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"Wir müssen dem Land Zeit geben"

Nach Angaben des Vorsitzenden des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, Klaus Mangold, ist Russland für deutsche Unternehmen "fast so wichtig wie China". Das Land müsse sich jedoch noch mehr in Richtung Demokratie und Menschenrechte bewegen, um ein positives Umfeld für deutsche Investitionen zu schaffen.

Moderation: Silvia Engels | 15.10.2007
    Silvia Engels: Seit gestern Abend ist der russische Präsident Wladimir Putinzu Besuch in Deutschland. Mit einem Abendessen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel begannen neben dem Petersburger Dialog auch die offiziellen Regierungskonsultationen. Auf der Tagesordnung stehen die bilateralen Beziehungen ebenso wie der Streit um den geplanten US-Raketenschild, der Konflikt um das Kosovo und die Suche nach einer gemeinsamen Haltung gegenüber dem Atomprogramm des Iran. Daneben spielen wohl auch die Einschränkungen der Meinungsfreiheit in Russland eine Rolle. Schon gestern hatte die Bundeskanzlerin einen offenen Dialog mit Moskau angemahnt. Am Telefon ist nun Klaus Mangold. Er ist der Vorsitzende des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft. Guten Tag nach Wiesbaden!

    Klaus Mangold: Guten Tag!

    Engels: Der Ost-Ausschuss nimmt seit Jahren die Interessen der deutschen Wirtschaft auch im Geschäft mit Russland wahr. Sie haben es gerade schon - in dem Bericht haben wir es gehört - gesagt, dass Russland als Geschäftspartner zunehmend wichtiger geworden ist. Wie wichtig ist Russland?

    Mangold: Russland ist für uns heute fast so wichtig wie China. Wir haben eine sehr starke Belebung der Investitionen der deutschen Industrie, vor allem auch des Mittelstandes nach China und nach Russland und wir haben natürlich ein enormes Plus bei den Exporten im ersten Halbjahr von 37 Prozent. Das wird sich wahrscheinlich auch im zweiten Halbjahr so fortsetzen.

    Engels: Sie haben selbst eben betont, dass auch die Automobilbranche auf gute Geschäftszahlen in Russland verweist und auf Ausbau dieser Beziehungen hofft. Aber dominiert nicht doch das Energiegeschäft die Wirtschaftsbeziehungen?

    Mangold: Ich glaube das ist gerade dabei, sich dramatisch zu verändern. Wir sehen mehr und mehr, dass sich die Industrie zurzeit sehr stark entwickelt und dass darüber hinaus die Energie etwas in den Hintergrund tritt. Aber insgesamt haben wir natürlich bei den Investitionen nach wie vor die führende Rolle bei der Energie. Aber im Handelsgeschäft ist natürlich der Export heute nach Russland enorm stark geworden und ich glaube der wird weiter dramatisch schnell wachsen.

    Engels: Experten warnen ja davor, dass Russland aufgrund der nach wie vor vorhandenen Energieabhängigkeit Westeuropas immer weniger dialog- und kompromissbereit gegenüber dem Westen ist. Erleben Ihre Unternehmen das auch in den Geschäftsbeziehungen?

    Mangold: Ich glaube wir müssen akzeptieren, dass Russland selbstbewusster wird, und wir müssen akzeptieren, dass Russland heute von seiner ökonomischen Stärke aus auch Gestaltungsansprüche auf die Weltwirtschaft insgesamt ableitet. Das hat sich sicherlich verändert in den letzten Jahren, aber ich glaube es schadet auch gar nichts, wenn wir heute mit Russland auf Augenhöhe verhandeln. Russland ist ein starker Partner für Rohstoffe, für Technologie, für Energie und das sind alles Bereiche, die wir natürlich in Deutschland ergänzend brauchen.

    Engels: Wo gibt es denn Probleme im Handel mit Russland, was vielleicht auch gerade die Geschäftskontakte angeht?

    Mangold: Es gibt natürlich immer wieder Probleme, die aber auch mit anderen Ländern so bestehen. Das ist die Bürokratie, das sind die Zollschwierigkeiten, das ist natürlich auch immer noch das ungelöste Problem der Korruption. Aber ich glaube, dass wir insgesamt auch bei den Investitionen sagen können, dass die Aufgeschlossenheit Russlands für Joint Ventures im Industriebereich eine deutlich wachsende Beschleunigung erfährt.

    Engels: Das ist der Bereich, der konkret den Handel betrifft, aber die Frage der Demokratiestandards in Russland ist auch bei den deutsch-russischen Regierungskonsultationen ein Thema. Heute früh sagte der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung Günther Nooke bei uns im Deutschlandfunk:

    Günther Nooke: Man darf nicht beschönigen, was nicht gut ist. Das heißt nicht, dass es nicht möglich ist, auch anderes zu tun, Geschäfte zu machen, aber wer meint, man kann darauf verzichten, Dinge die wirklich falsch laufen in Russland beim Namen zu nennen, der geht fehl in der Annahme, dass das besser wäre. Ich glaube, dass gerade die russischen Vertreter, auch der Präsident Putin lernen muss, dass in Europa Klartext geredet wird und wir Meinungsfreiheit haben, Bewegungsfreiheit. Ich möchte einfach mal daran erinnern, dass ja Russland selbst die europäische Konvention für Menschenrechte unterschrieben hat. Sie sind Mitglied im Europarat. Wir tun nichts weiter, als Russland an seine eigenen Verpflichtungen zu erinnern.

    Engels: So weit der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung Günther Nooke. - Jetzt zurück zu Ihnen, Herr Mangold. Berücksichtigt denn die deutsche Wirtschaft bei ihren Geschäften auch die Menschenrechtslage und die eingeschränkte Meinungsfreiheit?

    Mangold: Recht hat Herr Nooke. Ich stimme ihm zu. Ich glaube auch, dass die Wirtschaft immer wieder jede Gesprächsmöglichkeit ergreift, um unsere russischen Kollegen darauf hinzuweisen und auch die Politik, dass wir ein gemeinsames Interesse daran haben müssen, dass Russland sich mehr und mehr in Richtung Demokratie, in Richtung Menschenrechte, in Richtung Pressefreiheit entwickelt, denn das schafft dann insgesamt ein positives Umfeld auch für viele deutsche Investitionen. Und schauen Sie mal gerade in dem Thema Burma, was gerade läuft. Niemand kommt doch auf die Idee, in ein menschenrechtsfeindliches Land zu gehen, und deshalb ist es auch für Russland wichtig, ohne dass ich Russland mit Burma vergleichen möchte, dort sich insgesamt zu integrieren in eine Gesamtbetrachtungsweise von Freiheiten, von Demokratiesystemen. Aber wir müssen auch Russland sicherlich noch einiges an Zeit geben, um seine Entwicklung selber gestalten zu können.

    Engels: Nun sind sich aber viele Beobachter einig, dass Russland gerade in Sachen Meinungsfreiheit in den letzten Jahren eher Rückschritte gemacht hat als Fortschritte. Da würde doch die deutsche Wirtschaft trotzdem nicht ein Geschäft platzen lassen oder?

    Mangold: Die Frage ist, ob man ein Geschäft platzen lassen kann. Wir können ja nicht unmittelbar einwirken. Man kann doch nicht sagen, ich mache nur dann einen Energievertrag oder gründe eine Gesellschaft, wenn ihr eine Zeitung zusätzlich mit einer hohen liberalen Redaktion zulasst. Da haben wir doch keine Einflussmöglichkeit. Ich glaube, dass dies Dinge sind, die sich entwickeln werden über eine bestimmte absehbare Zeit. Unser Job in der Wirtschaft heißt, immer wieder unsere russischen Gesprächspartner darauf hinzuweisen, dass dies ein Defizit ist, und sie sensibel zu machen, und das tun wir.

    Engels: Das tun Sie. Wie kann man sich das konkret vorstellen?

    Mangold: Denken Sie mal daran, dass wir natürlich gerade jetzt auch beim Petersburger Dialog viele Gespräche haben mit Unternehmerkollegen. Dort wird immer wieder darauf hingewiesen. Dort sprechen wir auch über Korruption. Dort sprechen wir über Menschenrechte. Ich glaube dieser Dialog ist inzwischen auch ein fester Bestandteil dessen, was wir brauchen, um insgesamt eine stärkere Anbindung Russlands nach Europa zu erzielen. Wenn Russland ein integrativer Bestandteil Europas sein will - und wir wollen das auch -, dann müssen auch in diesen Bereichen Fortschritte erzielt werden.

    Engels: Bekommen Sie denn von Ihren Wirtschaftsgesprächspartnern auf der russischen Seite dann auch Zusicherungen, dass man sich um Meinungsfreiheit und Menschenrechte kümmern will?

    Mangold: Es gibt immer wieder ganz klare Hinweise von russischen Unternehmern auf ihre Einwirkungsmöglichkeiten mit der Politik und sie tun das auch. Meine Ansicht ist die, dass mit Ausnahme ein paar unschöner Entwicklungen im Bereich der Medien wir insgesamt in Russland gerade was die Demokratie anbetrifft eigentlich gar nicht auf so einem schlechten Pfad sind. Aber nochmals: Wir müssen dem Land Zeit geben.

    Engels: Klaus Mangold, der Vorsitzende des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft.