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'Wir haben die multilaterale Sprachlosigkeit überwunden'

Lange: Mit jedem Tag, den der Krieg länger dauert und die eingesetzten Mittel nicht die gewünschten Ergebnisse bringen, geraten die NATO-Mitgliedstaaten stärker unter Legitimationsdruck. Kein Wunder also, daß führende Politiker wie US-Präsident Clinton und Bundeskanzler Schröder zur Geduld mahnen und daß gleichzeitig die diplomatischen Bemühungen wieder auf Touren kommen. Gestern trafen sich auf dem Petersberg bei Bonn die Außenminister der G7-Staaten und Russlands, um über einen politischen Ausweg zu beraten. Wichtigstes Ergebnis: eine Liste von Prinzipien, die auch von Russland mitgetragen wird. - Am Telefon ist nun Staatssekretär Wolfgang Ischinger vom Auswärtigen Amt. Guten Morgen!

    Ischinger: Guten Morgen!

    Lange: Herr Ischinger, ist das nun wirklich der "beachtliche Schritt nach vorn", von dem Außenminister Fischer gestern sprach?

    Ischinger: Aber natürlich ist das ein beachtlicher Schritt. Es ist noch nicht das Ergebnis, es ist noch nicht der Frieden; das kann es ja auch gar nicht sein. Es ist aber ein Schritt, bei dem wir zum erstenmal seit vielen Wochen wieder gemeinsam mit Russland, also in einem multilateralen Format, Prinzipien einer Kosovo-Friedenslösung festlegen konnten. Damit haben wir einen Prozeß auf die Schiene gesetzt. Jetzt wird es darum gehen, diesen Weg zu beschreiten. Das ist sehr kompliziert, mit vielen Detailfragen, aber es ist ein ganz wichtiger Schritt. Wir haben die multilaterale Sprachlosigkeit überwunden, und jetzt werden wir mit großem Nachdruck mit den Partnern gemeinsam die noch offenen Einzelfragen angehen.

    Lange: Sie waren vor etwa zwei Wochen selber in Moskau und haben mit der Regierung dort über eine politische Initiative verhandelt. Ich erinnere mich, daß Sie danach hier in diesem Programm doch einigermaßen zuversichtlich waren, daß es zu einem politischen Kompromiß kommen würde. Da war doch Moskau schon mit im Boot. Worin besteht denn jetzt der Fortschritt gegenüber der Situation von vor zwei Wochen?

    Ischinger: Damals war Moskau in dem Sinne im Bott, daß man dort bereit war, mit uns über diese inzwischen als Fischer-Plan bekannten Prinzipien zu sprechen. Jetzt haben wir seit gestern Nachmittag eine Sprache, die alle wichtigen Partner gemeinsam bindet, die eine weitere Diskussionsgrundlage ist. Wir haben eine Sprache gefunden für die Einrichtung einer von uns allen als notwendig erachteten internationalen Übergangsverwaltung im Kosovo. Im Kosovo ist ja nichts mehr. Wenn die Flüchtlinge zurückkommen, an wen sollen sie sich wenden, um Strom zu bekommen, um ernährt zu werden, um ihre Häuser wieder aufgebaut zu bekommen und so weiter. Wir werden im Kosovo eine relativ massive Präsenz nicht nur militärisch, sondern natürlich auch zivil aufbauen müssen, um weitere humanitäre und sonstigen Katastrophen zu verhindern. Das ist alles sehr dringlich. Jetzt geht es zunächst natürlich einmal darum, diesen Plan vom Petersberg von gestern umzusetzen. Die Außenminister haben beschlossen, sich zu gegebener Zeit in diesem Kreise erneut zusammenzusetzen. Wir denken hier aber keineswegs in Zeiträumen von Monaten, sondern wir denken in Zeiträumen von Tagen oder ganz, ganz wenigen Wochen. Wir arbeiten hier mit Hochdruck!

    Lange: Sie sagen, eine gemeinsame Sprache ist gefunden worden, aber diese Sprache ist doch ausgesprochen wage. Da gibt es jede Menge Interpretationsspielräume auch wieder für die Russen. Thema Sicherheitspräsenz, was hat man sich darunter vorzustellen?

    Ischinger: Der Kern der Frage ist, wer stellt diese Truppe, wer kommandiert diese Truppe, welcher Organisation ist sie unterstellt. Sie haben vollkommen Recht, hier gibt es noch eine ganze Reihe offener Fragen. Das habe ich vorhin ja auch angesprochen. Hier müssen Detailfragen gelöst werden. Soll das eine im wesentlichen der NATO unterstellte Truppe sein? Das ist eine Vorstellung, die sich auch die Bundesregierung sehr stark zu eigen gemacht hat. Wir sind der Auffassung, das kann nur gut funktionieren, wenn ein ganz wesentliches Element dieser Truppe von der NATO gestellt wird, weil nur die NATO die Organisationsdichte und die Fähigkeit hat, relativ große Truppenverbände in einem so schwierigen Umfeld zu dirigieren. Die russische Meinung ist natürlich eine andere, und wir werden hier jetzt sehr rasch nach Kompromißformeln suchen müssen. Diese Kompromißformeln hat man damals im Bosnien-Konflikt auch gefunden. Sie haben zu einer Beteiligung Russlands an der Bosnien-Friedenstruppe geführt. Ich sehe überhaupt keinen Grund, nicht einen einzigen Grund, warum das nicht hier in der Kosovo-Frage genauso möglich sein sollte. Es geht doch darum, ob wir uns einig sind, was wir politisch erreichen wollen. Das haben wir jetzt erreicht. Die Umsetzung wird schwierig sein, aber ich bin ganz zuversichtlich, daß sie letztlich erreicht wird, denn das Ziel ist jetzt ein gemeinsames Ziel zwischen dem Westen und Russland.

    Lange: Wie stark sollte denn eine solche Schutztruppe für das Kosovo sein, größer als in Bosnien?

    Ischinger: Über die Größenordnung wird auch noch im einzelnen zu sprechen sein. Das hängt nicht zuletzt auch von der Frage ab, wie man sich den Abzug der jugoslawischen, der serbischen Militär- und paramilitärischen Kräfte und der serbischen Sonderpolizei vorzustellen hat. Die deutsche Vorstellung, der Kern des Fischer-Plans, ist ja der völlige Abzug dieser Kräfte. Das heißt mit anderen Worten die Demilitarisierung des Kosovo. Übrigens würde das natürlich auch die Demilitarisierung der UCK bedeuten.

    Lange: Die UCK hat gestern erklärt, für sie käme nur eine NATO-Schutztruppe in Betracht, nur NATO, nichts anderes, und Entwaffnung käme nicht mehr in Frage. Müssen Sie nicht damit rechnen, daß nun auch aus dieser Richtung wieder Gegenwind kommt?

    Ischinger: Aber selbstverständlich! Genauso wie aus Belgrad grimmige Töne weiterhin zu hören sind, genauso schwierig wird es sein - übrigens habe ich dafür auch jedes Verständnis -, die Vertreter der verschiedenen Flügel der Kosovo-Albaner zunächst unter einen Hut zu bringen und sie dazu zu bringen, einen solchen Plan sich selbst zu eigen zu machen. Nach der Vertreibung von 600, 700 000 oder noch mehr Menschen ist es natürlich für die Kosovo-Albaner heute noch viel schwerer als es vor zwei Monaten in Rambouillet war, sich mit Vertretern Serbiens überhaupt vorzustellen an einem gemeinsamen Tisch zu arbeiten. Das kann man ihnen nun wirklich nicht vorwerfen.

    Lange: Aber woher kommt dann Ihr Optimismus, daß es nur noch eine Frage von Tagen ist, bevor ein solcher Friedensplan wirklich steht?

    Ischinger: Ich will es ein bißchen präzisieren. Ich sage, für uns stellen wir jetzt im G8-Prozeß einen Arbeitsplan auf, den wir in Tagen messen. Wir werden also bereits zu Beginn der nächsten Woche weitere Arbeitssitzungen auf der Ebene der politischen Direktoren haben. Die Außenminister werden sich rasch erneut treffen, je nach Bedarf und je nach erreichtem Zwischenstand. Das kann in zehn Tagen sein, das kann in 14 Tagen sein, jedenfalls nicht in längeren Zeiträumen. Das heißt dann immer noch nicht, daß wir dann einen umsetzbaren und umgesetzten Friedensplan haben. Der nächste Schritt ist dann in der Tat die Verabschiedung einer Sicherheitsratsresolution in New York. Da gibt es auch noch andere Teilnehmer, die zu berücksichtigen sind. Denken Sie beispielsweise an China. Wir haben gestern Abend bereits, wenige Stunden nach Ende des Treffens auf dem Petersberg, die chinesische Regierung ganz offiziell über das Ergebnis unterrichtet, denn schlußendlich werden wir auch, wenn nicht die direkte Zustimmung, so jedenfalls die Tolerierung, notfalls die Enthaltung der chinesischen Seite brauchen für die Umsetzung eines solchen Planes im Sicherheitsrat.

    Lange: Am Ende steht und fällt das ganze aber mit der Zustimmung Belgrads, und ohne die ist nichts möglich. Das hat gestern der russische Außenminister Iwanow noch einmal betont. Diese Zustimmung ist jedoch weiterhin nicht in Sicht, und da endet doch auch die Zusammenarbeit mit Russland, wenn es heißt, die Souveränität Belgrads darf nicht angetastet werden.

    Ischinger: Dazu würde ich zwei Dinge sagen. Zunächst einmal verfolgen wir ja weiterhin die nun schon seit Wochen von uns betriebene Doppelstrategie. Wir versuchen, hier zunächst eine politische Lösung zu definieren und sie dann umzusetzen. Das ist der eine Teil der Doppelstrategie. Der andere Teil sind die militärischen Aktivitäten des nordatlantischen Bündnisses. Diese gehen, wie Sie wissen, weiter. Deswegen wird der militärische Druck durch die gestrigen Beschlüsse auf Belgrad ja keineswegs reduziert, sondern er wird aufrecht erhalten. Ich prophezeie Ihnen, daß die Signale aus Belgrad sich fortsetzen werden, Signale der erneuten Kooperationsbereitschaft, wie sie ja in den letzten Tagen immer deutlicher zum Vorschein gekommen sind. Das ist alles noch nicht der Frieden als solcher, aber es sind doch Zeichen, daß sich etwas in Bewegung setzt: die Freilassung Rugovas, die Freilassung der amerikanischen Soldaten, jetzt die Bereitschaft, eine Delegation der Vereinten Nationen zu empfangen und so weiter. Ich glaube, mit dieser Doppelstrategie liegt der Westen, liegen wir richtig, und wir haben für die politische Lösung Russland jetzt im Boot. Das war das politische Ziel, das wir uns vor drei Wochen mit dem Fischer-Plan prozedural gesetzt haben. Jetzt müssen wir an die Substanz heran. Dazu brauchen wir die Zusammenarbeit mit allen Partnern im G8-Prozeß. Wir werden auch das bilaterale Gespräch mit Russland in den nächsten Tagen natürlich ganz intensiv fortführen.

    Lange: Herr Ischinger, in vielen NATO-Ländern wandelt sich das Meinungsklima langsam aber stetig gegen die Luftangriffe, wegen der Opfer unter der Zivilbevölkerung und auch weil sich für viele mit zunehmender Dauer und Eskalation auch die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Mittel stellt, und zwar jetzt unabhängig davon, wer diesen Konflikt letztendlich zu verantworten hat. Hat die NATO noch die Zeit und den langen Atem, den sie braucht, um ihre Pläne zu verwirklichen?

    Ischinger: Ich glaube, wir müssen die Frage von der anderen Seite her angehen: Was wäre denn, wenn wir jetzt aufhören würden mit den Aktivitäten der NATO? Wollen wir wirklich dem zynischen Diktator Milosevic die Befriedigung verschaffen, daß er sozusagen ungestraft davon kommt nach der Austreibung, nach der Vertreibung, nach den Massakern an einer Bevölkerungsmehrheit im Jahre 1999 mitten in Europa? Das kann doch wohl nicht die Antwort sein. Es darf sie auch nicht sein. Die europäischen Werte sind nicht so disponiebel, daß wir das ertragen könnten. Deswegen müssen wir in dieser Frage - und ich glaube, daß die Bevölkerungen nicht nur bei uns, sondern auch in den anderen europäischen Partnerstaaten und Bündnisstaaten dies verstanden hat -, deswegen müssen wir diese Doppelstrategie konsequent gehen. Wenn wir jetzt Schwäche zeigen würden bei der militärischen Entschlossenheit, hätten wir das Spiel mit Milosevic möglicherweise schon jetzt verloren.

    Lange: Danke Herr Ischinger. - Das war Staatssekretär Wolfgang Ischinger vom Auswärtigen Amt zu den Ergebnissen des G8-Treffens auf dem Petersberg.