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"Wir haben einen Fehlstart gehabt"

Offensichtlich gab es bei Einzelnen Defizite in der Auseinandersetzung mit der Geschichte, sagt der Bundesgeschäftsführer der Linkspartei, Dietmar Bartsch. Dennoch sieht er Chancen für einen Neustart - und fordert, dass alle Abgeordneten im Potsdamer Landtag auf Stasivergangenheit überprüft werden.

Dietmar Bartsch im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Tobias Armbrüster: Es läuft nicht gut für Matthias Platzeck und seine Koalition mit der Linkspartei in Brandenburg. Vor vier Wochen ist Platzeck angetreten mit der Vorgabe, die Linkspartei in die Regierungsverantwortung einzubinden, politische Gräben zu schließen und Gegner zu versöhnen. Das klingt inzwischen alles ziemlich hohl, denn wie sich herausstellt, haben mehrere Mitglieder der Linksfraktion Kontakte zur Stasi zu DDR-Zeiten verschwiegen. Gestern hat Matthias Platzeck in einer Regierungserklärung Fehler eingeräumt und sogar von einem Fehlstart gesprochen. Aber wie sieht man das Ganze bei der Linken? Am Telefon bin ich jetzt verbunden mit dem Bundesgeschäftsführer der Linkspartei, guten Morgen, Dietmar Bartsch!

    Dietmar Bartsch: Guten Morgen, ich grüße Sie!

    Armbrüster: Herr Bartsch, steckt die Linkspartei in Brandenburg in einer moralischen Krise?

    Bartsch: Wir haben - da stimme ich Matthias Platzeck zu - einen Fehlstart gehabt. Es ist so, dass die Vergangenheit im Brandenburger Landtag die entscheidende Rolle gespielt hat. Wir haben mit der rot-roten Regierung natürlich etwas anderes gewollt, wir wollen etwas anderes. Es ist für uns ein wichtiges gesellschaftspolitisches Zeichen, dass wir hier diese Regierungskonstellation haben, und da ist natürlich das, was dort geschehen ist, wenig hilfreich gewesen. Ich sage aber ganz klar, dass das, was Sie als hohl bezeichnen, ich nicht so sehe. Matthias Platzeck hat gestern eine sehr wichtige, eine sehr konsequente Rede gehalten. Es ist wichtig, dass alle Abgeordneten im Brandenburger Landtag sich dieser Überprüfung stellen, wie es in anderen Landtagen der Fall war. Und deshalb ganz klar: Ich wünsche mir, dass wir sehr, sehr schnell zur Politik zurückkommen. Diese Chance ist mit der gestrigen Rede von Platzeck und der folgenden Auseinandersetzung, auch der Rede von Kerstin Kaiser möglich.

    Armbrüster: Wenn ich Sie da jetzt richtig verstehe, Herr Bartsch, Sie sprechen sich dafür aus, dass alle Abgeordneten im Potsdamer Landtag auf Stasivergangenheit überprüft werden?

    Bartsch: Diesen Antrag hat ja meine Fraktion im Brandenburger Landtag gestellt, dieser Antrag ist jetzt auch auf dem Wege, und ich hoffe, dass das möglichst schnell geschieht. Das war sehr einseitig, es ist über andere Fraktionen nicht geredet worden. Ich will auch nicht die Vergangenheit auf einen einzigen Teil reduzieren. Es ist nicht die Frage des MfS allein. Wir alle müssen uns mit der Geschichte auseinandersetzen, das betrifft meine Partei, wir haben das über viele Jahre gemacht, aber offensichtlich, offensichtlich gab es bei Einzelnen Defizite.

    Armbrüster: Warum hat Ihre Partei denn nicht die Abgeordneten, die sie in den Landtag schickt, vorher überprüft?

    Bartsch: Also das macht keine einzige Partei. Wir haben einen klaren Beschluss in meiner Partei, dass wir uns stellen unserer Vergangenheit. Es ist ja so, dass andere, die sich zu ihrer Vergangenheit bekannt haben, mit überzeugenden Ergebnissen direkt in den Landtag, auch direkt in den Bundestag gewählt worden sind, das ist unser Verfahren. Und hier holt Brandenburg ein Stück weit Vergangenheit ein. Es ist so, dass dort Anfang der 90er-Jahre auch aus personellen Gründen ein anderer Ansatz versucht worden ist, da stehen auch Namen dafür, das ist aber so, dass dieses auch zu diesem Missbrauch geführt hat. Inzwischen sind Schlussfolgerungen gezogen worden. Und ich sage noch mal: Es ist so, dass wir dieses Thema auf der Tagesordnung. Es ist aber auch Fakt, dass viele Menschen im Lande, im Lande Brandenburg, das Thema weniger interessiert als ihre aktuellen Probleme. Deswegen noch mal: Ich wünsche mir, dass das, was wir in der Koalition vereinbart haben, im Koalitionsvertrag vereinbart haben, jetzt angegangen wird, dass die Menschen spüren, mit Rot-Rot wird ein Wechsel in der Politik eingeleitet.

    Armbrüster: Aber wie viele Stasiabgeordnete verträgt denn die rot-rote Koalition in Brandenburg?

    Bartsch: Wissen Sie, das wäre jetzt kurios, wenn ich hier etwa noch eine Zahl nennen würde. Wir sagen ganz klar, die Abgeordneten im Brandenburger Landtag lassen sich überprüfen, diese Überprüfung wird hoffentlich so geschehen, dass das alles auch rechtsstaatlich erfolgt. Und dann wird es ein entsprechendes Gremium geben, was die Ergebnisse einschätzt, und dann werden Schlussfolgerungen gezogen. Da sollte sich aber auch Bundespolitik zurückhalten und nicht Ratschläge geben, wie da umzugehen ist. Es ist überhaupt nicht die Frage, ich will das klar sagen, noch mal: Es gibt Abgeordnete, die sich zu ihrer Vergangenheit bekannt haben, das haben die Wählerinnen und Wähler gewusst, das haben die konkurrierenden Parteien gewusst ...

    Armbrüster: Das waren drei. Inzwischen sprechen wir von sieben. Da sind noch mal vier dazugekommen.

    Bartsch: Nein, nein, nein, nein. Diese Art und Weise lasse ich nicht zu. Schauen Sie, da ist zum Beispiel jemand, der im Ministerium 15 Jahre gearbeitet hat, der drei Jahre seinen Wehrdienst im Wachregiment geleistet hat, der ist dann als einer von der Stasi von einigen Zeitungen, von einigen Medien artikuliert worden. Das ist so nicht zulässig. Ich finde auch, dass wir hier bei aller Kritik, die angebracht ist - aber man darf jetzt hier nicht übers Ziel hinausschießen. Und das machen dann vor allen Dingen auch diejenigen im Landtag, die bis 1989 Blockparteien waren, wo Vertreter die Mauer verteidigt haben, die also aber eine ganz weiße Weste haben. So geht das nicht. Man kann hier nicht, wenn man in der Linkspartei kandidiert, gewählt wird direkt und drei Jahre einen Wehrdienst geleistet hat beim Wachregiment, Felix Dserschinski dazu gestanden hat, auf einmal dann in eine Ecke gestellt werden. Also ich bin dafür, bei aller Konsequenz, aber hier nicht in Klischees zu verfallen und etwa das Signal zu geben: Also Linkspartei, das ist alles Stasi, die anderen die Guten. Nein, wir brauchen Differenzierungen, so wie das in anderen Ländern auch der Fall gewesen ist.

    Armbrüster: Herr Bartsch, Sie sind jetzt Bundesgeschäftsführer Ihrer Partei, das heißt, Sie haben das ganze große Land im Auge. Nach der letzten Bundestagswahl und auch nach den drei Landtagswahlen, die mit stattgefunden haben, da hatte man ja zum ersten Mal den Eindruck, dass die Linkspartei angekommen ist, dass sie von den anderen ernst genommen wird, da hat man vom endgültig sich durchsetzenden Fünf-Parteien-System gesprochen. Diese Enthüllungen in Brandenburg, machen die nicht eine Menge kaputt? Die CDU zum Beispiel spricht ja davon, dass sich Brandenburg zum Gespött macht in Deutschland.

    Bartsch: Also die CDU sollte da wirklich die Kirche im Dorf lassen, sollte in ihrer eigenen Partei auch über Vergangenheitsaufarbeitung reden. Die Linke hat ein so gigantisches Erfolgsjahr hinter sich, 11,9 Prozent im Bund, in Brandenburg, ich will daran erinnern, haben wir 28 Prozent, die CDU ist unter 20 Prozent ...

    Armbrüster: Aber genau das ist es ja, es war ein Erfolgserlebnis. Macht dieser ganze Vorfall nicht wieder eine Menge kaputt für die Bundespartei?

    Bartsch: Es ist doch zweifelsfrei, dass wir ein Problem haben. Aber ich will auch ganz klar sagen, Probleme sind dazu da, sie zu bewältigen. Die Linke in Brandenburg, die Spitze in Brandenburg, der Landesvorsitzende, die Fraktionsvorsitzende sind mit diesen Problemen so umgegangen, wie wir das auch erwartet haben. Ich sehe die Chance, dass wir aus dieser Krise, die zweifelsfrei da ist, herauskommen. Und ich sage auch ganz klar, natürlich hat uns das in Ost und West nicht genutzt. Aber die Linke ist in diesem Jahr eine so stabile Partei geworden, und zwar Ost und West, mit riesigen Erfolgen, dass uns ein solcher Rückschlag nicht etwa in eine Gefährdung bringt. Wir werden auch im nächsten Jahr unseren Weg weitergehen, Interessen der Menschen wahrnehmen für soziale Gerechtigkeit, das ist völlig klar. Nichtsdestotrotz, das war für uns ein problematischer Start der rot-roten Koalition. Ich hätte mir etwas anderes gewünscht, weil ich mir auch in anderen Bundesländern rot-rote Konstellationen wünsche. Das wird vielleicht 2011 möglich sein.

    Armbrüster: Herr Bartsch, einer der sieben Abgeordneten, über die wir da sprechen, ist Gerlinde Stobrawa, die Vizepräsidentin des Landtags in Brandenburg. Sie hat ihren Posten inzwischen geräumt und die Opposition fordert jetzt, dass die CDU den neuen Vizepräsidenten stellen sollte. Wäre das ein Schritt für Ihre Partei, um diese Krise zu beenden?

    Bartsch: Ausdrücklich nein. Erstens: Zu Gerlinde Stobrawa will ich sagen, dass das, was ihr vorgehalten worden ist, Anfang der 90er-Jahre so auf dem Tisch lag. Da war genau dieser Kenntnisstand, da hat eine entsprechende Kommission sie als nicht belastet eingeschätzt. Deswegen hat sie als Vizepräsidentin kandidiert, hat dieses Amt ja eine gesamte Legislatur begleitet und hat aus allen Parteien dafür Anerkenntnis erfahren. Sie hat aufgrund des aktuellen Druckes gesagt, sie geht von diesem Amt zurück, und die Linke wird selbstverständlich ... Also wir haben parlamentarische Gepflogenheiten, und in Brandenburg ist es so: Die stärkste Partei, die SPD, stellt den Präsidenten, die zweitstärkste den Vizepräsidenten. Und dieses wollen wir auch genauso belassen, da gibt es jetzt überhaupt keinen Grund davon abzuweichen. Keine andere Partei würde auf einen solchen Gedanken kommen.

    Armbrüster: Dietmar Bartsch, der Bundesgeschäftsführer der Linkspartei. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Bartsch!

    Bartsch: Gerne!