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"Wir haben genau das eingehalten, was wir versprochen haben"

Mit den Sparplänen der Bundesregierung müssen besonders Hartz-IV-Empfänger und Familien mit Kürzungen rechnen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sagt: "Wir haben insgesamt ein sehr maßvolles, ausgewogenes, aber eben nachhaltiges Paket zur Reduzierung der zu hohen Neuverschuldung beschlossen."

Wolfgang Schäuble im Gespräch mit Jasper Barenberg | 08.06.2010
    Jasper Barenberg: Um den überschuldeten öffentlichen Haushalt zu sanieren, will die Bundesregierung vor allem bei Sozialleistungen den Rotstift ansetzen. Arbeitslose, Hartz-IV-Empfänger und Familien müssen sich auf Kürzungen gefasst machen. Vor allem deshalb laufen Opposition, Gewerkschaften und Sozialverbände Sturm gegen die Sparpläne der Koalition, auch die geplanten Belastungen für die Industrie ändern nichts an ihrem Urteil, und das lautet: sozial unausgewogen. Darüber wollen wir sprechen mit Wolfgang Schäuble, dem Finanzminister. Einen schönen guten Morgen!

    Wolfgang Schäuble: Guten Morgen, Herr Barenberg!

    Barenberg: Herr Schäuble, noch vor einigen Wochen lautete das Versprechen der Koalition Steuern senken, Leistungsträger entlasten, jetzt will die Regierung 80 Milliarden in vier Jahren sparen, muss sparen. Müssen Sie uns denn heute einen Wahlbetrug erklären?

    Schäuble: Nein, überhaupt nicht. Wir haben ja immer gesagt, wir haben die Schuldenbremse des Grundgesetzes, wir müssen das strukturelle Defizit im Bundeshaushalt, das ja entstanden ist durch die Finanz- und Wirtschaftskrise der letzten zwei Jahre – das muss man ja immer klar dazusagen –, das müssen wir in gleichen Jahresraten bis zum Jahre 2016 wieder zurückführen. Das war ja nie zweifelhaft. Es sind übrigens nicht 80 Milliarden, die wir in den sechs Jahren das Defizit zurückführen müssen, sondern irgendwo zwischen 50 und 60 Milliarden. Das ist die Schuldenbremse des Grundgesetzes, das gilt, das haben wir immer gesagt. Viele haben es bezweifelt, dass wir das schaffen werden ...

    Barenberg: Auch die FDP?

    Schäuble: Bitte?

    Barenberg: Auch die FDP hat gezweifelt, dass gespart werden muss?

    Schäuble: Nein, die FDP hat auch nicht gezweifelt, das steht im Koalitionsvertrag. Die Schuldenbremse des Grundgesetzes gilt, im Übrigen braucht man dazu gar keinen Koalitionsvertrag, das Grundgesetz gilt nun mal und die goldenen Regeln auch, das war immer klar. Die Opposition hat bezweifelt, dass wir es schaffen werden. Das war immer die Kritik und das würde ja alles nicht stimmen. Und nun sind sie natürlich ein bisschen enttäuscht, weil ihre großen Sprüche als falsch sich herausgestellt haben. Wir haben genau das eingehalten, was wir versprochen haben. Im Übrigen ist ja die Entwicklung – das ist ja auch ein gutes Zeichen, dass wir wirtschafts-, finanzpolitisch, arbeitsmarktpolitisch richtig liegen – weniger schlecht in diesem Jahr, als man befürchtet hat. Deswegen ist ja das strukturelle Defizit auch nicht so hoch, als wir noch bei der Verabschiedung des Bundeshaushalts angenommen haben. Trotzdem bleibt es eine ehrgeizige Aufgabe, aber es ist genau das, was die Bevölkerung will. Denn sie wissen aus allen Meinungsumfragen, die größte Sorge der meisten Menschen ist, dass wir die zu hohen Defizite in den öffentlichen Haushalten in allen Ländern – das ist ja außerhalb Europas zum Teil noch viel schlimmer, in den Vereinigten Staaten von Amerika, in Japan, in Großbritannien, aber in Europa gibt es auch Länder, wo wir große Sorgen haben. Wir machen unseren Teil und wir schaffen das, und damit sichern wir langfristig die Nachhaltigkeit unseres Sozialsystems und die Stabilität unserer Währung. Da führt kein Weg daran vorbei, und ich glaube, diese schwierige Aufgabe haben wir gut gemeistert. Natürlich ist es so, alle sind fürs Sparen, nur wenn man konkret spart, dann sind alle diejenigen, die von der Kürzung von Ausgaben betroffen sind, kritisieren das auch, das ist völlig in Ordnung, das war uns vorher klar. Ich glaube, wir haben insgesamt ein sehr maßvolles, ausgewogenes, aber eben nachhaltiges Paket zur Reduzierung der zu hohen Neuverschuldung beschlossen.

    Barenberg: Die größten Opfer verlangen Sie in diesem Paket von den Schwächsten der Gesellschaft, von den Familien, die Hartz-IV-Leistungen bekommen, und halten zugleich am Steuergeschenk in Milliardenhöhe für die Hoteliers fest. Wie soll das sozial ausgewogen sein?

    Schäuble: Es ist nun zunächst einmal so, man kann in einem Haushalt, wenn man die Ausgabenseite zurückführt, nur dort sparen, wo man Ausgaben hat. Das ist ein Problem bei der Reduzierung eines, bei der Reduzierung der zu hohen Ausgaben in einem Haushalt. Wir haben ja zum Wesentlichen auch die Konjunkturprogramme wieder zurückgeführt, die wir eingeführt haben in den Jahren 2009, als die Wirtschaftskrise so hoch war, dass wir wieder auf ein normales Maß – das nennt man international Exit-Strategie – zurückführen. Wir haben im Übrigen die Sozialleistungen genau darüber geprüft, darauf überprüft, darauf haben wir die meiste Zeit verwandt, dass wir sie so anlegen, dass sie die Bereitschaft und die Fähigkeit der Menschen, reguläre Arbeit anzustreben, fördern. Wir haben ja eine günstige Entwicklung am Arbeitsmarkt, das macht uns die Entscheidungen auch leichter. Die Arbeitslosigkeit ist viel weniger angestiegen in der Folge der Wirtschaftskrise, als man befürchten musste, und im Ausland spricht man ja schon von einem Jobwunder in Deutschland. Das heißt, unser Ziel ist, alle Menschen, die dazu in der Lage sind, in reguläre Arbeit zu bringen. Darauf konzentrieren wir uns, und deswegen geht es nicht um Opfer – ich muss das jetzt noch einmal sagen –, sondern es geht einfach darum, dass wir unser Wirtschafts- und Sozialsystem langfristig stabil machen und dass wir unsere Währung langfristig sichern. Das ist genau das, was die Bevölkerung von uns zu Recht erwartet, und dem versuchen wir, gerecht zu werden.

    Barenberg: Die Kritik, die harte Kritik der Opposition, der Gewerkschaften, der Sozialverbände, also nichts als ein Pawlow'scher Reflex ohne Substanz?

    Schäuble: Nein, natürlich nicht. Die Kritik gehört zur parlamentarischen Demokratie. Jede Entscheidung hat Vor- und Nachteile. Wir bekommen genauso viel Kritik von den Luftverkehrsgesellschaften. Wir haben ja sehr ausgewogen gesagt, wir müssen den zu hohen Verbrauch von Energie stärker in den Fokus nehmen. Das wird natürlich von der Opposition nicht so kritisiert, weil sie es auch gefordert hat, weil sie gar nicht geglaubt hat, dass wir das, was Rot-Grün schon immer gefordert, aber nie durchgesetzt hat, jetzt verwirklichen. Wir führen eine Abgabe für den Luftverkehr ein, wir machen Ernst mit der Reduzierung wirtschaftlich nicht begründeter Ausnahmen von der Energiebesteuerung und Ähnliches mehr. Wir haben das sehr ehrgeizige Ziel, dass wir den Finanzsektor, die Banken stärker mit Steuern belasten. Das wird international von allen gefordert, das hat auch die Opposition immer gefordert, davon redet sie jetzt nicht. Wir haben es jetzt gesagt, es muss jetzt geschehen. Wenn wir es weltweit nicht zustande bringen – und wahrscheinlich gibt es ja weltweit keine Vereinbarung, das hat sich ja vergangene Woche beim Finanzministertreffen in Korea gezeigt –, dann sind wir entschlossen, das europäisch durchzusetzen. Das wird noch viel Arbeit erfordern, ich bin ganz entschlossen, das auch zu tun.

    Barenberg: Herr Schäuble, der Ministerpräsident des Saarlandes, Peter Müller, Ihr Parteifreund, empfiehlt, noch einmal über eine Anhebung des Spitzensteuersatzes zu sprechen. Sind Sie da gesprächsbereit?

    Schäuble: Da soll er doch mal in seiner eigenen Koalition eine Vereinbarung darüber erzielen, dann können wir das sicherlich, werden wir sicherlich darüber, worauf sich Herr Müller mit seinen Koalitionspartnern in Saarbrücken einigt, werden wir es ganz gerne auch in der Bundesregierung darüber reden. Es ist ja wahr, wir sind eine Koalition aus zwei Partnern, CDU/CSU und FDP. Wir haben teilweise unterschiedliche Vorstellungen, wir sind ja nicht dieselben Parteien. Wenn man gemeinsam regieren will – und so haben es die Wähler entschieden –, muss man sich auch auf gemeinsame Positionen verständigen. Aber wenn man sich dann darauf verständigt hat, dann muss man es auch nicht hinterher kritisieren, sondern muss es gemeinsam vertreten.

    Barenberg: Vieles an dem Sparpaket wird also noch zu diskutieren sein, ist noch nicht unter Dach und Fach. Stattdessen wird der Ton zwischen FDP und CSU im Streit um die Gesundheitspolitik immer schriller. Zusammen mitgenommen mit der Kritik am Sparpaket, kann die Koalition jetzt ihren lädierten Ruf auf diese Weise retten?

    Schäuble: Ich hoffe schon. Wir haben gesagt, dass wir gute Entscheidungen zustande bringen. Manche reden, manche geben Interviews und halten Reden, von denen ich mir auch wünschen würde, sie würden sie nicht halten, weil sie uns ja in der Sache nicht voranbringen. Wir haben einen schwierigen Weg vor uns, auch die langfristige Sicherung der hohen Leistungsfähigkeit unseres Gesundheitswesens, das immer mehr Geld kostet, das ist gar keine Frage. Die Menschen werden älter, unsere Bevölkerungsstruktur, die Altersstruktur ändert sich, ältere Menschen brauchen mehr medizinische Leistungen. Der medizinische Fortschritt ist toll, aber er kostet viel Geld, und das muss so finanziert werden, dass jeder, auch die Einkommensschwächeren, den Zugang zur bestmöglichen medizinischen Versorgung hat, wenn er denn krank ist. Das ist eine große Herausforderung, auch der stellen wir uns. Aber mit gegenseitiger Beschimpfung ist das Problem in der Tat nicht zu lösen. Wir haben so viel zu tun, dass wir uns alle auf unsere Arbeit konzentrieren sollten, und dann müssen wir natürlich bereit sein, das auch gegenüber kritischen Einwänden und Fragen der Öffentlichkeit, der Betroffenen, auch der Opposition zu erklären, vielleicht auch aus Kritik zu lernen, das ist ja auch gar keine Schande. Aber in der grundsätzlichen Richtung, denke ich, ist das, was wir am Wochenende erarbeitet und gestern beschlossen haben schon verantwortbar.

    Barenberg: Wolfgang Schäuble, der Finanzminister der Bundesregierung. Danke für das Gespräch, Herr Schäuble!

    Schäuble: Bitte sehr, Wiederhören, Herr Barenberg!

    Barenberg: Wiederhören!