Burkhard Birke: In den Informationen am Morgen im Deutschlandfunk begrüße ich nun recht herzlich Irena Lipowicz, sie ist Botschafterin und Sonderbeauftragte für die polnisch-deutschen Beziehungen im polnischen Außenministerium. Frau Lipowicz, wie interpretieren Sie denn die Worte von Bundeskanzlerin Angela Merkel?
Irena Lipowicz: Wir freuen uns heute auf den Besuch. Und Frau Bundeskanzlerin hat in ihrer Erklärung etwas auch gesagt, was in Polen die große Sorge um dieses Thema betraf. Es ging nicht darum, dass wir das Schicksal um die Tragödien der Menschen, der Deutschen auch, 1945 nicht verstehen. Man kann heute die große Ausstellung in Warschau bewundern - wenn das Wort "bewundern" ein gutes Wort in diesem Fall ist: Gesichter der Totalitarismen, wo beide Totalitarismen - Hitlerismus und Kommunismus, Nazismus und Kommunismus - gezeigt wurden. Und ein Teil ist auch dieser Sache gewidmet. Unsere Angst war, dass man einfach die ganze Geschichte der Flucht, Aussiedlungen, individuellen Tragödien aus dem Kontext des Zweiten Weltkriegs und der Geschichte des Zweiten Weltkriegs herausreißt.
Birke: Dass die Täter praktisch zu den Opfern würden?
Lipowicz: Leider ja. Sehen Sie, es gibt ein großes Holocaust Memorial in Berlin. Und das können wir nur bejahen. In Warschau wird jetzt gerade das große Museum der polnischen Juden gebaut. Das steht über jeden Zweifel. Aber wenn dann plötzlich eine große Pause in Berlin kommt und dann beginnt wieder die Geschichte mit den Tragödien von 1945, da fehlt das Schicksal der drei Millionen Polen und der unglaublichen Taten, die auch in Polen von Deutschen, die als Besatzungsarmee und als Gestapo und SS hier tätig wurden.
Birke: Frau Lipowicz, nun will ja die Kanzlerin ein sichtbares Zeichen in Berlin, um an das Unrecht der Vertreibung zu erinnern - im europäischen Kontext. Wie könnte denn da eine polnische Beteiligung aussehen?
Lipowicz: Es funktioniert zurzeit, am Anfang, das Konzept des Netzwerkes, wo man Forschung und wo man verschiedene Akzente auch im Einzelnen zeigen kann. Polnische und deutsche Historiker sind praktisch einig, was die Geschichte des Zweiten Weltkriegs zeigt.
Birke: Sollte man denn dieses europäische Netzwerk "Erinnerung und Solidarität" - also mit deutscher, polnischer, ungarischer und slowakischer Beteiligung - irgendwie mit diesem Zentrum für Vertreibung verquicken?
Lipowicz: Also Zentrum war, ist einfach Paradigmawechsel, ist etwas ganz anderes. Das kann man mit Netzwerk nicht vergleichen. Wenn man in Berlin ein sichtbares Zeichen steht - ich habe keine Ahnung, was das wird, aber man kann sehen, was wir in Warschau haben. Wir haben kein einziges Denkmal für unsere Vertriebenen, für unsere Menschen, die ehemalige Ostgebiete Polens verlassen mussten. Es gibt aber ein Monument den Ermordeten im Osten. Und das ist so eine Wagenplattform von ganz vielen Kreuzen da stehen. Das ist unser sichtbares Zeichen.
Birke: Wenn denn in diesem Zentrum auch polnischer und anderer Vertriebener im Umfeld der gesamten Weltkriegsgeschichte gedacht würde, wäre das für Sie ein Weg aus diesem Dilemma?
Lipowicz: Nein, nein. Also es geht - wenn es in Berlin zum Beispiel das große Museum des Zweiten Weltkriegs entsteht, das wäre doch logisch. Weil ein großer Teil auch dem Schicksal der Vertriebenen, Aussiedler und auch diesen, die geflüchtet sind, gewidmet würde, das wäre kein Problem. Wenn man aber künstlich das Phänomen an sich isoliert, das sieht so aus, als [ob] man etwas verbergen möchte. Das sage ich als eine Schlesierin, wo man wirklich die komplizierten Schicksale in unserer Region wirklich auch sehen kann. Zum Beispiel der Begriff "Spätaussiedler", das sind gerade Menschen, die als polnische Staatsbürger nach Verträgen [...] Polen verlassen haben. Und das war ein großer Verlust für Schlesien. Dieses Region ist praktisch bis heute nicht wieder dasselbe. Und die große Vielfalt, kulturelle Vielfalt ist nach diese große Emigration eigentlich die Tragödie für die Region. Viele kommen zurück, viele fühlen sich bis heute polnisch, viele haben eigentlich ihre Wurzeln erst jetzt entdeckt. Also es ist alles viel mehr kompliziert
Birke: Also es gibt ja vieles, was gemeinsam ist, Frau Lipowicz. Lassen Sie uns doch mal auf die Zukunft gucken: Neue Regierung in Warschau und neue in Berlin. Welche Möglichkeiten, welche Chancen bietet das?
Lipowicz: Große Möglichkeiten. Polen und Deutschland haben praktisch jetzt die ähnlichen Sorgen. Die Arbeitslosigkeit, die Delokalisierung, die wieder bei uns auch Richtung Osten geht, das Ältern der Gesellschaften, was machen wir mit dem Haushalt von Europa, dass es wirklich so wird, wie wir das uns alle wünschen können - das sind die großen Themen - auch die Wirtschaft -, die uns wirklich bewegen.
Birke: Sehen Sie denn eine Chance, Frau Lipowicz - Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche -, das Weimarer Dreieck, also eine engere Kooperation zwischen Frankreich, Polen und Deutschland, zu neuem Leben zu erwecken?
Lipowicz: Es sieht so aus. Der polnische Ministerpräsident bei seiner Erklärung, und auch der neue Außenminister, Herr Minister Meller, hat ausdrücklich die Neuöffnung auch mit Frankreich und die vielen Gemeinsamkeiten mit unserem wichtigen Nachbar Deutschland betont. Und ich glaube, gerade heute, bei diesem Besuch, besteht in Warschau wirklich die Hoffnung, dass wir diese Gemeinsamkeiten auch entdecken und betonen können.
Birke: Was muss denn auf der unteren, der menschlichen Ebene - Schüleraustausch polnischer und deutschen Schulen und so was - passieren?
Lipowicz: Ich würde mich sehr freuen, wenn wir einen Lehreraustausch endlich machen. Ich habe gerade eine Reise in Thüringen und Sachsen gemacht, eine sehr interessante Reise, wo man auch feststellen konnte, wie wenig Kinder im Grenzbereich immer noch polnisch lernen, als Nachbarschaftssprache. Also, nicht gerade, dass sie Polenistik studieren sollen. Aber wenn sie eine Basiskenntnis haben, haben sie auch die Chance, die Arbeit auf der anderen Seite der Grenze zu finden oder einfach die deutsch-polnische Firma zu gründen. Auch die, wenn man zurzeit in Deutschland praktisch die Hälfte der Polenistik liquidiert, darunter auch solche Lehrstühle wie Lehrstuhl an der Humboldt-Universität - seit 1840 existiert dieser Lehrstuhl - das ist nicht etwas, was uns für die Zukunft hilft.
Birke: Das ist vielleicht ein Appell auch an die Bundeskanzlerin, da doch mehr zu tun. Neue Chance für das deutsch-polnische Verhältnis. Das war die Botschafterin Irena Lipowicz, sie ist die Sonderbeauftragte für polnisch-deutsche Zusammenarbeit im polnischen Außenministerium.
Irena Lipowicz: Wir freuen uns heute auf den Besuch. Und Frau Bundeskanzlerin hat in ihrer Erklärung etwas auch gesagt, was in Polen die große Sorge um dieses Thema betraf. Es ging nicht darum, dass wir das Schicksal um die Tragödien der Menschen, der Deutschen auch, 1945 nicht verstehen. Man kann heute die große Ausstellung in Warschau bewundern - wenn das Wort "bewundern" ein gutes Wort in diesem Fall ist: Gesichter der Totalitarismen, wo beide Totalitarismen - Hitlerismus und Kommunismus, Nazismus und Kommunismus - gezeigt wurden. Und ein Teil ist auch dieser Sache gewidmet. Unsere Angst war, dass man einfach die ganze Geschichte der Flucht, Aussiedlungen, individuellen Tragödien aus dem Kontext des Zweiten Weltkriegs und der Geschichte des Zweiten Weltkriegs herausreißt.
Birke: Dass die Täter praktisch zu den Opfern würden?
Lipowicz: Leider ja. Sehen Sie, es gibt ein großes Holocaust Memorial in Berlin. Und das können wir nur bejahen. In Warschau wird jetzt gerade das große Museum der polnischen Juden gebaut. Das steht über jeden Zweifel. Aber wenn dann plötzlich eine große Pause in Berlin kommt und dann beginnt wieder die Geschichte mit den Tragödien von 1945, da fehlt das Schicksal der drei Millionen Polen und der unglaublichen Taten, die auch in Polen von Deutschen, die als Besatzungsarmee und als Gestapo und SS hier tätig wurden.
Birke: Frau Lipowicz, nun will ja die Kanzlerin ein sichtbares Zeichen in Berlin, um an das Unrecht der Vertreibung zu erinnern - im europäischen Kontext. Wie könnte denn da eine polnische Beteiligung aussehen?
Lipowicz: Es funktioniert zurzeit, am Anfang, das Konzept des Netzwerkes, wo man Forschung und wo man verschiedene Akzente auch im Einzelnen zeigen kann. Polnische und deutsche Historiker sind praktisch einig, was die Geschichte des Zweiten Weltkriegs zeigt.
Birke: Sollte man denn dieses europäische Netzwerk "Erinnerung und Solidarität" - also mit deutscher, polnischer, ungarischer und slowakischer Beteiligung - irgendwie mit diesem Zentrum für Vertreibung verquicken?
Lipowicz: Also Zentrum war, ist einfach Paradigmawechsel, ist etwas ganz anderes. Das kann man mit Netzwerk nicht vergleichen. Wenn man in Berlin ein sichtbares Zeichen steht - ich habe keine Ahnung, was das wird, aber man kann sehen, was wir in Warschau haben. Wir haben kein einziges Denkmal für unsere Vertriebenen, für unsere Menschen, die ehemalige Ostgebiete Polens verlassen mussten. Es gibt aber ein Monument den Ermordeten im Osten. Und das ist so eine Wagenplattform von ganz vielen Kreuzen da stehen. Das ist unser sichtbares Zeichen.
Birke: Wenn denn in diesem Zentrum auch polnischer und anderer Vertriebener im Umfeld der gesamten Weltkriegsgeschichte gedacht würde, wäre das für Sie ein Weg aus diesem Dilemma?
Lipowicz: Nein, nein. Also es geht - wenn es in Berlin zum Beispiel das große Museum des Zweiten Weltkriegs entsteht, das wäre doch logisch. Weil ein großer Teil auch dem Schicksal der Vertriebenen, Aussiedler und auch diesen, die geflüchtet sind, gewidmet würde, das wäre kein Problem. Wenn man aber künstlich das Phänomen an sich isoliert, das sieht so aus, als [ob] man etwas verbergen möchte. Das sage ich als eine Schlesierin, wo man wirklich die komplizierten Schicksale in unserer Region wirklich auch sehen kann. Zum Beispiel der Begriff "Spätaussiedler", das sind gerade Menschen, die als polnische Staatsbürger nach Verträgen [...] Polen verlassen haben. Und das war ein großer Verlust für Schlesien. Dieses Region ist praktisch bis heute nicht wieder dasselbe. Und die große Vielfalt, kulturelle Vielfalt ist nach diese große Emigration eigentlich die Tragödie für die Region. Viele kommen zurück, viele fühlen sich bis heute polnisch, viele haben eigentlich ihre Wurzeln erst jetzt entdeckt. Also es ist alles viel mehr kompliziert
Birke: Also es gibt ja vieles, was gemeinsam ist, Frau Lipowicz. Lassen Sie uns doch mal auf die Zukunft gucken: Neue Regierung in Warschau und neue in Berlin. Welche Möglichkeiten, welche Chancen bietet das?
Lipowicz: Große Möglichkeiten. Polen und Deutschland haben praktisch jetzt die ähnlichen Sorgen. Die Arbeitslosigkeit, die Delokalisierung, die wieder bei uns auch Richtung Osten geht, das Ältern der Gesellschaften, was machen wir mit dem Haushalt von Europa, dass es wirklich so wird, wie wir das uns alle wünschen können - das sind die großen Themen - auch die Wirtschaft -, die uns wirklich bewegen.
Birke: Sehen Sie denn eine Chance, Frau Lipowicz - Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche -, das Weimarer Dreieck, also eine engere Kooperation zwischen Frankreich, Polen und Deutschland, zu neuem Leben zu erwecken?
Lipowicz: Es sieht so aus. Der polnische Ministerpräsident bei seiner Erklärung, und auch der neue Außenminister, Herr Minister Meller, hat ausdrücklich die Neuöffnung auch mit Frankreich und die vielen Gemeinsamkeiten mit unserem wichtigen Nachbar Deutschland betont. Und ich glaube, gerade heute, bei diesem Besuch, besteht in Warschau wirklich die Hoffnung, dass wir diese Gemeinsamkeiten auch entdecken und betonen können.
Birke: Was muss denn auf der unteren, der menschlichen Ebene - Schüleraustausch polnischer und deutschen Schulen und so was - passieren?
Lipowicz: Ich würde mich sehr freuen, wenn wir einen Lehreraustausch endlich machen. Ich habe gerade eine Reise in Thüringen und Sachsen gemacht, eine sehr interessante Reise, wo man auch feststellen konnte, wie wenig Kinder im Grenzbereich immer noch polnisch lernen, als Nachbarschaftssprache. Also, nicht gerade, dass sie Polenistik studieren sollen. Aber wenn sie eine Basiskenntnis haben, haben sie auch die Chance, die Arbeit auf der anderen Seite der Grenze zu finden oder einfach die deutsch-polnische Firma zu gründen. Auch die, wenn man zurzeit in Deutschland praktisch die Hälfte der Polenistik liquidiert, darunter auch solche Lehrstühle wie Lehrstuhl an der Humboldt-Universität - seit 1840 existiert dieser Lehrstuhl - das ist nicht etwas, was uns für die Zukunft hilft.
Birke: Das ist vielleicht ein Appell auch an die Bundeskanzlerin, da doch mehr zu tun. Neue Chance für das deutsch-polnische Verhältnis. Das war die Botschafterin Irena Lipowicz, sie ist die Sonderbeauftragte für polnisch-deutsche Zusammenarbeit im polnischen Außenministerium.