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"Wir müssen alle aufeinander zugehen"

SPD-Fraktionschef Peter Struck sieht nach eigenen Worten gute Chancen für ein rasches Ende des parteiinternen Streits um Änderungen an der Agenda 2010. Der Bundesvorstand bereite derzeit einen Antrag vor, über den in knapp zwei Wochen entschieden werden solle, sagte Struck. Er hoffe, dass dann beim Parteitag Ende des Monats ein Beschluss gefasst werde, den alle in der SPD mittragen könnten.

Moderation: Dirk Müller |
    Dirk Müller: Es wird eng für die SPD, denn Kurt Beck wie auch Franz Müntefering bleiben hart, unnachgiebig in der Sache. Das war jedenfalls der Stand gestern Nachmittag. Ein Konflikt über das Arbeitslosengeld, der offenbar einen tiefen Graben freilegt in der Partei zwischen den einen, die da sagen, die Agenda 2010 ist ein Erfolg, weil sie genau so sein soll, wie sie eben auch aktuell ist, und denen, die da sagen, die Agenda ist nur ein Erfolg, wenn sie wieder korrigiert wird. Der ganze Reformeifer der SPD-Führung droht am Beispiel des Arbeitslosengeldes zu verpuffen, befürchtet jedenfalls Franz Müntefering. Aber selbst Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück, die erklärten Reformer und Modernisierer, gehen auf den Parteichef zu und damit ein wenig auch gegen den Arbeitsminister. Am frühen Abend dann gestern stehen die Signale auf einmal auf Kompromiss. ( MP3-Audio , Bericht von Frank Capellan)

    SPD-Fraktionschef Peter Struck ist nun am Telefon. Guten Morgen!

    Peter Struck: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Herr Struck, wenn Sie denn jetzt zu einem Kurt-Beck-Fan geworden sind, warum dann jetzt ein Kompromiss?

    Struck: Ich glaube schon, dass es eine gute Situation wäre, wenn wir auf dem Parteitag einen Antrag beschließen können, einen Vorschlag aus dem Parteivorstand beschließen können, den alle mittragen können, weil es keine gute Situation wäre, wenn wir so eine Art "High-Noon-Situation" auf dem Parteitag bekämen. Ich sehe dafür aber auch gute Erfolgsaussichten.

    Müller: Ist Franz Müntefering wichtiger als der politische Inhalt?

    Struck: Es sind alle wichtige Personen, die agieren, aber natürlich auch die Inhalte. Bei den Inhalten ist klar, dass wir einen Debatte haben in der Partei schon seit längerem über die Frage, ob das Arbeitslosengeld I länger gezahlt werden soll. Es liegen auch entsprechende Anträge auf dem Parteitag vor. Wir haben im Augenblick eine entsprechende Bewertung aus dem Ministerium von Franz Müntefering, dass er den Weg nicht für richtig hält. Aber ich glaube schon, dass wir als Partei, aber natürlich auch wir als Fraktion auch darauf Rücksicht nehmen müssen, dass es eine Art gefühlte Ungerechtigkeit gibt, eine gefühlte Ungerechtigkeit gerade empfunden von denjenigen Menschen, die sagen, ich habe jetzt 30 Jahre gearbeitet auch meine Arbeitslosenversicherungsbeiträge bezahlt, werde aber genauso behandelt nach 1 Jahr oder nach 15 Monaten wie jemand, der das nur 3 Jahre oder 2 Jahre gemacht hat.

    Müller: Aber warum nehmen Sie es dann nicht hin, wenn nach Ihrer Meinung wie nach der Meinung offenbar der großen Mehrheit der Partei Franz Müntefering nicht Recht hat?

    Struck: Die Frage habe ich nicht verstanden, Herr Müller. Die müssen Sie noch mal wiederholen.

    Müller: Warum müssen Sie auf Franz Müntefering zugehen, wenn die fast gesamte SPD sagt, wir wollen die Verlängerung?

    Struck: Natürlich ist Franz Müntefering wichtig, aber es ist nicht so, dass wir auf Franz Müntefering zugehen. Das ist ja eine absurde Situation auch. Also wir müssen alle aufeinander zugehen, Kurt Beck auf Franz Müntefering, ich auf Franz Müntefering und umgekehrt. Wir sind jetzt dabei vorzubereiten einen Antrag des Parteivorstandes für den Parteitag. Das wird am 22. Oktober entschieden. Das wird dann auch in der Antragskommission beraten werden. Da geht es darum, dass wir eine möglichst gemeinsame Position finden.

    Müller: Eine gemeinsame Position, von der Sie dann nach wie vor überzeugt sind, dass es mehr Arbeitsplätze schafft?

    Struck: Ich bin schon der Auffassung, dass natürlich im Vordergrund stehen muss, Herr Müller, dass man in Arbeit investiert auch als Staat jetzt und nicht in Arbeitslosigkeit. Nur trotzdem kann ich nicht einfach ignorieren, wie die Situation bei Menschen ist, die über 50 oder über 55 sind. Deren Chancen in den Arbeitsmarkt wieder zurückzukehren, haben sich zwar deutlich verbessert durch das Programm "50 plus" von Franz Müntefering, aber es ist noch nicht so, dass man sagen kann, du hast da keine Probleme, du wirst jetzt eine ganze Zeit lang nur Arbeitslosengeld I oder dann später Arbeitslosengeld II bekommen und findest trotzdem einen Job. Ich muss auf die Realitäten im Leben schon Rücksicht nehmen.

    Müller: Herr Struck, was ist mit dem Familienvater sagen wir mal 40 minus, der drei Kinder hat?

    Vorschlag von Rüttgers "nicht akzeptabel"
    Struck: Dem will ich ja überhaupt nicht irgendetwas streichen. Das ist ja der Punkt bei dem Vorschlag von Herrn Rüttgers, den die Partei der CDU beschlossen hat auf ihrem Parteitag. Der ist für uns sowieso nicht akzeptabel. Das wird ja nicht kommen. Bei denen ändert sich gar nichts.

    Müller: Also Sie reden jetzt über die Kompensation, über die Gegenfinanzierung. Aber inwieweit ist es gerecht, dass Ältere, die weniger finanzielle Verpflichtungen haben, wir tun jetzt mal so, als sei das so, privilegiert werden und diejenigen, die große finanzielle Verpflichtungen haben, Mitte 30, Mitte 40, davon nicht profitieren?

    Struck: Ich spreche ja von einer gefühlten Ungerechtigkeit, Herr Müller. Da können Sie nun wirklich mit vielen Betroffenen reden. Die empfinden es wirklich als ungerecht, dass sie gleichbehandelt werden, obwohl sie lange eingezahlt haben, mit jemandem, der nicht so lange eingezahlt hat. Sie empfinden es vor allen Dingen auch als ungerecht, dass ihnen die Chancen auf dem Arbeitsmarkt, vor allem wenn sie älter als 50 oder 55 sind, ja doch eher verschlossen werden als den Jüngeren. Insofern glaube ich schon, man darf jetzt nicht die eine Gruppe gegen die andere abwägen, sondern man muss sagen auch angesichts der Situation der Arbeitsagentur, der finanziellen Situation, dass es durchaus machbar ist, auch denen, die älter und arbeitslos sind, mehr zu helfen als bisher.

    Müller: Machbar, Herr Struck, ist ja vieles, aber es muss auch immer wieder bezahlt werden. Wer bezahlt das jetzt?

    Struck: Wir werden eine Situation haben, denke ich mal, dass der Haushalt der Agentur für Arbeit so gut sich entwickelt auch durch die Maßnahmen von Franz Müntefering und anderen und durch die entsprechenden Konjunkturbelebungen, die wir natürlich gehabt haben, die uns in die Lage versetzen können, das, was dort aufgebracht werden muss - niemand weiß ja genau, wie viel das tatsächlich kosten wird - auch aufbringen zu können.

    Müller: Also wenn der Staat einnimmt, soll er auch wieder ausgeben?

    Struck: Das ist nicht meine Position. Das wissen Sie. Ich bin dafür, dass wir den Konsolidierungskurs fortsetzen. Das tun wir auch mit einer geringeren Neuverschuldung, die wir dann auch abbauen wollen in den nächsten Jahren auf null. Aber trotzdem glaube ich, das Thema "Ist das finanzierbar?" ist im Augenblick nicht das vordringliche.

    Müller: Lohnkosten, werden die gesenkt?

    Struck: Wir haben eine Diskussion mit dem Koalitionspartner darüber, ob wir von den 6,3 auf 3,9, die wir schon gesenkt haben - das ist ja schon ein deutliches Zeichen -, noch weiter senken können. Das müssen wir abwarten, wenn wir gegen November oder Ende des Jahres die finanzielle Situation der Arbeitsagentur sehen. Es gibt eine Debatte, das noch weiter zu senken. Die Union schlägt vor auf 3,5 von dann 3,9. Ich bin mir da nicht so ganz sicher. Wir werden das noch sicher zu diskutieren haben.

    "Keine schnellen Erfolge" in Afghanistan
    Müller: Ein anderes großes politisches Problem in dieser Woche, eine schwierige Entscheidung steht an: die Afghanistan-Verlängerung. Die beiden Mandate, die am Freitag im Bundestag zur Disposition stehen. Nun hört man von allen Seiten, das geht mit großer Mehrheit glatt durch. Aber es hat in den vergangenen Tagen, Wochen und Monaten immer wieder und immer heftigere Kritik gegeben am Gesamtkonzept Afghanistan. Was ist daran dran?

    Struck: Ich glaube schon, dass wir den Menschen in Deutschland klar machen müssen, die MdBs, also die Bundestagsabgeordneten, müssen sich auch deutlich darüber im Klaren sein, dass wir keine schnellen Erfolge in Afghanistan erwarten können. Wir sind ja wirklich schon seit sechs Jahren dort, aber auf dem Balkan sind wir seit zehn Jahren oder seit elf Jahren und sind immer noch, mit einem kleineren Kontingent natürlich, vertreten. Ich meine, dass wir das so genannte ISAF-Mandat verlängern müssen. Dazu gehören auch die Aufklärungstornados. Wir müssen uns aber sehr genau überlegen, wo wir mehr tun können als bisher und zwar nicht nur mit Militär. Wir müssen mehr Polizisten ausbilden in Afghanistan. Das ist schon sehr wenig, was da im Augenblick passiert. Und wir müssen auch mehr zivile Hilfe initiieren, also auch mehr im Zusammenhang mit Nichtregierungsorganisationen in dem Land investieren.

    Müller: Heißt das vor allem, Herr Struck, die Amerikaner und die Briten, die machen immer noch die entscheidenden Fehler?

    Struck: Nein, das sehe ich überhaupt nicht so, im Gegenteil. Ich muss sagen, dass die Amerikaner nehmen dem militärischen Engagement, das ja in manchen Dingen auch zu kritisieren ist, sehr viel finanzielle Bereitschaft zeigen, dem Land zu helfen, mehr als Deutschland jedenfalls im Verhältnis gesehen. Die Briten investieren auch viel an Material und auch an Geld, also eigentlich alle NATO-Staaten. Von daher muss jeder sozusagen eine Schippe drauflegen, vor allen Dingen was die Ausbildung der afghanischen Armee angeht, da wollen wir auch weiterhelfen, und der afghanischen Polizei. Ein Staat, Herr Müller, ist nur lebensfähig, wenn er funktionierende Strukturen hat. Auch dazu gehören natürlich Polizei und Militär, aber auch - das ist ein Vorwurf, den ich der Regierung Karsai auch machen muss – es müssen die relativ korrupten Strukturen, die wir in manchen Bereichen haben, noch abgebaut werden.

    Müller: SPD-Fraktionschef Peter Struck war das heute Morgen im Frühinterview im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Struck: Ich danke auch, Herr Müller.