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"Wir machen hier eine Politik des Maßes und der Mitte"

Ab 2010 gilt in der Metall- und Elektroindustrie eine neue Altersteilzeitregelung, die nicht mehr auf Fördermittel der Bundesagentur für Arbeit zurückgreift. Die gestern vereinbarte Regelung erhalte zudem die Möglichkeit der Altersteilzeit dort, wo sie gebraucht würde, so Ralf Brauksiepe, arbeitsmarktpolitischer Sprecher der CDU.

Ralf Brauksiepe im Gespräch mit Silvia Engels |
    Silvia Engels: Gestern kam im Pilotbezirk Baden-Württemberg nach langem Ringen eine Einigung zur Altersteilzeit zu Stande. Arbeitgeber und Gewerkschafter der Metall- und Elektroindustrie verständigten sich darauf, dass 2,5 bis höchstens 4 Prozent der Belegschaft eines Betriebes einen allgemeinen Anspruch auf eine bis zu vierjährige Altersteilzeit haben. Die Betroffenen erhalten dann 85 bis 87 Prozent des letzten Nettoeinkommens. Die Kosten dafür teilen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Das Ganze soll ab 2010 gelten und greift dann, wenn die bislang geltende Förderung der Bundesagentur für Arbeit wegfällt. - Am Telefon ist nun der arbeitsmarktpolitische Sprecher der Unionsbundestagsfraktion, Ralf Brauksiepe (CDU). Guten Morgen!

    Ralf Brauksiepe: Schönen guten Morgen, Frau Engels.

    Engels: Freuen Sie sich über die Einigung?

    Brauksiepe: Ich freue mich, dass die Tarifvertragsparteien ein Ergebnis gefunden haben, mit dem sie selbst zufrieden sind. Das ist das, was ich aus meiner Sicht sehe. Inhaltlich will ich da gar nichts bewerten; das ist Sache der Tarifvertragsparteien. Das zeigt aber vor allem, dass wir politisch richtig liegen, dass man eben als Tarifvertragsparteien Altersteilzeitvereinbarungen treffen kann auch nach 2009, ohne damit das Geld der Beitragszahler zu brauchen. Das ist genau das, was wir politisch wollten.

    Engels: Das habe ich aber etwas anders in Erinnerung, denn es war ja eigentlich der politische Wille, Frühverrentung nicht weiter zu fördern, weil aufgrund des demographischen Wandels einfach länger gearbeitet werden muss.

    Brauksiepe: Ich will noch mal deutlich sagen, was wir politisch vereinbart haben. Wir haben gesagt, die Altersteilzeit kann es weiter geben, und es wird sie auch mit staatlicher Förderung weiter geben. Das sieht so aus: wir haben gerade die Vereinbarung zum Teil angesprochen. Ich sollte vielleicht noch mal sagen: Altersteilzeit bedeutet, die Menschen arbeiten über sechs Jahre 50 Prozent. Sie bekommen nach der Gesetzeslage für 50 Prozent Arbeit 70 Prozent Lohn. In der Metallindustrie ist jetzt sogar über 80 Prozent vereinbart worden. Das kann gemacht werden. Und sie werden in der Rente so behandelt, als hätten sie 90 Prozent gearbeitet. Auf diese zusätzlichen Gehaltsbestandteile müssen Arbeitgeber und Arbeitnehmer keine Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zahlen. Der Arbeitnehmer versteuert also nur 50 Prozent des Einkommens und beide Seiten zahlen auch nur auf die 50 Prozent Beiträge, nicht auf die Aufstockungsbeträge. Das macht es attraktiv. Wir haben klar beschlossen in der Großen Koalition, dass das auch unbefristet so weitergeht, um auch Möglichkeiten der Flexibilität jetzt zu schaffen. Wir haben gesagt, was ausläuft ist der Frühverrentungsanreiz, der darin besteht, dass sich bisher noch ein Unternehmen auch den zusätzlichen Lohn selbst, der über 50 Prozent hinausgeht, von der Bundesagentur für Arbeit erstatten lassen kann. Da haben wir gesagt, das ist nicht Aufgabe des Beitragszahlers. Für gut 100.000 geförderte Personen zahlt der Beitragszahler bei der BA, die über 27 Millionen Beitragszahler, demnächst rund eineinhalb Milliarden Euro und da haben wir gesagt, das ist uns zu viel. Diese zusätzliche Förderung läuft Ende 2009 aus. Das ist auch richtig. Da müssen wir andere Prioritäten setzen. Das Instrument der Altersteilzeit bleibt bestehen, auch die Förderung über die Steuer- und Sozialabgabenfreiheit. Das stand für uns auch gar nicht zur Debatte. Und wenn auf der Basis Tarifvertragsparteien zu Regelungen kommen, haben wir da überhaupt nichts gegen.

    Engels: Herr Brauksiepe, Sie haben es selber angesprochen. Für die Beschäftigten der Branche ist das attraktiv. Aber gerade die Metall- und Elektroindustrie beklagt immer wieder auch einen Fachkräftemangel. Ist denn da eine Altersteilzeitregelung zeitgemäß?

    Brauksiepe: Es muss, glaube ich, nach Lösungen gesucht werden, die Kompetenz und die Fähigkeiten älterer Menschen in der Arbeitswelt auch stärker zu nutzen, als das in der Vergangenheit der Fall war. Deswegen ist auch das klare Signal, das wir politisch gesetzt haben: die Älteren werden gebraucht. Die Älteren werden genauso gebraucht wie die Jüngeren. Sie haben unterschiedliche Stärken und die müssen in den Betrieben genutzt werden. Ich gehe davon aus, dass aufgrund solcher Vereinbarungen wie dieser auch dafür gesorgt wird, dass in den Betrieben verstärkt auf die Möglichkeiten Älterer Rücksicht genommen wird. Da gibt es ja die Regelungen auch zu den besonders belasteten Beschäftigungen. Da muss es auch das gemeinsame Interesse sein, solche besonderen Belastungen für Ältere zurückzufahren, damit man insgesamt ein solches Modell dann auch fahren kann. Es ist also ganz wichtig, dass die Politik die Anreize dahingehend setzt, dass in den Betrieben die Möglichkeiten genutzt werden, dass Ältere tatsächlich länger bleiben können. Dazu gehört auch, dass man sich nicht darauf einstellt, die Älteren können ziemlich schnell heraus und es gibt Staatsknete dazu und es gibt das Geld der Beitragszahler außerdem noch dazu, quasi als Belohnung, damit man die Älteren eher rausdrängt. Das ist in der Vergangenheit leider an manchen Stellen der Fall gewesen und mit diesen Auswüchsen machen wir Schluss. Flexibilität ist notwendig und sinnvoll. Die gibt es weiter. Aber Auswüchse zu Lasten der Beitragszahler, die hören auf.

    Engels: Aber eine gewisse staatliche Förderung gibt es nach wie vor. Sehen Sie trotzdem nicht die Gefahr, dass ältere Arbeitnehmer auch künftig in Altersteilzeit abgeschoben werden?

    Brauksiepe: Man muss ja das Gesamtbündel an Instrumenten sehen. Wir geben ja auch eine Menge von Unterstützung dafür, dass Ältere weiterqualifiziert werden, und von daher auch, dass Ältere in den Betrieben gehalten werden. Diese Altersteilzeitregelungen, die ab 2010 in deutlich abgespeckter Form nur noch staatlich unterstützt werden, die sind ein Mosaikstein unter vielen. Wir müssen zur Kenntnis nehmen: die Arbeitswelt hat sich geändert. Wir haben durch die Bundesagentur für Arbeit geförderte Altersteilzeit seit 1984, und wenn wir dann nach Jahrzehnten hier andere Prioritäten setzen, ist das richtig. Das heißt aber immer noch, auch wenn die Menschen älter werden, auch wenn sie im Durchschnitt gesünder bleiben, dass es natürlich immer noch gesundheitlich belastende Arbeitsplätze gibt. Die wird es auch in Zukunft noch geben. Deswegen will ich auch gar nicht sagen, dass man solche Instrumente gar nicht mehr braucht. Uns geht es darum, dass wir jetzt nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Wir sagen nicht, es bleibt alles wie es ist und es bleibt dabei, dass die Beitragszahler für die Bundesagentur für Arbeit alles weiter finanzieren müssen, sondern wir specken die Zahlungen ab. Aber wir sagen, Flexibilitätsinstrumente braucht man immer noch und es wird auch immer noch Berufe geben, in denen es wichtig ist, solche Möglichkeiten zu haben, dass Menschen länger arbeiten als bisher, aber dass sie eben auch früher rausgehen können. Man muss ja auch sehen, dass wir ab dem Jahr 2012 anfangen, ganz, ganz sachte das Renteneintrittsalter von 65 auf 67 Jahre zu erhöhen. Das heißt, auch wenn es dann weiter Altersteilzeit gibt, bedeutet dies, dass die meisten Menschen eben länger arbeiten müssen. Von daher muss man immer das Gesamtbündel an Maßnahmen sehen, das wir an Anreizen setzen, dass Menschen länger in Beschäftigung bleiben, aber dass gleichzeitig diejenigen, bei denen das nicht mehr möglich ist, dann auch eine Chance haben, zu vernünftigen Bedingungen auszuscheiden.

    Engels: Herr Brauksiepe, das ist nun eine Einigung in der Metall- und Elektroindustrie. Sie soll dann bundesweit gelten. Aber werden auch andere Branchen nachziehen?

    Brauksiepe: Erfahrungsgemäß sind das Regelungen, an denen vor allem die Metall- und Elektroindustrie Interesse hat wie auch die Chemieindustrie. Die Chemieindustrie hat schon vor Monaten einen ähnlichen Altersteilzeit-Tarifvertrag abgeschlossen. Die haben nicht groß geklagt und gesagt, die Politik soll da noch mehr Geld drauflegen. Die haben schon vor Monaten so eine Einigung erzielt. Die Metall- und Elektroindustrie hat traditionell auch solche Vereinbarungen. Da ist erheblicher Druck auf die Politik gemacht worden, da noch finanziell eine Schüppe draufzulegen. Dann haben wir gesagt, im Hinblick auf die Interessen von über 27 Millionen Beitragszahlern tun wir da nicht noch eine Schüppe drauf. Und dann ist uns gesagt worden, dann käme keine Vereinbarung zu Stande, das ginge so nicht. Jetzt sehen wir: es geht.

    Engels: Chemie und Metall, das sind recht wohlhabende Branchen. Andere Branchen sind ärmer und haben solche belasteten Berufe dann demnächst keine Chance mehr auf Altersteilzeit?

    Brauksiepe: Richtig ist, dass in der Vergangenheit vor allem die Großindustrie von solchen Regelungen profitiert hat. Deswegen schaffen wir ja auch diese Förderung durch die Bundesagentur ab, weil wir gesagt haben, darum kann es nicht gehen, dass nur diejenigen, die in den Unternehmen große Rechtsabteilungen haben, um so was zu machen, dann auch die Förderung bekommen. Es ist in der Tat ja eine zum Teil stark verzerrte Debatte, die da auch von unserem Koalitionspartner geführt wird, von dem Dachdecker, der mit 67 nicht mehr auf dem Dach stehen kann. Der kann auch heute mit 65 nicht mehr auf dem Dach stehen. Mein örtlicher Dachdecker sagt mir, Herr Brauksiepe, ich habe nie Altersteilzeitregelungen in Anspruch genommen, ich muss Dächer decken, davon lebe ich, ich kann hier nicht ständig Formulare von der Bundesagentur für Arbeit ausfüllen. Es ist in der Tat eine Regelung gewesen, die vor allem von der Großindustrie genutzt worden ist, wo das dann auch zum Teil systematisch organisiert worden ist. Und ich sage noch mal: Dem schieben wir einen Riegel vor. Man muss ja dann überlegen, worauf man sich jetzt mit der Kritik konzentriert. Machen wir zu viel Altersteilzeitförderung oder zu wenig? - Ich denke, wir machen genau das richtige. Wir machen hier eine Politik des Maßes und der Mitte, ein Stück weit Förderung ja, aber keine Ausuferung.

    Engels: Ralf Brauksiepe, der arbeitsmarktpolitische Sprecher der Unionsbundestagsfraktion. Ich bedanke mich für das Gespräch.

    Brauksiepe: Herzlichen Dank.