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"Wir können nicht anders"

Der Rentenexperte Bernd Raffelhüschen hält die vom Bundeskabinett beschlossene Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre für unumgänglich. Zugleich sei langfristig mit sinkenden Renten zu rechnen, sagte der Professor von der Universität Freiburg. Im Verhältnis zu den Einkommen Erwerbstätiger werde die Rente künftig sicher 20 bis 25 Prozent geringer als heute ausfallen.

Moderation: Bettina Klein |
    Bettina Klein: Am Telefon begrüße ich den Rentenexperten Professor Bernd Raffelhüschen. Guten Morgen!

    Bernd Raffelhüschen: Guten Morgen, Frau Klein!

    Klein: War das Projekt Rente mit 67 alternativlos aus Ihrer Sicht?

    Raffelhüschen: Also das Projekt Rente mit 67 ist vollkommen alternativlos. Wir können nicht anders. Wir brauchen mit der Rente mit 67 einen demografischen Faktor, der im Prinzip abbildet, dass der Mensch schlichtweg länger lebt. Und wenn er denn länger lebt, dann muss er eben halt auch länger arbeiten.

    Klein: Wieweit hilft es denn dem Zustand, die Rentenversicherung erst einmal überhaupt zu planen und nun, wie jetzt geschehen, es sechs Jahre früher als ursprünglich gedacht einzuführen?

    Raffelhüschen: Nun, die Rente mit 67 ist eigentlich jetzt das letzte fehlende Glied in der langfristigen Sicherung der Rentenfinanzierung und wird im Grunde genommen, sagen wir mal, das Bruttorentenniveau nochmals um drei bis vier Prozentpunkte kürzen. Darum geht es ja letztlich. Es geht darum, dass wir im Grunde genommen, sagen wir mal, einen Rentenstandard von heute nicht in der langen Frist halten können, weil wir schlichtweg immer weniger haben, die zahlen, und immer mehr haben, die wollen, und das auch immer länger noch.

    Klein: Aber wieweit – war meine Frage – hilft es der Rentenversicherung? Das heißt, ist sie damit saniert?

    Raffelhüschen: Nun, die Rentenversicherung ist mit der Folge dessen, was die Rente mit 67 plus den Nachhaltigkeitsfaktor – das sind ja die Vorschläge der Rürup-Kommission und der Herzog-Kommission – ist sie langfristig tatsächlich gesichert. Also die Rente ist jetzt sicher. Allerdings ist die Rente sicherlich, sagen wir mal, 20 bis 25 Prozent geringer als das heutige Niveau, jedenfalls im Verhältnis zu den erwerbstätigen Einkommen.

    Klein: Das heißt, sicher ist eben auch, dass es zu Rentenerhöhungen in der Zukunft eigentlich nicht mehr kommen wird. Davon können wir uns verabschieden?

    Raffelhüschen: Nun, sagen wir mal, im realen Rentenniveau, also in der realen Kaufkraft wird es kaum Erhöhungen geben, wenn nicht sogar Senkungen geben. Nominal kann da natürlich alles Mögliche passieren, nur das ist das, was ökonomisch nicht wirklich interessiert, sondern es interessiert, was der Rentner der Zukunft sich kaufen kann.

    Klein: Kommen wir zu den Einwänden, Herr Raffelhüschen. Unter dem Strich, ist es gerecht, dass diese Form der Rentenkürzung, wie es jetzt heißt, an bestimmten Jahrgängen vorbei geht und andere dabei voll trifft?

    Raffelhüschen: Nun, wir müssen einfach sehen, dass die heutigen Rentner, die da protestieren, mit der Rente mit 67 eigentlich gar nichts zu tun haben. Die heutigen Rentner leben vier Jahre länger als die Generation zuvor sowie die nächste Generation ebenfalls vier Jahre länger lebt als die Generation der heutigen Rentner. Und die heutigen Rentner haben diese vier Jahre schlichtweg obendrauf bekommen, ohne dass sie irgendeinen Pfennig dafür zusätzlich haben einzahlen müssen. Diese Generosität haben die heutigen Rentner sich allerdings verdient, denn sie haben jahrzehntelang für ihre Rente gezahlt und sie haben die Kinder in die Welt gesetzt, die notwendig sind, um ihre Rente zu finanzieren. Die Rentner der Zukunft, die das ja wirklich trifft, also die heutigen 30- bis 50-Jährigen, die – und das ist der demografische Faktor – die haben für das Umlageverfahren Rentenversicherung eben auch nachher Jahrzehnte bezahlt, aber nicht die Beitragszahler der Zukunft in die Welt gesetzt. Und genau deshalb trifft es sie.

    Klein: Ein anderes Hauptargument dagegen ist eigentlich, wer soll denn bitteschön bis 67 Jahre, bis zu diesem Lebensalter, arbeiten, wenn schon zehn oder mehr Jahre früher eigentlich gar keine Arbeit mehr für ihn da ist?

    Raffelhüschen: Nun, das ist de facto im Grunde genommen völlig wurscht, um es ganz konkret zu sagen. Ob die Leute Arbeit finden oder nicht, ist für die Rentenfinanzierung vollkommen unerheblich, denn die Rentenkürzung findet statt, egal, ob sie länger arbeiten oder nicht. Wenn man Arbeit findet oder finden sollte, dann kriegt man zwar pro Monat die gleiche Rente nachher, aber man muss ja 24 Monate länger zahlen und kriegt 24 Monate weniger lang seine Rente. Das ist exakt die gleiche Rentenkürzung, egal, ob man Arbeit findet oder nicht. Die Rente wird um 7,2 Prozent gekürzt.

    Klein: Das heißt an dem Argument, dass vielerorts über 50-Jährige bereits zum alten Eisen gerechnet und entlassen oder gar nicht mehr eingestellt werden und da doch ein ziemlicher Widerspruch im Grundkonzept liegt, das lassen Sie nicht gelten?

    Raffelhüschen: Nein, aus der Sicht der Rentenfinanzierung ist die Rente mit 67 für jedermann eine Rentenkürzung, egal, ob er Arbeit findet oder nicht. Aus der Sicht des Individuums ist es vielleicht unter Umständen anders. Aber es geht hier jetzt letztlich darum, dass wir schlichtweg durch die Tatsache, dass wir 40 Jahre lang keine Kinder in die Welt gesetzt haben eben halt die langfristige Finanzierung der Renten irgendwie bewerkstelligen müssen, und zwar im Interesse der eigenen Generation, der heutigen, sagen wir mal, 30- bis 50-Jährigen.

    Klein: Es scheint sich auch allgemein etwas zu verändern in der Gesellschaft. Also bis hier galt das umgekehrte Modell eigentlich als fortschrittlich und viel versprechend, nämlich, wer keine Arbeit mehr hat, wird früher ganz oder teilweise in Rente geschickt. Ist das insgesamt ein Auslaufmodell?

    Raffelhüschen: Das ist insgesamt ein vollkommenes Auslaufmodell. Denn im Grunde genommen ist selbst heute noch der vorgezogene Ruhestand bezuschusst durch den allgemeinen Steuerzahler. Und das kann nicht sein. Also ein Vorruhestand ist nichts anderes, als dass man sich eine Subvention beim Staat abholt. Und diese Vorruhestandsregelung, die wir immer wieder gemacht haben, als Wahlgeschenke verteilt haben oder ähnliches, die dürfen und sollen so nicht mehr sein.

    Klein: Aber dennoch, ein immer früheres Renteneintrittsalter galt ja mal auch durchaus als Ausweis sozialen Fortschritts und Wohlstands. Darüber wird eigentlich gar nicht mehr diskutiert. Ist das kein Kriterium mehr für uns?

    Raffelhüschen: Das ist wirklich kein Fortschritt. Das ist, wenn man die Vorruhestandsregelungen nimmt, die als goldener Handschlag gelten, wo sich im Grunde genommen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu Lasten des Rentenversicherungsbeitragszahlers geeinigt haben, dass man den schröpfen will. Wenn man das als sozialen Fortschritt bezeichnet, dann bezeichnet man im Grunde genommen die Selbstausbeutung zu Lasten zukünftiger Generationen als sozialen Fortschritt. Und das kann es nun wirklich nicht sein.

    Klein: Aber ist es denn realistisch, es gilt nun schon als selbstverständlich, dass auch ein älterer Mensch mit 67 Jahren noch fit und noch leistungsfähig ist? Und wir haben jetzt auch schon aus verschiedenen Branchen Stimmen gehört, wo Betriebsleiter gesagt haben, das ist eigentlich für uns undenkbar, weil rein physisch sind unsere Arbeitsnehmer eigentlich gar nicht mehr in der Lage, wirklich so lange ihren Job zu machen, wie sie das tun. Also stimmt da wirklich eigentlich im Kern irgendetwas nicht?

    Raffelhüschen: Nun, das Argument stimmt so nicht. Wenn man sich einfach schlichtweg statistisch mal vorstellt, dass sich die Geschichte, dass man also im Grunde genommen mit dem längeren Leben auch eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit eingehandelt hätte, wenn wir diese Regelung 1957 bereits eingeführt hätten, dann wäre das gesetzliche Rentenzugangsalter heute schon 72 Jahre. Und wer glaubt, dass der heutige 72-Jährige das physisch nicht kann, muss sich ganz klar machen, dass der heutige 72-Jährige bei weitem gesünder und damit physisch leistungsfähiger ist als der 65-Jährige des Jahres 1957.

    Klein: Das ist ja ein Durchschnittwert, sagen wir mal, aber im Einzelnen kann man das sozusagen ja auch nicht immer voraussetzen.

    Raffelhüschen: Nun, das ist richtig, es ist ein Durchschnittwert. Aber die Varianz ist nicht besonders hoch, um es ganz konkret zu sagen. Ein 65-Jähriger hat im Grunde genommen noch fünf bis sechs Jahre wirkliche Mobilität, also kein wirkliches Alter vor sich. Ein 65-Jähriger im Jahre 1957 war wirklich alt.

    Klein: Die Rente mit 67 soll bis zum Jahr 2029 umgesetzt sein. Das war der Rentenexperte Professor Bernd Raffelhüschen. Danke für das Gespräch.

    Raffelhüschen: Bitte schön, Frau Klein.