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"Wir können auf den Solidaritätszuschlag noch nicht verzichten"

Heinlein: Heute geht sie zu Ende, die fast zweiwöchige Reise des Bundeskanzlers durch die neuen Länder. Begleitet wurde diese Tour von der Kritik der Opposition, Schröder gehe es lediglich um eine Werbetour zur Verbesserung seiner Image-Werte im Osten. Das parteipolitische Geplänkel um die Sommerreise des Kanzlers dürfte nur ein Vorgeschmack sein auf die Auseinandersetzungen der kommenden Wochen bis zum 03. Oktober, dem Tag der Einheit. Schon warnen Beobachter, die geplanten Jubiläumsfeiern drohten vollkommen vom Streit der Parteien überschattet zu werden. Im Mittelpunkt dabei zunächst das Gezerre um die Teilnahme von Altkanzler Kohl an der zentralen Einheitsfeier in Dresden. Im Hintergrund aber auch bereits die Debatte um die künftige Ost-Förderung, sprich den zweiten Solidarpakt ab dem Jahr 2005. Zuständig für die neuen Länder ist im Bundeskanzleramt Staatsminister Rolf Schwanitz, SPD. Guten Morgen!

    Schwanitz: Guten Morgen Herr Heinlein.

    Heinlein: Herr Schwanitz, Sie haben den Kanzler auf seiner Reise begleitet. Man hat es gesehen. Viele Gespräche mit den Menschen auf der Straße und bei Veranstaltungen. Haben Sie oder der Kanzler denn dabei etwas Neues gelernt?

    Schwanitz: Das kann man laut sagen. Das war genau auch unsere Absicht, sich Zeit zu nehmen, zuzuhören, Erfahrungen dabei aufnehmen zu können über die zehn Jahre, die hinter den Menschen liegen, gerade auch in Regionen, die nicht immer in den Schlaglichtern von Politik stehen. Wir haben über viele, viele Details geredet, natürlich auch die Wünsche und Erwartungen der Menschen dabei gespürt. Das glaube ich hat auch viele der Botschaften geprägt, die Sie angesprochen haben, insbesondere den Solidarpakt II.

    Heinlein: Konnte denn der Kanzler eine Lösung der Sorgen und Probleme dieser Menschen in Aussicht stellen?

    Schwanitz: Wir haben natürlich ganz bewusst nicht den Fehler gemacht, den der Amtsvorgänger getan hat, dort mit lockeren Versprechungen oder mit wahlkampforientierten Geschenken durch die Lande zu reisen, sondern wir haben überall deutlich gemacht, es ist ein schwerer Weg, der hinter den Menschen liegt. Die Arbeit ist aber noch nicht getan. Wir haben noch eine zweite Hälfte des Weges vor uns. Und wir haben überall auch deutlich erklärt - der Kanzler hat das gestern auch noch einmal ganz deutlich getan -, dass die Bundesregierung dabei ihre Solidarität nicht verwehren wird, sondern wir werden in der noch verbleibenden Zeit dieser Legislaturperiode diese Unterstützung absichern für die Zeit nach 2004, denn die neuen Länder brauchen Klarheit.

    Heinlein: Sie sagten es: der Bundeskanzler hat gestern in den verschiedenen Interviews gesagt, die Solidarität mit dem Osten sei nach wie vor notwendig. Ist denn diese Solidarität in Frage gestellt?

    Schwanitz: Nun, sie ist in den letzten Jahren mehrmals und sehr intensiv in Frage gestellt worden. Übrigens während dessen wir jetzt zwei Wochen in den neuen Ländern unterwegs waren gab es ja zum Beispiel aus Baden-Württemberg auch anders lautende Töne. Ich glaube schon, dass hier ein großer politischer Kraftakt vor uns liegt, den Solidarpakt II für die Zeit nach 2004 zu schmieden. Die Botschaft ist aber ganz klar: Niemand sollte und darf sich dieser Solidarität entziehen, denn letztendlich hat das Land insgesamt ein vitales Interesse daran, dass die neuen Länder selbst auf eigenständige Füße kommen.

    Heinlein: Sie sagen, es wird ein Kraftakt werden. Wie will denn die Bundesregierung dieses Thema in den kommenden Wochen und Monaten angehen?

    Schwanitz: Wir werden natürlich mit den Ländern Gespräche führen. Das müssen allerdings auch die Länder untereinander tun. Ich glaube schon, dass auch ein nicht zu unterschätzender Symbolwert darin steckt, wenn die Bundesregierung ihrerseits erklärt, dass sie vorangehen will bei diesem Solidarwerk. Da glaube ich schon ist Raum, vielleicht auch Verpflichtung für das eine oder andere Geberland, in diese Diskussion offen einzusteigen, aus Schützengräben herauszukommen. Das ist dringend nötig.

    Heinlein: Wie soll denn nun konkret dieser Solidarpakt nach dem Jahr 2005 aussehen?

    Schwanitz: Wir reden momentan ja über den Bedarf, den es noch gibt in den neuen Ländern. Wir haben wenn man so will eine Debatte, die sich in den nächsten Monaten mehrstufig entwickeln wird. Die neuen Länder haben Gutachten dazu in Auftrag gegeben. Vor allen Dingen im Bereich von Infrastruktur ist es in der Tat notwendig, noch über viele Jahre hinweg hier den neuen Ländern Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten. Wir werden dann natürlich über Finanzvolumina und zum Schluss auch über einzelne konkrete Instrumente zu reden haben. Es macht aber Sinn, dies nacheinander zu tun und nicht den zweiten Schritt vor dem ersten zu gehen.

    Heinlein: Im Raum, Herr Schwanitz, steht ja die Summe von 500 Milliarden Mark, die von den Ost-Ländern gefordert wird. Halten Sie diese Forderung für realistisch?

    Schwanitz: Überall wo wir in Ostdeutschland hinkamen wurde deutlich, dass die Infrastruktur in der Tat vor allen Dingen eben bei Straßen und Schienen noch kein vergleichbares Niveau so wie in den alten Bundesländern hat. Mir war von Anfang an immer wichtig, dass wir nicht über einzelne Zahlen streiten. Ob das jetzt 500 Milliarden sind oder eine Summe, die darunter oder darüber liegt, ist für mich nicht wichtig, sondern entscheidend ist, dass wir auch eine milliardenschwere Unterstützung für die Jahre nach 2004 in Gang setzen müssen. Das wird man dann in den Zeiten danach abgleichen können. Die Geberländer werden das sicherlich auch einfordern. Das führt uns nach vorn und nicht eine isolierte Zahlendebatte.

    Heinlein: Auch wenn Sie sagen, die Summe wäre für Sie nicht wichtig, den Steuerzahler und die Länder wird dies schon interessieren. Wird denn der Solidaritätsbeitrag zur Finanzierung des Aufbaus Ost in unveränderter Höhe nach 2005 beibehalten werden müssen?

    Schwanitz: Ich kann mir persönlich eine Reduzierung oder gar eine Abschaffung des Solidaritätszuschlages - das wird ja zwischendurch auch immer mal wieder diskutiert - zur jetzigen Zeit überhaupt nicht vorstellen. Der Solidaritätszuschlag ist ein ganz zentrales Finanzierungselement des jetzt bereits geltenden Länderfinanzausgleiches. Der Bund setzt in etwa 40 Milliarden Mark in diesem Finanzausgleichssystem in Bewegung. Die Hälfte davon kommt aus dem Soli. Deswegen sind natürlich politische Operationen, die jetzt dieses Instrument in Frage stellen, während dessen wir gleichzeitig notwendigerweise einen Solidarpakt II angehen müssen, völlig unseriös und kein Gegenstand von operativer Politik.

    Heinlein: Sie fordern also, Herr Schwanitz, den Solidaritätsbeitrag auch 15 Jahre nach der Einheit in unveränderter Höhe. Ist der Osten ein Fas ohne Boden?

    Schwanitz: Ich fordere nicht den Solidaritätszuschlag in unveränderter Höhe, aber ich fordere eine Seriosität der Debatte. Ich fordere ein, dass wir zunächst über den Entwicklungsbedarf der neuen Länder reden, dass wir dann über finanzielle Höhen reden und erst zum Schluss über einzelne Instrumente. Das macht Sinn. Und ein Fas ohne Boden ist der Osten überhaupt nicht. Wer sich anschauen möchte, was da in den letzten zehn Jahren entstanden ist und dass es sich auch lohnt, diese Hilfe zu gewähren, der muss nach Ostdeutschland kommen und der ist dort auch herzlich eingeladen.

    Heinlein: Dennoch hört man Stimmen, nicht nur aus Bayern und Baden-Württemberg, der Osten fordert, der Westen fühlt sich überfordert. Wie lange muss denn noch dieser Ost-Bonus für die neuen Länder gelten?

    Schwanitz: Seien wir doch mal ehrlich und schauen auf die Entwicklung zurück. Wir haben in den neuen Ländern ja einen jahrzehntelangen Nachholprozess aus der Entwicklung vor 1989 vor uns. Die Menschen und auch die Regionen können nichts dafür, dass bestimmte Entwicklungsmöglichkeiten, die in den alten Bundesländern bestanden hatten, so in den neuen Ländern in der damaligen DDR nicht bestanden. Ich glaube es hilft manchmal, sich auch etwas an die historische Dimension dieser Frage zu erinnern.

    Heinlein: Gibt es denn, Herr Schwanitz, den Osten überhaupt noch als einheitlichen Wirtschaftsraum, oder werden in Zukunft Unterschiede gemacht werden müssen auch innerhalb der neuen Bundesländer bei der Förderung?

    Schwanitz: Die regionale Differenzierung nimmt zu und ich glaube in der Tat, dass gerade für den Zeitraum nach 2004 - und wir beginnen jetzt übrigens auch schon bei der jetzt laufenden Bundesförderung damit - eine stärkere regionale Differenzierung angebracht ist. Es macht keinen Sinn, dies mit einer Gieskannenförderung zu tun. Wir müssen die regionalen Potenziale erschließen. Das tun wir auch mit neuen Förderinstrumenten. Ein neues Programm "Innoregio", mit dem wir Modellregionen in Ostdeutschland, 25 an der Zahl, unterstützen, ist bereits von uns auf den Weg gebracht.

    Heinlein: Also um es auf den Punkt zu bringen: künftig weniger Fördermittel für Wachstumsregionen im Osten wie Dresden, Jena oder Potsdam?

    Schwanitz: Es macht keinen Sinn, dort jetzt über weniger oder mehr zu reden. Auch dort werbe ich übrigens für eine Versachlichung der Debatte. Denn auch wenn sich Jena oder Leipzig besser entwickeln als das Erzgebirge, so trennt Leipzig natürlich von der Entwicklungsmetropole in den alten Bundesländern, Stuttgart oder München, noch Welten. Wir können also nicht quasi die Spitze der ostdeutschen Entwicklung mit der strukturschwächsten Region in den alten Bundesländern vergleichen, sondern auch hier muss an manchen Stellen der Maßstab geradegerückt werden.

    Heinlein: Herr Schwanitz, eine kurze Frage zum Schluss. Eine Umfrage des "Stern" hat gestern ergeben, dass Sie, den Ost-Beauftragten der Bundesregierung, nur acht Prozent der Menschen in den neuen Ländern kennen. Gibt Ihnen das zu denken?

    Schwanitz: Solche Umfragen haben immer ihre Tücken. Wenn wir jetzt alle noch die Bekanntheit des Bundeskanzlers erreichen, dann wird es mir um die Opposition schon bange.

    Heinlein: Glauben Sie denn, dass die Sommerreise des Kanzlers auch Ihren Bekanntheitsgrad verbessert hat?

    Schwanitz: Das denke ich schon. Das waren wichtige Gespräche, die nicht nur der Kanzler geführt hat, sondern ich auch. Natürlich war es nicht primär meine Informationsreise, aber auch das glaube ich hat das Zusammenspiel zwischen dem Bundeskanzler und mir deutlich gemacht.

    Heinlein: Wie groß ist denn Ihr persönlicher Einfluss auf die Entscheidungen der Bundesregierung mit Blick auf die neuen Länder?

    Schwanitz: Das manifestiert sich bei vielen, vielen Einzeldingen. Zum Beispiel bei den Haushaltsberatungen bin ich bei den sogenannten Chefgesprächen dabei und rede dort über ganz konkrete Projekte, teilweise auch in Zeiten und in Gegebenheiten, wo zwischen den Ressorts schon keine Bewegungsmöglichkeit mehr besteht. Also das Anregen, das Unterstützen, manchmal auch das Lösen eines Konfliktes gehört zu meinen Aufgaben und da gibt es eine ganze Reihe von Erfolgen.

    Heinlein: Der Ost-Beauftragte der Bundesregierung, Staatsminister Rolf Schwanitz, SPD, heute Morgen hier im Deutschlandfunk. - Herr Schwanitz, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Link: Interview als RealAudio