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Wir haben "hessische Verhältnisse" bekommen

Hannelore Kraft soll die Initiative ergreifen und eruieren, ob eine Regierungsbildung mit Rot-Rot-Grün möglich ist, sagt der Politikwissenschaftler Wichard Woyke. Die SPD-Politikerin müsse diesen Versuch unternehmen, denn in einer Großen Koalition stünde ihr das Ministerpräsidentinnenamt durch den geringen Vorsprung der CDU nicht zu.

Wichard Woyke im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dirk Müller: Wer hat denn nun gewonnen in Nordrhein-Westfalen? Die Grünen auf jeden Fall, mit dem besten Ergebnis aller Zeiten bei einer Landtagswahl, und auch die Linken, auch auf jeden Fall, weil sie zum ersten Mal in Düsseldorf mit von der Partie sein werden. Aber wirklich auch die SPD? Die Sozialdemokraten haben noch einmal um mehr als zwei Prozent abgegeben, aber sie haben eben weniger verloren als die CDU, und im Vergleich zur Bundestagswahl dann auch noch irgendwie gewonnen.

    Das Problem nun: Rot-Grün klappt nicht, wegen der Mehrheitsverhältnisse, Schwarz-Grün klappt auch nicht. Patt in Nordrhein-Westfalen.

    Eine große Schlappe für die CDU, für Jürgen Rüttgers, aber auch für die Kanzlerin. Minus zehn Prozent im wichtigsten Bundesland, das muss sehr schmerzen. Das gilt aber auch für die FDP, denn das Wahlziel der Liberalen war definiert mit 10 + X. Herausgekommen sind rund 6,5 Prozent, mehr also als nur eine Ohrfeige für den Parteichef, für Guido Westerwelle. Ein Rückschlag insgesamt für die schwarz-gelbe Bundesregierung.

    Über das Wahlergebnis und die Folgen in Düsseldorf wollen wir nun reden mit dem Münsteraner Parteienexperten und Politikwissenschaftler Professor Wichard Woyke. Guten Tag!

    Wichard Woyke: Guten Tag, Herr Müller.

    Müller: Was soll Hannelore Kraft denn jetzt machen?

    Woyke: Hannelore Kraft soll die Initiative ergreifen und eruieren, ob eine Regierungsbildung möglich ist, und zwar mit Rot-Rot-Grün. Daran wird man nicht vorbei kommen. Das heißt natürlich, dass erhebliche Abstriche gemacht werden müssen, insbesondere von der Linken, von dem Programm, wenn man mitregieren will. Und Hannelore Kraft soll, wenn sie verhandelt, auch immer im Hinterkopf haben – und das wird sie auch -, dass es ja als Alternative, falls es nicht zu dieser Bildung dieser Regierung kommen wird, eben auch noch eine Große Koalition gibt.

    Müller: Dann sehen Sie das so wie Bodo Ramelow, der Tauglichkeitstest für die Linken, mit Blick auf die Linken, der muss jetzt her?

    Woyke: Ob er jetzt unbedingt her muss, das ist noch eine andere Frage, aber zumindest ist es der Versuch, der gemacht werden soll. Frau Kraft hat sich ja im Wahlkampf immer sehr bedeckt gehalten. Sie hat immer gesagt, dass derzeit Die Linke nicht regierungstauglich wäre und dass sie keine Koalition mit der Linken will. Nun ist allerdings die Situation so gekommen, wie man das befürchten musste, dass wir hessische Verhältnisse eben bekamen, aber Frau Kraft war klug genug, eben zu sagen, um nicht in hessische Verhältnisse zu kommen, hat sie sich immer eine Hintertür offen gehalten. Es wird jetzt aber darauf ankommen, eben zu schauen, ob es hier tatsächlich eine Möglichkeit zur Regierungsbildung gibt. Frau Kraft wird das schon versuchen, denn nur in solch einer Koalition hätte sie meines Erachtens die Möglichkeit, Ministerpräsidentin zu werden, während ja in einer Großen Koalition die CDU mit 34,6 und die SPD mit 34,5 ganz sicherlich die CDU das Ministerpräsidentenamt beanspruchen würde.

    Müller: Wenn denn, wie viele Parteien gesagt haben, Herr Woyke, dass die Linken derzeit – das haben Sie eben auch erwähnt – nicht regierungsfähig sind, dann wären Sie bereit, die Linken zu coachen, damit das in wenigen Tagen klappt?

    Woyke: Ich? – Nein. Ich glaube, das könnte ich gar nicht. Das kann man nicht in wenigen Tagen, sondern das wird verhandelt werden müssen, was für ein Regierungsprogramm aufgestellt werden wird, wie die Linken bereit sind, auf bestimmte Positionen, die sie im Wahlkampf vertreten haben, zu verzichten und wo Schnittpunkte sind zwischen SPD, Grünen und Linken. Das wird sicherlich ein umfangreicher Verhandlungsprozess sein und vor allen Dingen – und das können wir heute noch gar nicht übersehen – wird es ja auch innerparteilich innerhalb der Linken dann schon Auseinandersetzungen geben, wie weit Zugeständnisse seitens der Linken an die anderen Parteien gemacht werden können, damit man an der Regierungsbildung beteiligt wird.

    Müller: Sind die Linken in Nordrhein-Westfalen denn bislang besonders links?

    Woyke: Sie sind zumindest in der Öffentlichkeit als sehr dispers aufgetreten. Das heißt, sie haben sehr unterschiedliche Linke. Ich kenne jetzt noch nicht die Zusammensetzung der Fraktion und kann von daher noch keine Aussage darüber machen, wie die Fraktion sich verhalten wird. Aber es ist schon so, dass sie sehr unterschiedlich gestrickt sind, und es gab schon extrem Linke, aber es gab eben auch welche, die nicht diese radikalen Positionen so getragen haben. Aber ganz generell kann schon gesagt werden, dass der Landesverband der Linken in Nordrhein-Westfalen – und das ist vielleicht etwas auf den ersten Blick erstaunlich – doch nicht so links ist, wie die pragmatische Linke mittlerweile in den neuen Bundesländern in manchen Ländern dort ist.

    Müller: Warum, Herr Woyke, halten Sie eine Große Koalition – das war die erste Option, die unsere Landeskorrespondentin Barbara Schmidt-Mattern eben genannt hat, aus den Gesprächen und Erfahrungen, die sie im Moment in Düsseldorf gezogen hat -, warum schließen Sie diese Option als schlechtere zunächst einmal aus?

    Woyke: Ich schließe sie nicht als schlechtere aus, sondern ich schließe sie als erste Option deshalb aus, weil Frau Kraft sich das Zugriffsrecht vorhalten will und weil – Gabriel hatte das heute in einer Pressekonferenz ja auch gesagt – sie Ministerpräsidentin werden soll. Ministerpräsidentin kann sie nicht werden in einer Großen Koalition.

    Müller: Gerhard Schröder wollte auch mal Kanzler bleiben, da hat er auch verloren. Hannelore Kraft hat gegenüber der CDU verloren. Warum will man dann Ministerpräsident werden?

    Woyke: Na ja, gut. Das sind symbolische Bereiche von einem Zehntel, die aber eben ausschlaggebend sind. – Nein, weil die SPD sich ja insgesamt als ein gefühlter Sieger dieser Wahl sieht, weil sie verschiedene Wahlziele eben erreicht hat, und weil in einer Koalition aus SPD, Grünen und Linken eine Majorität im Landtag entstehen könnte. Das ist der Punkt dabei und ich kann mir nicht vorstellen, dass Frau Kraft in einer Großen Koalition - unter wer auch immer Ministerpräsident seitens der CDU würde - arbeiten wollte, wenn sie solch eine Alternativmöglichkeit hat, die sie ja als erstes ausloten wird.

    Müller: Wir müssen, Herr Woyke, noch über eine dritte Option reden, die vielleicht gar keine ist: Die Ampel-Koalition wird jetzt wieder diskutiert. Rein rechnerisch wäre das gar kein Problem. Warum sperren sich die Protagonisten gegen Ampel?

    Woyke: Na ja, Ampel könnte durchaus sein. Nur angesichts der Differenzen, die bestehen zwischen Grünen und FDP in diesem Land, kann ich mir schlecht vorstellen, dass man hier zu einem gemeinsamen Regierungsprogramm kommen könnte. Auch auf der personellen Schiene – die muss ja auch irgendwie stimmen – scheint das in Nordrhein-Westfalen auch etwas schwieriger zu sein. Von daher sehe ich in dieser Alternative nur eine rein rechnerische zurzeit. Wir wissen nicht, wie es laufen wird, und vielleicht könnte die Situation tatsächlich kommen, dass sich die beiden anderen Optionen als so schwierig erweisen, dass dann noch mal ernsthaft darüber nachgedacht wird, auch insbesondere von Grünen und FDP, ob nicht solch eine Ampel-Koalition möglich wäre.

    Müller: Aber wir können das so festhalten: die Grünen sind den Linken näher als der FDP?

    Woyke: Das würde ich durchaus so sehen.

    Müller: Bei uns im Deutschlandfunk der Münsteraner Parteienexperte und Politikwissenschaftler Professor Wichard Woyke. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Woyke: Gerne.