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"Wir müssen die Belehrungen sein lassen"

Würden Angela Merkel und andere europäische Politker ihre Forderungen an das krisengeschüttelte Griechenland weniger arrogant formuliere, würde sie mehr Griechen erreichen - denn die teilten die Kritik, sagt Wirtschaftswissenschaftler Jens Bastian, der in Athen am Forschungsinstitut ELIAMEP arbeitet.

Jens Bastian im Gespräch mit Martin Zagatta | 15.06.2011
    Martin Zagatta: Die Zeit drängt und die EU-Finanzminister verhandeln über eine sogenannte sanfte Umschuldung für das von der Pleite bedrohte Griechenland. Aber was heißt schon sanft? Die Griechen jedenfalls sehen das ganz anders und streiken seit heute Morgen schon wieder gegen Sparbemühungen, die sie für übertrieben halten.
    Wir sind jetzt mit dem Wirtschaftswissenschaftler Jens Bastian verbunden, der in Athen an dem Forschungsinstitut ELIAMEP arbeitet. Guten Tag, Herr Bastian!

    Jens Bastian: Guten Tag, Herr Zagatta, nach Deutschland.

    Zagatta: Herr Bastian, unterschiedlicher könnte die Wahrnehmung ja kaum sein. Die Griechen, das haben wir gehört, stöhnen unter dem Sparprogramm, finden es übertrieben, wehren sich mit Streiks, während man auf EU-Ebene auch jedes weitere Hilfspaket mit der Forderung verbinden will, die Griechen sollten gefälligst ihre Wirtschaft erst einmal in Ordnung bringen. Wo stehen Sie da in diesem Streit? Sie erleben das ja tagtäglich. Haben Sie Verständnis für diesen Widerstand der Griechen?

    Bastian: Ich habe Verständnis für die Sorgen und die Proteste der Menschen vor Ort in Athen. Allerdings ist zu berücksichtigen, sie bringen diesen Protest zunächst einmal - und das ist wichtig - sehr friedlich zum Ausdruck. Das war in der Vergangenheit nicht immer der Fall. Und sie zeigen auch, sie haben das Ende der Fahnenstange erreicht. Viele Menschen, die sich friedlich auf dem Verfassungsplatz Syntagma treffen, die bringen einfach zum Ausdruck, unsere Geduld ist zu Ende. Aber auch die weiteren Sparleistungen, die Einschnitte bei Löhnen, Gehältern, Sozialleistungen, Renten, das geht so ans Eingemachte, dass viele Menschen nicht mehr wissen, habe ich morgen noch meinen Arbeitsplatz, kann ich die Hypothek bezahlen, oder auch das Schulgeld. Das heißt, viele Menschen sagen jetzt einfach: Es reicht.

    Zagatta: Ist die Lage denn tatsächlich real so schlimm, oder sind die Griechen jetzt geschockt, von den Privilegien herunterzukommen, die sie bisher hatten?

    Bastian: Nein. Viele Griechen sind eher geschockt davon, dass sie für eine Krise zahlen müssen, die sie nicht als verantwortlich erleben, nicht als schuldig erleben, sondern dass sie sagen, diejenigen, die politische Verantwortung tragen für diese Krise, sitzen immer noch im Parlament, ungestraft.

    Zagatta: Aber das sind Menschen, die sie gewählt haben!

    Bastian: Natürlich haben viele diese Menschen gewählt, aber nachdem dann bekannt geworden ist das Ausmaß der Krise, das Ausmaß der Staatsverschuldung und auch das Ausmaß des Lügengebäudes, haben sich viele Griechen davon abgewendet. Und viele Griechen sagen jetzt auch, es geht darum, nicht nur den öffentlichen Dienst, den öffentlichen Sektor als Sparesel zu benutzen, sondern die Privilegien, die sitzen auch noch ganz woanders, im Privatsektor, bei staatlichen Unternehmen, wo viele Menschen eben immer noch 16 Monatsgehälter haben oder auch Frühverrentungen, die sehr gut versorgt sind.

    Zagatta: Das wird jetzt geändert, da soll es Privatisierungspläne geben, oder wie sieht das vor Ort aus? Geht man da nicht ernsthaft heran?

    Bastian: Die Privatisierung ist angefangen. Das ist eine Herkules-Aufgabe. Da hat die Regierung auch in Vorleistung zu treten, zu zeigen, dass sie diesen Prozess in der Tat ernst nimmt, dass sie ihn umsetzen kann und dass sie rasch Erfolge zeitigt. Einen kleinen Erfolg gibt es ja bereits, dass die Deutsche Telekom vor einigen Tagen eine Zehn-Prozent-Option auf die griechische Telekom erworben hat. Sie ist jetzt der größte Einzelaktionär.

    Zagatta: Herr Bastian, wenn da Menschen nach wie vor beschäftigt werden mit 16 Monatsgehältern, mit grandiosen Rentenregelungen, wenn wir hier lesen, dass immer noch Rentenzahlungen an Tausende von Toten geleistet werden sollen, warum richtet sich dann der Zorn der Griechen gegen Europa, vielleicht auch gegen die Politik an sich? Muss da nicht im Staatssektor das eigentlich grundsätzlich geändert werden, und zwar sofort und möglichst schnell?

    Bastian: Da sind die Griechen im Grunde genommen mit Ihrer Frage, mit Ihrer Einschätzung völlig d'accord. Das muss sich ändern und zu dieser Änderung sind sie auch bereit. Aber sie geben auch zum Ausdruck, beleidigt uns nicht, während wir diesen Reformprozess beginnen, versucht auch in Europa, uns die Zeit zu geben, und versucht, auch ehrlich mit uns umzugehen, versucht nicht, jemandem, der praktisch am Boden ist, dann auch noch Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Das brauchen die Griechen nicht, keine arroganten Belehrungen. Geduld, Konditionen, Hilfsmaßnahmen, eine Art europäische Solidarität, aber das mit einem Tonfall, der keine Belehrungen beinhaltet.

    Zagatta: Werden wir Deutschen so wahrgenommen in Griechenland?

    Bastian: In der Tat. Aus meiner Sicht haben die Bundesregierung und vor allen Dingen die Bundeskanzlerin da viel politisches Kapital verloren. Wenn das anders formuliert würde - der Ton macht da die Musik -, dann könnte Frau Merkel viele Griechen erreichen, weil sie die Kritik teilen. Aber sie möchten nicht, dass das in einer arroganten Weise, in einer belehrenden und manchmal auch beschämenden Weise herüberkommt.

    Zagatta: Richtet sich dieser Ärger auf die Politik, oder bekommen Sie das als Deutscher vor Ort zu spüren?

    Bastian: Ich eigentlich überhaupt nicht, weil ich mittlerweile schon allein durch meine Sprache und meine griechische Frau als Grieche oft wahrgenommen werde und ich auch zeige, dass ich mich als deutscher Bürger in Griechenland für die Belange interessiere und mich da auch einmische. Für mich ist wichtiger eher deutsche Unternehmen, die nach Griechenland kommen wollen, die dort investieren, dass die willkommen sind, und dass die jetzt gerade Schwierigkeiten haben, weil sie wahrgenommen werden, wie unterscheidet ihr euch möglicherweise von einer Regierungspolitik, die in Griechenland nicht akzeptiert wird.

    Zagatta: Unser Korrespondent hat es gerade angedeutet: die Proteste stehen vor einer Eskalation. Da wird sogar das Schlimmste befürchtet. Wie sehen Sie das Sparpaket der Regierung? Kann das in dieser Situation greifen? Die Abstimmung, so hat er uns ja gerade gesagt, soll in zwei Wochen ja schon stattfinden.

    Bastian: Die Abstimmung steht wirklich auf der Kippe. Ob die Regierung Papandreou dieses Paket wirklich durchs Parlament bekommt, das ist für mich noch nicht gesichert, und vor allen Dingen bringen die Menschen auf dem Syntagma-Platz zum Ausdruck, wir sind Teil dieses Abstimmungsprozesses, wir wollen auch gehört werden. Es geht nicht mehr nur darum, dass die Parlamentarier das tun; hier werden auch Forderungen nach direkter Demokratie auf die Plätze getragen und viele Menschen sagen, ihr habt uns vergessen, ihr müsst uns in diesem Reformprozess mitnehmen. Das kann nicht dadurch geschehen, dass ihr weiter an uns kürzt, dass wir am Ende nur noch die Knochen übrig haben.

    Zagatta: Und in letzter Konsequenz denkt man das auch durch? Könnte eine Insolvenz in Kauf nehmen? Wird darüber geredet, wird das ernsthaft diskutiert in Athen?

    Bastian: Das wird natürlich diskutiert, oft allerdings polemisch und unter wenig Berücksichtigung der enormen Kosten, die damit verbunden sind. Ich glaube, viele Menschen machen sich noch kein klares Bild davon, was das bedeutet für den Bankensektor, und bei einer Insolvenz, was bedeutet das am nächsten Tag, kann ich Geld abheben von der Bank, kriege ich mein Gehalt oder meine Rente noch ausgezahlt. Darüber, glaube ich, gibt es viel zu wenig klare Vorstellungen, was das in Athen oder Thessaloniki bedeuten würde.

    Zagatta: Sie sind Wirtschaftswissenschaftler. Sehen Sie im Moment einen Ausweg aus dieser Situation?

    Bastian: Der Ausweg, den ich jetzt gerade sehe, ist: Wir müssen zunächst einmal auf europäischer Ebene mit einer Zunge sprechen, wir müssen die Belehrungen sein lassen, und wir müssen Griechenland Zeit einräumen. Und diese Diskussion über eine Laufzeitverlängerung der Staatsanleihen, da geht es im Grunde genommen darum, Zeit zu kaufen, damit Griechenland den Reformprozess weiter durchsetzen kann und dass auf europäischer Ebene die Partner zu einem Verständnis kommen, wie man gemeinsam vorgeht. Bisher habe ich den Eindruck, die EZB in Frankfurt und der Finanzminister in Berlin, sie spielen nicht von derselben Tastatur.

    Zagatta: Ist Griechenland dann überhaupt noch in der Lage, auf diesen guten Weg wieder zurückzukommen, weil die Zinsenlast - und die Zinsen sind ja jetzt in den letzten Tagen noch explodiert - ist doch erdrückend?

    Bastian: Die ist erdrückend. Das sind die Zinsen, das ist auch die Schuldenlast, das ist auch der ganze Glaubwürdigkeitsverlust, der dieses Land erfasst seit 16 Monaten. Das sind viele Defizite, die kann man nicht alle auf einmal bewältigen. Das geht nicht nur innerhalb von ein oder zwei Jahren, da haben wir mit Griechenland auch zu wenig Geduld in den vergangenen Monaten gezeigt, zu sehr mit dem Zeigefinger auf Griechenland gezeigt, und da müssen wir uns auch fragen, in welcher Form haben wir Lösungen heute auf den Weg gebracht, die wir schon vor einem Jahr gebraucht hätten. Eine Laufzeitverlängerung, eine Beteiligung des privaten Sektors von Banken und Versicherungen, das hätten wir schon voriges Jahr haben müssen und diskutieren müssen. Das kommt ein Jahr zu spät.

    Zagatta: Jens Bastian, deutscher Wirtschaftswissenschaftler in Athen. Herr Bastian, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.

    Bastian: Ich bedanke mich, Herr Zagatta.