!Christian Schütte: Terrorismusbekämpfung im In- und im Ausland - was soll, was kann Deutschland leisten? - Darüber spreche ich mit dem Innenminister von Brandenburg, Jörg Schönbohm (CDU). Guten Morgen.
Jörg Schönbohm: Einen wunderschönen guten Morgen, Herr Schütte.
Schütte: Sprechen wir zunächst über den Entwurf zum BKA-Gesetz, der im Bundestag zur Abstimmung steht. Damit bekommen die Ermittler des Bundeskriminalamts weitgehend die gleichen Befugnisse wie ihre Kollegen aus den Ländern. Lassen Sie uns dazu den Vergleich Ihres Parteikollegen Wolfgang Bosbach noch einmal aufgreifen. Wir haben es gerade gehört. Er hat eine typische Spielfilm-Szene beschrieben. Ein amerikanischer Polizist ist schon seit längerer Zeit dran an einem Fall, da taucht plötzlich ein Mann mit FBI-Ausweis auf und sagt, jetzt gehen sie nach Hause, ich übernehme den Fall. Und wir ahnen schon: der Polizist ermittelt aber weiter auf eigene Faust und will den Schurken selbst zur Strecke bringen. Herr Schönbohm, solche Szenen, Kompetenzgerangel zwischen Bund und Ländern, demnächst Realität irgendwo in Deutschland?
Schönbohm: Ich denke nicht. Wir haben das in der Innenministerkonferenz sehr intensiv erörtert, seit mehreren Jahren, muss ich sagen, und mit der Änderung des Grundgesetzes war klar, dass das BKA diese Zuständigkeit bekommt, und die Abgrenzung ist an sich sehr deutlich gezogen. Es geht immer ausschließlich um die Frage der Terrorabwehr. Nun kann man den Begriff ja weit fassen und ich denke, dass wir dort interne Arbeitsanweisungen haben, die das verhindern, so dass die Gefahr, die dieses Beispiel, was der Kollege Bosbach gebracht hat, nach dem Motto FBI kommt und übernimmt, nicht gegeben ist. Das BKA wird kein FBI werden, wenn das auch Kollegen von mir mal irgendwo gesagt haben. Ich glaube, das ist ein falscher Vergleich.
Schütte: Den Innenpolitiker der SPD Klaus Uwe Benneter beschleicht trotzdem ein gewisses Unbehagen, wenn Bundespolizisten künftig versteckt ermitteln. Wir hören ihn gerade mal an:
Benneter: Muss das denn so sein? Wollten wir denn nach den Erfahrungen in der Nazi-Zeit nicht auf immer verhindern, dass die Polizei zu einer Geheimpolizei werden kann?
Schönbohm: Das finde ich eine unglaubliche Formulierung von Herrn Benneter. Dass unsere Polizei in einem Rechtsstaat zu einer Geheimpolizei werden kann? Wir brauchen verdeckte Ermittler. Dazu sind die gesetzlichen Grundlagen ganz eindeutig. Dieses wird im Zweifelsfall kontrolliert von den zuständigen Ausschüssen des Parlaments. Das wird kontrolliert von den Gerichten. Wir brauchen Ermittler, die verdeckt operieren. Das machen die Landespolizeien und das macht dann im Zusammenhang mit diesem Auftrag, den das BKA schließlich bekommen hat, auch das BKA.
Schütte: Mit der Gesetzesnovelle darf der Staat massiver denn je in die Privatsphäre der Bürger eindringen. Hätten Sie als Bundestagsabgeordneter heute ein gutes Gewissen bei der Abstimmung dafür?
Schönbohm: Zunächst mal: jeder Eingriff in die Privatsphäre - dafür haben wir eine Erfahrung gemacht in der Zeit des Nationalsozialismus, in der DDR haben wir auch diese Erfahrung gemacht - darf nur geschehen, wenn außerordentliche Gründe vorliegen und wenn dieses sozusagen durch einen Richter genehmigt ist. Das ist ja der Regelfall.
Schütte: Oppositionspolitiker, auch Bürgerrechtler sagen, die Grenzen sind nicht klar genug gezogen im BKA-Gesetz.
Schönbohm: Nein. Ich denke, natürlich können sie nicht für jeden theoretischen Fall eine Grenze ziehen, sondern die Grenzen sind festgelegt und es gibt Menschen, die ihren Eid auf die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland geschworen haben oder auf die Landesverfassung, und sie werden diesem Eid folgen. Es gibt überhaupt keinen Grund zur Annahme, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - sei es bei der Polizei, sei es bei der Staatsanwaltschaft oder bei den Gerichten - leichtfertig damit umgehen, und ich denke, wir werden überrascht sein, wie wenig von diesen Möglichkeiten Gebrauch gemacht wird, weil es im Rahmen der Verhältnismäßigkeit immer zu einer Abwägung kommt, diese Entscheidung zu treffen. Das ist nur im Falle einer tatsächlichen Bedrohung oder einer vermuteten bevorstehenden Bedrohung.
Schütte: Wir wollen nicht nur über Terrorismusbekämpfung im Inland reden. Schließlich wird die Sicherheit in Deutschland auch am Hindukusch verteidigt. Das haben wir von Peter Struck gelernt. Warum sieht die Mehrheit der Menschen hierzulande das deutsche Engagement in Afghanistan trotzdem kritisch?
Schönbohm: Ich glaube, es ist der Politik insgesamt nicht gelungen, deutlich zu machen, welche Bedrohung von Afghanistan ausgeht oder von den Taliban in Afghanistan, denn Afghanistan war ein Rückzugsraum für die Terroristen und es muss jetzt dort eine rechtsstaatliche Ordnung wieder hergestellt werden, auch zum Schutz der Menschen, dass sie dort ihre Aufgaben, ihr Leben gestalten können und dass von dort aus nicht die Bedrohung ausgeht. Das ist nicht deutlich genug geworden und vor allen Dingen verstehen viele Mitbürger nicht, warum es so lange dauert. Und wir müssen auch sagen, die dortigen Verhältnisse sind so unterschiedlich zu unseren, dass wir einen langen Atem brauchen. Darum müssen wir auch unserer Bevölkerung sagen, dass wir dieses mit der Völkergemeinschaft insgesamt, mit den Europäern, mit den Amerikanern zusammen, gemeinsam machen werden.
Schütte: Stichwort USA. Der neue Präsident Obama könnte die Deutschen stärker in die Pflicht nehmen. So haben viele seine Rede Ende Juli vor der Berliner Siegessäule verstanden.
Obama: Niemand heißt Krieg willkommen. Ich leugne nicht, dass die Schwierigkeiten in Afghanistan enorm sind. Amerika kann sie nicht allein bewältigen. Das Volk von Afghanistan braucht unsere Streitkräfte und euere Streitkräfte, unsere Unterstützung und euere Unterstützung.
Schütte: Bemerkenswert für diese Aussage gab es vom Publikum nicht gerade viel Applaus.
Schönbohm: Ja, gut. Trotzdem: Obama ist ja sehr stark hier gefeiert worden. Das sei ihm auch gegönnt. Aber wenn er das Präsidentenamt am 20. Januar übernommen hat und sich im Rahmen seiner Vorbereitungen mit diesen Fragen intensiv befasst hat, glaube ich, werden wir sehr stark von amerikanischer Seite hören, nicht nur Deutschland, Europa muss sich stärker beteiligen, und das in einem Wahljahr. Das wird alles sehr schwierig, aber die Wirklichkeit ist so und wir müssen uns mit der politisch auseinandersetzen und darauf sollten wir uns auch vorbereiten.
Schütte: Die Bundeskanzlerin und der Verteidigungsminister, beide CDU, haben es abgelehnt, den Afghanistan-Einsatz auszuweiten.
Schönbohm: Ja. Er hat doch nicht gesagt, wir wollen mehr Truppen für Süd-Afghanistan; er hat gesagt, wir wollen mehr Truppen. Nun wissen Sie ja, dass nach dieser Rede der Bundestag - unabhängig von dieser Rede, aber zeitlich nach dieser Rede - beschlossen hat, den Anteil der Bundeswehr um 1000 Soldaten zu erhöhen, und die Bundeswehr hat gesagt, sie wird ihre Aufgabe im Norden Afghanistans erledigen. Diese Zusage der Bundesregierung gilt. Darüber hinaus hat die Bundesregierung gesagt, sie prüft, inwieweit wir uns mit Awacs beteiligen, also NATO insgesamt. Wir fliegen jetzt schon Luftaufklärung mit deutschen Tornados. Also die Bundeswehr macht sehr viel, ist der drittstärkste Truppensteller, und von daher gesehen hat Herr Obama die Rede nicht nur in Deutschland gehalten, sondern er hat sie im Herzen Europas gehalten, an der Siegessäule.
Schütte: Herr Schönbohm, das klingt jetzt gerade ein bisschen so, als wollten Sie Afghanistan militärisch befrieden.
Schönbohm: Nein, überhaupt nicht. Ich will da gar nichts befrieden, sondern das ist eine Aufgabe der Weltgemeinschaft. Wir haben ja da auch ein Mandat. Die Vereinten Nationen und die NATO sind dort ja gemeinsam. Aber nun kommt noch etwas anderes. Wir haben ja auch eine Ergänzung bei der Polizei. Ich bin ja Vorsitzender der Innenministerkonferenz. Wir haben genau in einer Woche dazu Gespräche im Rahmen der Innenministerkonferenz und es geht darum, dass wir im Bestandteil der europäischen Polizeimission, Eupol-Mission unseren Anteil erhöhen. Darauf sind wir vorbereitet. Bilateral haben wir sehr viel gemeinsam getan. Wir bauen eine Polizeiakademie in Masar-i-Scharif. Wir haben ein Ausbildungslager gebaut; wir haben schon 24.000 Polizisten dort ausgebildet und werden unseren Anteil bilateral auch erhöhen, um dort die Leistungskraft zu verbessern.
Schütte: Herr Schönbohm, gleich noch zur Polizeiausbildung. Ich wollte noch einmal kurz zurück auf den Punkt. Das heißt, Sie gehen davon aus, Anfang des Jahres wird Obama gewissermaßen die Anfrage stellen an Deutschland, sich mehr zu engagieren, und dann werden Frau Merkel und Herr Jung einknicken?
Schönbohm: Nein. Ich gehe zunächst mal davon aus, dass Obama eine Bestandsaufnahme macht, dass er dann mit den Verbündeten im Rahmen der NATO spricht - das ist der Platz, wo das hingehört - und dass man dann gemeinsam erörtert, wie man in der NATO insgesamt die Aufgabe erweitern wird. Dann muss Deutschland sich überlegen, ob sie mehr tun oder nicht, aber das sehe ich im Augenblick nicht.
Schütte: Also keine deutschen Truppen auch in den Süden Afghanistans?
Schönbohm: Ich glaube, da hat die Bundesregierung sich so festgelegt und ich weiß aus Gesprächen mit Amerikanern, die ich hatte, dass man das auch akzeptiert und weiß, dass das für uns nach den Entscheidungen, die wir zur Verstärkung getroffen haben, keine Option ist.
Schütte: Das würde - so ist Ihre Prognose - auch ein Obama akzeptieren. - Wenn er trotzdem Deutschland möglicherweise ein bisschen in die Pflicht nimmt, was bedeutet das für die Polizeiausbildung? Müssen die Bundesländer dann ihre Zusagen für die Ausbildungsvorhaben in Afghanistan auch einlösen?
Schönbohm: Ja. Die Bundesländer sind bereit, diese Zusagen einzulösen. Das hängt zum Teil an Schwierigkeiten bei Eupol.
Schütte: Warum war das dann bisher so schleppend?
Schönbohm: Weil im Rahmen der europäischen Polizeimission die Nationen der Europäischen Union sich daran beteiligen und die Deutschen stellen das größte Kontingent schon jetzt. Beim Aufwuchs soll gesehen werden, dass alle Länder das parallel machen. Wir werden demnächst bei Eupol 90 Polizeibeamte haben. Es soll dann aufgestockt werden auf über 120 deutsche Polizeibeamte, meine ich jetzt. Bilateral haben wir immer so 100 Polizeibeamte und dann je nach Aufgabenstellung zusätzliche Verstärkungen, um bestimmte Aufgaben wahrzunehmen.
Schütte: Die Polizisten, die dort vor Ort ausbilden, haben schon eine Menge afghanische Polizisten ausgebildet. Insgesamt spricht man von zirka 80.000 afghanischen Polizisten. Wie viele sind davon wirklich einsatzfähig?
Schönbohm: Die Frage kann ich nicht beantworten. Die Polizisten, die wir ausgebildet haben, unter deutscher Verantwortung insgesamt 24.000, können ihre Aufgabe als Polizeibeamte wahrnehmen. Aber man muss natürlich sagen, ein Teil der Polizeibeamten sind praktisch Analphabeten und ein Teil der Polizeibeamten geht auch nach ihrer Ausbildung woanders hin und wechselt sozusagen die Fronten. All dieses gibt es. Von daher gesehen ist es zum Beispiel schwierig, eine Prognose zu machen, wann wir endgültig dann den Erfolg haben. Darum müssen wir wirklich nachhaltig daran arbeiten.
Schütte: In der kommenden Woche steht die Innenministerkonferenz an und da wird vermutlich auch die Polizeiausbildung in Afghanistan eine Rolle spielen. Was ist das größte Problem, was sie anpacken wollen?
Schönbohm: Bezogen auf Afghanistan gibt es ein hohes Maß an Übereinstimmung, dass wir, die Länder und der Bund, uns gemeinsam beteiligen. Wir haben eine Vereinbarung - wir haben ja auch im Kosovo Polizeibeamte -, dass das Verhältnis ein Drittel Bund und zwei Drittel Landespolizeien ist. Wenn mehr als 450 Beamte im Einsatz sind, dann Halbe-Halbe. Die Kostenteilung ist gefragt. Es geht jetzt um die organisatorische Umsetzung auf der Ebene des Bundesaußenministeriums mit der Europäischen Union und zwischen der Bundesregierung und der Regierung in Kabul. Dazu sind die Vorbereitungen getroffen und ich denke, wir werden im nächsten Jahr deutliche Fortschritte machen.
Schütte: Jörg Schönbohm (CDU), Innenminister in Brandenburg. Vielen Dank für das Gespräch.
Jörg Schönbohm: Einen wunderschönen guten Morgen, Herr Schütte.
Schütte: Sprechen wir zunächst über den Entwurf zum BKA-Gesetz, der im Bundestag zur Abstimmung steht. Damit bekommen die Ermittler des Bundeskriminalamts weitgehend die gleichen Befugnisse wie ihre Kollegen aus den Ländern. Lassen Sie uns dazu den Vergleich Ihres Parteikollegen Wolfgang Bosbach noch einmal aufgreifen. Wir haben es gerade gehört. Er hat eine typische Spielfilm-Szene beschrieben. Ein amerikanischer Polizist ist schon seit längerer Zeit dran an einem Fall, da taucht plötzlich ein Mann mit FBI-Ausweis auf und sagt, jetzt gehen sie nach Hause, ich übernehme den Fall. Und wir ahnen schon: der Polizist ermittelt aber weiter auf eigene Faust und will den Schurken selbst zur Strecke bringen. Herr Schönbohm, solche Szenen, Kompetenzgerangel zwischen Bund und Ländern, demnächst Realität irgendwo in Deutschland?
Schönbohm: Ich denke nicht. Wir haben das in der Innenministerkonferenz sehr intensiv erörtert, seit mehreren Jahren, muss ich sagen, und mit der Änderung des Grundgesetzes war klar, dass das BKA diese Zuständigkeit bekommt, und die Abgrenzung ist an sich sehr deutlich gezogen. Es geht immer ausschließlich um die Frage der Terrorabwehr. Nun kann man den Begriff ja weit fassen und ich denke, dass wir dort interne Arbeitsanweisungen haben, die das verhindern, so dass die Gefahr, die dieses Beispiel, was der Kollege Bosbach gebracht hat, nach dem Motto FBI kommt und übernimmt, nicht gegeben ist. Das BKA wird kein FBI werden, wenn das auch Kollegen von mir mal irgendwo gesagt haben. Ich glaube, das ist ein falscher Vergleich.
Schütte: Den Innenpolitiker der SPD Klaus Uwe Benneter beschleicht trotzdem ein gewisses Unbehagen, wenn Bundespolizisten künftig versteckt ermitteln. Wir hören ihn gerade mal an:
Benneter: Muss das denn so sein? Wollten wir denn nach den Erfahrungen in der Nazi-Zeit nicht auf immer verhindern, dass die Polizei zu einer Geheimpolizei werden kann?
Schönbohm: Das finde ich eine unglaubliche Formulierung von Herrn Benneter. Dass unsere Polizei in einem Rechtsstaat zu einer Geheimpolizei werden kann? Wir brauchen verdeckte Ermittler. Dazu sind die gesetzlichen Grundlagen ganz eindeutig. Dieses wird im Zweifelsfall kontrolliert von den zuständigen Ausschüssen des Parlaments. Das wird kontrolliert von den Gerichten. Wir brauchen Ermittler, die verdeckt operieren. Das machen die Landespolizeien und das macht dann im Zusammenhang mit diesem Auftrag, den das BKA schließlich bekommen hat, auch das BKA.
Schütte: Mit der Gesetzesnovelle darf der Staat massiver denn je in die Privatsphäre der Bürger eindringen. Hätten Sie als Bundestagsabgeordneter heute ein gutes Gewissen bei der Abstimmung dafür?
Schönbohm: Zunächst mal: jeder Eingriff in die Privatsphäre - dafür haben wir eine Erfahrung gemacht in der Zeit des Nationalsozialismus, in der DDR haben wir auch diese Erfahrung gemacht - darf nur geschehen, wenn außerordentliche Gründe vorliegen und wenn dieses sozusagen durch einen Richter genehmigt ist. Das ist ja der Regelfall.
Schütte: Oppositionspolitiker, auch Bürgerrechtler sagen, die Grenzen sind nicht klar genug gezogen im BKA-Gesetz.
Schönbohm: Nein. Ich denke, natürlich können sie nicht für jeden theoretischen Fall eine Grenze ziehen, sondern die Grenzen sind festgelegt und es gibt Menschen, die ihren Eid auf die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland geschworen haben oder auf die Landesverfassung, und sie werden diesem Eid folgen. Es gibt überhaupt keinen Grund zur Annahme, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - sei es bei der Polizei, sei es bei der Staatsanwaltschaft oder bei den Gerichten - leichtfertig damit umgehen, und ich denke, wir werden überrascht sein, wie wenig von diesen Möglichkeiten Gebrauch gemacht wird, weil es im Rahmen der Verhältnismäßigkeit immer zu einer Abwägung kommt, diese Entscheidung zu treffen. Das ist nur im Falle einer tatsächlichen Bedrohung oder einer vermuteten bevorstehenden Bedrohung.
Schütte: Wir wollen nicht nur über Terrorismusbekämpfung im Inland reden. Schließlich wird die Sicherheit in Deutschland auch am Hindukusch verteidigt. Das haben wir von Peter Struck gelernt. Warum sieht die Mehrheit der Menschen hierzulande das deutsche Engagement in Afghanistan trotzdem kritisch?
Schönbohm: Ich glaube, es ist der Politik insgesamt nicht gelungen, deutlich zu machen, welche Bedrohung von Afghanistan ausgeht oder von den Taliban in Afghanistan, denn Afghanistan war ein Rückzugsraum für die Terroristen und es muss jetzt dort eine rechtsstaatliche Ordnung wieder hergestellt werden, auch zum Schutz der Menschen, dass sie dort ihre Aufgaben, ihr Leben gestalten können und dass von dort aus nicht die Bedrohung ausgeht. Das ist nicht deutlich genug geworden und vor allen Dingen verstehen viele Mitbürger nicht, warum es so lange dauert. Und wir müssen auch sagen, die dortigen Verhältnisse sind so unterschiedlich zu unseren, dass wir einen langen Atem brauchen. Darum müssen wir auch unserer Bevölkerung sagen, dass wir dieses mit der Völkergemeinschaft insgesamt, mit den Europäern, mit den Amerikanern zusammen, gemeinsam machen werden.
Schütte: Stichwort USA. Der neue Präsident Obama könnte die Deutschen stärker in die Pflicht nehmen. So haben viele seine Rede Ende Juli vor der Berliner Siegessäule verstanden.
Obama: Niemand heißt Krieg willkommen. Ich leugne nicht, dass die Schwierigkeiten in Afghanistan enorm sind. Amerika kann sie nicht allein bewältigen. Das Volk von Afghanistan braucht unsere Streitkräfte und euere Streitkräfte, unsere Unterstützung und euere Unterstützung.
Schütte: Bemerkenswert für diese Aussage gab es vom Publikum nicht gerade viel Applaus.
Schönbohm: Ja, gut. Trotzdem: Obama ist ja sehr stark hier gefeiert worden. Das sei ihm auch gegönnt. Aber wenn er das Präsidentenamt am 20. Januar übernommen hat und sich im Rahmen seiner Vorbereitungen mit diesen Fragen intensiv befasst hat, glaube ich, werden wir sehr stark von amerikanischer Seite hören, nicht nur Deutschland, Europa muss sich stärker beteiligen, und das in einem Wahljahr. Das wird alles sehr schwierig, aber die Wirklichkeit ist so und wir müssen uns mit der politisch auseinandersetzen und darauf sollten wir uns auch vorbereiten.
Schütte: Die Bundeskanzlerin und der Verteidigungsminister, beide CDU, haben es abgelehnt, den Afghanistan-Einsatz auszuweiten.
Schönbohm: Ja. Er hat doch nicht gesagt, wir wollen mehr Truppen für Süd-Afghanistan; er hat gesagt, wir wollen mehr Truppen. Nun wissen Sie ja, dass nach dieser Rede der Bundestag - unabhängig von dieser Rede, aber zeitlich nach dieser Rede - beschlossen hat, den Anteil der Bundeswehr um 1000 Soldaten zu erhöhen, und die Bundeswehr hat gesagt, sie wird ihre Aufgabe im Norden Afghanistans erledigen. Diese Zusage der Bundesregierung gilt. Darüber hinaus hat die Bundesregierung gesagt, sie prüft, inwieweit wir uns mit Awacs beteiligen, also NATO insgesamt. Wir fliegen jetzt schon Luftaufklärung mit deutschen Tornados. Also die Bundeswehr macht sehr viel, ist der drittstärkste Truppensteller, und von daher gesehen hat Herr Obama die Rede nicht nur in Deutschland gehalten, sondern er hat sie im Herzen Europas gehalten, an der Siegessäule.
Schütte: Herr Schönbohm, das klingt jetzt gerade ein bisschen so, als wollten Sie Afghanistan militärisch befrieden.
Schönbohm: Nein, überhaupt nicht. Ich will da gar nichts befrieden, sondern das ist eine Aufgabe der Weltgemeinschaft. Wir haben ja da auch ein Mandat. Die Vereinten Nationen und die NATO sind dort ja gemeinsam. Aber nun kommt noch etwas anderes. Wir haben ja auch eine Ergänzung bei der Polizei. Ich bin ja Vorsitzender der Innenministerkonferenz. Wir haben genau in einer Woche dazu Gespräche im Rahmen der Innenministerkonferenz und es geht darum, dass wir im Bestandteil der europäischen Polizeimission, Eupol-Mission unseren Anteil erhöhen. Darauf sind wir vorbereitet. Bilateral haben wir sehr viel gemeinsam getan. Wir bauen eine Polizeiakademie in Masar-i-Scharif. Wir haben ein Ausbildungslager gebaut; wir haben schon 24.000 Polizisten dort ausgebildet und werden unseren Anteil bilateral auch erhöhen, um dort die Leistungskraft zu verbessern.
Schütte: Herr Schönbohm, gleich noch zur Polizeiausbildung. Ich wollte noch einmal kurz zurück auf den Punkt. Das heißt, Sie gehen davon aus, Anfang des Jahres wird Obama gewissermaßen die Anfrage stellen an Deutschland, sich mehr zu engagieren, und dann werden Frau Merkel und Herr Jung einknicken?
Schönbohm: Nein. Ich gehe zunächst mal davon aus, dass Obama eine Bestandsaufnahme macht, dass er dann mit den Verbündeten im Rahmen der NATO spricht - das ist der Platz, wo das hingehört - und dass man dann gemeinsam erörtert, wie man in der NATO insgesamt die Aufgabe erweitern wird. Dann muss Deutschland sich überlegen, ob sie mehr tun oder nicht, aber das sehe ich im Augenblick nicht.
Schütte: Also keine deutschen Truppen auch in den Süden Afghanistans?
Schönbohm: Ich glaube, da hat die Bundesregierung sich so festgelegt und ich weiß aus Gesprächen mit Amerikanern, die ich hatte, dass man das auch akzeptiert und weiß, dass das für uns nach den Entscheidungen, die wir zur Verstärkung getroffen haben, keine Option ist.
Schütte: Das würde - so ist Ihre Prognose - auch ein Obama akzeptieren. - Wenn er trotzdem Deutschland möglicherweise ein bisschen in die Pflicht nimmt, was bedeutet das für die Polizeiausbildung? Müssen die Bundesländer dann ihre Zusagen für die Ausbildungsvorhaben in Afghanistan auch einlösen?
Schönbohm: Ja. Die Bundesländer sind bereit, diese Zusagen einzulösen. Das hängt zum Teil an Schwierigkeiten bei Eupol.
Schütte: Warum war das dann bisher so schleppend?
Schönbohm: Weil im Rahmen der europäischen Polizeimission die Nationen der Europäischen Union sich daran beteiligen und die Deutschen stellen das größte Kontingent schon jetzt. Beim Aufwuchs soll gesehen werden, dass alle Länder das parallel machen. Wir werden demnächst bei Eupol 90 Polizeibeamte haben. Es soll dann aufgestockt werden auf über 120 deutsche Polizeibeamte, meine ich jetzt. Bilateral haben wir immer so 100 Polizeibeamte und dann je nach Aufgabenstellung zusätzliche Verstärkungen, um bestimmte Aufgaben wahrzunehmen.
Schütte: Die Polizisten, die dort vor Ort ausbilden, haben schon eine Menge afghanische Polizisten ausgebildet. Insgesamt spricht man von zirka 80.000 afghanischen Polizisten. Wie viele sind davon wirklich einsatzfähig?
Schönbohm: Die Frage kann ich nicht beantworten. Die Polizisten, die wir ausgebildet haben, unter deutscher Verantwortung insgesamt 24.000, können ihre Aufgabe als Polizeibeamte wahrnehmen. Aber man muss natürlich sagen, ein Teil der Polizeibeamten sind praktisch Analphabeten und ein Teil der Polizeibeamten geht auch nach ihrer Ausbildung woanders hin und wechselt sozusagen die Fronten. All dieses gibt es. Von daher gesehen ist es zum Beispiel schwierig, eine Prognose zu machen, wann wir endgültig dann den Erfolg haben. Darum müssen wir wirklich nachhaltig daran arbeiten.
Schütte: In der kommenden Woche steht die Innenministerkonferenz an und da wird vermutlich auch die Polizeiausbildung in Afghanistan eine Rolle spielen. Was ist das größte Problem, was sie anpacken wollen?
Schönbohm: Bezogen auf Afghanistan gibt es ein hohes Maß an Übereinstimmung, dass wir, die Länder und der Bund, uns gemeinsam beteiligen. Wir haben eine Vereinbarung - wir haben ja auch im Kosovo Polizeibeamte -, dass das Verhältnis ein Drittel Bund und zwei Drittel Landespolizeien ist. Wenn mehr als 450 Beamte im Einsatz sind, dann Halbe-Halbe. Die Kostenteilung ist gefragt. Es geht jetzt um die organisatorische Umsetzung auf der Ebene des Bundesaußenministeriums mit der Europäischen Union und zwischen der Bundesregierung und der Regierung in Kabul. Dazu sind die Vorbereitungen getroffen und ich denke, wir werden im nächsten Jahr deutliche Fortschritte machen.
Schütte: Jörg Schönbohm (CDU), Innenminister in Brandenburg. Vielen Dank für das Gespräch.