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"Wir haben in der EU verfehlte Strukturen"

Lüder Gerken vom Centrum für Europäische Politik in Freiburg kritisiert, dass es der Europäischen Kommission nicht gelungen sein, die Mitgliedsstaaten zu einem konzertierten Vorgehen gegen die Finanz- und Wirtschaftskrise zu veranlassen. Die Kommission habe nur die größten Auswüchse protektionistischer Ansinnen eingedämmt, sagte der Wirtschaftswissenschaftler.

Lüder Gerken im Gespräch mit Gerd Breker |
    Gerd Breker: In Europa sind im Lichte der Weltwirtschaftskrise Hoffnungsschimmer derzeit Mangelware. EZB-Notenbanker Ewald Nowotny sieht zwar grüne Triebe, doch keine Wachstumsraten im laufenden Jahr. Die schwerste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg wird Europas Wirtschaft nach einer Prognose der Europäischen Kommission bis Mitte 2010 fest im Griff behalten. Im Vorfeld der Europawahl stellt sich nun die Frage, inwieweit die Europäische Union die Krise als Chance genutzt hat, oder hat sie möglicherweise versagt. - Am Telefon bin ich nun verbunden mit Lüder Gerken, Direktor des Centrums für Europäische Politik, ein Wirtschaftswissenschaftler mit dem Schwerpunkt internationale Ordnungspolitik. Guten Tag, Herr Gerken.

    Lüder Gerken: Guten Tag, Herr Breker.

    Breker: Herr Gerken, zunächst eine Frage an den Ordnungspolitiker. Die unregulierten Finanzmärkte, sie haben die Krise herbeigeführt. Der Staat musste eingreifen. Ganz so frei kann die Marktwirtschaft nicht bleiben. Das muss auch der Ordnungspolitiker eingestehen?

    Gerken: Auch ein Ordnungspolitiker wendet sich nicht gegen jede Regulierung. Es ist unstreitig, dass auch im Bereich der Finanzmärkte ein Regulierungsschema erforderlich ist. Nur das war, wie wir jetzt erst gemerkt haben, nicht ausreichend und muss nachgebessert beziehungsweise teilweise neu konstruiert werden.

    Breker: Die Finanzkrise wurde zur Wirtschaftskrise. Die reale Wirtschaft, sie wurde erreicht. Dabei hat es ordnungspolitisch jede Menge Sündenfälle gegeben. Welche sind aus Ihrer Sicht eigentlich die nachhaltig schädlichsten?

    Gerken: Wir müssen ganz klar feststellen, dass die Finanzkrise zu einem Gutteil auch dadurch bedingt ist, dass die Politik in den vergangenen Jahren, zumal in den USA, eine falsche Politik getrieben hat, nämlich eine Niedrigzinspolitik, was zu einem großen Teil mitverantwortlich ist für die Krise. Jetzt will man nachbessern. Wir haben in der Tat eine Systemkrise, wo Not am Manne ist, wo dringend eingegriffen werden muss. Das kulminiert am Beispiel der Bad Bank. Ordnungspolitisch ist es sicherlich verfehlt zu sagen, schlechte Risiken werden den Banken durch den Staat abgenommen. Nur, in der jetzigen Situation wird gar kein Weg darum herumführen. Ich denke, das was Herr Steinbrück heute verschicken will als Modell für eine Bad Bank, ist nicht so ganz falsch. Kern dieses Modells von ihm ist ja, dass die Haftung grundsätzlich bei der Bank bleibt und nicht beim Steuerzahler.

    Breker: Ohne Bad Banks wird die Finanzwirtschaft nicht mehr funktionieren, und ohne funktionierende Finanzwirtschaft wird die reale Wirtschaft keinen Aufschwung nehmen können. Sehen Sie das auch so?

    Gerken: Das ist leider so, ja.

    Breker: Der Internationale Währungsfonds hat dieser Tage insbesondere Europa kritisiert, weil eben halt innerhalb der Europäischen Union die Konjunkturprogramme der einzelnen Regierungen nicht aufeinander abgestimmt seien. Dadurch verlören sie an Effizienz. Ist das eine Kritik, die Sie teilen können?

    Gerken: Auch das ist richtig. Die Europäische Kommission war leider nicht stark genug, die Mitgliedsstaaten zu einem konzertierten Vorgehen zu veranlassen.

    Breker: Das heißt, Europa hat in der Krise versagt?

    Gerken: Ich will nicht sagen, dass Europa versagt hätte. Wir haben in der Europäischen Union bedauerlicherweise verfehlte Strukturen. In den Bereichen, wo Europa wirklich gefordert ist, wo wir ein Handeln der Europäischen Union benötigen würden, ist die Macht zuwenig ausreichend. In anderen Bereichen regiert Europa zu weit in die Mitgliedsstaaten hinein. Wir haben ganz starke Verwerfungen und Verzerrungen hier.

    Breker: Lässt sich denn an irgendeiner Stelle, Herr Gerken, festmachen, wo die Europäische Union etwas geleistet hat im Kampf gegen die Krise?

    Gerken: Man hat ja versucht, die Konjunkturprogramme aufeinander abzustimmen. Marginal ist das gelungen, indem die größten Auswüchse protektionistischer Ansinnen von der Europäischen Kommission zumindest eingedämmt wurden. Ich hätte mir aber hier eine sehr viel stärkere Vorgehensweise gewünscht. Wir haben in Deutschland vor einigen Wochen ja sehr kontrovers diskutiert, dass Sarkozy in Frankreich ein Konjunkturprogramm für die französische Automobilindustrie fahren wollte, was hier zu großer Aufregung in Deutschland geführt hat. Die Deutschen machen letztlich nichts anderes mit ihrem gigantischen Kreditprogramm für den Mittelstand. Der italienische Landwirtschaftsminister hat kürzlich gefordert: Kauft nur noch italienische Produkte. Wir haben überall Protektionismus in der Krise, zumindest den Versuch, die heimischen Märkte in der Tendenz abzuschotten, und hier wäre ein deutlich prononcierteres Auftreten der Europäischen Kommission sicherlich nötig gewesen.

    Breker: Deutschland ist beziehungsweise Deutschland war ja der Exportweltmeister. Wie kaum ein anderes Land ist Deutschland angewiesen auf Exporte. Das bedeutet in der Krise, dass es der deutschen Industrie nur dann wieder gut gehen kann, wenn es den anderen gut geht, wenn die anderen genügend Geld haben, um deutsche Güter zu kaufen. Welche Auswirkungen hat das?

    Gerken: Vollkommen richtig. Deutschland ist sehr stark exportorientiert. Das heißt, wir brauchen freie Weltmärkte, was natürlich im Umkehrschluss auch bedeutet, dass die deutschen Märkte offen sein müssen für ausländische Güter.

    Breker: Herr Gerken, am Sonntag werden Sie den tschechischen Präsidenten Vaclav Klaus mit dem Hayek-Preis auszeichnen. Klaus ist ein ausgewiesener Europakritiker. Soll das auch ein Signal gegen die Europäische Union sein?

    Gerken: Die Hayek-Stiftung zeichnet ihn aus. Seine Haltung zur EU war nicht Gegenstand der Entscheidung. Ausgezeichnet wird er für sein leidenschaftliches Engagement für die individuelle Freiheit und die Marktwirtschaft im Sinne von Hayek, übrigens seit seiner Jugend in der sozialistischen CSSR.