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"Wir dürfen das Milieu nicht stabilisieren"

Vor der Entscheidung über die Höhe der Regelsätze von Hartz IV für Kinder hat sich der Neuköllner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky skeptisch hinsichtlich höherer Geldzuweisungen geäußert. Kostenloses Schulessen anstatt mehr Geld an die Eltern beispielsweise garantiere, dass die Leistung auch bei den Kindern ankomme.

Heinz Buschkowsky im Gespräch mit Friedbert Meurer | 09.02.2010
    Friedbert Meurer: Hartz IV, kaum etwas in den letzten Jahren hat so sehr die Gemüter erregt wie Hartz IV. Heute fällt das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eine wichtige Entscheidung über die Höhe der Regelsätze von Hartz IV, vor allen Dingen die für Kinder. Benannt ist Hartz IV bekanntlich nach dem damaligen VW-Personalvorstand Peter Hartz. Die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe, die es vorher getrennt gab, ist zusammengelegt worden zum Arbeitslosengeld II und landläufig wird die Unterstützung eben Hartz IV genannt. Wenn Karlsruhe heute so entscheidet, wie viele das vermuten, könnte das dem Staat zusätzliche Ausgaben bringen, nämlich man schätzt von bis zu 10 Milliarden Euro.

    Im Berliner Bezirk Neukölln lebt Schätzungen zufolge jeder vierte Berliner von Hartz IV, also vom Arbeitslosengeld II, wie ja eigentlich der korrekte Name ist. Bezirksbürgermeister ist Heinz Buschkowsky von der SPD. Guten Morgen, Herr Buschkowsky.

    Heinz Buschkowsky: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Wenn ich das richtig sehe, dann drücken Sie heute den ALG-II-Emfängern nicht die Daumen, dass die Regelsätze angehoben werden. Warum nicht?

    Buschkowsky: Die Regelsätze in Form der Geldüberweisung, das ist richtig, da bin ich immer etwas zurückhaltend. Ich hoffe, dass das Bundesverfassungsgericht sich auch dazu äußert, ob der Bedarf immer durch Geldüberweisung an die Eltern gedeckt werden muss, oder ob zur Bedarfsdeckung auch das kostenlose Essen in der Schule gehört, ob dazu auch kostenlose Kindergärten gehören. Das wäre mir lieber, weil die Grundsatzfrage ist für mich in einem Gebiet, wo drei von vier Kindern Hartz IV beziehen, ob wir in die Kinder investieren, oder in die Eltern.

    Meurer: Man kann ja beides tun?

    Buschkowsky: Ja, aber das erwarte ich heute nicht vom Urteil. Ich glaube, dass das Urteil in die Richtung gehen wird, dass der Bedarf der Kinder individuell zu errechnen ist, nicht wie bisher als eine pauschale Abschlagssumme vom Bedarf der Erwachsenen. Das finde ich auch vernünftig.

    Meurer: Dann hat das aber die Folge, dass die Regelsätze für Kinder ansteigen?

    Buschkowsky: Das muss nicht sein! Es kann auch sein, dass das Bundesverfassungsgericht urteilt, es ist zu sehen, welche staatlichen Leistungen für die Kinder generell zur Verfügung zu stellen sind. Ich mache Ihnen mal ein Beispiel: 20 Euro mehr Überweisung Hartz IV oder kostenloses Mittagessen in der Schule, beides kostet die gleiche Summe Geldes, das Zweite ist aber für die Kinder zuträglicher.

    Meurer: Jetzt könnte man dasselbe Geld, dieselbe Argumentation auch für das Kindergeld gelten lassen. Das wird aber ja auch nicht gekürzt, sondern es wird argumentiert, so wie der Bedarf ist muss ausgezahlt werden.

    Buschkowsky: Na ja, das ist ja die Gretchenfrage. Man kann auch die Provokation aussprechen und sagen, wenn wir das Kindergeld halbieren, dann bleiben 17,5 Milliarden Direktüberweisung und 17,5 Milliarden stecken wir ins Bildungssystem, in jedem Jahr, in jedem Bundesland eine Milliarde mehr, das würde die Bildungsrepublik aber beschleunigen und die Bildungslandschaft für Kinder verändern, weil wir müssen immer eines sehen: nirgendwo in allen OECD-Staaten hängt der Werdegang der Kinder so vom sozialen Status der Eltern ab und das kann nicht richtig sein. Ich glaube, wir müssen uns auf die Kinder konzentrieren und nicht auf die Eltern.

    Meurer: Da sagen ja Organisationen wie der Kinderschutzbund oder die Arbeiterwohlfahrt, Kinder dürfen nicht ausgegrenzt werden in der Gesellschaft durch soziale Armut. Werden sie aber ausgegrenzt, wenn die Eltern nicht genügend Geld haben, um eine Klassenfahrt zu organisieren, um den Kindern mal eine Kinokarte zu kaufen oder einen Zoobesuch zu spendieren?

    Buschkowsky: Ja. Werden sie aber nicht auch ausgegrenzt, wenn das bildungsferne Milieu, in dem Kinder aufwachsen, immer mehr stabilisiert wird? Weil wir haben nun mal die Situation, dass der Mensch so ist wie er ist, und es gibt sehr, sehr viele Eltern, die Mehrheit, die sich sehr liebevoll um ihre Kinder kümmern und auch das Geld für die Kinder aufwenden, es gibt aber auch die erziehungsüberforderten Eltern, wo das Geld nur schwerlich den Weg zu den Kindern findet. Das muss man eben halt einfach sehen. Wir müssen die Kinder befähigen, aus dem Milieu sich zu lösen, und wir dürfen das Milieu nicht stabilisieren.

    Meurer: Plädieren Sie letztlich dafür, Herr Buschkowsky, zum alten System zurückzukehren, also eine Familie beantragt dann Beihilfe, wenn die Kinder neue Schuhe brauchen, oder wenn eine Klassenfahrt ansteht?

    Buschkowsky: Nein, nein. Das haben wir nun wirklich ein halbes Jahrhundert hinter uns. Dann verstehen Sie mich miss. Für mich ist die Frage, was dient den Kindern, was dient der Bildung der Kinder und wie schaffen wir es, die Bildungschancen der Kinder zu lösen vom sozialen Status der Eltern. Wie schaffen wir Gerechtigkeit, eine höhere Chance auf Bildungsgerechtigkeit, unabhängig vom Geldbeutel der Eltern? Und das schaffe ich nicht, wenn ich den Geldbeutel um 20 Euro pro Kind im Monat erhöhe, weil das, was ja viele erhoffen, dass das Bundesverfassungsgericht sagt, dass dort mehrere hundert Euro pro Kinder zugelegt werden, ich glaube, diese Hoffnung wird nicht erfüllt werden.

    Meurer: Dann umgekehrt formuliert, Herr Buschkowsky. Wenn das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes dazu führt, dass der Staat mehr Geld für Hartz-IV-Regelsätze ausgeben muss, für Kinder und vielleicht auch für Erwachsene, halten Sie das für kontraproduktiv, weil das Geld dann für Bildung oder andere Zwecke fehlt?

    Buschkowsky: Das mag dann so sein. Man muss halt nur einfach wissen, wo wir die Grenzen ziehen, weil wir haben immer das Lohnabstandsgebot. Es muss immer noch so sein, dass derjenige, der Montag bis Freitag morgens aufsteht und arbeiten geht, letztendlich eine höhere materielle Situation hat als jemand, der temporär auf die Hilfe der Gemeinschaft angewiesen ist. Und je höher sie das Existenzminimum bei Hartz IV schrauben, desto schwieriger haben sie es mit dem Lohnabstandsgebot. Wir haben ja heute schon das Problem, dass sie, weil das System nach Köpfen berechnet wird, bei einer höheren Anzahl von Kindern, drei oder vier, und in einfacheren Berufsgruppen es nicht mehr schaffen, ihr Einkommen so zu gestalten von der Arbeit, dass sie sich besser stehen als bei Hartz IV.

    Meurer: Kann man das Problem lösen, indem man denjenigen, die sogenannte Aufstocker sind, also arbeiten plus Hartz IV bekommen, halt eben etwas mehr Geld gibt, damit die Differenz gewahrt bleibt?

    Buschkowsky: Ja, natürlich! Das ist ja die Diskussion um den Mindestlohn. Ich bin ja absolut dafür, weil es hat gar keinen Zweck, Dumping-Löhne, 3,50 Euro die Stunde, 4 Euro die Stunde, dadurch noch zu fördern, dass man sagt, das ist doch alles nicht so schlimm, wenn ich dir so wenig Geld zahle, hole dir doch den Rest vom Jobcenter und dann hast du sogar noch eine Freigrenze. Das ermöglicht natürlich auch von der anderen Seite einen gewissen Missbrauch durch Arbeitgeber mit Löhnen, die völlig unauskömmlich sind. Ich halte das für unverantwortlich, Leute in einer Vollzeitbeschäftigung zu haben mit 3,85 Euro wie zum Beispiel Werttransporter. Das sind Waffenträger und die erhalten Löhne, die einfach nicht zu akzeptieren sind.

    Meurer: Heinz Buschkowsky, der Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln (SPD), bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Danke, Herr Buschkowsky, und auf Wiederhören.

    Buschkowsky: Keine Ursache. Auf Wiederhören!