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"Wir können nicht mehr weiter"

Mehr Schulden machen für eine Steuersenkung? Wolfgang Böhmer, Ministerpräsident von Sachsen Anhalt, hat bei den Plänen der FDP Bedenken - zumal die Finanzierung des Ganzen mindestens zur Hälfte von den Ländern getragen werden müsste.

Wolfgang Böhmer im Gespräch mit Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: Ministerpräsidentenkonferenz in Mainz. Über allem schwebt das Thema der geplanten Steuersenkungen der neuen schwarz-gelben Bundesregierung und unter anderem darum soll es in den kommenden Minuten gehen. Peter Ramsauer (CSU), der neue Bundesverkehrsminister aus Bayern, hat gestern gesagt, dass in den vergangenen 19 Jahren der Ausbau der maroden Strukturen in den neuen Bundesländern Priorität gehabt habe, und jetzt brauche man ein Nachholprogramm für die Verkehrsinfrastruktur im Westen. Am Telefon begrüße ich den Christdemokraten und Ministerpräsidenten in Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer. Guten Morgen, Herr Böhmer.

    Wolfgang Böhmer: Guten Morgen, Herr Spengler.

    Spengler: Haben Sie Einwände gegen ein Straßenbauprogramm West, wie das auch Ihr Parteifreund, der designierte Ministerpräsident in Baden-Württemberg Stefan Mappus fordert?

    Böhmer: Noch ist das ja nur ein Vorschlag, aber er ist in der Diskussion und ich würde die Kollegen bitten, einfach mal die Verkehrsnachrichten zu hören, wo denn die meisten baubedingten Staus sind. Da werden sie hören, dass die im westlichen Teil Deutschlands sind und nicht im Osten. Es ist ja nicht falsch, dass mit den Verkehrsprojekten deutsche Einheit in den letzten Jahren ein Schwerpunkt in den neuen Bundesländern war, weil ein riesiger Nachholbedarf bestand, der auch noch nicht völlig abgearbeitet ist, aber es ist trotzdem nicht so, dass der Westen, wie ich höre, völlig vernachlässigt wäre. Ich kann nur empfehlen: hören sie sich die Baustellenberichte und die Staus von den Autobahnen an, dann wissen sie, was in Deutschland los ist.

    Spengler: Stefan Mappus sagt, die Mittel müssten jetzt umgeschichtet werden. Wenn Mittel von Ost nach West umgeschichtet werden können, werden sie dann im Osten nicht mehr benötigt?

    Böhmer: Ich gehe nicht davon aus, dass sie im Osten nicht mehr benötigt werden. Das wäre sicherlich falsch. Und ich habe auch noch nicht gehört, dass das, was beschlossen ist, umgeschichtet werden soll. Wenn in Zukunft die Verteilung eine andere wird, dann wird das wahrscheinlich langsam das Erreichen einer gewissen normalen Verteilungskurve sein, was angestrebt wird. Dagegen hätte man auch nichts einzuwenden. Aber dass schon beschlossene Sachen und verteilte Finanzvolumina jetzt umgeschichtet werden, ich denke, dafür wird es keine Mehrheit geben.

    Spengler: Sind denn die Interessen der neuen Länder in Berlin gut gewahrt? Es gibt ja keinen Minister mehr aus den neuen Ländern in der neuen Bundesregierung.

    Böhmer: Ja, aber wissen Sie, ein Minister, egal für welches Ressort er zuständig ist, muss immer für die gesamte Bundesrepublik zuständig sein und nicht nur für die neuen Länder. Was wir beizutragen haben, das sagen wir auch so.

    Spengler: Nun ist dennoch die Empörung über die mangelnde Vertretung der ostdeutschen Länder in der neuen Bundesregierung so groß, dass damit sogar die Abtrünnigen erklärt werden, die Merkel nicht gewählt haben.

    Böhmer: Das halte ich für eine recht willkürliche Erklärung. Niemand weiß bei einer geheimen Abstimmung, wer wie abgestimmt hat. Und jetzt zu sagen, das waren die aus den neuen Bundesländern, da muss erst mal der Beweis erbracht werden.

    Spengler: Und dass der Aufbau Ost nun von einem Infrastrukturministerium ins Innenministerium verlagert wird, das ist in Ordnung?

    Böhmer: Der Aufbau Ost ist eine Aufgabe der gesamten Bundesregierung. Er war auch bisher nicht nur die Aufgabe eines einzigen Ministers und das soll bitte schön auch zukünftig nicht so sein. Ich habe immer dafür geworben, dass wir keinen Aufbau Ost-Minister mehr brauchen, sondern dass wir bestenfalls im Bundeskanzleramt jemanden brauchen, der die Schwerpunkte mit berücksichtigt und sich darum kümmert. Das hat Herr de Maizière jetzt schon gemacht und ich bin ganz sicher, das wird er weitermachen, und wir fühlen uns gerade in der Person vom jetzigen Innenminister, Herrn de Maizière, sehr gut vertreten.

    Spengler: Stichwort Steuerentlastung, Herr Böhmer. Schwarz-Gelb will die Bürger um 24 Milliarden Euro jährlich entlasten. Sie haben Bedenken geäußert und nun fordern FDP-Politiker Vertragstreue. Fühlen Sie sich denn als Ministerpräsident Sachsen-Anhalts gebunden an einen Koalitionsvertrag, den Sie selbst gar nicht unterschrieben haben?

    Böhmer: Nein. In dem Koalitionsvertrag, für den Vertragstreue eingefordert wird, steht auch der Satz, dass alle Aussagen dieses Koalitionsvertrages unter Haushaltsvorbehalt stehen. Ich halte diesen Satz auch für richtig und er gilt für alle, die koalitionstreu bleiben wollen. Das heißt, vor der Umsetzung jeder einzelnen Zielstellung muss auch geprüft werden, ob das mit dem Haushalt zumutbar ist. Und wenn wir im Bundesrat abstimmen, dann steht unsere Abstimmung auch unter dem Haushaltsvorbehalt der Haushaltssituation der Länder, für die wir Verantwortung tragen. Insofern ist das eine völlig korrekte Positionierung.

    Spengler: Also Sie fühlen sich gebunden an den Koalitionsvertrag, betonen aber, ich fühle mich mehr an den Finanzierungsvorbehalt gebunden?

    Böhmer: Die Bindung an den Koalitionsvertrag besteht für die Koalitionspartner. Das muss man ganz deutlich sagen. Ich bin gebunden an den Koalitionsvertrag, den wir in Sachsen-Anhalt abgeschlossen haben. Aber es sind ja keine unvernünftigen Zielvorstellungen, von denen wir reden, sondern wir müssen uns unterhalten und am Ende entscheiden, wann, unter welchen Bedingungen wir uns dieses, von der Sache her ja vernünftige Ziel leisten können. Und da sind die Situationen in den einzelnen Ländern unterschiedlich. Es gibt welche mit einer guten und welche mit einer schlechteren Haushaltssituation. Und wenn mir jetzt jemand erzählt, man soll in einer Wirtschaftskrise nicht allzu knittrig sein, da soll man mutig sein und Kredite aufnehmen, dann sage ich, das machen wir seit 1991. Da ging es uns nämlich noch viel schlechter als jetzt und da haben wir das Jahr für Jahr gemacht und haben dadurch allerdings eine Verschuldungssituation erreicht, die jetzt nicht mehr vernünftigerweise erhöht werden kann.

    Spengler: Also Sie würden nicht sagen, das können wir noch ein bisschen weitermachen?

    Böhmer: Das würde ich nicht sagen, und zwar deswegen nicht, weil wir im vollen Bewusstsein und von der Erkenntnis her, dass es notwendig ist, auch die Schuldenbremse mit unterschrieben haben und dafür gestimmt haben, dass das ins Grundgesetz kommt. Und ich möchte das auch ernst genommen wissen und möchte nicht gezwungen werden, das eigene Grundgesetz zu brechen, wo ich dafür gestimmt habe, dass wir dies so tun.

    Spengler: Wenn Sie jetzt über diese Steuererleichterungen abstimmen müssten, würden Sie jetzt Nein sagen?

    Böhmer: Im Moment weiß ich gar nicht, worüber ich abstimmen müsste. Eine Koalitionsvereinbarung ist kein Abstimmungsgegenstand, das ist kein Gesetz. Da muss erst ein Gesetz daraus gemacht werden. Ich habe ja gehört, dass der Bundesfinanzminister uns das Mitte des Jahres 2010 vorlegen wird. Bis dahin wissen wir auch, wie die wirtschaftliche Entwicklung sein wird, mit welchen Steuereinnahmen wir kalkulieren können. Dann schauen wir uns das Gesetz an und dann wird entschieden.

    Spengler: Ist es denn richtig, wenn es wirklich 24 Milliarden Steuerentlastung gäbe, dass da die Länder ungefähr für die Hälfte aufkommen müssten?

    Böhmer: Das sind die Kalkulationsgrößen, ja.

    Spengler: Das heißt also, 12 Milliarden müssten von den Ländern getragen werden?

    Böhmer: Bestimmt nicht in jedem Einzelfall, aber für die Kalkulation ist das diese Pauschalannahme.

    Spengler: Und das sind Einnahmen, auf die Sie nicht verzichten wollen?

    Böhmer: Wenn das jetzt alles so käme – das war ja diese rein theoretische Frage -, könnten wir uns das gegenwärtig nicht leisten.

    Spengler: Sie könnten nicht noch irgendwo sparen?

    Böhmer: Wir sind gerade dabei, den Haushaltsentwurf für 2010 und 2011 zu diskutieren. Da haben wir an jeder Ecke geguckt, ob noch was zu sparen ist. Ich halte das jetzt für ausgequetscht.

    Spengler: Mehr Schulden machen für eine Steuersenkung, das wollen Sie wie gesagt nicht?

    Böhmer: Wir haben in den letzten 18 Jahren so viele Schulden aufgeladen, dass wir sagen, wir können nicht mehr weiter, sonst können wir das Ziel der Schuldenbremse 2011 und dann degressiv nicht mehr umsetzen, weil die Steuerlast dann zu groß würde.

    Spengler: So ein Stabilisierungsfonds, wie ihn die Bundesregierung geplant hat, so ein Nebenhaushalt?

    Böhmer: Der Stabilisierungsfonds, im Grunde genommen ein Nebenhaushalt des Landes, egal auf welcher Ebene, sind auch Schulden, egal ob sie etatisiert sind oder nicht.

    Spengler: Dürften Sie auch gar nicht, oder?

    Böhmer: Auf alle Fälle wäre es nur unter ganz besonderen Bedingungen verfassungskonform.

    Spengler: Wolfgang Schäuble, der neue Finanzminister, sagt – ich zitiere ihn mal -, "wir wollen die Steuerreform so umsetzen, wie sie im Koalitionsvertrag steht, aber es liegt natürlich mit an den Bundesländern, ob wir das auch genau so schaffen". Verstehen Sie diesen Satz als eine Aufforderung, sich im Bundesrat gegen die Pläne zu wehren?

    Böhmer: Nein, so verstehe ich das gar nicht. Aber er weiß, dass er die Zustimmung der Länder im Bundesrat braucht und dass es ernst zu nehmende Gedanken sind, die wir in diesem Zusammenhang vortragen, weil jeder auch für sein Bundesland Verantwortung trägt.

    Spengler: Herr Böhmer, ist das ganze ein abgekartetes Spiel, an dessen Ende die Union sagt, wir würden ja gerne die Steuern senken, liebe FDP, aber die Bundesländer wollen nicht?

    Böhmer: Ich wüsste nicht, dass das ein abgekartetes Spiel wäre. Das wäre ja mit Vorsatz so eingefädelt.

    Spengler: Das war im Deutschlandfunk der Ministerpräsident Sachsen-Anhalts, Wolfgang Böhmer. Danke für das Gespräch, Herr Böhmer.

    Böhmer: Bitte schön.