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"Wir führen keinen Krieg für Wirtschaftsinteressen"

Die Äußerungen von Bundespräsident Horst Köhler über das Interesse Deutschlands an freien Handelswegen beziehen sich nach Auffassung des Staatsrechtlers Professor Rupert Scholz auf die Situation am Horn von Afrika. Dort würde die freie internationale See- und Schifffahrt durch Piraten massiv bedroht.

Rupert Scholz im Gespräch mit Dirk Müller | 28.05.2010
    Dirk Müller: Jetzt redet der Bundespräsident so etwas wie Klartext, wie vor Wochen und Monaten noch lautstark gefordert; schon hagelt es Kritik von allen Seiten, von fast allen Seiten. Kämpft die Bundeswehr im Ausland auch für wirtschaftliche Interessen? Horst Köhler suggeriert in einem Interview mit dem Deutschlandradio Kultur auf diese Frage mit einem Ja, eine Art Tabubruch in der deutschen Außenpolitik.

    O-Ton Horst Köhler: Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe, mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit, auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen, negativ, bei uns durch Handel Arbeitsplätze und Einkommen zu sichern.

    Müller: So weit Horst Köhler. Darauf gestern die Antwort hier im Deutschlandfunk von Ruprecht Polenz, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag.

    O-Ton Ruprecht Polenz: Ich glaube, der Bundespräsident hat sich hier etwas missverständlich ausgedrückt. Er wollte keine neue Militärdoktrin für Deutschland verkünden, sondern nur deutlich machen, dass Deutschland mit seinem Einsatz in Afghanistan einen Beitrag zur internationalen Sicherheit und Stabilität leistet, und der Hinweis darauf, dass natürlich von der Stabilität Afghanistans auch die Stabilität in der Region abhängt, und dass wir davon natürlich auch in einer globalisierten Welt betroffen wären, auch wenn das scheinbar weit entfernt ist.

    Müller: So weit der CDU-Politiker Ruprecht Polenz. – Was hat er denn gemeint, der Bundespräsident? Spricht er einen Aspekt der deutschen Sicherheits- und Außenpolitik an, über den bislang eben nicht öffentlich gesprochen wurde? – Darüber sprechen wollen wir nun mit dem Staatsrechtler Professor Rupert Scholz, Verteidigungsminister unter Helmut Kohl. Guten Morgen!

    Rupert Scholz: Schönen guten Morgen!

    Müller: Herr Scholz, spricht der Bundespräsident eine neue Realität an?

    Scholz: Nein! Er hat keine neue Realität angesprochen, er hat eigentlich etwas Selbstverständliches gesagt, selbst wenn das in dieser Deutlichkeit vielleicht nicht für jeden bei uns im Lande so von vornherein nachvollziehbar sein mag.

    Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass man in der internationalen Sicherheitspolitik natürlich auch den Schutz eigener Interessen zu wahren hat, und das, was der Bundespräsident ganz speziell ja offenkundig gemeint und angesprochen hat, ist der Tatbestand am Horn von Afrika, wo die freie internationale See- und Schifffahrt durch Piraten massiv angegriffen und immer wieder bedroht wird.

    Müller: Das ist ein Schutzeinsatz, kein Kriegseinsatz.

    Scholz: Das ist ein Schutzeinsatz, natürlich! Hier ist das Wort Krieg nicht angebracht. Aber wir haben völkerrechtlich klare Vorgaben, die die internationale Sicherheit und die freie See- und Schifffahrt gewährleisten, die Piraterie ganz klar für rechtswidrig erklärt, und wenn hier entsprechende Übergriffe passieren, Rechtsverstöße passieren, wie es ja leider immer wieder auch zu Lasten von deutschen Schiffen, deutschen Reedereien geschieht, dann ist es ganz selbstverständlich, dass man hier auch mit militärischen Mitteln Schutz für die eigenen Schiffe, die eigenen Reedereien, den eigenen Handel und damit die eigenen Interessen zu leisten hat. Das ist international völlig geläufig, das ist völkerrechtlich ganz klar abgesegnet, um es einmal salopp zu formulieren, und insofern ist das, was zum Beispiel heute die Bundesmarine am Horn von Afrika leistet, völlig in Ordnung.

    Müller: Die Antwort des Bundespräsidenten – die haben wir eben gehört – kam auf die Frage unseres Reporters nach der Situation in Afghanistan. Hatte der Bundespräsident sich da vertan?

    Scholz: Nein! Er hat den Bogen weiter gespannt, und ich denke mit Recht. In Afghanistan geht es nicht um wirtschaftliche Interessen, geht es nicht um Interessen der internationalen Schifffahrt, sondern hier geht es in der Tat um sicherheitspolitische Interessen.

    Müller: Es geht nicht um Rohstoffe?

    Scholz: Es geht nicht um Rohstoffe, nein, natürlich nicht! Hier geht es um die internationale Sicherheit, die Bekämpfung der Taliban, des internationalen Terrorismus, die unsere Sicherheit mitbedrohen. Man muss ja auch einmal zurückdenken: Wie ist denn der Afghanistan-Einsatz eigentlich begonnen worden? – Begonnen worden ist er im Grunde nach den Anschlägen vom 9. September in Amerika, der El Kaida Anschläge in New York und in Washington. Damals hat die NATO mit Recht den Bündnisfall ausgerufen. Das hat uns als Mitglied der NATO natürlich mit Recht mit in die Pflicht genommen und inzwischen ist ja auch völlig klar, dass die Sicherheit international bedroht ist, also auch unsere nationale Sicherheit, durch das, was in Afghanistan geschehen ist und geschieht, und insofern leisten wir dort auch zu unserem eigenen Interesse eine sicherheitspolitische Aufgabe.

    Müller: Nun gibt es ja Rhetorik und es gibt die Wahrheit, die Realität, oder das viele, was sich oft hinter den Kulissen verbirgt. Wir haben ja auch das Beispiel Irak, da sind die Deutschen nicht beteiligt, aber dafür sind unter anderem ja die Amerikaner führend verantwortlich. Kann man der Politik immer trauen, wenn es darum geht zu sagen, wir müssen unsere Sicherheitsinteressen wahren?

    Scholz: Das muss natürlich immer hinterfragt werden, selbstverständlich! Man kann natürlich nicht bestimmte militärische Operationen beliebig rechtfertigen mit dem Wort, es geht um die Sicherheit. Die Sicherheit muss gefährdet sein, aber die Gefährdung von Sicherheit ist nicht nur die, die repressiv zu beantworten ist, sondern auch präventiv zu beantworten ist, und hier sind die Grenzen natürlich fließend. Aber verantwortliche Sicherheitspolitik muss auch präventive Politik sein.

    Müller: Sie sehen darin also kein neues Grundverständnis deutscher Außen- und Sicherheitspolitik, beispielsweise wie die Amerikaner das definieren oder auch die Briten?

    Scholz: Nein! Die Briten und die Amerikaner definieren insoweit völlig im Einklang mit dem auch, was unsere Politik ist, das, was internationale gemeinsame, auch solidarisch zu nennende Sicherheitsverantwortung angeht.

    Müller: Also geht es auch nur um die Wahrung beispielsweise von Handelsdurchfahrten beziehungsweise von Handelswegen? Es geht nur darum, das zu schützen, auf keinen Fall aktiv zu intervenieren und einzugreifen?

    Scholz: Aktiv zu intervenieren heißt natürlich intervenieren, wenn es nicht anders geht. Das ist eine Frage eben vor allem dort, wo es um repressive Sicherheitspolitik geht. Das ist in aller Regel Interventionspolitik. Aber das hängt eben vom jeweiligen Gefährdungstatbestand ab, welche Mittel die richtigen sind und die man ergreifen muss.

    Müller: Und dafür wäre man gegebenenfalls bereit sein, Horn von Afrika, die Situation würde eskalieren, auch einen Krieg zu führen?

    Scholz: Einen Krieg führen bedeutet völkerrechtlich zunächst einmal, dass Staaten gegeneinander in eine gewaltsame Auseinandersetzung treten.

    Müller: Das Problem haben wir ja auch in Afghanistan.

    Scholz: Ja, gut!

    Müller: Also diese Definitionsproblematik.

    Scholz: Aber das, was hier am Horn von Afrika passiert: Wir haben hier mit keinem Staat zu tun. Somalia ist im Grunde ein sogenannter failed state längst geworden. Das sind im Grunde kriminelle Energien von hoher Potenz, die da stattfinden. Aber man kann hier nicht, wie man normalerweise zu denken pflegt, Bekämpfung von Kriminalität nicht mit militärischen, sondern mit polizeilichen Mitteln. Unsere Polizei hat keine Schiffe, hat keine Kriegsschiffe, und Kriegsschiffe sind nötig natürlich, um auf hoher See Kriminalität zu bekämpfen. Das heißt, die Bundeswehr oder die Bundesmarine leistet hier im Grunde, wenn man so will, eine bestimmte Form der Amtshilfe für notwendige Kriminalitätsbekämpfung.

    Müller: Also führen wir keinen Krieg für Wirtschaftsinteressen?

    Scholz: Nein! Wir führen keinen Krieg für Wirtschaftsinteressen. Wir sichern unsere eigenen Schiffe, wir sichern die freie internationale Seefahrt gegenüber einer hochpotenten Kriminalität.

    Müller: Und das gilt auch für Afghanistan?

    Scholz: In Afghanistan ist die Situation ähnlich, in der Tat! Ich meine, Terrorismus ist zunächst einmal ein krimineller Tatbestand, auch wieder von allerhöchster Potenz. Aber wir wissen ja inzwischen längst, das haben wir längst gelernt, dass die Begriffe der inneren Sicherheit und der äußeren Sicherheit nicht mehr voll voneinander zu trennen sind, dass man bestimmte Bereiche des internationalen Terrorismus – und das ist das Thema Afghanistan – eben nur noch mit militärischen Mitteln bekämpfen kann, nicht etwa, indem man ein paar Polizisten da hinschickt.

    Müller: Der Staatsrechtler Professor Rupert Scholz, Verteidigungsminister unter Helmut Kohl, war das hier im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Scholz.

    Scholz: Danke Ihnen!

    Müller: Auf Wiederhören.

    Scholz: Auf Wiederhören!


    Zum Thema:

    Original-Interview mit Horst Köhler (komplette Fassung)