Archiv


"Wir haben einen guten Abschluss gemacht"

Nach fast einem Jahr harter Verhandlungen begleitet von mehreren Streiks scheint der Tarifkonflikt zwischen Bahn und Lokführergewerkschaft GDL endgültig beigelegt. GDL-Chef Manfred Schell wies Befürchtungen, die nächste Tarifrunde könnte zu ähnlichen Auswirkungen für Bahnreisende führen, zurück. In Zukunft würden wieder "ganz normale Parameter" gelten.

Moderation: Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: In fast letzter Minute haben sich gestern Bahn und die Gewerkschaft der Lokführer doch noch geeinigt. Am Nachmittag wurde der Durchbruch gemeldet und damit ein großer Streik für heute vermieden, den die GDL schon angesetzt hatte. Die große Mehrheit der Republik wird das als eine gute Nachricht empfinden. Viele hatten mit diesem Streik eben heute Morgen gerechnet, auch die Bahn selbst, die einen Notfahrplan aufgestellt hatte. Der Verkehr läuft heute Morgen aber schon wieder relativ normal. Die Beeinträchtigungen halten sich in Grenzen, es gibt sie aber noch.

    Am Telefon begrüße ich Manfred Schell. Er ist der Vorsitzende der Gewerkschaft der Lokführer. Guten Morgen, Herr Schell!

    Manfred Schell: Einen schönen guten Morgen, Herr Meurer!

    Meurer: Wie sicher können wir denn sein, dass das jetzt wirklich die Einigung ist?

    Schell: Nach etlichen Hoffnungsstunden, -tagen und -wochen, die ich gehabt habe in der Zwischenzeit, ist das, was wir nun gestern unterschrieben haben, logischerweise der Durchbruch. Es ist ein Vertragswerk, und ich denke mir, dass alle Seiten - und für die GDL besteht daran überhaupt kein Zweifel - sehen, dass Vertragstreue herrscht.

    Meurer: Hatten Sie beim letzten Mal auch gedacht, das war es jetzt?

    Schell: Ich hatte schon mehrfach den Eindruck und die Hoffnung, dass es das war. Ich hatte sie das erste Mal am 27. August letzten Jahres, als Professor Biedenkopf und Heiner Geissler das Moderatorengespräch vereinbart hatten und wir unterschrieben hatten. Ich hatte logischerweise das Gefühl, dass wir nun durch seien, als wir diesen berühmtberüchtigten Tarifvertrag unterschrieben haben bei Minister Tiefensee. Aber es sind immer wieder neue Fallstricke aufgezogen worden. Gestern haben wir es dann beseitigt, und das ist es denn nun.

    Meurer: Was wiegt für Sie mehr, Herr Schell, der Sieg über Hartmut Mehdorn oder der Sieg über Transnet?

    Schell: Ich will nicht von Sieg sprechen. Da hat jeder seine Rolle gespielt - der Bahnvorstand, der diesen Tarifvertrag, diesen eigenständigen Tarifvertrag nun partout nicht wollte über Monate und alles versucht hat, ihn zu verhindern. Die anderen haben auch ihren Beitrag dazu geleistet. Am Ende, wir haben ihn. Wir haben einen vernünftigen Tarifabschluss, sowohl was das Finanzielle, was die Arbeitszeit betrifft, und das noch in einem eigenständigen Tarifvertrag. Da muss man jetzt nicht mehr nachtreten, wie andere das gemacht haben in der Vergangenheit. Das ist nicht unsere Art. Wir haben das erreicht, was wir wollten, und damit können wir gut leben.

    Meurer: Sie sind früher ein bisschen als Lokführerverein sozusagen herablassend bezeichnet worden. Ist da schon Genugtuung jetzt vorhanden?

    Schell: Ach sicherlich. Das ist selbstverständlich. Die kleine Gewerkschaft, aufmüpfige, die terrorisieren Deutschland, und was da alles gesagt worden ist. Nun muss man sagen in einer solchen Auseinandersetzung, nun bin ich ja auch nicht immer zimperlich gewesen im Umgang mit anderen. Aber wie gesagt: Was soll es? Der Vertrag steht, meine Mitglieder können zufrieden sein, ich bin zufrieden, und nun denken wir, dass wir wieder, ich sage mal, in geordneten Bahnen weitermachen. Und wie Sie bereits sagten im Vorspann: Dieser Tarifvertrag hat ja nur noch eine Laufzeit bis zum kommenden Jahr, Ende Februar. Dann werden wir schauen, wie es weitergeht.

    Meurer: Sie gehen ja bald in Rente - in ein paar Wochen schon. Wenn Sie weitermachen würden, würden Sie dann weniger zimperlich sein und doch etwas rücksichtsvoller?

    Schell: Ich bin ja immer rücksichtsvoll. Das ist nur alles situativ, wie man das so bringen muss. Es gehört mit dazu. Es gehört zum politischen Geschäft, und auch Gewerkschaftsarbeit ist ein Stück Politik. Es ist jetzt keine Parteipolitik, sondern Gewerkschaftspolitik. Das muss sein, aber, wie gesagt, dass es nun noch einmal notwendig war, dass wir diesen Arbeitskampf ansetzen mussten gestern Abend ab null Uhr. Aber gut: Es ist so, wie es sein muss, oder wie es sein sollte, dann ist es so, und Feierabend jetzt.

    Meurer: Von den Lokführern werden Sie viel Applaus bekommen, aber werden Sie in die Tarifgeschichte, Herr Schell, als derjenige eingehen, der damit angefangen hat und das vorangetrieben hat, dass jetzt fast jede Gruppe für sich ihren eigenen Tarifvertrag in Zukunft bekommt?

    Schell: Das war ja auch so ein Horrorszenario, das an die Wand gemalt wurde, wenn wir das den Lokführern zugestehen, dann reklamiert das jede Gruppe für sich. Die anderen Gruppen, die müssen mal erst 141 Jahre alt werden wie wir. Sie müssen ein solches Mitgliederpotenzial haben. Man muss immer bedenken dabei, wenn diese Vergleiche gezogen werden, in Deutschland ist je nach Angabe zwischen 19 und 22 Prozent ist der Organisationsgrad leider Gottes gesunken bei den Arbeitnehmern. Wir haben 85 Prozent der Lokomotivführer organisiert. Also, wer so etwas auf die Beine stellt, der kann und darf mal darüber nachdenken, ob er einen eigenständigen Tarifvertrag haben will. Aber da gibt es wenige in Deutschland.

    Meurer: Also liegt da vielleicht sogar gerade die Zukunft für die Gewerkschaften, sich sozusagen in kleinere Einheiten aufzuspalten?

    Schell: Ja gut, wir haben immer gesagt, dass die Aktion ver.di nicht eine solche ist, die geradezu die Mitglieder beglückt. Ich finde, Mitglieder müssen sich in ihrer Gewerkschaft wohl fühlen. Sie müssen eine Identifikation haben mit ihrer Gewerkschaft, mit den Zielen der Gewerkschaft. In einem solchen Moloch wie die fünf Gewerkschaften, die sich da zusammengeschlossen haben, vermag ich das nicht zu erkennen.

    Meurer: Nur: Sie profitieren jetzt, die Lokführer profitieren, und viele andere bei der Bahn kriegen keine elf Prozent.

    Schell: Ja, gut. Das ist ja nun mal eine Sache auch der anderen Gewerkschaften. Jede Gewerkschaft schaut für sich, was die Mitglieder bekommen, und wir haben immer gesagt, was die anderen ausgehandelt haben, das reicht uns nicht. Das reicht uns nicht, wenn wir einmal über 14 Jahre zurückgeblickt haben und mussten dann nach 14 Jahren konzertieren, dass wir dem Grunde nach 9,5 Prozent weniger im Portemonnaie hatten. Es waren nicht 9 Prozent weniger im Portemonnaie, aber wenn man die Arbeitszeit, die mit 2,5 Prozent angerechnet wird, betrachtet, dann waren es 9,5 Prozent. Alles ist teurer geworden, und das ging nicht mehr. Die Lokführer waren völlig unterbezahlt, und hier musste eine Kurskorrektur gemacht werden, und die ist uns jetzt gelungen.

    Meurer: Der Tarifvertrag, Herr Schell, gilt ja nur bis Ende des Jahres. Wenn dann wieder über neue Tarife verhandelt wird, muss man sich das dann so vorstellen: Jede Gewerkschaft bei der Bahn verhandelt separat für sich und am Ende wird zwangsläufig gegenseitig das Ergebnis dann jeweils anerkannt?

    Schell: Wir haben gesagt, wir haben kein Interesse. Wir haben einen guten Abschluss gemacht. Wir haben kein Interesse, mit großem Tohuwabohu in die nächste Runde zu gehen. Wir haben auch mit den anderen Gewerkschaften gesagt, man kann sich darüber zunächst unterhalten und gegebenenfalls noch abstimmen, ob man mit einer gemeinsamen Forderung in die nächste Lohnrunde geht, die man gegenüber dem Arbeitgeber vertritt und die man dann auch gemeinsam akzeptiert. Ob das zustande kommt, das ist abzuwarten. Wir werden schauen, wie es geht, aber zunächst einmal ist das, was wir haben, das ist eine gute Grundlage für die Zukunft.

    Meurer: Wenn die Tarifdauer, die Vertragsdauer ausläuft, wird es in Zukunft mehr Streiks bei der Bahn geben als früher?

    Schell: Davon gehe ich nicht aus. Davon gehe ich überhaupt nicht aus. Ich denke mir, die Mitglieder sind zufrieden mit dem, was wir erreicht haben. In Zukunft werden ganz normale Parameter wieder hier gelten. Das ist erstens einmal: Wie steht das Unternehmen wirtschaftlich da? Wie ist die Preisentwicklung für unsere Mitglieder? Dann wird man schauen, dass etwas mehr im Portemonnaie bleibt. Also eine ganz normale Tarifrunde steht im kommenden Jahr an, und da sehe ich auch nicht, dass dort irgendetwas zu befürchten ist. Man muss ja immer alles auch im Kontext sehen. Die Bahn wird in eineinhalb Monaten vor die deutsche Öffentlichkeit treten, und sie wird ihr Wirtschaftsergebnis des vergangenen Jahres präsentieren. Das wird wieder gut sein, und logischerweise gehen wir davon aus, dass die Mitarbeiter, die einen maßgeblichen Anteil dazu beigetragen haben, dass ein solches Ergebnis zustande kommt, auch von diesem Wirtschaftsergebnis der Bahn partizipieren.

    Meurer: Manfred Schell, der Vorsitzende der Gewerkschaft der Lokführer, bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk. Danke Herr Schell und auf Wiederhören.

    Schell: Alles Gute. Auf Wiederhören.