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"Wir könnten die Zahl in Deutschland mindestens verdoppeln"

Um die Zahl der Organspenden in Deutschland zu erhöhen, plädiert der CDU-Politiker Peter Liese für eine bessere Organisation in den Kliniken. Transplantationsbeauftragte könnten dabei einen wichtigen Beitrag leisten.

Peter Liese im Gespräch mit Friedbert Meurer | 18.05.2010
    Friedbert Meurer: Für Kranke, die auf eine Organspende warten, ist es wieder ein kleiner Hoffnungsschimmer. In Straßburg will das Europaparlament heute eine neue Richtlinie zu Organspenden verabschieden. In Deutschland sterben 1.000 Menschen jährlich, weil sie vergeblich auf eine Transplantation warten. Die EU-Richtlinie wird nicht unmittelbar dafür sorgen, dass es mehr Spender gibt; das ist aber in einem Aktionsplan der Kommission vorgesehen und es soll Klarheit darüber herrschen, dass in allen EU-Staaten die gleichen Standards gelten.
    Für die Organspende-Richtlinie der EU engagiert hat sich Peter Liese. Er ist gesundheitspolitischer Sprecher der Christdemokraten im Europaparlament. Guten Morgen, Herr Liese.

    Peter Liese: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Die Entscheidung, die das Europaparlament heute fassen wird, was wird damit für Patienten besser, die auf eine Spende warten?

    Liese: Wir werden zunächst einmal einheitliche Sicherheitsstandards haben, sodass man sich auch wenn ein Organ aus einem anderen Mitgliedsland der Europäischen Union kommt, sicher sein kann, dass zum Beispiel nicht der HIV-Virus oder Hepatitis-Viren oder Krebszellen übertragen werden. In der Folge davon kann man natürlich gerade bei Patienten, die ein besonderes Organ brauchen, wo zum Beispiel innerhalb Deutschlands der Gewebetyp nicht zu finden ist, darauf hoffen, dass man dann aus dem Ausland leichter Organe bekommt. Es gibt zwar schon eine Zusammenarbeit, aber nicht zwischen allen Ländern der Europäischen Union.

    Meurer: Es gibt eine Zusammenarbeit über Eurotransplant. Das sind Deutschland, die Benelux-Staaten, glaube ich, und Kroatien und Slowenien.

    Liese: Ja!

    Meurer: Warum wird das nicht geschaffen, ein EU-weiter Organspendeverbund?

    Liese: Wir können diesen Verbund nicht direkt erzwingen, weil wir in der Gesundheitspolitik in der Europäischen Union sehr streng an die Regeln der Subsidiarität gebunden sind. Das heißt, die Mitgliedsstaaten wachen sehr darauf, dass wir nicht zu viel eingreifen. Aber wir können es natürlich erleichtern und politisch auch voranbringen, wenn wir erst mal gleiche Standards haben, denn ein Grund, warum viele Länder bei Eurotransplant nicht mitmachen, ist, dass sie die Standards, die Eurotransplant verlangt, nicht einhalten. Die werden sie jetzt aber ohnehin einhalten müssen und dann ist ein wesentliches Argument, warum sie bei Eurotransplant nicht mitmachen, auch nicht mehr vorhanden.

    Meurer: Es gibt einen Aktionsplan der EU-Kommission, der die Richtlinie begleitet. Was kann man sich von diesem Aktionsplan versprechen?

    Liese: Der Aktionsplan spricht all diejenigen Dinge an, die wir eben aufgrund der Subsidiarität nicht direkt regeln können, wo wir aber durchaus gute Praxis aus den Mitgliedsstaaten weiterempfehlen können, und das Allerwichtigste ist die Organisation in den Krankenhäusern. Wir haben festgestellt, dass die Länder, die sehr hohe Zahlen haben, wie etwa Spanien, deshalb so hohe Zahlen haben, weil sie sogenannte Transplantationskoordinatoren haben. Das sind Beauftragte in den Krankenhäusern, die sich um das Thema kümmern, wenn ein Patient verstorben ist, der für eine Organspende in Frage kommt, Gespräche mit den Angehörigen führen und den Patienten vorbereiten, das Transplantationsteam dann informieren, den Austausch organisieren. All das ist in Deutschland und in vielen anderen Ländern oft nicht so optimal, im Klinikalltag geht das Thema unter.

    Meurer: Wie oft kommt das vor, dass ein Organ nicht zur Spende bereitgestellt wird, weil es einfach an Organisation im Krankenhaus mangelt?

    Liese: Wenn man sich mal die Zahlen betrachtet in Deutschland und in Spanien; die Spanier haben mehr als doppelt so viele Organtransplantationen pro eine Million Einwohner pro Jahr. Und wenn man gleichzeitig betrachtet, dass die grundsätzliche Bereitschaft zur Organspende in Deutschland gar nicht so viel schlechter ist als in Spanien, dann kann man fast davon ausgehen, dass jeden Tag drei Organe verloren gehen, die in Spanien erfasst werden durch ein sehr professionelles System und die in Deutschland nicht erfasst werden.

    Meurer: Das ist übrigens dieselbe Zahl: Jeden Tag sterben drei Menschen, weil es kein Organ gibt.

    Liese: Ja, und in der Tat: Wenn wir die Zahl von Spanien hätten, könnten wir die Transplantationen in Deutschland verdoppeln, weil Spanien mehr als doppelt so viele Transplantationen pro Jahr und eine Million Einwohner hat.

    Meurer: Da Spanien so gut dasteht, Deutschland weniger gut, im unteren Mittelfeld EU-weit gesehen, liegt es auch daran, dass Spanien die sogenannte Widerspruchsregelung hat?

    Liese: Ich glaube nicht. Die Gespräche, die ich mit den spanischen Experten geführt habe – wir haben uns, auch weil Spanien die Ratspräsidentschaft hat, ja sehr intensiv mit dem spanischen Modell auseinandergesetzt -, die Spanier selber sagen, dass sie die Widerspruchsregelung praktisch nicht anwenden. Das heißt, auch wenn man ohne Einverständnis der Angehörigen in Spanien ein Organ entnehmen könnte, wird doch in über 99 Prozent der Fälle das Einverständnis eingeholt. Das ist auch ganz selbstverständlich, weil man natürlich die Glaubwürdigkeit in einem Transplantationssystem völlig unterminieren würde, wenn man den Angehörigen, die gerade einen lieben Menschen verloren haben, sagt, jetzt gehen sie mal bitte hinaus, wir müssen jetzt das Organ entnehmen, ohne mit ihnen über diese Frage überhaupt zu sprechen.

    Meurer: Man kann ja zusätzlich das Einverständnis bekommen, Herr Liese. Aber jetzt hat gerade der Deutsche Ärztetag auch noch mal dafür plädiert, die Widerspruchsregelung einzuführen. Kann man mit einer solchen Regelung nicht eindeutig mehr potenzielle Spender erzeugen als mit der derzeitigen Zustimmungsregelung, bei der nur 12 Prozent aller Deutschen einen Organspendeausweis haben?

    Liese: Zum Glück ist es ja so, dass wir auch die erweiterte Zustimmungsregelung haben. Ich finde es zwar beschämend, dass nur zwölf Prozent einen Organspendeausweis haben, während 99 Prozent der Menschen in dem Fall, dass sie ein Organ brauchen, natürlich bereit sind, eines zu akzeptieren. Es ist keine gute Ethik, wenn man bereit ist, das Positive zu akzeptieren, aber nicht selber etwas dazu beizutragen.

    Insofern halte ich auch die Widerspruchsregelung für ethisch akzeptabel. Ich glaube aber, dass die Diskussion am Kern der Sache vorbeiführt, weil wir auch in Ländern mit Widerspruchsregelungen sehr unterschiedliche Ergebnisse haben und in Ländern mit einer erweiterten Zustimmungsregelung – also nicht nur der Betreffende kann zustimmen durch einen Ausweis, sondern auch die Angehörigen können zustimmen – auch sehr unterschiedliche Erfolge haben. Allein innerhalb Deutschlands gibt es Unterschiede von 100 Prozent. Das Bundesland Bremen hat sehr viele, mehr als doppelt so viele Organspender pro einer Million Einwohner und Jahr als zum Beispiel das Bundesland Hessen, und das kann ja nicht an der rechtlichen Regelung liegen.

    Meurer: Dann mal zur Klarstellung: Erweiterte Regelung heißt, dass jemand, der keinen Organspendeausweis hat, angenommen er stirbt bei einem Unfall, trotzdem ein Organ entnommen werden kann, wenn die Angehörigen zustimmen?

    Liese: Das ist so in Deutschland und das ist auch in der Regel der Fall. Die meisten Organe werden nach Zustimmung der Angehörigen entnommen und nicht nach Vorhandensein eines Organspendeausweises; sonst sähe es natürlich noch sehr viel schlimmer aus in Deutschland.

    Meurer: Wie viele Organspenden mehr könnte es geben, wenn unsere Krankenhäuser besser organisiert wären?

    Liese: Ich glaube, wir könnten die Zahl in Deutschland mindestens verdoppeln. Wir haben zurzeit etwa 15 Spenden pro eine Million Einwohner pro Jahr; Spanien hat 35 und das meiste an diesem Unterschied ist durch die Organisation in den Krankenhäusern bedingt.

    Meurer: Der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese, Mitglied im Gesundheitsausschuss des Europaparlaments, bei uns im Deutschlandfunk. Herr Liese, schönen Dank und auf Wiederhören!

    Liese: Vielen Dank, Herr Meurer!