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"Wir dürfen uns nicht von der NPD jagen lassen!"

Simon: Wer sich bislang hatte täuschen lassen von den alten Kameraden in neuen Anzügen, hat nach letztem Freitag allen Anlass, neu nachzudenken. Die NPD, die mit über neun Prozent letztes Jahr in Sachsen in den Landtag gewählt wurde, ist so wie sie immer war. Unter dem Deckmäntelchen der sozial engagierten Kämpfer für die Hartz-Geschädigten und die Arbeitslosen konnte das am Freitag jeder sehen und hören als Fraktionschef Holger Apfel mehr schrie als redete und als die NPD-Fraktion den Plenarsaal verließ, weil sie nicht an der Schweigeminute für die Opfer des Nationalsozialismus teilnehmen wollte. Wie soll man mit so provokanten Aktionen umgehen, ohne dass am Ende die NPD davon noch profitiert? Die Frage stellt sich ganz besonders für die sächsische Landesregierung, deren Innenminister Thomas de Maizière jetzt am Telefon ist. Herr de Maizière, wollen Sie etwas tun in Sachen NPD und wenn Ja, was?

    de Maizière: Nun zunächst hat der Landtag Geschäftsordnungsrechte, Ordnungsrufe bis hin zum Verweis aus dem Landtag. Bei einem Verbot der NPD rate ich zur Vorsicht. Das Verfassungsgericht hat die Hürden sehr hoch gehängt, außerdem will die NPD uns geradezu in ein solches Verfahren treiben, in der Hoffnung zu gewinnen. Nein, es bleibt die Auseinandersetzung um die Köpfe, die ist allemal wichtiger als die um Paragraphen.

    Simon: Herr de Maizière, der frühere Verfassungsrichter Ernst Gottfried Mahrenholz hat vor einer Stunde in diesem Programm gesagt, die Schulen müssten mehr die Schüler darüber instruieren, mehr vermitteln, was es eigentlich bedeute, wenn eine Partei wie die NPD Macht bekomme, nicht nur berichten darüber, was im Dritten Reich passiert ist. Können Sie sich vorstellen, dass so etwas schnell umgesetzt wird?

    de Maizière: Nein, nicht schnell, aber auf jeden Fall ist es wichtig. Es ist interessant, dass jetzt bei den ganzen NPD-Fragen überall die Innenminister gefragt werden. Wir sind zuständig für Bekämpfung gegen Straftaten und wir beobachten über die Verfassungsschutzämter die NPD. Aber die politische Auseinandersetzung, das ist natürlich Sache nicht nur dann der Kultusminister und der Landeszentralen für politische Bildung, sondern der Eltern, der Schulen, auch der Medien, der Verbände, der Kirchen, der Gewerkschaften, von wem auch immer. Aber das muss man nicht so mit so einem moralinen, belehrenden Ton machen. Das wollen die Jugendlichen auch nicht hören. Aufklärung im besten Sinne des Wortes über die Hintergründe, ein vernünftiger Patriotismus in sauberer Aufarbeitung der Geschichte, das ist geboten und das ist die beste Medizin gegen die NPD.

    Simon: Wenn Sie schon die Innenminister ansprechen, Sie selber sind einer, sind in Sachen NPD alle strafrechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft?

    de Maizière: Außerhalb des Landtages sicher nicht. Wir haben zum Beispiel in Sachsen und auch anderswo Verbindungen der NPD auch zu gewalttätigen rechtsextremen Kameradschaften. Da kann man das eine oder andere tun. Wir haben auch eine, der NPD nahe stehende Verbindung verboten und auch strafrechtliche Maßnahmen ergriffen. Aber die freie Rede im Parlament, die so genannte Indemnität, im 19. Jahrhundert gegen die Könige durchgesetzt, die lässt sich wohl nicht ändern und deswegen muss man solche ekelhaften Provokationen bis zu einem gewissen Grade ertragen, darf sie aber auch nicht durch ständige Heraushebung überbetonen.

    Simon: Herr de Maizière, bei etlichen Abstimmungen im Sächsischen Landtag haben auch immer wieder andere Abgeordnete, eben aus anderen Parteien, mit der NPD gestimmt. Wie weit sind Teile des NPD-Gedankenguts zum Beispiel auch in Ihrer Partei, der sächsischen CDU salonfähig?

    de Maizière: Die sind überhaupt nicht salonfähig. Ich weiß auch nicht, ob diese beiden feigen Abgeordneten, die das in geheimer Abstimmung tun, aus der CDU kommen. Die CDU ist über jeden Zweifel erhaben was ihre Abgrenzung zur NPD angeht. Da haben wir keinerlei Nachholbedarf.

    Simon: Führen Sie innerhalb der sächsischen CDU, innerhalb der Landtagsfraktion zu diesem Thema auch Gespräche? Nicht nur informell sondern auch offiziell im Fraktionsrahmen?

    de Maizière: Ja, natürlich. Auf allen Ebenen, die es gibt. Jeder beteuert, ich war es nicht. Das gilt auch für die anderen Parteien. Ich vermute mal, wir werden das eher durch Zufall erfahren als durch gezielte Nachfrage. Das ist ja gerade das feige, dass das nur in geheimer Abstimmung passiert.

    Simon: Wenn jetzt in der derzeitigen Debatte ein Kreisvorstand der Jungen Union in Mecklenburg einen Redner einlädt wie Herrn Hohmann, der wegen einer antisemitischen Rede sein Bundestagsmandat verloren hat für die CDU, was bedeutet das?

    de Maizière: Ich finde das keine gute Idee. Aber noch mal: Wir dürfen jetzt nicht dadurch, dass wir die NPD hart bekämpfen uns allesamt politisch nach links rücken lassen. Wir dürfen nicht Themen, die die NPD besetzt, kampflos preisgeben. Ich bin natürlich gegen die Rede von Herrn Hohmann und was er dort gesagt hat. Aber das Thema, wie gehen wir mit der deutschen Geschichte um, was ist deutsche Schuld 50 Jahre nach Auschwitz oder 60 Jahre danach, kann man Tote gegeneinander aufrechnen, das sind Dinge, die müssen auch wir ansprechen und dürfen es nicht einfach verschweigen, nur weil die NPD es in dieser ekelhaften Weise anspricht.

    Simon: Ich komme auf das Thema Hohmann, weil Herr Hohmann eben ausgeschlossen worden ist aus der Bundestagsfraktion der CDU. Das ist ja nicht jemand über dessen Position ausgiebig jetzt noch weiter nachgedacht wird.

    de Maizière: Aber ich bin nicht bereit, für jedes Mitglied der Jungen Union jetzt die CDU in Haft nehmen zu lassen.

    Simon: Herr de Maizière, es gibt auch ganz andere Meinungen, wie zum Beispiel die des Politologen Eckhard Jesse von der TU in Chemnitz. Der hält es für sinnvoller, überhaupt nicht auf Aktionen der NPD einzugehen. Er meint, diese Partei würde sich von ganz alleine desavouieren. Können Sie so eine Ansicht teilen?

    de Maizière: Nein, ganz alleine nicht. Dafür ist die NPD zu gefährlich. Aber er hat in einem Recht. Wir dürfen nicht über jedes Stöckchen springen, was die NPD uns hinhält. Wenn wir im Landtag 49 Tagesordnungspunkte haben und diskutieren über den, den die NPD bestimmt hat, dann machen wir einen Fehler und begünstigen die NPD. Also, nicht totschweigen, nicht verharmlosen, aber auch nicht die politische Agenda von der NPD bestimmen lassen. Wir müssen die Themen setzen. Der beste Kampf gegen die NPD ist nicht, dass man ständig betont, dass man gegen sie ist, sondern dass man für Freiheit ist, für Menschenwürde, für Patriotismus, dass man eine gute Wirtschaftspolitik macht, die Protestpotential der NPD wegnimmt. Damit wirkt man indirekt am besten gegen die NPD.

    Simon: Mit Blick auf die Bundestagswahlen. Welche Chance geben Sie der NPD und der DVU, wenn die beiden geschlossen antreten?

    de Maizière: Jetzt müssen wir erstmal gucken was in Schleswig-Holstein passiert. Dann hat es die NPD in der Tat durch eine Art Volksfront von Rechts auf den Deutschen Bundestag abgesehen. Wenn wir eine gute Politik machen, die die Probleme der Menschen löst, hat sie keine Chance. Wenn wir immer nur auf die NPD reindreschen und nicht die Probleme in der Sache lösen, dann halte ich es nicht für ausgeschlossen, dass die NPD auch in den Deutschen Bundestag kommt.

    Simon: Aber, ist nicht auch ein Teil des Erfolges der NPD, dass sie schnelle und einfache Lösungen da anbietet bei Problemen, die sich eben nicht schnell und einfach lösen lassen, wie bei der Arbeitslosigkeit. Das können doch die etablierten Parteien gar nicht bieten.

    de Maizière: Nein, wir haben ja auch die Erfahrungen mit der PDS, die in anderer Weise auch diese Protestwähler bedient. Deswegen müssen wir die Fragen aufnehmen und müssen eben sagen, die Welt ist nicht so einfach. Wir müssen dann angehen, die Probleme zu lösen, wir dürfen sie aber nicht verschweigen und nur damit argumentieren, dass die NPD ein falsches Geschichtsverständnis hat. Die NPD spricht in manchen Fragen, etwa Hartz IV, etwa Billiglohn, Konkurrenzdruck aus Polen und so, spricht schwierige Themen an und die dürfen wir auch in der deutschen Innenpolitik nicht tabuisieren, aber auch nicht weich nachplappern, was die NPD an Parolen hat. Noch mal: Wir müssen die Themen setzen, wir müssen die Fragen stellen, die Antworten geben, auch sagen, wo wir keine Antworten haben und uns nicht von der NPD jagen lassen.

    Simon: Thomas de Maizière, der Innenminister von Sachsen. Vielen Dank für das Gespräch, Herr de Maizière.