Archiv


"Wir müssen die DAX-Hörigkeit der deutschen Wirtschaftspolitik dringend beenden"

FDP-Chef Guido Westerwelle hat Staatshilfen zur Lösung der gegenwärtigen Wirtschaftskrise abgelehnt. Insbesondere die Konzentration auf große Konzerne sei ein Fehler, schließlich entstünden die Arbeitsplätze bei kleinen und mittelgroßen Firmen. Auch sei es nicht sinnvoll, hier und da Schecks auszustellen. Vielmehr müssten über die Steuern alle entlastet werden, um die Konjunktur anzuschieben.

Guido Westerwelle im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Mario Dobovisek: Tief rutscht die Union in der Wählergunst ab. Würden morgen schon Bundestagswahlen stattfinden, käme sie nur auf 32 Prozent der Stimmen, ergibt der aktuelle ARD-Deutschlandtrend. Davon profitiert vor allem die FDP. Bei 17 Prozent sehen Wahlforscher die Liberalen im Moment. Am Sonntag wollen sie sich mit einer Strategiekonferenz in Erfurt auf das Superwahljahr einstimmen, Schwerpunkte für den Wahlkampf diskutieren. FDP-Chef Guido Westerwelle wird sprechen. "Ihre Zukunft, Ihr Land, Ihre Wahl", der Titel seiner Rede. Und Guido Westerwelle begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Westerwelle!

    Guido Westerwelle: Schönen guten Morgen, Herr Dobovisek!

    Dobovisek: Steuerreformen und eine Koalitionsaussage zugunsten der Union - Ihre Ziele scheinen klar, Herr Westerwelle. Die Umfragewerte lassen träumen. Wird es eine Jubelfeier am Sonntag?

    Westerwelle: Dass die Stimmung bei uns Freien Demokraten sehr gut ist, ist nach den vielen erfolgreichen Wahlen der letzten Jahre verständlich. Aber auch diese guten Umfragewerte, die Sie jetzt zitiert haben, lassen uns nicht abheben. Wir bleiben auf dem Teppich und machen ganz ruhig, beständig und seriös unsere Arbeit.

    Dobovisek: Nur vier Stunden sind für die Konferenz geplant, das klingt nicht nach einer Grundsatzdebatte?

    Westerwelle: Weil wir ja auch von unserem Grundsatzkurs klar sind, brauchen wir auch keine Grundsatzdebatte. Wir werden mit fünf klaren Zielen in die Bundestagswahl gehen: Erstens, wir wollen ein niedrigeres, einfacheres, gerechteres Steuersystem, damit die Leistung sich wieder lohnt. Wir sind der Überzeugung, dass die Bürgerrechte wieder mehr Respekt bekommen müssen. Wir brauchen bei der Bildung endlich auch eine Politik, die die Durchlässigkeit wieder ermöglicht, dass es auch wirkliche Bildungsaufstiegschancen gibt. Wir wollen eine Energie- und Umweltpolitik, die auch die Vernunft nicht ausblendet, sondern Wirtschaft und Ökologie miteinander versöhnt. Und wir wollen eine Außenpolitik, die wieder mit eigenen Abrüstungsinitiativen in der Welt präsent ist.

    Dobovisek: Die FDP steht zur sozialen Marktwirtschaft. Was ist daran sozial, wenn Opel, Schaeffler, Schiesser und Co. vor die Wand fahren, weil es keine Kredite gibt, und die öffentliche Hand in der Krise nur den Banken hilft?

    Westerwelle: Ich halte es für einen Fehler, dass überhaupt nur den Großen geholfen wird, aber den mittleren und kleinen Unternehmen überhaupt nicht mehr. Dass wir diese DAX-Hörigkeit der deutschen Wirtschaftspolitik dringend beenden müssen, ist jedenfalls die feste Auffassung der FDP. Wo entstehen denn die Arbeitsplätze? Sie entstehen eben nicht bei den großen, berühmten DAX-Konzernen, sondern sie entstehen im Mittelstand, sie entstehen bei den kleineren Betrieben. Und dass man bei den Großen den Bundesadler bringt und die Kleinen dann den Pleitegeier kriegen, das ist absolut unfair, kostet Arbeitsplätze, ist schlecht für die Ausbildungsplätze und übrigens auch, weil dort die Mehrheit der Steuereinnahmen erwirtschaftet wird, sehr schlecht für die Staatsfinanzen.

    Dobovisek: Und die Großen lassen wir dann fallen?

    Westerwelle: Ich glaube, es ist vernünftiger, dass wir nicht von Branche zu Branche gehen, von Unternehmen zu Unternehmen und Subventionsschecks ausstellen, sondern dass wir stattdessen insgesamt die Volkswirtschaft entlasten, insbesondere die mittleren und kleineren Einkommen entlasten durch niedrigere und gerechtere Steuern. Das bringt Dynamik in unsere Volkswirtschaft, das bringt Investitionen, Kaufkraft und damit auch dementsprechend wieder bessere Steuereinnahmen durch bessere Konjunktur.

    Dobovisek: Der Wirtschaftsminister in Niedersachsen, Philipp Rösler, schließt staatliche Bürgschaften zum Beispiel für Schaeffler nicht aus. Wären Bürgschaften kein Eingriff in das Prinzip der freien Marktwirtschaft, Herr Westerwelle?

    Westerwelle: Ich kann jetzt nicht über einzelne Vorschläge reden, weil ich natürlich nicht das Fachwissen habe für den Verhandlungsstand beispielsweise jetzt, was Sie gerade zitiert haben. Ich kann Ihnen nur grundsätzlich darauf antworten.

    Ich halte es nicht für die Aufgabe des Staates, einer großen Familie ihr Millionenvermögen zu sichern, bei allem Respekt auch vor den persönlichen Leistungen dieser Familie, das ist nicht Aufgabe des Steuerzahlers. Ich halte es auch nicht für richtig, dass diese Scheinselbstständigkeit von Opel jetzt schon dazu führt, dass der deutsche Steuerzahler zur Kasse gebeten wird. Denn wir wissen, dass diese Patente längst an den amerikanischen Staat verpfändet sind. Das ist alles kein tragfähiges Konzept. Und ich halte es für einen schweren Fehler, wenn wir die Steuern und Abgaben für den Mittelstand erhöhen, um damit Subventionen für große Betriebe gewissermaßen im Spaziergang zu finanzieren.

    Dobovisek: Also lehnen Sie auch Bürgschaften ab?

    Westerwelle: Ich sehe derzeit keine Notwendigkeit für staatliches Handeln, aber ich will nicht ausschließen, dass am Schluss es auch eine Notwendigkeit in Bürgschaften geben kann. Aber daraus eine Interpretation herauszuziehen, dass ich das gut fände oder dass das befördert werden sollte, halte ich für falsch. Das, was bisher vorliegt jedenfalls, ist kein Anlass, dass der Staat irgendwo dort einspringt, sondern er sollte sich mehr auf den Mittelstand und die Kleinen konzentrieren.

    Dobovisek: Welche der beiden Volksparteien hat denn heute das stärkere wirtschaftliche Profil, die CDU oder die SPD?

    Westerwelle: Ich glaube, das Problem der Union ist, dass sie der SPD so ähnlich geworden ist.

    Dobovisek: Und das bedeutet für die Zukunft auch die gemeinsame mit Ihrer Partei?

    Westerwelle: Ich möchte eine bürgerliche Mehrheit haben. Die SPD und die Grünen werden ja nicht schöner, nur weil die Union hässlicher wird, indem sie nach links marschiert. Sondern ich denke, wir brauchen wieder klare Verhältnisse in Deutschland, und da wird die FDP auch als treibende Kraft, die an der sozialen Marktwirtschaft festhält, für arbeiten. Wenn die Union die soziale Marktwirtschaft immer mehr vergisst, jetzt sogar Enteignungsgesetze im Deutschen Bundestag beschließen will, da muss es ja mit uns noch eine Kraft geben, die die soziale Marktwirtschaft ernst nimmt. Wir haben doch nicht vor 20 Jahren für die deutsche Einheit gekämpft, um jetzt im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise zu erleben, wie Sozialismus und Kommunismus durch die Hintertür wieder was zu sagen haben.

    Dobovisek: Aber ist es dann klug, sich auf die Union als Koalitionspartner festzulegen, wenn diese der FDP momentan nur in einem Punkt wirklich entgegenkommt, und zwar in den Umfragewerten?

    Westerwelle: Ich bin in der Tat beunruhigt darüber, dass so viele in der Union ihren ordnungspolitischen Kompass der sozialen Marktwirtschaft verloren haben. Und ich bin auch beunruhigt darüber, dass wir sehr Teile der Union sich auf eine Fortsetzung der Großen Koalition mit der SPD einstellen wollen. Wir als FDP wollen eine bürgerliche Mehrheit, wir wollen auch eine bürgerliche Regierung. Wenn es die nicht gibt, gibt es ja wieder eine linke Mehrheit im Deutschen Bundestag aus SPD, Grünen und Linkspartei, und dann ist die Gefahr sehr real, dass daraus auch eine linke Regierung werden könnte. Und deswegen ist das strategische Wahlziel der FDP nach unseren Inhalten völlig klar: Raus aus der Großen Koalition und eine Linksregierung muss verhindert werden durch eine bürgerliche Mehrheit.

    Dobovisek: Schließen Sie eine Zusammenarbeit mit der SPD aus?

    Westerwelle: Ich schließe auch nicht aus, dass ich noch vor der Bundestagswahl ums Leben komme, aber ich nehme es mir nicht vor.

    Dobovisek: Das heißt, eine Ampel wäre möglicherweise doch eine Alternative.

    Westerwelle: Nein, das ist keine Alternative, das habe ich ja mit dieser etwas rheinisch-frotzeligen Bemerkung deutlich machen wollen. Die Frage eines Journalisten: Schließen Sie etwas aus?, das wissen Sie, man kann nur ausschließen, dass man auf Erden ewig lebt. Aber mir geht es darum, was man will. Und das ist ja die Klarheit, die man den Bürgerinnen und Bürgern geben kann. Und ich sehe derzeit überhaupt keine ausreichende inhaltliche Grundlage für ein Bündnis mit SPD und Grünen. Im Gegenteil, die entfernen sich ja von uns. Die SPD will die Steuern noch erhöhen, wir wollen sie senken. Und die Energiepolitik der Grünen - Ausstieg quasi aus allem, mit Ausnahme vielleicht der Windräder -, das ist ja für unsere Industriegesellschaft nicht akzeptabel.

    Dobovisek: Sie fordern, kaum ist das zweite Konjunkturpaket auf den Weg gebracht, auch ein drittes, und da zitiere ich: "Moderne ideologiefreie Energiepolitik", die Sie haben wollen, was heißt das? Ist das die Rückkehr zur Atomkraft?

    Westerwelle: Das ist vor allen Dingen die Rückkehr zur Vernunft. Ich bin nicht der Auffassung, dass wir in Deutschland ja irgendeinen Investor hätten, der jetzt sagt, wir bauen neue Atomkraftwerke. Da ist ja auch viel Unsinn erzählt worden. Es geht ganz einfach darum, dass in der Energiewirtschaft ungefähr 40 Milliarden Euro privates Geld darauf warten, investiert zu werden. Und das geschieht nicht, weil man zum Beispiel auch moderne, saubere Kohlekraftwerke bürokratisch ausbremst. Denken Sie an das, was in Hamburg derzeit geschieht - mit Schwarz-Grün übrigens - durch die Politik. Es ist genauso bei den Flughäfen ein riesiges Problem, dass, weil die Regierung bisher kein gemeinsames Flughafenkonzept zustande bringt, 20 Milliarden Euro darauf warten, investiert zu werden. Mit anderen Worten: Ich bin mit meiner Partei für ein drittes Konjunkturpaket, das zur Abwechslung mal den Staat nichts kostet, nämlich weil es die Bürokratie abbaut, die politischen, ideologischen Genehmigungsbremsen löst, die in Deutschland erhebliche Schädigung unseres Standorts bedeuten.

    Dobovisek: Aber Bürokratie bedeutet auch immer gleich Kontrolle.

    Westerwelle: Ja, aber wollen wir wirklich einen Staat, der bei jedem Rauchkringel gesetzgeberisch tätig wird, aber wenn dann die Bankenaufsicht stattfinden müsste, schaut der Staat trotz größter Behörde über Monate, ja fast Jahre systematisch weg. Ist das der starke Staat? Da sagen wir, das sehen wir anders.

    Dobovisek: FDP-Parteichef Guido Westerwelle, vielen Dank für das Gespräch!

    Westerwelle: Danke schön.

    Dobovisek: Und das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.