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"Wir brauchen viele, die helfen"

Rolf Mützenich, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, hält eine Aufstockung der Hilfen für die Flutopfer in Pakistan nicht nur aus humanitären Gründen für wichtig, sondern auch aus sicherheitspolitischer Sicht. Pakistan stelle einen wichtigen Schlüssel dar, um Afghanistan zu befrieden.

Rolf Mützenich im Gespräch mit Gerd Breker | 20.08.2010
    Gerd Breker: Schon zum zweiten Mal haben die Vereinigten Staaten von Amerika den Kriegseinsatz im Irak beendet. Doch anders als bei Präsident George Bushs martialischem Auftritt auf einem Flugzeugträger unter dem Schild "Mission Accomplished", Mission erfüllt, ist diesmal der Abzug der Kampftruppen deutlich sichtbar. Sie dürfen nach Hause, oder sie müssen nach Afghanistan. Umschlagplatz ist Kuwait. Präsident Obama erfüllt ein Wahlkampfversprechen und hinterlässt ein Land, das alles andere als sicher ist – ein System, das auch nach fünf Monaten nach der Wahl noch keine Regierung zu Stande bringt, und eine Gesellschaft, in der Extremisten das Chaos und den Bürgerkrieg herbeibomben wollen.
    Am Telefon bin ich nun verbunden mit Rolf Mützenich. Er ist außen- und sicherheitspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Tag, Herr Mützenich!

    Rolf Mützenich: Guten Tag, Herr Breker.

    Breker: Herr Mützenich, lassen Sie uns mit Pakistan beginnen. Die Weltgemeinschaft muss diesem Land auch aus sicherheitspolitischen Überlegungen heraus helfen, denn eine instabile Atommacht Pakistan, wer will das?

    Mützenich: Nun, das ist richtig, und ich glaube, wir haben ein eigenes Interesse daran, Pakistan zu unterstützen, dass zumindest die Hilfe ankommt, dass auch die staatlichen Strukturen nicht kollabieren. Das ist, glaube ich, eine der wichtigsten Botschaften, weil die Sicherheitsprobleme in der Region – das ist ja nicht nur Afghanistan, sondern auch das bilaterale Problem zwischen Indien und Pakistan – noch gar nicht gelöst, geschweige denn angepackt worden sind.

    Breker: Und es ist eine Hilfe, die einen langen Atem braucht, denn die Existenz von zahlreichen, ja von Millionen Menschen wurde zerstört. Die wieder aufzubauen, das braucht Geduld.

    Mützenich: Das ist eine Mammutaufgabe. Wir brauchen viele, die helfen, insbesondere auch die Vereinten Nationen. Diese Hilfe muss dann aber auch gewollt sein, und das ist natürlich auch eine Aufforderung an die pakistanische Regierung, hier anzupacken und im Grunde genommen auch die politische Kultur im Land letztlich zu verändern, also auch, dass Pakistan nicht nur eine Struktur bildet, die den einen oder anderen unterstützt und Millionen Menschen im Grunde genommen allein lässt.

    Breker: Zumal Korruption ja auch ein pakistaneigenes Problem ist?

    Mützenich: Das ist aber auch leider nicht nur ein Problem, was es nur in Pakistan gibt, aber es ist auf jeden Fall eine Situation und wir sind mit einer instabilen Region insgesamt konfrontiert.

    Breker: Und für die Lage in Afghanistan ist Pakistan auch ungeheuer wichtig?

    Mützenich: Auf jeden Fall. Das habe ich eben angesprochen. Afghanistan ist im Grunde genommen nur über den Schlüssel Pakistan auch letztlich zu befrieden. Wir wissen, dass Pakistan Einfluss darauf nimmt und im Grunde genommen Afghanistan immer wieder auch durch die Brille der bilateralen Konfrontation zu Indien sieht. Deswegen, glaube ich, sind wir hier mit einer großen Zahl von Problemen konfrontiert, die durch die Flutkatastrophe nur noch mal wieder in die Höhe getrieben worden sind.

    Breker: Herr Mützenich, die Amerikaner haben gestern ihren Kampfeinsatz im Irak vorzeitig beendet. Doch das, was sie da hinterlassen im Irak, das sind alles andere als stabile Verhältnisse.

    Mützenich: Auf jeden Fall und deswegen waren die Warnungen, die viele Länder, viele Regierungen damals auch an die Regierung Bush geäußert haben, berechtigt gewesen. Die Amerikaner verlassen jetzt ein ausgeblutet und traumatisiertes Land, was in einem positiven Szenario nicht vielleicht zu einer weiteren Belastung führt, aber wenn man das negative Szenario nimmt natürlich viele Konflikte, die im Inneren des Irak existieren, auch weiterhin diese Region mit weiteren Problemen konfrontieren kann, noch zusätzlich destabilisieren kann. Und wir müssen einfach sehen: Europa ist die Nachbarregion zum Mittleren und Nahen Osten und wir müssen alles dafür tun, dass die Verhältnisse stabil dort bleiben.

    Breker: Was kann man denn ganz konkret tun, wie die Amerikaner 50.000 Ausbilder da lassen, Ausbilder hinschicken?

    Mützenich: Das ist ja nicht insbesondere nur ein militärisches, oder nur ein Sicherheitsproblem. Das Sicherheitsproblem überwiegt natürlich zu diesem Zeitpunkt. Aber im Grunde genommen werden wir natürlich nur mit einem stabilen Irak konfrontiert sein, wenn es uns gelingt, die wirtschaftlichen Potenziale auch zu nutzen, die dieses Land natürlich hat, und auf der anderen Seite auch die ethnischen und kulturellen Gegensätze insoweit in geregelte Bahnen zu bringen, dass wir es vielleicht mit einer Nation zu tun haben, wo die unterschiedlichen Gruppen versuchen, gemeinsam einen wirtschaftlichen und sozialen Aufbau zu tätigen. Ich erinnere zum Beispiel insbesondere an die kurdische Region, das Problem um Kirkuk. Da kann die Europäische Union durchaus auch Vermittlerdienste anbieten, auf der anderen Seite aber auch unsere Ratschläge geben, wenn es um den sozialen und den Gesundheitsaufbau geht und viele andere Dinge auch. Ich glaube, nur das wird die Region langfristig stabilisieren.

    Breker: Wobei die Frage ist: wem soll man diese Ratschläge geben? Vor fünf Monaten hat es Wahlen gegeben, die gemäßigten Kräfte haben gewonnen, aber sie sind nicht in der Lage, eine Regierung zu bilden.

    Mützenich: Das ist richtig, insbesondere weil es eben im Inneren zu weiteren Spaltungen kommt, auf der anderen Seite aber auch die auswärtigen Akteure, die sich ja stark auch im Irak bemerkbar machen, scheinbar an einer Lösung nicht interessiert sind. Zumindest sind hier verschiedene Akteure tätig. Ich erinnere an den Iran, aber Syrien hat sich in der Vergangenheit auch als jemand angeboten, der hier mit seinen Interessen weiterhin Einfluss nimmt. Also das ist eine komplizierte Gemengelage.
    Auf der anderen Seite haben wir aber auch eine zumindest "föderale Struktur", wo wir natürlich auch Dienste anbieten können, die auf der regionalen Ebene des Irak existieren, und ich glaube, da gibt es schon Anknüpfungspunkte und gerade eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik wäre gut beraten, den Irak auch zum Schwerpunkt seiner Aktivitäten im Nahen und Mittleren Osten zu machen.

    Breker: Herr Mützenich, Sie haben den Iran angesprochen. Die Auseinandersetzung über das iranische Atomprogramm gewinnt an Schärfe. Israel drängt auf Handeln. Die gesamte Region ist ein riesiges Problemgebiet. Welches soll man zuerst angehen?

    Mützenich: Im Grunde genommen muss man sich natürlich weiterhin auch auf den Kernkonflikt konzentrieren, eine Friedenslösung zwischen Palästina und Israel auf der einen Seite, aber auf der anderen Seite muss man natürlich auch versuchen zu sagen, die regionalen Verhältnisse schreien sozusagen nach einer regionalen Sicherheitsarchitektur, die unmittelbaren Nachbarn müssen sich zusammensetzen, über ihre Konflikte auch reden. Das beginnt bei den Grenzkonflikten, geht über die Ausbeutung der Ressourcen bis hinein dann auch in die kulturellen und ethnischen Konflikte. Alles das sind Punkte, die aus meiner Sicht insbesondere innerhalb eines regionalen Sicherheitssystems bearbeitet werden könnten, und da kann Europa durchaus auch Ratschläge geben, Hilfe auch anbieten, Dialogstrukturen eröffnen. Das wäre, glaube ich, eine Möglichkeit, wie wir auch davon profitieren könnten.

    Breker: Allerdings, Herr Mützenich, ist es eine theoretische Möglichkeit, denn die Praxis sieht noch anders aus. Viele Soldaten, die im Irak waren, viele US-Soldaten gehen nach Afghanistan. Der Krieg dort wird immer mehr statt eines NATO-Krieges ein US-Krieg.

    Mützenich: Das ist richtig, aber auf der anderen Seite ist in der Region, wenn wir den Irak ansprechen, aber auch die Golf-Staaten, das Verständnis dafür gewachsen, dass die Probleme, die existieren, nicht in einem nationalen Rahmen gelöst werden können. Es gibt durchaus den einen oder anderen politischen Akteur, auch zum Beispiel in Saudi-Arabien der König, der eben bemüht ist, im Dialog auch bestimmte vergangene Probleme zu bewältigen. Ich erinnere dort nur an die Frage des Libanon, die ja auch gerade vonseiten Saudi-Arabiens sehr stark in den Blickpunkt gerückt war. Also dort wächst durchaus schon das Verständnis für eine regionale Lösung und deswegen habe ich das auch angesprochen. Ich glaube, dass die Europäische Gemeinschaft gut beraten wäre, hier Hilfestellung zu leisten.

    Breker: Rolf Mützenich war das im Deutschlandfunk. Er ist der außen- und sicherheitspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Herr Mützenich, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

    Mützenich: Danke, Herr Breker. Alles Gute!