Wir haben vor zwei Tagen in dieser Sendung ein Interview mit Levan Duchidze geführt. Der Botschafter der Republik Georgien stellte seine Sicht der Dinge dar:
Duchidze: " Es hat keinen georgischen Einmarsch in Südossetien gegeben. Südossetien ist georgisches Gebiet und in eigenes Gebiet kann man nicht einmarschieren. Es ist ein russischer Einmarsch gewesen. Als sich die Lage weiter eskalierte, sah sich die georgische Regierung natürlich gezwungen, darauf zu reagieren. "
Heinemann: Der georgische Botschafter Levan Duchidze. - Heute früh kommt bei uns die russische Seite zu Wort. Vor dieser Sendung haben wir mit Vladimir Kotenev gesprochen. Ich habe den Botschafter der russischen Föderation in Deutschland zunächst gefragt, was er von dem Besuch der Bundeskanzlerin beim russischen Präsidenten erwartet.
Kotenev: Wir erwarten ein positives Ergebnis dieser Gespräche. Es gibt sehr viel zu besprechen. Die bilaterale Agenda ist ellenlang und war immer so. Wir stehen im kommenden Oktober vor unseren deutsch-russischen Gipfelkonsultationen. Die werden am 2. Oktober in St. Petersburg abgehalten. Aber ich glaube, der zentrale Punkt dieser Gespräche werden natürlich die jüngsten Ereignisse um Südossetien sein. Das hat uns auch die Bundesregierung zu verstehen gegeben. Da hoffen wir auf mehr Verständnis für die russische Position, die auf Völkerrecht und gesundem Menschenverstand beruht. Man wird der Bundeskanzlerin unseren Standpunkt ausführlich erläutern und auch handfeste, wirklich handfeste Beweise vorlegen, die die Gräueltaten der georgischen Soldateska in Südossetien belegen.
Was wir an den Beziehungen mit unseren deutschen Partnern eigentlich besonders schätzen, ist das Vertrauen, die Bereitschaft, einander zuzuhören, und die Offenheit der Gespräche.
Heinemann: Herr Botschafter ...
Kotenev: Ich wollte nur noch einen Satz dazu sagen. Das heißt natürlich nicht, dass wir immer der gleichen Meinung sind. Aber das heißt auch nicht, dass wir aneinander vorbei reden.
Heinemann: In einem Punkt ist man sicher nicht einer Meinung. Sie haben das Völkerrecht angesprochen. Völkerrechtlich gehört Südossetien zu Georgien. Wie rechtfertigt Ihr Land, Russland, seine militärische Operation in Südossetien?
Kotenev: Erstens: Wir haben nach dem Artikel 51 der UNO-Charta das Recht, unsere Staatsbürger zu verteidigen. Wir haben das Recht auf Selbstverteidigung, und das haben wir getan laut diesem Artikel 51. Außerdem ging es nicht nur um die russischen Staatsbürger, die Zivilbevölkerung, die dort angegriffen wurde und bestialisch ermordet. Es ging um die Friedensstifter, russische Friedensstifter und südossetische Friedensstifter, die auch fast unbewaffnet angegriffen wurden und getötet wurden. Wir haben 18 Friedensstifter verloren, über 100 sind zum Teil schwer verwundet.
Heinemann: Bezieht sich dieses Interventionsrecht, das Sie angesprochen haben, auf alle ehemaligen Staaten der Sowjetunion?
Kotenev: Ich glaube, da schießen Sie ein bisschen übers Ziel. Was heißt alle anderen Staaten der ehemaligen Sowjetunion? Ich würde so etwas überhaupt nicht unterstellen. Wenn Sie bitte auf die Landkarte mal schauen und einfach an die Konflikte in der ehemaligen Sowjetunion oder nach dem Zerfall der Sowjetunion denken, da sehen Sie ganz unterschiedliche Lagen in verschiedenen ehemaligen Sowjetrepubliken. Schauen Sie mal Mittelasien oder eben den Kaukasus oder ganz etwas anderes: das Baltikum.
Heinemann: Herr Botschafter, noch einmal die Frage: wie kann man eine militärische Operation in einem souveränen Staat rechtfertigen?
Kotenev: Noch einmal: Wir haben nie bestritten, dass Südossetien ein Teil Georgiens ist. Nur in dieser Situation, wo das Volk Südossetiens angegriffen wurde und auch die russischen Staatsbürger dort angegriffen wurden, mussten wir die Menschen einfach schützen vor Genozid, vor dem Völkermord und die Gewalt auch gegen die georgischen Truppen anwenden. Das ist eine klare Erklärung, und wenn Sie in der Geschichte nachschauen, dann finden Sie sehr viele Beispiele. Sehr viele Länder haben auch Gewalt angewandt, vor allen Dingen die Vereinigten Staaten, Frankreich, Belgien, Großbritannien, um dann im Ausland die eigenen Staatsbürger zu schützen. Außerdem: Sie vergessen völlig - und das vergessen auch die Medien teilweise in Deutschland -, dass die Friedensstifter, nicht die russischen Truppen, sondern die Friedensstifter in Südossetien absolut legal da waren - nach dem Völkerrecht, nach den UNO-Resolutionen - und die wurden in der Nacht ohne Vorankündigung überraschend hinterlistig angegriffen.
Heinemann: Herr Botschafter, Sie haben die Geschichte bemüht, und das, was Sie eben beschrieben haben, klingt nach Hilferuf. Bei diesem Begriff erinnern sich nicht nur Menschen in Osteuropa an Prag 1968. Gibt es in der russischen Außenpolitik sowjetische Reflexe?
Kotenev: Nein, es gibt keine sowjetischen Reflexe. Ich glaube, das sind die Klischees, derer Sie sich jetzt leider bedienen. Es wird immer wieder diese Frage gestellt. - Schauen Sie, immer wieder vergleicht man - und das haben Sie jetzt auch getan - die russische Föderation mit der Sowjetunion. Wenn wir weiter so in die Geschichte gehen, kann man auch sehr viele Dinge einander erzählen, und da kommen wir nicht zum Resultat.
Heinemann: In den USA gibt es Überlegungen, Russland aus der Gruppe der G8-Staaten auszuschließen. Wie würde Russland auf eine solche Entscheidung reagieren?
Kotenev: Ich glaube, dass diese Entscheidung in den Vereinigten Staaten noch sehr genau überlegt wird. Die Vereinigten Staaten haben schon ein paar Mal in der jüngsten Geschichte Kriege geführt, deren völkerrechtliche Basis gelinde gesagt dünn war - und zwar ohne dass ihre Gegner zuvor amerikanische Staatsangehörige angegriffen haben, wie es bei den Ereignissen in Südossetien der Fall war, und niemand hat dabei an den Ausschluss der Vereinigten Staaten aus der G8 gedacht, eigentlich.
Heinemann: Wie also würde Russland reagieren?
Kotenev: Ich hoffe, dass in Amerika eigentlich die Vernunft obsiegt. Wir wissen zwar, dass man dort ziemlich viel in die Aufrüstung Georgiens investiert hat, und dieses Spezialobjekt - ich unterstreiche das Spezialobjekt - Georgien gerne fortführen will, Amerika, nicht. Wir könnten verstehen, wie tief die Enttäuschung in Washington ist, aber die vernünftigen Politiker dort wissen, dass die viel schwerer wiegenden globalen Probleme wie Terrorismus, Verbreitung von Massenvernichtungswaffen oder Klimawandel, die auch Amerika und seine Bevölkerung ernsthaft gefährden, nur mit Russland und nicht gegen Russland zu lösen sind.
Heinemann: Wird der Konflikt die Aufnahme Georgiens in die NATO beschleunigen oder verzögern?
Kotenev: Na ja, eigentlich da muss man die Frage an die Allianz richten. Will man dort wirklich ein Land in eigenen Reihen haben, das Völkermord praktiziert? Will man jemanden haben, der bereit ist, sein Land in einen Krieg zu stürzen? Da muss man in Brüssel darüber, glaube ich, nachdenken, welches Ziel ein solches Land verfolgt, wenn es einen Beitrittsantrag stellt. Saakaschwili hat sich jüngst über mangelnde Unterstützung seitens des Westens beschwert, obwohl in erster Linie die Vereinigten Staaten sich für ihn im UNO-Sicherheitsrat stark machten. Welche Unterstützung hat er sich gewünscht? Dass die NATO oder die USA militärisch eingreifen im Kaukasus? - Wenn es so zu verstehen ist, dann wäre der Mann wohl bereit gewesen, seinen Machtambitionen zuliebe die Menschheit in den Dritten Weltkrieg zu stürzen. Aber der gesunde Menschenverstand verbietet, ein Land mit so einem Führer als Verbündeten zu haben, glaube ich.
Heinemann: Herr Botschafter, bei der Unterstützung Russlands für Serbien spielte der Völkermord, der auf dem Balkan verübt wurde, für die russische Seite eine weniger wichtige Rolle.
Kotenev: Das behaupten Sie.
Heinemann: Russland hat Serbien weiterhin unterstützt, auch nach Srebrenica.
Kotenev: Nein. Wir haben nicht nur Serbien unterstützt. Wir haben das Dayton-Abkommen unterstützt. Das vergessen Sie bitte, wenn Sie genauer in den Dokumenten nachschauen.
Heinemann: Die Bundesregierung neigt insgesamt zu gemäßigten Tönen. Das gilt aber nicht für alle Außenpolitiker in Berlin. Eckart von Klaeden, der außenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, fand gestern im Deutschlandfunk deutliche Worte. Er sagte:
" Ein grundlegendes Überdenken der europäischen Russland-Politik ist sicherlich erforderlich, nachdem Russland sich in dieser Weise völkerrechtswidrig in diesem Konflikt verhalten hat. "
Heinemann: Herr Botschafter, mit welcher Reaktion der Europäischen Union rechnet Russland?
Kotenev: Wir rechnen mit einer klaren Reaktion der Europäischen Union. Das hat Herr Sarkozy in Moskau schon geäußert. Die Europäische Union versucht, in diesem Konflikt zu vermitteln. Wir führen weiter Gespräche, und ich bin überzeugt, in Sotschi wird die Frau Bundeskanzlerin mit dem Präsidenten Medwedew auch darüber reden, welche Rolle die Europäische Union, die OSZE beim Monitoring, bei der Friedenssicherung spielen könnte.
Was die Kommentare von Herrn von Klaeden anbelangt, da gebe ich keine Bemerkungen ab. Das ist seine persönliche Meinung. Ich habe mit der Bundesregierung zu tun und nicht mit einzelnen Politikern, die dann natürlich ihre Meinungen äußern dürfen.
Kotenev: Herr Botschafter, hat Präsident Medwedew eine Chance verpasst, eine neue russische Außenpolitik einzuleiten - diplomatisch, ohne Panzer, ohne Drohung?
Kotenev: Ich glaube, der Westen oder auf jeden Fall die NATO darf die Chance nicht verpassen, mit Russland jetzt eine neue Weltordnung zusammen aufzubauen.
Heinemann: Mit Panzern, mit Drohung oder diplomatisch?
Kotenev: Noch einmal, Herr Heinemann: wer hat die Panzer, die Raketen und Artillerie gegen die friedliche Stadt Zchinwali gerichtet? Das ist Weltkulturerbe. Die Stadt zählt 17 Jahrhunderte und ist völlig zerstört. Wer hat als erster mit der Aggression angefangen? Das ist die Kernfrage, und die muss auch in Deutschland absolut klar beantwortet werden und nicht immer wieder Unterstellungen gemacht werden und die Propagandamaschinerie von Herrn Saakaschwili unterstützt werden.
Heinemann: Verspüren Sie gegenwärtig den Hauch des Kalten Krieges?
Kotenev: Der Hauch des Kalten Krieges ist immer in den Köpfen der kalten Krieger, die leider unter uns immer noch leben. Russland will keinen Kalten Krieg in einer neuen Ausführung und ich bin überzeugt, es gibt keinen neuen Kalten Krieg. Die Welt ist so fragil und die Globalisierung verlangt von uns, dass wir unsere Interessen ausbalancieren.
Anm. d. Red.: Die Abschrift dieses Gesprächs wurde gegenüber der Audio-Fassung behutsam sprachlich überarbeitet.