Heinlein: Der Knüppel blieb im Sack. Der vorweihnachtliche Koalitionsfrieden ist wieder hergestellt. Nach einem Wochenende wechselseitiger Vorwürfe und Schuldzuweisungen bemühten sich die rot/grünen Bündnispartner gestern Abend um Harmonie. Nach einem Krisentreffen in Sachen Rente war von offenem Krach oder gar einem Bruch der Koalition nicht mehr die Rede. In der Sache selbst, dem Thema Invalidenrente, sind sich beide Seiten näher gekommen. Heute Abend nun soll auch der Streit um die private Vorsorge beigelegt werden. Am Telefon begrüße ich jetzt den Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Rezzo Schlauch. Guten Morgen!
Schlauch: Guten Morgen.
Heinlein: Herr Schlauch, eine kurze Nacht für Sie. Streit beigelegt, Koalition gerettet. Ein Punktsieg für Ihre Fraktion?
Schlauch: Ich würde sagen kein Punktsieg für meine Fraktion, sondern ein Punktsieg für die Krankenkassen und für die Patienten. Wir haben es nämlich zusammen mit dem Koalitionspartner in diesen Verhandlungen erreicht, dass bei der Reform der Invalidenrente die Kosten, die auf die Krankenkassen zugekommen wären, von etwa geschätzten 1,2 Milliarden auf 250 Millionen für das nächste Jahr zu deckeln. Und wir haben auch erreicht, dass eine Prüfklausel im Gesetz verankert wird, die besagt, dass diese Kostenentwicklung sofort empirisch beobachtet wird und gesichert wird und dass, wenn sich daraus Kostensteigerungen ergeben, dann die Kostenverteilung zwischen Rentenversicherung und Krankenversicherung gegebenenfalls auch neu justiert werden. Was aber ganz wichtig ist, dass weitere Kostenbelastungen, die auf die Krankenkassen zukommen, nämlich durch zwei Bundesverfassungsgerichtsurteile, unserer Entscheidung nach durch Maßnahmen aufgefangen werden, über die wir uns noch bis Sommer nächsten Jahres unterhalten müssen und die wir auch entsprechend finden müssen.
Heinlein: Herr Schlauch, war es denn schwer, diesen Kompromiss mit dem Koalitionspartner SPD in der gestrigen Nacht zu finden?
Schlauch: Es war nicht leicht, und zwar deshalb, weil sich in den letzten Monaten insgesamt Kostenbelastungen in Höhe von zirka vier Milliarden Mark zu Lasten der Krankenkassen aufgebaut hatten. Die mussten wir in den Griff bekommen, weil wenn diese Kostenbelastungen in diesem Umfang realisiert worden wären, hätten die Krankenkassen Anlass gehabt, ihre Beiträge zu steigern. Das wäre natürlich zu Lasten der Patienten und der Versicherten, aber auch zu Lasten der Wirtschaft gegangen.
Heinlein: Am Wochenende, Herr Schlauch, klang das noch etwas anders. Ihre Fraktionskollegin Kerstin Müller sprach von einem offenen Streit mit dem Koalitionspartner SPD. Nun könnte man sagen, als Tiger gesprungen, als Bettvorleger gelandet. Warum riskieren Sie denn einen Koalitionsstreit, wenn Sie in der Sache selbst am Ende doch noch einen Kompromiss eingehen müssen?
Schlauch: Ich weis nicht, ob man das so sagen kann. Wir haben jedenfalls die Krankenkassen vor weiteren Kostenbelastungen in einem Umfang von zirka 2,5 Milliarden D-Mark bewahrt. Ich weis also nicht, ob man dann sagen kann als Bettvorleger gelandet, sondern wir haben Differenzen, wir haben ziemliche Differenzen in der Sache gehabt. Wir haben diese Differenzen mit diesem Kompromiss beigelegt. Ich bin kein Anhänger der These, dass ein Kompromiss immer ein fauler Kompromiss ist, sondern dieser Kompromiss ist gut. Er ist im Interesse von den Krankenkassen. Wir haben die Beitragsstabilität damit gewährleistet und wir haben ein gemeinsames Ziel erreicht, das wir in der Koalition ja von Anfang an immer gehabt haben. Wir haben damit auch die Gefahr einer Erhöhung der Lohnnebenkosten gebannt.
Heinlein: Herr Schlauch, bleiben wir einen Moment beim Zustand der Koalition. Ihr SPD-Kollege Peter Struck hat doch insgesamt Recht behalten. Er sprach gestern an dieser Stelle von kleinen Aufgeregtheiten bei den Grünen. Man werde sich schon einigen. Werden Sie denn ernst genommen von der SPD?
Schlauch: Man kann weder davon reden, dass es um kleine Aufgeregtheiten ging, sondern es ging um die Beitragsstabilität bei den Krankenkassen. Das ist ein Ziel, das nicht nur die Grünen haben, sondern das die gesamte Koalition hatte. Deshalb war es auch im Interesse der Koalition, in diesem Punkt sozusagen zu diesem Kompromiss und zu dieser Vereinbarung zu kommen. Das ist doch ein ganz normaler Vorgang in der Koalition, dass man mal an bestimmten Punkten unterschiedlicher Auffassung ist. Wenn diese unterschiedlichen Auffassungen zusammengeführt werden, dann glaube ich, dass es jedenfalls im Interesse auch der Beitragszahler und im Interesse des Gesundheitswesens und im Interesse auch der Wirtschaft ein Erfolg ist.
Heinlein: Dennoch die Frage: was war denn der Sinn der grünen Muskelspiele an diesem Wochenende? Geht es Ihnen auch um die Tatsache, dass Sie als Grüner, als kleiner Koalitionspartner es naturgemäß schwer haben, Profil zu zeigen gegen die große SPD-Fraktion?
Schlauch: Mir ging es an diesem Punkt nun wirklich nicht um Profil.
Heinlein: Aber vielleicht Ihrer Kollegin Kerstin Müller?
Schlauch: Mir ging es darum, dass die Krankenkassen vor weiteren Belastungen bewahrt werden, dass damit die Beitragssätze nicht erhöht werden und dass damit auch die Gesundheitsministerin sozusagen als Walterin und politische Verantwortliche für die Krankenkassen nicht in einen Druck gekommen wäre, der für sie problematisch geworden wäre.
Heinlein: Heute Abend nun, Herr Schlauch, soll es bei einer erneuten Koalitionsrunde um die private Vorsorge gehen. Kommt auch hier ein grüner Rückzug auf Raten?
Schlauch: Ich verstehe nicht, warum Sie fragen, kommt auch hier ein Rückzug. Es ist kein Rückzug. Ein Kompromiss ist kein Rückzug, sondern ein Kompromiss löst ein Problem, das man in der Sache gehabt hat. Das war bei den Krankenversicherungen der Fall und ich gehe davon aus - und da haben wir ja gestern auch schon erste Gespräche geführt -, dass wir bei der Frage der privaten Vorsorge, bei der Rentenreform, die jetzt ja nach hinten verschoben werden, auch zu einem solchen Kompromiss kommen, und zwar im Interesse der jüngeren und mittleren Generation.
Heinlein: Wann kommt der staatliche Zuschuss, 2001 oder später?
Schlauch: Der staatliche Zuschuss kommt, so wie die Situation jetzt aussieht, im Jahre 2002. Wir wollen allerdings gewährleisten, dass wenn dieser staatliche Zuschuss für die private Vorsorge anfängt damit die mittleren und jüngeren Generationen nicht benachteiligt werden.
Heinlein: Noch ein Satz, Herr Schlauch, zu einem anderen Thema. Gestern der Strafbefehl gegen Verkehrsminister Klimmt. Sollte Herr Klimmt über einen Rücktritt nachdenken?
Schlauch: Es ist mit Sicherheit immer problematisch, wenn ein Minister mit einer strafrechtlichen Sanktion belegt wird. In diesem Fall ist für mich aber ziemlich klar, dass der Minister nicht im Zusammenhang mit seinem Ministeramt, nicht im Zusammenhang mit seiner Partei, sondern offensichtlich im Zusammenhang mit einem Fußballverein ein jedenfalls von der Justiz so gewertetes strafbares Verhalten begangen hat. Aus meiner Sicht, auch wenn es nicht unproblematisch ist, halte ich einen Rücktritt für nicht notwendig.
Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Rezzo Schlauch. - Herr Schlauch, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören!
Link: Interview als RealAudio
Schlauch: Guten Morgen.
Heinlein: Herr Schlauch, eine kurze Nacht für Sie. Streit beigelegt, Koalition gerettet. Ein Punktsieg für Ihre Fraktion?
Schlauch: Ich würde sagen kein Punktsieg für meine Fraktion, sondern ein Punktsieg für die Krankenkassen und für die Patienten. Wir haben es nämlich zusammen mit dem Koalitionspartner in diesen Verhandlungen erreicht, dass bei der Reform der Invalidenrente die Kosten, die auf die Krankenkassen zugekommen wären, von etwa geschätzten 1,2 Milliarden auf 250 Millionen für das nächste Jahr zu deckeln. Und wir haben auch erreicht, dass eine Prüfklausel im Gesetz verankert wird, die besagt, dass diese Kostenentwicklung sofort empirisch beobachtet wird und gesichert wird und dass, wenn sich daraus Kostensteigerungen ergeben, dann die Kostenverteilung zwischen Rentenversicherung und Krankenversicherung gegebenenfalls auch neu justiert werden. Was aber ganz wichtig ist, dass weitere Kostenbelastungen, die auf die Krankenkassen zukommen, nämlich durch zwei Bundesverfassungsgerichtsurteile, unserer Entscheidung nach durch Maßnahmen aufgefangen werden, über die wir uns noch bis Sommer nächsten Jahres unterhalten müssen und die wir auch entsprechend finden müssen.
Heinlein: Herr Schlauch, war es denn schwer, diesen Kompromiss mit dem Koalitionspartner SPD in der gestrigen Nacht zu finden?
Schlauch: Es war nicht leicht, und zwar deshalb, weil sich in den letzten Monaten insgesamt Kostenbelastungen in Höhe von zirka vier Milliarden Mark zu Lasten der Krankenkassen aufgebaut hatten. Die mussten wir in den Griff bekommen, weil wenn diese Kostenbelastungen in diesem Umfang realisiert worden wären, hätten die Krankenkassen Anlass gehabt, ihre Beiträge zu steigern. Das wäre natürlich zu Lasten der Patienten und der Versicherten, aber auch zu Lasten der Wirtschaft gegangen.
Heinlein: Am Wochenende, Herr Schlauch, klang das noch etwas anders. Ihre Fraktionskollegin Kerstin Müller sprach von einem offenen Streit mit dem Koalitionspartner SPD. Nun könnte man sagen, als Tiger gesprungen, als Bettvorleger gelandet. Warum riskieren Sie denn einen Koalitionsstreit, wenn Sie in der Sache selbst am Ende doch noch einen Kompromiss eingehen müssen?
Schlauch: Ich weis nicht, ob man das so sagen kann. Wir haben jedenfalls die Krankenkassen vor weiteren Kostenbelastungen in einem Umfang von zirka 2,5 Milliarden D-Mark bewahrt. Ich weis also nicht, ob man dann sagen kann als Bettvorleger gelandet, sondern wir haben Differenzen, wir haben ziemliche Differenzen in der Sache gehabt. Wir haben diese Differenzen mit diesem Kompromiss beigelegt. Ich bin kein Anhänger der These, dass ein Kompromiss immer ein fauler Kompromiss ist, sondern dieser Kompromiss ist gut. Er ist im Interesse von den Krankenkassen. Wir haben die Beitragsstabilität damit gewährleistet und wir haben ein gemeinsames Ziel erreicht, das wir in der Koalition ja von Anfang an immer gehabt haben. Wir haben damit auch die Gefahr einer Erhöhung der Lohnnebenkosten gebannt.
Heinlein: Herr Schlauch, bleiben wir einen Moment beim Zustand der Koalition. Ihr SPD-Kollege Peter Struck hat doch insgesamt Recht behalten. Er sprach gestern an dieser Stelle von kleinen Aufgeregtheiten bei den Grünen. Man werde sich schon einigen. Werden Sie denn ernst genommen von der SPD?
Schlauch: Man kann weder davon reden, dass es um kleine Aufgeregtheiten ging, sondern es ging um die Beitragsstabilität bei den Krankenkassen. Das ist ein Ziel, das nicht nur die Grünen haben, sondern das die gesamte Koalition hatte. Deshalb war es auch im Interesse der Koalition, in diesem Punkt sozusagen zu diesem Kompromiss und zu dieser Vereinbarung zu kommen. Das ist doch ein ganz normaler Vorgang in der Koalition, dass man mal an bestimmten Punkten unterschiedlicher Auffassung ist. Wenn diese unterschiedlichen Auffassungen zusammengeführt werden, dann glaube ich, dass es jedenfalls im Interesse auch der Beitragszahler und im Interesse des Gesundheitswesens und im Interesse auch der Wirtschaft ein Erfolg ist.
Heinlein: Dennoch die Frage: was war denn der Sinn der grünen Muskelspiele an diesem Wochenende? Geht es Ihnen auch um die Tatsache, dass Sie als Grüner, als kleiner Koalitionspartner es naturgemäß schwer haben, Profil zu zeigen gegen die große SPD-Fraktion?
Schlauch: Mir ging es an diesem Punkt nun wirklich nicht um Profil.
Heinlein: Aber vielleicht Ihrer Kollegin Kerstin Müller?
Schlauch: Mir ging es darum, dass die Krankenkassen vor weiteren Belastungen bewahrt werden, dass damit die Beitragssätze nicht erhöht werden und dass damit auch die Gesundheitsministerin sozusagen als Walterin und politische Verantwortliche für die Krankenkassen nicht in einen Druck gekommen wäre, der für sie problematisch geworden wäre.
Heinlein: Heute Abend nun, Herr Schlauch, soll es bei einer erneuten Koalitionsrunde um die private Vorsorge gehen. Kommt auch hier ein grüner Rückzug auf Raten?
Schlauch: Ich verstehe nicht, warum Sie fragen, kommt auch hier ein Rückzug. Es ist kein Rückzug. Ein Kompromiss ist kein Rückzug, sondern ein Kompromiss löst ein Problem, das man in der Sache gehabt hat. Das war bei den Krankenversicherungen der Fall und ich gehe davon aus - und da haben wir ja gestern auch schon erste Gespräche geführt -, dass wir bei der Frage der privaten Vorsorge, bei der Rentenreform, die jetzt ja nach hinten verschoben werden, auch zu einem solchen Kompromiss kommen, und zwar im Interesse der jüngeren und mittleren Generation.
Heinlein: Wann kommt der staatliche Zuschuss, 2001 oder später?
Schlauch: Der staatliche Zuschuss kommt, so wie die Situation jetzt aussieht, im Jahre 2002. Wir wollen allerdings gewährleisten, dass wenn dieser staatliche Zuschuss für die private Vorsorge anfängt damit die mittleren und jüngeren Generationen nicht benachteiligt werden.
Heinlein: Noch ein Satz, Herr Schlauch, zu einem anderen Thema. Gestern der Strafbefehl gegen Verkehrsminister Klimmt. Sollte Herr Klimmt über einen Rücktritt nachdenken?
Schlauch: Es ist mit Sicherheit immer problematisch, wenn ein Minister mit einer strafrechtlichen Sanktion belegt wird. In diesem Fall ist für mich aber ziemlich klar, dass der Minister nicht im Zusammenhang mit seinem Ministeramt, nicht im Zusammenhang mit seiner Partei, sondern offensichtlich im Zusammenhang mit einem Fußballverein ein jedenfalls von der Justiz so gewertetes strafbares Verhalten begangen hat. Aus meiner Sicht, auch wenn es nicht unproblematisch ist, halte ich einen Rücktritt für nicht notwendig.
Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Rezzo Schlauch. - Herr Schlauch, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören!
Link: Interview als RealAudio