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"Wir können und wollen gar nichts verstecken"

Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, hat die geplante längere Speicherung von Videodaten verteidigt. Der SPD-Politiker wies Kritik der Opposition am Zustandekommen der Regelung im Laufe einer nächtlichen Sitzung zurück. Es sei keineswegs beabsichtigt gewesen, eine öffentliche Debatte über die Gesetzesänderung zu verhindern.

Moderation: Christiane Kaess | 27.11.2007
    Christiane Kaess: Am Telefon ist Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen!

    Dieter Würfelspütz: Guten Morgen, Frau Kaess!

    Kaess: Herr Wiefelspütz, wäre bei einem so wichtigen Thema nicht eine öffentliche Debatte notwendig gewesen?

    Wiefelspütz: Gut, das hätte ich mir auch vielleicht etwas anders vorstellen können. In der Sache ist es nicht möglich, Nacht- und Nebelaktion, wenn ich das höre. Also ein engagierter Abgeordneter weiß doch, was passiert in seinem Arbeitsbereich. Das alles geht nur auf der Grundlage von schriftlichen Vorlagen. Wenn die Abgeordneten nicht aufpassen, dann haben sie sozusagen ihren Job nicht gut gemacht an dieser Stelle.

    Kaess: Aber, Herr Wiefelspütz, der Eindruck bleibt doch, dass es ein ungewöhnlicher Weg war, ein Fax über eine Änderung kam spät abends vor der Abstimmung. Einige hatten offensichtlich gar keine Zeit mehr, es zu lesen. Es ist am nächsten Tag im Innenausschuss ohne Erläuterung einfach abgestimmt worden und einen Tag später im Eilverfahren nachts um zwei durch den Bundestag gewunken worden ohne Aussprache?

    Wiefelspütz: Also wir haben häufiger sehr lange Tagesordnungen im Deutschen Bundestag. Also ich weise den Vorwurf zurück, das sei irgendwo manipulativ. Demokratie heißt Öffentlichkeit, heißt Transparenz. Wir können und wollen auch gar nichts verstecken, das geht auch gar nicht. Allerdings: Ich kann der Opposition nicht die Arbeit abnehmen, also lesen muss man schon als Abgeordneter.

    Kaess: Ein Problem scheint auch gewesen zu sein, dass die Änderung in einem Gesetzesentwurf vorkommt, in dem es ja vor allem Flugpassagierdaten geht, hätte es da nicht eines besonderen Hinweises bedurft, dass da etwas anderes noch mitbeschlossen wird?

    Wiefelspütz: Ich denke, wir haben ja auf diesem Sektor auch immer Berichterstattergespräche und ähnliches. Ich denke, wenn man engagiert seine Arbeit macht, kann einem das auffallen. Es muss ja nicht nur Herr Schaar sein, der Texte liest. Herr Schaar ist Bundesdatenschutzbeauftragter und nicht einmal ein Parlamentarier, und das, was Herr Schaar kann, können doch andere auch.

    Kaess: Die Opposition ist die eine Seite, aber haben denn die Bürger bei so einem Thema, von dem ja wirklich jeder betroffen sein kann, nicht auch ein Recht auf eine öffentliche Diskussion.

    Wiefelspütz: Also da würde ich einräumen, das hätte etwas besser laufen können. Was ich überhaupt nicht einsehe, warum solche Dinge verstecken sollte. Erstens ist das nicht angebracht, nicht angezeigt, Demokratie heißt, öffentlich die Dinge tun und nicht irgendwo verschwiegen. Und zweitens ist im Sicherheitsbereich eine öffentliche Debatte ausgesprochen erwünscht, weil alles andere ja wohl auch eher Misstrauen und Ressentiment und Vorbehalte begründen würde. Ich bin dafür, dass man über die Sicherheitsbelange unseres Landes, über die Sicherheitsbelange unserer Bürger, über ihre Bürgerrechte offen und transparent diskutiert.

    Kaess: Sie sagen, es hätte besser laufen können. Warum ist es dann nicht besser gelaufen?

    Wiefelspütz: Das kann ich Ihnen jetzt gar nicht mit letzter Sicherheit sagen. Ich sage noch einmal: Wir tun nichts heimlich. Es läuft immer alles öffentlich. Und in der Sache halte ich es durchaus verantwortbar und vertretbar. Ich bitte Sie mal zurückzudenken, Kofferbombenattentäter, die entscheidenden Hinweise sind über Videobilder gekommen auf einem Bahnhof. Und dass wir so etwas an solchen Orten tun, nämlich Videoaufzeichnungen machen, das ist sachgerecht. Wir machen es nicht flächendeckend wie in Großbritannien. Die haben dort eine ganz andere Sicherheitsphilosophie, die nicht unsere ist, die ich auch für Deutschland nicht für akzeptabel halte. Wir zeichnen nicht flächendeckend auf, sondern nur an ganz bestimmten Orten, beispielsweise auf großen Bahnhöfen, längst nicht auf allen Bahnhöfen, aber wenn das dann dort aufgezeichnet ist, glaube ich, macht es durchaus Sinn, diese Videobilder ein paar Tage länger aufzubewahren, um dann möglicherweise im Nachhinein Spuren zu finden und Straftaten aufzuklären oder auch zu verhindern.

    Kaess: Sie sprechen das Beispiel der sogenannten "Kofferbomber" an, aber das ist ja eigentlich ein Beispiel dafür, dass es bisher auch Fahndungserfolge gab. Die sind eben durch Videoaufnahmen identifiziert worden. Warum sollten denn die Daten dann länger als nötig gespeichert werden?

    Wiefelspütz: Man muss immer begründen letzten Endes, wie lange sie gespeichert werden sollen. Das ist eine Abwägungsfrage, ob das nur wenige Stunden sind oder auch einige Tage. Ich bitte Sie im Übrigen, wenn Sie an einen EC-Karten-Schalter gehen, um sich dort Geld aus einem Automaten zu ziehen, werden Sie auch aufgenommen von einer Videokamera. Wenn Sie eine Bank betreten, werden Sie aufgenommen.

    Kaess: Aber die Daten werden nicht gespeichert?

    Wiefelspütz: Ja, natürlich werden diese Daten gespeichert, was denken Sie denn. Wenn Sie vor einen EC ...

    Kaess: Und auf diese Daten hat die Bundespolizei auch Zugriff?

    Wiefelspütz: Das glaube ich eher nicht.

    Kaess: Darum geht es ja.

    Wiefelspütz: Das sind private Daten, die von Banken erhoben werden.

    Kaess: Aber wir sprechen ja über Daten, auf die die Bundespolizei Zugriff hat, und darum geht es ja.

    Wiefelspütz: Ja, das ist ja im Grunde doch nicht groß anders. Glauben Sie denn, dass eine Bank etwas Wichtigeres wäre als ein Bahnhof, wenn es um Straftaten geht? Also da kann ich keinen großen Unterschied erkennen. Allerdings ist es richtig, auf Bahnhöfen hat die Bundespolizei Zuständigkeiten, nicht etwa eine Bank. Und in der Bank hat die Bundespolizei nichts zu suchen. Es geht doch darum, dass wir aus guten Gründen, da, wo es angebracht ist, ich betone noch einmal, da, wo es angebracht ist und da, wo es begründbar ist, dass wir dort auch Videoaufzeichnungen machen.

    Kaess: Die Opposition sagt, zu einer effektiven Videoüberwachung, zur Terrorbekämpfung bräuchte man aber weniger, dafür aber teurere Videokameras.

    Wiefelspütz: Ach, Gott, ja, die Opposition ... Was will sie denn jetzt? Keine Videoaufnahmen oder gar bessere? Ich glaube, dass wir im Bereich von Sicherheitstechnik natürlich auch Entwicklungen haben werden, insgesamt gesehen. Wir arbeiten im Moment noch mit sehr einfachen Systemen. Die werden sich sicherlich weiterentwickeln. Wir werden aber immer wieder draufschauen müssen, wie sieht das aus mit den Bürgerrechten bei Videoaufnahmen, welche Kontrollen gibt es, welche Missbrauchsmöglichkeiten sind denkbar. Das muss immer öffentlich und frei diskutiert werden, wie sich das gehört in einem freien, rechtsstaatlichen Land, aber es ist sicherlich klar, dass in der langen Linie sich Sicherheitstechnik entwickeln wird, und dazu gehört sicherlich auch die Videotechnik.

    Kaess: Die Transparenz, die Sie ansprechen, ist aber bei dieser Gesetzesänderung eben nicht vorhanden gewesen. Es sieht ein bisschen danach aus, als sei der Regierung nach all den hitzigen Debatten um die innere Sicherheit in letzter Zeit es ganz recht gewesen, dass diese Änderung so still und leise durchgegangen ist?

    Wiefelspütz: Ich will Ihnen freimütig sagen, das funktioniert ja nie. Deswegen kann es auch nicht ernstlich beabsichtigt sein. Ich sag das mal so drastisch. Wir reden jetzt darüber im Nachhinein. Besser wäre es, man hätte vorher darüber freimütig geredet. Ich sage, das was wir vonseiten der Großen Koalition für sachgerecht halten im Bereich von Sicherheit, muss vorher angemessen öffentlich diskutiert werden, in aller Breite, und dann kommt eine Entscheidung. Es ist doch ohne jeden Effekt und auch ohne jede Vernunft zu glauben oder zu unterstellen, wir würden irgendwie auf diese Weise, wenn man das etwas weniger offen diskutiert, würden wir rascher ans Ziel kommen. Das ist doch nicht der Fall. Wenn wir damals offen diskutiert hätten, öffentlicher diskutiert hätten, wäre dieses Interview nicht zustande gekommen. Und umgekehrt – Also ich kann daran keinen Sinn erkennen. Das funktioniert nie.

    Ich sage noch einmal: Es wäre besser gewesen, man hätte das öffentlich diskutiert, und das hätten wir es öffentlich gemacht und dazu auch gestanden, und meinethalben auch morgens um elf Uhr im Parlament das Ganze verabschiedet. So werden wir jetzt diskutieren müssen, warum das eben halt spät nachts passiert ist, und warum die Opposition nicht aufgepasst hat und, und, und. Ich hab doch überhaupt kein Problem damit. Das, was ich für sachgerecht und für notwendig halte im Interesse der Sicherheit unserer Bürger, auch offen zu diskutieren, das gebietet doch die Klugheit, dass man das rechtzeitig tut. Denn wenn man im Nachhinein dann versucht, das noch mal zu erklären, hat man doch eher schlechtere Karten.

    Kaess: Herr Wiefelspütz, sagen Sie uns zum Schluss noch, was das Nächste sein wird: die Nutzung der Mautdaten?

    Wiefelspütz: Da haben wir noch keine Gesetzesvorlage. Wir diskutieren jetzt in diesen Tagen und Wochen die Novelle zum Bundeskriminalamtgesetz. Wir werden im Frühjahr über Online-Durchsuchung zu entscheiden haben nach der Entscheidung der Bundesverwaltungsgerichtes. Wir reden über E-Personalausweis und sicherlich auch über das eine oder andere, aber zum Schluss will ich noch mal sehr deutlich sagen: Wir leben in Deutschland in einem der freiesten und sichersten Länder der Welt, und ich glaube, was Rechtsstaat angeht, gibt es überhaupt nichts Vergleichbares weltweit. Dies ist der entwickeltste Rechtsstaat, Frau Kaess, den ich weltweit kenne. Darauf sollten wir stolz sein, dass es so ist, und das soll so auch so bleiben.

    Kaess: Sagt Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der SDP-Bundestagsfraktion. Vielen Dank für das Gespräch!