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"Wir haben den attraktivsten Binnenmarkt der Welt"

Der Koordinator für deutsch-russische zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit, Andreas Schockenhoff, ist zuversichtlich, dass die Beratungen beim EU-Russland-Gipfel, insbesondere im Bereich Energie, erfolgreich sein werden. Schockenhoff: "Wir sind der größte Abnehmer und haben deshalb ein erhebliches Druckmittel". Die EU importiere zwar 60 Prozent ihrer Energie, aber auch Russland sei notwendigerweise interessiert an stabilen wirtschaftlichen Beziehungen.

Moderation: Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Der Siegtreffer der Spanier gestern Abend. Drei zu null hat man gegen Russland gewonnen – ausgerechnet gegen Russland. Das Team war so stark gewesen im Viertelfinale gegen Holland, hat für Furore gesorgt bei diesem Tournier und der Jubel war groß in Russland gewesen. Passend das ganze auch, dass es zusammenfällt mit dem EU-Russland-Gipfel ganz im fernen Osten, im sibirischen Chanty-Mansijsk. Für Dmitri Medwedew und Wladimir Putin sozusagen ein Image-Gewinn, dann aber die Niederlage gestern Abend.

    Ich begrüße Andreas Schockenhoff. Er ist Koordinator für die deutsch-russische zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit und stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Guten Morgen Herr Schockenhoff.

    Andreas Schockenhoff: Guten Morgen Herr Meurer.

    Meurer: Da Fußballeuropameisterschaft und der Gipfel zusammenfallen, steht der russische Fußball sozusagen für das Comeback Russlands insgesamt auf der internationalen Bühne?

    Schockenhoff: Es ist auf jeden Fall ein schönes Symbol für ein neues und modernes Russland. Wir freuen uns über fantastische Spiele und die Innovationskraft, die diese Mannschaft gehabt hat.

    Meurer: Ist diese Freude sozusagen ungetrübt, oder besteht die Gefahr, dass der Fußball politisch instrumentalisiert wird?

    Schockenhoff: Das glaube ich nicht. Aber man kann doch sehen, dass europäisches Knowhow symbolisiert durch den niederländischen Trainer Hiddinks und russische Innovationskraft zum Erfolg führen kann. Ich glaube Russland war die Überraschungsmannschaft dieses Tourniers.

    Meurer: Diese Zusammenarbeit könnte ja eine Parallele sein auch für die Politik. Kann es eine erfolgreiche Zusammenarbeit geben, zum Beispiel auf dem Gebiet der Energiepolitik? Russland liefert das Öl, der Westen das Knowhow.

    Schockenhoff: Ich glaube das ist möglich, wenn die europäischen Staaten sich einig sind, wie wir uns gegenüber Russland einlassen sollen. Wir haben einiges zu bieten. Wir haben den attraktivsten Binnenmarkt der Welt und Russlands Unternehmen wollen dort hinein. Und Europa zahlt Spitzenpreise für russisches Öl und Gas. Gazprom erwirtschaftet 70 Prozent seiner Gewinne aus Verkäufen in die EU. Wir sind der größte Abnehmer und haben deshalb ein erhebliches Druckmittel. Wir können etwas einbringen und sind nicht nur auf das angewiesen, was Russland uns zu bieten hat.

    Meurer: Woran liegt die Uneinigkeit der EU, eher an den Mittel/Ost-Europäern und ihren Vorbehalten und Ängsten vor Moskau?

    Schockenhoff: Das ist das eine, aber auch die westeuropäischen Staaten haben sich in der Vergangenheit viel zu sehr in bilateralen Vereinbarungen mit Russland aufspalten lassen. Wenn die EU ihre Interessen nicht bündelt und gemeinsam als Marktteilnehmer auftritt, werden wir immer in der schwächeren Position sein.

    Meurer: Was würde es denn bedeuten, wenn es jetzt bei dem EU-Russland-Gipfel in Chanty-Mansisk
    gelingen sollte, dass der neue Staatspräsident Medwedew anders als sein Vorgänger Putin der EU tatsächlich Liefergarantien für Öl und Erdgas gibt?

    Schockenhoff: Das wird nicht am ersten Tag geschehen. Aber die Verhandlungen können in diese Richtung gehen. Und Medwedew hat ja angekündigt, dass er Russland modernisieren will. Er will die Wirtschaft diversifizieren und dazu ist er auf Geld und Sachverstand aus der EU angewiesen. Außerdem haben wir vorher gehört, dass Russland Visa-Erleichterungen möchte. Das ist etwas, was die EU nicht so einfach herschenken sollte.

    Meurer: Zählen die Vorteile bei der Energie für Moskau mehr als die Möglichkeit, dass man auch wenn man jetzt eine Garantie gibt, irgendwie doch jederzeit Öl und Gas wieder als politische Waffe einsetzen kann?

    Schockenhoff: Ja, aber Sie müssen sehen, dass von den russischen Gesamtexporten 60 Prozent in die EU gehen. Das heißt Russland ist auch an diese Ausfuhren gebunden und darauf angewiesen.

    Meurer: Wird in der Europäischen Union, Herr Schockenhoff, über die Menschenrechte jetzt noch mehr hinweggesehen, weil man bei der Energie viel Geld verdienen kann?

    Schockenhoff: Die Bundeskanzlerin hat gezeigt, dass eine Menschenrechtspolitik nicht unseren ökonomischen Interessen widerspricht. Sie hat gegenüber den USA Guantanamo angesprochen. Sie hat den Dalai Lama empfangen und sie hat in Russland immer sehr deutliche Worte zu Menschenrechtsverletzungen, zu Defiziten bei der Demokratisierung gefunden. Und trotzdem war sie die erste westliche Regierungschefin, die Medwedew getroffen hat. Ich glaube, das macht uns im Gegenteil noch stärker.

    Meurer: Aber die Mahnungen haben ja nichts gefruchtet. Die Lage der Opposition ist schlimmer und schwieriger denn je in Russland.

    Schockenhoff: Es hat doch deutliche Zeichen gegeben, dass Medwedew auch hier eine Kursänderung will. Er hat zum Beispiel in der Duma ein Gesetz angehalten, das Verschärfungen bei der Medienfreiheit vorgesehen hat. Ich glaube, dass Russland wieder stark genug ist, um sich mehr Freiheit, mehr Demokratie, mehr Beteiligung der Bürger leisten zu können.

    Meurer: Sie glauben, dass wirtschaftlicher Erfolg demokratische Freiheiten nach sich ziehen wird?

    Schockenhoff: Russland kann seine Möglichkeiten nur ausschöpfen, wenn es das Potenzial seiner Bürger abruft. Dazu braucht es die Beteiligung nicht nur ökonomisch, sondern eben auch an der öffentlichen Debatte im Streit um die besten Lösungen für dieses Land. Dazu braucht es einen breiten Mittelstand. Das geht nicht ohne Demokratie.

    Meurer: Wie sehr sieht das die Elite? Sehen das die Oligarchen auch so? Sie müssten ja dann von ihrer Macht abgeben.

    Schockenhoff: Russland kann nicht auf Dauer mit einer kleinen Gruppe von Menschen als Führungselite leben, sondern Russland hat ein enormes demographisches Problem. Und wenn es nicht alle Fähigkeiten aller Bürger abruft, wird es wirtschaftlich nicht stark werden können und sich entwickeln. Vor allem braucht Russland den Westen. Es braucht unser Knowhow, auch unsere Investitionen, um dauerhaft ein moderner Staat zu werden.

    Meurer: Russland verdient im Moment viel Geld mit Öl und Gas, Herr Schockenhoff, und will das Geld anlegen in der Wirtschaft im Westen, in Unternehmen investieren. Aber das sieht man in der EU nicht so gerne, hat dort Vorbehalte. Muss sich da die EU mehr öffnen?

    Schockenhoff: Beide müssen sich öffnen. Das muss immer auf Gegenseitigkeit sein. Wenn Russland stärker bei uns in den Verbrauchermarkt kommen will, dann muss es auch seinen Markt öffnen für Investitionen, für Beteiligungen westlicher Unternehmen. Dann entsteht eine dauerhafte Abhängigkeit, aber auch eine dauerhafte Verlässlichkeit.

    Meurer: Wie groß ist das Risiko der Abhängigkeit?

    Schockenhoff: Die Abhängigkeit ist da. Europa wird in 20 Jahren zwei Drittel seines Energiebedarfs importieren. Aber die Alternative neben Russland sind etwa die arabischen Länder oder Nordafrika. Die Abhängigkeiten sind ohnehin da. Deswegen müssen wir sie gestalten und müssen sie so gestalten, dass sie politisch verlässlich sind.

    Meurer: Andreas Schockenhoff war das, der Koordinator für die deutsch-russische zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit von der CDU. Ich bedanke mich, Herr Schockenhoff. Schönen Dank und auf Wiederhören.

    Schockenhoff: Bitte schön.