten von den wirtschaftlichen und politischen Beziehungen von Gasliefer- und -transportländern. Was ist zu tun, dem aus dem Weg zu gehen?

    Pöttering: Ja, Frau Durak, zunächst einmal muss man sagen, dass sich die Europäische Union außerordentlich bewährt hat in diesem Gasstreit. Wir haben, ob es der Kommissionspräsident Barroso ist, der Präsident des Europäischen Rates, Topolanek, wir im Europäischen Parlament, wir haben mit einer Stimme gesprochen. Gestern Morgen haben die Fraktionsvorsitzenden mit dem Präsidenten des Parlaments sehr lange eine Unterredung gehabt mit Präsident Barroso. Ich habe gestern am späten Nachmittag mit dem Präsidenten des Europäischen Rates, dem tschechischen Ministerpräsidenten Topolanek, telefoniert. Der Vorsitzende von Gazprom, Alexej Miller, war gestern lange in der Kommission. Er war über eine Stunde bei mir. Wir haben ein außerordentlich offenes Gespräch gehabt. Wir haben als Europäische Union mit einer Stimme gesprochen und Russland muss wissen, dass die Probleme, die Russland mit der Ukraine hat, nicht zu Problemen zwischen Russland und der Europäischen Union werden können. Das heißt, Russland muss seine Verpflichtungen uns gegenüber einhalten. Pacta sunt servanda, Verträge sind einzuhalten, und wir haben hier mit ganz eindeutiger klarer Stimme gesprochen, auch gegenüber der Ukraine, und jetzt müssen die Russen und die Ukrainer eine Lösung finden für ihre Probleme. Aber wir können nicht das Opfer von Schwierigkeiten zwischen Russland und der Ukraine sein. Das heißt, die Europäische Union hat sich bewährt. Es gibt eine gemeinsame Orientierung der Europäischen Union. Vor Jahren hat jeder gesagt, Energiepolitik ist keine europäische Sache. Das ist ein Beispiel, wie wir, wenn wir zusammenarbeiten als Europäer und wie Aufgaben zu europäischen Aufgaben werden können, wie wir dann erfolgreich sind. Aber wir müssen Konsequenzen ziehen. Wenn jetzt die Gaslieferungen wieder beginnen - darauf haben wir bestanden, müssen wir bestehen -, dann müssen wir auch darüber nachdenken, wie wir unsere Energieversorgung etwas stärker auf eine breitere Grundlage stellen, dass wir nicht zu abhängig sind nur von Russland oder anderen Lieferanten. Wir brauchen Diversifizierung sowohl beim Gas wie auch beim Erdöl, und deswegen sollten wir auch die Nabucco-Pipeline bauen, also jene Pipeline von den kaspischen Ländern über die Türkei bis nach Europa, damit wir ein Stück unabhängiger werden von Russland, mit dem wir im Übrigen in Partnerschaft und Freundschaft zusammenleben wollen.

    Durak: Gott sei Dank. - Hans-Gert Pöttering, Präsident des Europaparlamentes. Besten Dank für das Gespräch, Herr Pöttering.

    Pöttering: Bitte sehr!