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"Wir müssen die Reihen hinter Rösler und Brüderle schließen"

Auf dem Parteitag am Wochenende wollen die Liberalen die Weichen für einen Erfolg bei der Bundestagswahl stellen. Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Holger Zastrow fordert Geschlossenheit hinter der Parteiführung um Philipp Rösler und Rainer Brüderle.

Holger Zastrow im Gespräch mit Christoph Heinemann | 08.03.2013
    Christoph Heinemann: Wenn man über Geschichtsstoff spricht, ist in der Regel Abstraktes gemeint. Es gibt aber auch den wirklichen: etwa Helmut Kohls Strickjacke, oder Joschka Fischers Turnschuhe, beide zu besichtigen im Haus der Geschichte in Bonn. Gestern gab es dort einen Neuzugang. Dirk Niebel hat seine Fallschirmjägermütze abgegeben. Auch als Entwicklungshilfeminister hatte Niebel die Kopfbedeckung getragen, die er einst bei einem Einzelkämpferlehrgang der Bundeswehr erwarb. Niebel ist einer von vier Bewerbern für drei Beisitzplätze im FDP-Präsidium. Darüber wird abgestimmt beim Parteitag, zu dem sich die Liberalen heute Abend und am Wochenende in Berlin versammeln. Die übrigen sind die Politiker Daniel Bahr, der Bundesgesundheitsminister also, Wolfgang Kubicki, Fraktionschef in Kiel, und Jörg-Uwe Hahn, und der ist als Wahlkämpfer quasi unantastbar, der hessische Minister. Bleiben also Bahr, Kubicki und Niebel.
    Selbes Spiel bei der Wahl der stellvertretenden Parteichefs, drei Posten und folgende vier Bewerberinnen und Bewerber: Birgit Homburger, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, der frühere Generalsekretär Christian Lindner und der Landeschef in Sachsen, Holger Zastrow. Guten Morgen.

    Holger Zastrow: Guten Morgen, Herr Heinemann!

    Heinemann: Herr Zastrow, bleiben wir mal kurz bei der historischen Gewichtung. Passt Dirk Niebels Mütze zu Helmut Kohls Strickjacke oder zu Joschka Fischers Turnschuhen? Ist das sozusagen die gleiche historische Kleidergröße?

    Zastrow: Da fragen Sie mich jetzt ein bisschen viel. Das müssen natürlich die Historiker, die ihn gebeten haben, dass die Mütze ins Museum kommt, einschätzen können. Aber ja, wenn die meinen, das ist so, dann ist es halt so, und offensichtlich ist die Regierungsarbeit von Dirk Niebel gar nicht so schlecht.

    Heinemann: Ich frage Sie ja als Parteifreund.

    Zastrow: Na ja, man wird das alles nicht überbewerten. Da halte ich mich mal lieber zurück.

    Heinemann: Wäre Hans-Dietrich Genschers gelber Pullover nicht die bessere liberale Ergänzung?

    Zastrow: Ist der noch gar nicht im Museum?

    Heinemann: Weiß ich nicht. Glaube ich nicht! Er trägt ihn ja noch.

    Zastrow: Ja, aber er hat ja viele, und ich glaube, dass der gelbe Pullover von Hans-Dietrich Genscher ein ganz starkes Symbol ist, gerade für uns in Ostdeutschland natürlich, weil wir mit Hans-Dietrich Genscher auch die friedliche Revolution, die erfolgreiche Wende natürlich verbinden. Das ist schon eine Nummer größer oder zwei, drei Nummern größer.

    Heinemann: Zwei, drei Nummern größer. – Wir achten darauf, ob er einen tragen werden wird beim Parteitag, und kehren noch mal zurück zu Dirk Niebel und zum Jahresbeginn, nämlich zum Dreikönigstreffen in Stuttgart. Da hatte Niebel ja folgendes gesagt:

    "So wie jetzt kann es mit der FDP nicht weitergehen. So wie jetzt bleibt die FDP weit hinter ihren Möglichkeiten. Es zerreißt mich innerlich, wenn ich den Zustand meiner, unserer FDP sehe. Ich finde, wir können einfach nicht noch länger mit eigenen Entscheidungen warten."

    Heinemann: Da war die Führung, glaube ich, nicht sehr amüsiert. Sägt Niebel zurzeit etwas leiser an Röslers Stuhl?

    Zastrow: Ich hoffe, dass Dirk Niebel die Konsequenzen aus dem Auftritt in Stuttgart gezogen hat, denn ich glaube, er hat gespürt, dass das nicht in Ordnung war. Mich hat das damals sehr aufgeregt. Ich bin ja auch Landespolitiker und ich habe mich damals immer versucht, in die Lage der Niedersachsen zu versetzen, die ja einen Landtagswahlkampf hatten. Ich glaube, das ist ein einmaliger Vorgang auch in der FDP gewesen, dass einem aktiv an der Front stehenden Landesverband, der versucht, seine eigenen Leistungen in die Wagschale zu werfen, so ins Handwerk gepfuscht worden ist. Ich bin nur sehr glücklich, dass die Niedersachsen es trotzdem geschafft haben, trotz des Gegenwindes, und dafür gebührt vor allem den Leuten in Hannover großer Respekt.

    Heinemann: Das heißt, die CDU-Leihstimmen aus Niedersachsen haben Philipp Rösler etwas stabilisiert?

    Zastrow: Ach das mit den Leihstimmen. Wir haben in Deutschland schlaue Wähler und die wählen eben auch taktisch, und die Niedersachsen wussten ganz genau: Wenn Schwarz-Gelb eine Chance haben soll, wenn die Regierung weitermachen soll, dann geht das eben nur, wenn die Zweitstimme zur FDP geht, aber ganz genauso die Erststimme ja zur CDU. Das hat ja fast geklappt, die haben ja einen sensationellen Aufholprozess hinter sich gebracht. Ein Sitz war es am Ende, der gefehlt hat. Aber man hat gesehen: Schwarz-Gelb funktioniert und in Berlin könnte man sich da auch mal eine Scheibe abschneiden.

    Heinemann: Also es funktioniert in der Opposition?

    Zastrow: Na ja, ich sage mal so: Die lagen noch wenige Monate davor 13 Prozentpunkte zurück. Am Ende war es ein Sitz. Ich glaube, das kann man dann auch nicht mehr so planen, da gehört auch ein bisschen Pech dazu. Insgesamt hat man gesehen: wenn zwei Koalitionspartner sich gut verstehen, gut miteinander zusammenarbeiten, dann kann man es auch schaffen. Es hat nicht ganz geklappt, das ist schade, aber es ist trotzdem ein Erfolg für die Niedersachsen gewesen.

    Heinemann: Herr Zastrow, sollte Niebel aus dem Präsidium rausfliegen?

    Zastrow: Das habe ich nicht zu entscheiden. Wir haben ...

    Heinemann: Aber Sie können eine Bewertung abgeben.

    Zastrow: Ach wissen Sie, ich bin da ein bisschen hin- und hergerissen, weil Dirk Niebel ein Kämpfer ist. Das ist jemand, der für die Partei kämpft wie kein zweiter. Das ist jemand, der Wahlkämpfe gestalten und auch gewinnen kann. Ich weiß nur nicht, ob er immer der richtige Teamplayer ist, und was wir jetzt brauchen ist: Wir müssen die Reihen hinter Philipp Rösler und Rainer Brüderle schließen. Es kann nicht mehr um persönliche Eitelkeiten gehen. Jeder, der in diesem Präsidium ist, jeder, der dort eine Funktion übernimmt, muss sich selbst in das Team einordnen können und die beiden Führungspersönlichkeiten unterstützen können. Das muss er erklären, das wird er auf dem Parteitag machen und dann vertraue ich den Delegierten, dass sie die richtige Entscheidung treffen.

    Heinemann: Sie haben Rainer Brüderle genannt. Die Wochenzeitung "Die Zeit" schreibt in dieser Woche, Rainer Brüderle sei im Zuge des Sexismusvorwurfs gereift. Haben Sie das auch feststellen können?

    Zastrow: Ich glaube, dass das alles nichts damit zu tun hat. Was da gelaufen ist – ich kann das bis heute nicht nachvollziehen, muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen -, diese Empörungspolitik, die wir hier in Deutschland zum Teil haben, das hat doch alles mit dem normalen Leben nichts mehr zu tun. Ich glaube, dass man sehr unfair mit ihm umgegangen ist. Das ist auch alles sehr eigenartig, wie diese Vorwürfe da kommen, wann sie kommen, wer sie bringt. Ich glaube, das wissen die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland auch selbst zu bewerten. Rainer Brüderle ist derjenige in dem Führungsteam, der die größte Erfahrung von allen hat. Ich bin so glücklich, dass wir jetzt genau diese Lösung haben, dass wir Philipp Rösler und Rainer Brüderle vorne haben, weil ich glaube, dass genau in der Situation, in der wir sind, die beiden gemeinsam dafür garantieren können, dass wir einen Erfolg im September dann bei der Bundestagswahl haben.

    Heinemann: Also das war kein Sexismus?

    Zastrow: Aus meiner Sicht nicht. Nein, ganz gewiss nicht.

    Heinemann: Sie würden auch einer Journalistin sagen, Mensch, du passt gut in ein Dirndl?

    Zastrow: Jeder, der Rainer Brüderle kennt, weiß, dass er so weit weg von diesem Vorwurf ist wie kaum ein anderer. Und ansonsten diese ganzen Sprüche – ich glaube, lassen wir mal die Kirche im Dorf.

    Heinemann: Die FDP denkt inzwischen über Lohnuntergrenzen nach. Die Zauberformel heißt da "regional unterschiedlich" und "tariflich ausgehandelt". Ist das Panik vor dem Wahlkampf?

    Zastrow: Ich glaube, wir müssen ein bisschen aufpassen als FDP, dass wir uns treu bleiben. Wir werden dafür gewählt, dass wir im Zweifel auch unpopuläre Antworten geben und dass wir vor allem aber nicht dem Zeitgeist hinterher rennen. Und ich habe bisher noch kein Mindestlohn- oder Lohnuntergrenzenmodell gesehen, was tatsächlich funktioniert. Das einzige, was ich gesehen habe, ist, dass uns hier eines der größten Arbeitsplatz-Vernichtungsprogramme seit der Wiedervereinigung droht, vor allem auch in Ostdeutschland. Jemand, der eine gebrochene Erwerbsbiografie hat oder nicht so gut qualifiziert ist, für den wird das zum Problem, und das können wir als FDP nicht mitmachen. Ich kann nicht einfach als Liberaler, als Wirtschaftspartei Sprüche klopfen, sondern ich muss am Ende auch sagen, wie ich es ganz genau mache, und ich kenne kein Modell, was funktioniert.

    Heinemann: Ist das größere Problem nicht ein Stundenlohn von drei Euro?

    Zastrow: Ja, das ist ein Problem. Aber wir müssen trotzdem differenzieren. Es gibt in Deutschland große Unterschiede und es gibt auch ortsübliche Löhne, die regional durchaus akzeptiert sind. Und ich kann nun mal München, Baden-Württemberg, den Schwarzwald nicht mit der Oberlausitz oder dem Erzgebirge vergleichen. Das sind ganz andere Strukturen, übrigens nicht nur, was die Verdienste betrifft, sondern auch, was die Lebenshaltungskosten betrifft. Und wenn ich das nicht ausdifferenziere, wenn ich dazu keine Antwort habe, dann bedeutet das, dass wir einen flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro bekommen. Das bedeutet aber, dass es am Ende im Erzgebirge oder auch an anderen Orten bestimmte Beschäftigungsverhältnisse überhaupt nicht mehr gibt.

    Heinemann: Herr Zastrow, bis zur Lohnuntergrenze hat es in der FDP ja doch ziemlich gedauert. Ab wann wird in Ihrer Partei mal über Gehaltsobergrenzen nachgedacht?

    Zastrow: Ich glaube, das ist nicht Aufgabe der Politik. Sie wissen, ich bin im Osten geboren, ich habe die DDR noch miterlebt. Und wie das mit politisch festgelegten Löhnen funktioniert, haben wir gesehen.

    Heinemann: Es gibt doch Grenzen, oder?

    Zastrow: Da ist schon mal ein System kaputt gegangen. Zu DDR-Zeiten war das ganz oft, dass in vielen Bereichen Löhne, Obergrenzen und Untergrenzen, politisch festgelegt worden sind. Das müssen am Ende die Eigentümer der Firmen selber entscheiden. Deswegen finde ich ja auch, dass man aus dem Schweizer Volksentscheid seine Lehren ziehen sollte. Das sollten die Aktionäre machen.

    Heinemann: Kann ein System nicht auch an der Raffgier zugrunde gehen?

    Zastrow: Ja, das kann auch an der Raffgier zugrunde gehen. Das ist gar keine Frage. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Über das Thema Fairness, über das Thema Angemessenheit sollten viele in diesem Land tatsächlich nachdenken. Ich rate nur dazu, dass wir uns ein bisschen mehr um die Mitte der Gesellschaft kümmern, nicht immer nur auf die ganz reichen und die ganz armen schauen, sondern auf diejenigen schauen, die noch Steuern zahlen. Das sind die normalen Berufstätigen. Um die kümmert sich ja kaum noch jemand. Das muss die Aufgabe übrigens auch für die FDP sein und auch weiter bleiben, denn die erwirtschaften das, was dann so großzügig verteilt wird. Und trotzdem empfehle ich den Unternehmen, auch den großen Konzernen, vor allem den Aktionären, ihren eigenen Vorständen besser auf die Finger zu schauen.

    Heinemann: ... , sagt Holger Zastrow, der stellvertretende FDP-Vorsitzende und Landeschef der Liberalen in Sachsen. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Zastrow: Danke schön!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.