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"Wir haben nur ein Filterproblem"

Der Blogger Oliver Gassner lebt gerne im Informationszeitalter. Die Menschen müssten mit der Flut an Informationen umzugehen lernen. Beispielsweise, indem sie üben, wichtige von unwichtigen E-Mails zu unterscheiden.

Oliver Gassner im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Sandra Schulz: Warum wir im Informationszeitalter gezwungen sind, zu tun was wir nicht tun wollen, und wie wir die Kontrolle über unser Denken zurückgewinnen, das ist der Untertitel des neuen Buches "Payback" von "FAZ"-Herausgeber Frank Schirrmacher. In den Fokus hat er die Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts genommen. Hat uns die elektronische Kommunikation, haben uns Computer längst unter ihre Kontrolle gebracht? In Hannover findet heute das sogenannte "Convention Camp" statt, eine Veranstaltung, die sich den Untertitel gegeben hat "Die Unkonferenz zur Zukunft des Internet". Einer der Referenten ist Oliver Gassner, Blogger und Trainer für den Umgang mit sozialen Netzwerken, und der ist mir jetzt zugeschaltet. Guten Morgen!

    Oliver Gassner: Guten Morgen!

    Schulz: Finden Sie auch, dass wir einen zu hohen Preis zahlen, um im Informationszeitalter mithalten zu können?

    Gassner: Seit dem Zeitalter der Aufklärung ist es doch eigentlich ganz schön, wenn wir den Ausgang aus unserer Unmündigkeit dadurch befördern können, dass wir informiert sind. Niemand würde sich ja wünschen, dass wir nur bis zwölf zählen können und unseren Namen schreiben können. Insofern: Ich finde das Informationszeitalter eigentlich eine wesentlich angenehmere Gegend als das Mittelalter oder als das Industriezeitalter, wo man nur am Fließband stehen konnte und nach zwölf Stunden wieder heimgegangen ist, wenn man Glück hatte.

    Schulz: Aber werden wir denn mündiger davon, dass wir ständig unsere E-Mail-Postfächer nachschauen, gucken, was gerade wieder angekommen ist?

    Gassner: Ich glaube, wir werden mündiger, wenn wir lernen, wie wir diese neuen Werkzeuge, die es da gibt – seien es Kollaborationswerkzeuge wie Wikis oder eben Informationswerkzeuge wie E-Mail -, optimal einsetzen können, wenn wir lernen, wie wir die einsetzen können, um die Probleme, die dieser Planet ja unbenommen noch hat, vielleicht angehen können. Solche Großprojekte wie Genom-Decodierungen und so weiter und so fort wären ohne Informationstechnologie ja gar nicht denkbar.

    Schulz: Aber stimmt es nicht auch, dass wir immer unkonzentrierter werden, oder glauben Sie das nicht?

    Gassner: Ich bin ja Germanist und da lernt man solche Dinge, wie die Leute reagiert haben auf die ersten Romane, und dann hat man gesagt, wenn die Leute da die ganze Zeit sitzen, dann verkümmert das Rückenmark, die werden schwach und schwindsüchtig und sterben dahin und bringen sich alle um, wenn sich einer im Roman umbringt, und so weiter und so fort. Ich glaube nicht, dass diese Medien uns so total überformen, sondern solche Medien wurden anfangs immer kritisiert und man hat immer Schwierigkeiten gehabt, sich daran zu gewöhnen. Ich glaube nicht, dass sich irgendetwas durchsetzt, was die Leute nicht benutzen wollen. Ich finde Faxen eine wesentlich behämmertere Technologie als E-Mail und ich habe noch nie ein Fax besessen und werde auch nie eines besitzen. Ich lasse diesen Sprung aus. Ich finde es wesentlich störender, ständig in Gedanken von einem klingelnden Telefon gestört zu werden, als wenn mir jemand eine E-Mail schreibt. Die arbeite ich ab, wenn ich Lust habe. Wenn ich zum Beispiel selber einen Artikel schreibe, oder an einem Konzept arbeite, dann checke ich nicht währenddessen E-Mails. Da ist man ja dann selber schuld, wenn man sich unterbrechen lässt. Es gibt so Leute, die dann zweimal am Tag E-Mails checken; das wäre mir vielleicht ein bisschen wenig. Ich weiß es dann schon zu schätzen, wenn der Pingpong vielleicht ein bisschen schneller hin- und hergeht, aber gerade mit E-Mail kann man doch sein Antwort- und sein Unterbrechungsprofil sozusagen selber bestimmen. Wenn man mit E-Mails so umgeht wie mit dem Telefon, wenn es klingelt, dann muss ich abheben, ja gut, dann wird man dauernd unterbrochen.

    Schulz: Jetzt gibt es aber natürlich viele, die dieses Phänomen, das Frank Schirrmacher ja auch beschreibt, auch gut kennen: Man geht am Abend des Tages aus dem Büro und denkt sich, was habe ich heute eigentlich die ganze Zeit geschafft, weil man die ganze Zeit auf diese E-Mails schaut. Was raten Sie diesen Leuten?

    Gassner: Es gibt Selbstmanagement-Techniken und Informationsmanagement-Techniken, die einem beibringen, wie man so was organisiert.

    Schulz: Sagen Sie uns, was die wichtigsten Regeln sind?

    Gassner: Zum Beispiel sollte man bei allem, was in den eigenen Informationsbereich kommt, entscheiden, was bedeutet das überhaupt. Zum Beispiel, wenn ich jetzt eine Liste von 50 Mails habe, dann kann ich einfach auch mal quer drübergucken und kann vielleicht die zehn Mails schon identifizieren, die ich sofort löschen kann. Dann gibt es vielleicht noch fünf Mails, wo ich sowieso erst morgen entscheiden kann, was ich damit machen will; also schiebe ich die fünf Mails in einen Ordner "morgen entscheiden". Dann habe ich vielleicht drei Mails, wo ich sofort sehe, da kann ich einfach eine Rückfrage stellen, dann stelle ich die Rückfrage, das dauert eine Minute, und schicke die wieder weg, dann hat der andere wieder den Ball in seinem Feld. Dann gibt es ein paar Mails, die kann ich in einem Zeitraum von unter zwei Minuten pro Mail erledigen; die sollte man auch sofort erledigen, weil man, wenn man die liegen lässt und sich irgendwo aufschreibt, dass man die noch beantworten muss, für die Verarbeitung davon zum Beispiel wesentlich länger braucht als die zwei Minuten, die man braucht, um sie sofort zu erledigen. Wenn Sie das alles gemacht haben, dann gibt es vielleicht ein paar Mails, wo Sie sagen, okay, das ist gut zu wissen, aber da muss ich jetzt überhaupt nichts machen, darauf muss ich gar nicht reagieren; die können Sie in modernen Mail-Systemen einfach ablegen, weil die Ihre Mail so super durchsuchen können, dass Sie die jederzeit dann wiederfinden. Dann bleiben noch ein paar Mails über, an denen Sie was tun müssen, was über zwei Minuten dauert. Dann haben Sie aus 50 fünf Mails gemacht und diesen ganzen Prozess schaffen Sie irgendwann in fünf bis zehn Minuten.

    Schulz: Wenn wir uns jetzt von den Mails lösen und auf die Fülle von Informationen insgesamt gucken, die uns ja inzwischen umgibt und auf die wir Zugriff haben, ist es nicht richtig, da von einer Überforderung zu sprechen?

    Gassner: Es gibt ja das schöne Beispiel, wenn Information uns überfordern könnte, würden wir sterben, sobald wir eine Bibliothek betreten. Wenn man das erste Mal in einer großen Freihandbibliothek ist, wie sie es an meinem Studienort in Konstanz damals auch gab, sagt man, das werde ich niemals in meinem Leben lesen können. Oder wenn Sie eine Zeitung angucken, wer liest schon eine Zeitung komplett, außer dem Chef vom Dienst. Selbst der macht es vielleicht nicht. Das heißt, bei den klassischen Medien haben wir längst gelernt, Informationen zu filtern. Wir gehen in der Bibliothek oder in einer Buchhandlung genau in die Sektion, wo die Bücher stehen, die uns interessieren, und sind überhaupt nicht überfordert davon, dass in den anderen Sektionen Bücher stehen, die uns nicht interessieren. Es gibt auch den Spruch, "wir haben kein Informationsflut-Problem, wir haben nur ein Filterproblem". Das ist wiederum einfach eine Fähigkeit. Bei mir werden ganz, ganz viele Mails, von denen ich schon weiß, dass ich nicht sofort reagieren muss, einfach erst mal wegsortiert. Wenn der Filter dann kaputt geht, dann kann es natürlich passieren, dass man auf irgendwas nicht reagiert, worauf man vielleicht eigentlich hätte reagieren sollen, aber das kommt auch so mal vor.

    Schulz: Und solange wir auch mit diesen Filtern nicht arbeiten können, stimmt es dann, dass wir nicht so frei sind wie ohne diese ganzen Medien?

    Gassner: Ich würde das nicht sagen. Ich würde sagen, es ist einfach eine neue Kommunikationsweise und man muss sich bewusst sein, dass man da was lernen kann. Wenn ich die alten Schemata darauf anwende, dann funktioniert das natürlich nicht. Wenn ich mir aber eben neue Fähigkeiten aneigne, um mit diesen neuen Kanälen umzugehen, dann funktioniert das wunderbar.

    Schulz: Und darum haben wir heute Morgen miteinander gesprochen. Vielen Dank an den Blogger Oliver Gassner, heute im Gespräch mit dem Deutschlandfunk.

    Gassner: Danke schön!