Wiese: Am Telefon begrüße ich jetzt Bettina Thalmaier, sie ist Europa-Expertin am Zentrum für angewandte Politikforschung in München. Guten Tag.
Thalmaier: Guten Tag.
Wiese: Frau Thalmaier, ist es nicht eine schwere Hypothek für die Verfassung, dass sie in Deutschland fast niemand wirklich kennt?
Thalmaier: Das mit Sicherheit. Aber das liegt nun mal daran, dass kein Referendum durchgeführt worden ist und so von Seiten der Politik es offensichtlich auch nicht für nötig empfunden worden ist, dem Bürger das zu vermitteln. Die Bundesregierung hat nur eine sehr spät und - wie ich finde - sehr spärliche Informations-Kampagne gestartet, so dass es zum wiederholten Male versäumt worden ist, den Bürger jetzt aufzuklären, was es an Neuregelungen gibt und was Europa für den Bürger bringt.
Wiese: Ist das nicht ein demokratisches Defizit dann?
Thalmaier: Mit Sicherheit. Sie sprechen da die fehlende sowohl europäische Öffentlichkeit - also europaweit - zwischen den Bürgern als auch unter den Bürgern an. Aber das andere ist ja, inwieweit dieser Verfassungsvertrag demokratisch ist oder mehr demokratische Regelungen einführt. Und da sind ja durchaus deutliche Schritte zu erwarten.
Wiese: Genau das, Frau Thalmaier, ist ja umstritten. "Wer mehr Demokratie will, muss für die Verfassung stimmen", sagte der Bundeskanzler. Andererseits kritisieren doch diejenigen, die die Verfassung ablehnen, dass demokratische Rechte - etwa des Bundestages - verloren gehen, weil sie an die EU-Kommission und nicht etwa ans EU-Parlament abgegeben würden. Wer hat denn nun Recht?
Thalmaier: Es kommt auf die Perspektive an. Natürlich sind in Deutschland Forderungen nach einer stärkeren Parlamentarisierung sehr weit verbreitet, sprich das Europäische Parlament soll mehr Rechte bekommen. Das bekommt es durch den Verfassungsvertrag. Der Unterschied aber zu nationalen Vorstellungen ist, dass das Europäische Parlament kein Initiativrecht hat. Das resultiert aus der Konstruktion der Europäischen Union. Was man allerdings denen, die das kritisieren, entgegenhalten muss, ist hier ein falsches Verständnis. Das Bundesverfassungsgericht, das ja nicht unbedingt sehr integrationsfreundlich in seiner Gesamtheit ist, würde es als Demokratiedefizit verschärfend ansehen, wenn das Europäische Parlament ein Initiativrecht bekäme. Eine kurze Erklärung dazu: Der Grund ist schlichtweg, wir haben kein europäisches Volk, daraus resultiert die mangelnde Repräsentationsfunktion des Europäischen Parlaments und deshalb kann hier auch kein Initiativrecht gegeben werden.
Wiese: Wir haben kein europäisches Volk, heißt es da. Das wird ja schon dadurch deutlich, dass in den verschiedenen europäischen Staaten der EU ganz unterschiedliche Maßnamen zur Verfassung ergriffen werden. Bei uns wird ratifiziert, bei den Franzosen gibt es ein Referendum. Der Ausgang dieses Referendums ist alles andere als sicher am 29. Mai. Frau Thalmaier, welches Signal ginge denn von einer positiven deutschen Entscheidung aus - und damit ist ja zu rechnen - für die Franzosen?
Thalmaier: Mit Sicherheit, denke ich, ein positives Signal. Es sind ja auch wirklich sehr viel mehr - im Gegensatz sozusagen zu Deutschland selbst - sind ja sehr viele Parlamentarier aus Deutschland, sei es jetzt aus dem Bundestag oder aus dem Europäischen Parlament, in Frankreich unterwegs und werben für die Europäische Verfassung, um die Franzosen zu überzeugen. Offensichtlich wird es auch nicht als Einwirkung empfunden von Seiten der Franzosen, so dass mit ein positives Signal dann auch wirklich ankommt.
Wiese: Positives Signal heißt aber auch immer noch nicht, dass die Franzosen dann auch positiv abstimmen werden. Wenn sie es nicht tun sollten, wenn sie die Verfassung ablehnen sollten, was hieße das dann politisch? Wäre die Verfassung damit gestorben?
Thalmaier: Das wird natürlich oft vertreten. Ich denke aber, dass es entscheidend darauf ankommt, wie sowohl die Ratspräsidentschaft als auch die Regierungschefs schlichtweg dann handeln werden. Es ist nicht so, dass es einen automatischen Tod bedeutet, sondern entscheidend ist, wie geht man damit um. Sprich, die Staats- und Regierungschefs müssten erklären, dass eben der Ratifikationsprozess fortgesetzt wird. Es ist auch an sich in einer Erklärung zur Verfassung so vorgesehen, dass die Staats- und Regierungschefs Ende des Jahres 2006 quasi Bilanz beziehen, schauen, wie viele haben zu, wie viele haben gegebenenfalls nicht zu gestimmt, um dann weitere Entscheidungen zu treffen. Aber mit Sicherheit muss natürlich im Hinblick auf die nächsten Referenden, die ja auch anstehen - in den Niederlanden drei Tage später - das Signal ausgehen, dass man den Prozess fortsetzt, um natürlich auch die EU als handlungsfähig zu zeigen.
Wiese: Ich danke Ihnen. Das war die Europa-Expertin Bettina Thalmaier.
Thalmaier: Guten Tag.
Wiese: Frau Thalmaier, ist es nicht eine schwere Hypothek für die Verfassung, dass sie in Deutschland fast niemand wirklich kennt?
Thalmaier: Das mit Sicherheit. Aber das liegt nun mal daran, dass kein Referendum durchgeführt worden ist und so von Seiten der Politik es offensichtlich auch nicht für nötig empfunden worden ist, dem Bürger das zu vermitteln. Die Bundesregierung hat nur eine sehr spät und - wie ich finde - sehr spärliche Informations-Kampagne gestartet, so dass es zum wiederholten Male versäumt worden ist, den Bürger jetzt aufzuklären, was es an Neuregelungen gibt und was Europa für den Bürger bringt.
Wiese: Ist das nicht ein demokratisches Defizit dann?
Thalmaier: Mit Sicherheit. Sie sprechen da die fehlende sowohl europäische Öffentlichkeit - also europaweit - zwischen den Bürgern als auch unter den Bürgern an. Aber das andere ist ja, inwieweit dieser Verfassungsvertrag demokratisch ist oder mehr demokratische Regelungen einführt. Und da sind ja durchaus deutliche Schritte zu erwarten.
Wiese: Genau das, Frau Thalmaier, ist ja umstritten. "Wer mehr Demokratie will, muss für die Verfassung stimmen", sagte der Bundeskanzler. Andererseits kritisieren doch diejenigen, die die Verfassung ablehnen, dass demokratische Rechte - etwa des Bundestages - verloren gehen, weil sie an die EU-Kommission und nicht etwa ans EU-Parlament abgegeben würden. Wer hat denn nun Recht?
Thalmaier: Es kommt auf die Perspektive an. Natürlich sind in Deutschland Forderungen nach einer stärkeren Parlamentarisierung sehr weit verbreitet, sprich das Europäische Parlament soll mehr Rechte bekommen. Das bekommt es durch den Verfassungsvertrag. Der Unterschied aber zu nationalen Vorstellungen ist, dass das Europäische Parlament kein Initiativrecht hat. Das resultiert aus der Konstruktion der Europäischen Union. Was man allerdings denen, die das kritisieren, entgegenhalten muss, ist hier ein falsches Verständnis. Das Bundesverfassungsgericht, das ja nicht unbedingt sehr integrationsfreundlich in seiner Gesamtheit ist, würde es als Demokratiedefizit verschärfend ansehen, wenn das Europäische Parlament ein Initiativrecht bekäme. Eine kurze Erklärung dazu: Der Grund ist schlichtweg, wir haben kein europäisches Volk, daraus resultiert die mangelnde Repräsentationsfunktion des Europäischen Parlaments und deshalb kann hier auch kein Initiativrecht gegeben werden.
Wiese: Wir haben kein europäisches Volk, heißt es da. Das wird ja schon dadurch deutlich, dass in den verschiedenen europäischen Staaten der EU ganz unterschiedliche Maßnamen zur Verfassung ergriffen werden. Bei uns wird ratifiziert, bei den Franzosen gibt es ein Referendum. Der Ausgang dieses Referendums ist alles andere als sicher am 29. Mai. Frau Thalmaier, welches Signal ginge denn von einer positiven deutschen Entscheidung aus - und damit ist ja zu rechnen - für die Franzosen?
Thalmaier: Mit Sicherheit, denke ich, ein positives Signal. Es sind ja auch wirklich sehr viel mehr - im Gegensatz sozusagen zu Deutschland selbst - sind ja sehr viele Parlamentarier aus Deutschland, sei es jetzt aus dem Bundestag oder aus dem Europäischen Parlament, in Frankreich unterwegs und werben für die Europäische Verfassung, um die Franzosen zu überzeugen. Offensichtlich wird es auch nicht als Einwirkung empfunden von Seiten der Franzosen, so dass mit ein positives Signal dann auch wirklich ankommt.
Wiese: Positives Signal heißt aber auch immer noch nicht, dass die Franzosen dann auch positiv abstimmen werden. Wenn sie es nicht tun sollten, wenn sie die Verfassung ablehnen sollten, was hieße das dann politisch? Wäre die Verfassung damit gestorben?
Thalmaier: Das wird natürlich oft vertreten. Ich denke aber, dass es entscheidend darauf ankommt, wie sowohl die Ratspräsidentschaft als auch die Regierungschefs schlichtweg dann handeln werden. Es ist nicht so, dass es einen automatischen Tod bedeutet, sondern entscheidend ist, wie geht man damit um. Sprich, die Staats- und Regierungschefs müssten erklären, dass eben der Ratifikationsprozess fortgesetzt wird. Es ist auch an sich in einer Erklärung zur Verfassung so vorgesehen, dass die Staats- und Regierungschefs Ende des Jahres 2006 quasi Bilanz beziehen, schauen, wie viele haben zu, wie viele haben gegebenenfalls nicht zu gestimmt, um dann weitere Entscheidungen zu treffen. Aber mit Sicherheit muss natürlich im Hinblick auf die nächsten Referenden, die ja auch anstehen - in den Niederlanden drei Tage später - das Signal ausgehen, dass man den Prozess fortsetzt, um natürlich auch die EU als handlungsfähig zu zeigen.
Wiese: Ich danke Ihnen. Das war die Europa-Expertin Bettina Thalmaier.