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"Wir haben keinen Platz für Rechtsextremismus"

Nach dem mutmaßlichen Übergriff von Neonazis auf eine 17-Jährige hat Sachsens Justizminister Geert Mackenroth betont, Probleme wie Rechtsextremismus und Gewalt könne keiner alleine lösen. Er forderte ein Netzwerk von Fachleuten, die über die Möglichkeiten gegen rechtsextreme Gewalt vorzugehen, gezielt informierten. Der CDU-Politiker sagte, es handele sich nicht um ein ausschließlich ostdeutsches Problem.

Moderation: Elke Durak |
    Elke Durak: Ein mutmaßlicher Übergriff von Neonazis auf eine 17-Jährige im sächsischen Mittweida hat Sachsens Justizminister Gerhard Mackenroth veranlasst, die Bürger seines Bundeslandes zu ermutigen, Zivilcourage zu zeigen. Die Ermittlungen im Fall Mittweida laufen noch, deshalb muss man von "mutmaßlich" sprechen. So ist aber die Ausgangslage gewesen. Die 17-Jährige hatte nämlich tagelang Angst und erst jetzt Anzeige erstattet. Anfang November hatte sie einem sechsjährigen Mädchen helfen wollen, das vor einem Supermarkt von vier jungen Männern bedrängt worden war. Die hätten sich dann die 17-Jährige vorgenommen, ihr in die Hüfte ein Hakenkreuz geritzt, wollen ihr ins Gesicht eine Rune schneiden, sie konnte sich aber befreien, ohne Hilfe von außen. Am Telefon ist Sachsens Justizminister. Guten Morgen, Herr Mackenroth!

    Geert Mackenroth: Guten Morgen!

    Durak: In laufende Ermittlungen dürfen Sie sich nicht einmischen, deshalb nur die Frage zum konkreten Fall: Haben sich denn unterdessen Zeugen gemeldet?

    Mackenroth: Na ja, also die Polizei macht ihre Arbeit professionell wie immer, und das ist auch richtig so. Zunächst mal: Wir sind natürlich alle, der Innenminister wie der Justizminister, wütend und empört darüber, dass wieder so ein Verdacht auf eine sächsische Stadt gefallen ist. Wenn der Sachverhalt sich denn so herausstellt, wie Sie ihn eben berichtet haben, wäre es erneut eine ganz üble Geschichte. Die Staatsregierung jedenfalls tut alles, um mit Nachdruck diesen Vorfall aufzuklären und zunächst mal Tatsachengrundlagen zu schaffen.

    Durak: Haben sich Zeugen gemeldet?

    Mackenroth: Es gibt erste Anhaltspunkte, dass die Polizei mithilfe dieser beiden Phantombilder erste Spuren hat, genaue Ergebnisse werden wir jetzt hier nicht verraten dürfen.

    Durak: Hm. Es ist ja im Gespräch, dass die junge Frau eigentlich Leute gesehen haben will auf dem Balkon oder sonst irgendwo, vor dem Supermarkt, und sie hat keine Hilfe bekommen. Aber sie hat sich gewehrt. Sie hat eingegriffen, als vier Männer ein sechsjähriges Mädchen angegriffen haben. War die 17-Jährige mutig?

    Mackenroth: Ja! Sie war, wenn das alles so richtig ist, hat sie vorbildlich gehandelt, hat das gezeigt, was wir eigentlich immer einfordern, nämlich gesamtgesellschaftliches Engagement, weg von dieser Unkultur des Nicht-hinsehen-Wollens. Sie hat appelliert, vielleicht nicht ausreichend genug Öffentlichkeit hergestellt, aber sie hat jedenfalls etwas getan. Wenn das, wie gesagt, so richtig ist, wenn sich das bestätigt, ist das genau die Richtung, in die wir marschieren müssen, zu glauben, irgendjemand könne allein dieses Problem von Rechtsextremismus und Gewalt lösen, Polizei, Justiz, Jugendamt, Bürgermeister, Freie Turnvereine oder sonst irgendwas ist völlig illusorisch. Wir brauchen den gesamtgesellschaftlichen Schulterschluss, und wir haben Beobachtungsposten in Höhe von oder in Zahl von 85 Millionen in der Bundesrepublik Deutschland. Jeder Einzelne ist gefordert, bei solchen Dingen einzuschreiten.

    Durak: Die junge Frau hat Leib und Leben riskiert. Verstehen Sie das unter Zivilcourage?

    Mackenroth: Also Zivilcourage darf nicht zum Leichtsinn mutieren, das ist ja völlig klar. Aber auch da gibt es natürlich Verhaltensmaßregeln, die man antrainieren kann. Man kann sich von vornherein mit einer solchen Situation beschäftigen. Man kann in der Theorie überlegen, was tue ich eigentlich in einer solchen Situation. Auch da gibt es professionellen Rat, und man soll, wie gesagt, nicht zum Leichtsinn übergehen, aber man soll Flagge zeigen, man soll Gesicht zeigen, und man soll sagen, mit mir nicht, in meiner Stadt nicht, in meinem Land nicht. Wir haben keinen Platz für Rechtsextremismus und Gewalt.

    Durak: Gebe es nicht den ersten Schritt vor dem zweiten? Der zweite ist dann, dass 85 Millionen zu einem Selbstverteidigungskurs gehen, dass die 85 Millionen im Kopf gerade gerückt werden?

    Mackenroth: Ich glaube, wir haben schon vieles im Kopf grade gerückt. Wenn es ein Patentrezept gegen Extremismus und Gewalt gibt, dann schreibe ich gerne mit und schreibe mir das gerne auf. Das gibt es aber natürlich nicht. Wir können nichts anderes tun, als appellieren, als Vorbilder herausstellen, als jedenfalls unsere Leute sozusagen fit zu machen. Allerdings sind sie ja nicht alleine, wir haben professionelle Hilfe, und es gibt Tausende von Möglichkeiten. Wir machen uns in Sachsen grade auf einen solchen Weg, die Dinge zu professionalisieren und auf reite, gesellschaftliche Füße zu stellen. Es soll eigentlich gar nicht keine richtige Ausnahme mehr sein, sondern es soll der Regelfall werden, dass wir uns zusammenschließen gegen diese Form von Gewalt und Fremdenfeindlichkeit und Hass, die wir in unserem Gemeinwesen eben alle nicht haben wollen.

    Durak: Welchen Weg genau beschreiten Sie jetzt in Sachsen?

    Mackenroth: Wir reden ja immer sehr viel vom Aufstand der Anständigen oder von der Empörung der Gutmenschen. Betroffenheit ist richtig, aber sie hilft natürlich nicht alleine. Ich möchte gerne, dass wir die Betroffenheit weiter entwickeln zu einem Netzwerk der Fachleute, vielleicht zu einer Koalition der Profis. Das klingt gut, wie kann das aussehen.

    Wir haben vor wenigen Tagen in einer ganztätigen, großen Veranstaltung tausend Multiplikatoren zusammengezogen, 300 Bürgermeister, Landräte, Kommunalbeamte, 400 Schulleiter. Und wir haben von zahlreichen Ministerien und von vielen, vielen privaten Initiativen darstellen lassen, was es jetzt überhaupt schon für Möglichkeiten gibt. Und alle waren eigentlich überrascht, keiner kannte die ganze Palette dessen, was bereits zur Verfügung steht.

    Das Sozialministerium hat auf Fördermöglichkeiten hingewiesen, die Polizei hat gesagt, was sie macht. Die Justiz hat aufgezeigt, wo sie helfen kann. Die vielen freien Träger haben Hotlines, Telefonnummer, Ansprechpartner für Opfer, für Bürgermeister, für Betroffene zur Verfügung gestellt. Also solch einen Schulterschluss stelle ich mir vor. Wir haben im Freistaat Sachsen die Lektion verstanden und haben uns auf den Weg gemacht. Das ist langer Weg, und der ist auch kein Patentrezept. Aber ich sehe ihn derzeit als alternativlos an.

    Durak: Man hört Ihnen an, Herr Mackenroth, wie engagiert Sie sind, wie sehr Ihnen das am Herzen liegt. Dennoch die Frage: Können Sie sich vorstellen, was Menschen veranlasst, von Balkonen aus zuzuschauen und nichts zu tun?

    Mackenroth: Also das ist eine ganz schwierige Frage, und ich möchte auch nicht, dass wir diese Leute sozusagen verteufeln. Natürlich, das zeigt ja auch dieses Beispiel, was wir jetzt konkret vor uns haben, wenn es so ist, dass derjenige, der Zivilcourage zeigt, am Ende selbst zum Opfer wird, wird es außerordentlich kritisch. Wir müssen denjenigen, die Zivilcourage zeigen sollen, von denen wir das einfordern, also letztlich uns allen, ganz behutsam sozusagen den Weg aufzeigen, wie es geht, und da ist mir wichtig, der Grundsatz wie in der Seemannsprache: Eine Hand für das Boot, eine Hand für dich selbst. Also keinen Leichtsinn, aber du musst sehen, dass du die Maschine, das ganze Schiff auf Kurs hältst. Und deswegen gibt es da, wie gesagt, auch Tricks und Möglichkeiten, Öffentlichkeit herstellen, Polizei anrufen, gezielt einzelne Passanten ansprechen, Sie machen das, Sie machen das, Sie machen das. Ich glaube, so kann es gehen und nicht anders.

    Durak: Wenn Sie in Sachsen nun diesen neuen Weg beschreiten, so engagiert, wie Sie ihn vorhin beschrieben haben, könnte ich mir vorstellen, dass das auch für andere Bundesländer interessant sein könnte. Haben Sie da Verbindungen?

    Mackenroth: Wir haben natürlich Verbindung; zu glauben, dies sei ein spezifisches Ostproblem, ist ja einfach falsch, aus welchem Bereich, aus welchem Land auch immer. Wer mit dem Zeigefinger jetzt auf den Osten oder auf den Freistaat Sachsen zeigt, der muss aufpassen, drei Finger zeigen immer auf ihn zurück. Ich glaube, es ist ein europaweites Problem, Phänomen, dass Rechtsextremismus und Gewalt zunehmen, und wir müssen eben auch eine gesamtgesellschaftliche Antwort finden. Das geht bis hin zu möglichen Gesetzinitiativen, wenn wir feststellen, dass das vorhandene Instrumentarium nicht ausreicht.

    Durak: Sie sind kein geborener Sachse, Herr Mackenroth, das hört man. Und wenn man sich mit Ihnen beschäftigt, weiß man das auch. Geht Ihnen das besonders nahe dennoch unterdessen, dass doch auch immer wieder aus Sachsen so etwas zu hören ist?

    Mackenroth: Also jedenfalls finde ich es in Ordnung, dass in Sachsen mittlerweile besonders sensibel nachgefragt wird. Und was andere Leute machen, das ist deren Sache. Also wer das Problem verdrängt und sagt, bei uns passiert so was nicht, der ist erstens ungerecht und zweitens selbstgerecht, und drittens wird er irgendwann die böse Quittung kriegen. Also wir in Sachsen sind sensibel, wir passen auf, und wir haben, wie gesagt, die Geschichte verstanden und haben uns auf den Weg gemacht. Wir wollen hoffen, dass sich so was wie in Mittweida nicht wiederholt.

    Durak: Geert Mackenroth, Sachsens Justizminister, Mitglied der CDU. Herzlichen Dank, Herr Mackenroth, für dieses Gespräch!

    Mackenroth: Ich danke auch!