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"Wir müssen die Situation ernst nehmen"

Trotz eines höheren medizinischen Standards als in Mexiko, sollten die Folgen einer Schweinegrippe-Infektion auch für Europa nicht unterschätzt werden, warnt der Präsident des Robert Koch-Instituts, Jörg Hacker. Die deutschen Behörden seien aber für den Ernstfall vorbereitet.

Jörg Hacker im Gespräch mit Silvia Engels | 27.04.2009
    Silvia Engels: Wie viele Menschen in Mexiko an der neuen Form der Schweinegrippe tatsächlich gestorben sind, ist derzeit unklar. Möglicherweise sind es über 100, möglicherweise aber weniger, denn noch nicht bei allen Grippetoten ist bislang der gefährliche Erreger tatsächlich nachgewiesen worden. Fest steht aber: Auch in den USA und Kanada sind Menschen an der neuen Grippeform erkrankt. In mehreren anderen Ländern gibt es Verdachtsfälle.
    Das Robert Koch-Institut in Berlin ist die zentrale Einrichtung des Bundes auf dem Gebiet der Krankheitsüberwachung und der Prävention. Zum Beispiel beschäftigt sich das Institut intensiv mit einer speziellen Forschungsabteilung mit den jährlichen Grippewellen. Wir erreichen Jörg Hacker, den Präsidenten des Robert Koch-Institutes. Guten Morgen, Herr Hacker.

    Jörg Hacker: Guten Morgen!

    Engels: In Mexiko steigt die Zahl der Erkrankten an, auch in den USA. Wie gefährlich schätzen Sie den neuen Erreger ein?

    Hacker: Wir sehen die Situation schon mit großer Besorgnis. Der neue Erreger ist ja ein Erreger, der Erbgut von Viren enthält, die beim Menschen vorkommen, bei Geflügel und bei Schweinen, also eine neue Variante, und wir sehen, dass sich dieses Virus sehr gut von Mensch zu Mensch verbreitet, also durchaus eine besorgniserregende Situation.

    Engels: Es ist ja auffällig, dass junge gesunde Erwachsene unter den Opfern sind, nicht so sehr kleine Kinder und ältere Menschen, die sonst als Risikogruppe für Grippe gelten. Haben Sie eine Erklärung?

    Hacker: Das wissen wir nicht, worauf das zurückzuführen ist. Man kann spekulieren, dass es mit der Immunantwort zusammenhängt, die in bestimmten Altersstufen unterschiedlich verläuft, aber in der Tat ist das einer der Punkte, die wir bisher nicht erklären können.

    Engels: Hat denn dieser neue Schweinegrippevirus das Zeug dazu, eine ähnlich verheerende Wirkung zu entfalten wie die sogenannte Spanische Grippe, die ja Anfang des letzten Jahrhunderts weltweit mehrere Millionen Opfer forderte?

    Hacker: Das wissen wir nicht, aber die Situation ist natürlich heute anders als vor 90 Jahren. Dieses Virus scheint aber doch sehr stark sich von Mensch zu Mensch zu verbreiten. Wir haben ja jetzt auch gesehen, dass von Mexiko aus die USA und Kanada erreicht wurde. In Europa ist das Virus noch nicht angekommen. Es gibt in einigen Ländern Verdachtsfälle und wir müssen auf jeden Fall sehr wachsam sein und entsprechende Gegenmaßnahmen frühzeitig einleiten.

    Engels: Herr Hacker, nun gibt es ja auch positive Nachrichten. Mehr als 60 Prozent der in Mexiko Erkrankten sind nach Angaben der Behörden auf dem Weg der Besserung und in den USA ist noch kein Erkrankter gestorben. Lässt sich die Infektion also gut behandeln?

    Hacker: Es ist so - das ist eine gute Nachricht -, dass sich die Infektion behandeln lässt. Die Medikamente, die verwendet werden, um Grippekranke zu kurieren, greifen hier, so weit wir von den amerikanischen Kollegen wissen. Die Substanzklasse der sogenannten Neuraminidase-Hemmer, also die Substanzklassen, die wir hier in Deutschland auch haben, scheinen wirksam zu sein. Ein zweiter Punkt ist, dass es ja in Amerika, in Nordamerika, USA, Kanada, relativ milde Verläufe sind, die wir hier beobachten. Das steht in einem gewissen Gegensatz zu den Verläufen, die aus Mexiko berichtet werden.

    Engels: Sind denn weitere Veränderungen dieser neuen Form wahrscheinlich? Das heißt, schätzen Sie auch ein gewisses Risiko ein, dass sich dieser Erreger weiter verändert und dann vielleicht nicht mehr behandelbar ist?

    Hacker: Das können wir nicht ausschließen. Das Erbmaterial dieser Erreger ist sehr flexibel, unterliegt durchaus Änderungen. Hier müssen wir einfach abwarten. Das können wir nicht voraussagen. Es ist aber jetzt ja schon so, dass das Virus sich relativ gut von Mensch zu Mensch verbreitet, aber es ist durchaus möglich, dass wir hier mit weiteren Änderungen des Erbgutes rechnen müssen.

    Engels: Nun werden ja immer für jede Grippewelle Impfstoffe auf Vorrat angelegt. Kann man jetzt schon sagen, ob die vorliegenden Impfstoffe bei dieser neuen Variante in irgendeiner Form anschlagen?

    Hacker: Das kann man bisher noch nicht sagen. Das ist unklar. Deshalb setzen wir zunächst bei der Behandlung auf die Präparate, die Medikamente, die hier wirksam sind.

    Engels: Schauen wir nun nach Deutschland. Wie bereiten sich die deutschen Behörden vor? Wie bereitet sich das Robert Koch-Institut für den Fall vor, dass dieser Virus in gewisser Zahl auch nach Deutschland kommt?

    Hacker: Wir haben seit einigen Jahren, seit 2005 schon einen nationalen Pandemieplan. Es gibt Pandemiepläne der Länder. Man muss hier sagen, dass die Länder zuständig sind. Das Robert-Koch-Institut hat hier eine beratende Funktion. Wenn es jetzt in Deutschland Fälle geben sollte, so würden dann schrittweise die entsprechenden Pandemiepläne umgesetzt. Das bedeutet, sollte es Erkrankte geben, dass die zunächst optimal versorgt werden, dass sie separiert werden müssten von der Bevölkerung, Aufklärung ist sehr wichtig, das Vorhalten von Medikamenten ist wichtig, und für uns ist auch sehr wichtig, dass das nationale Referenzzentrum für Influenza in der Lage ist, den Erreger schnell nachzuweisen. Alles das ist der Fall. Die Behörden der Länder haben am Wochenende intensiv beraten mit den Experten des Robert Koch-Institutes und haben entsprechende Empfehlungen erarbeitet, die, so weit sie öffentlich sind, dann auch auf der Homepage des Robert Koch-Institutes veröffentlicht werden. Aber wie gesagt: Wir haben in Deutschland bisher noch keinen Fall und auch in Europa bisher noch keinen bestätigten Fall, aber das kann sich ändern.

    Engels: Das klingt aber so, als ob Sie für Deutschland keine so großen Gefahren zu diesem Zeitpunkt sehen?

    Hacker: Man kann es nicht ausschließen, dass das Virus nach Deutschland eingeschleppt wird, aber wie gesagt: Im Moment ist das nicht der Fall. Aber wir müssen vorbereitet sein und wir müssen die Situation ernst nehmen.

    Engels: Schweinefleisch ist ungefährlich beim Verzehr. Was kann denn jeder einzelne in Deutschland tun, wenn er sich schützen will?

    Hacker: Ja, Schweinefleisch ist ungefährlich. Das ist wichtig. Ansonsten wenn es zu Fällen kommen sollte, was man tun kann ist, eine intensive Händehygiene. Das ist auf jeden Fall wichtig. Man sollte wissen, dass das Virus sich durch Tröpfcheninfektion verbreiten kann, Niesen, Husten, auch wenn man nah beieinander steht durch Sprechen, und wenn Anzeichen für Grippe auftreten bei bestimmten Personen, das heißt ein Anstieg der Temperatur auf über 38 Grat, Reizhusten, Gliederschmerzen, Appetitlosigkeit, dann sollte sofort der Arzt aufgesucht werden.

    Engels: Herr Hacker, sollte man zurzeit besser nicht nach Mexiko fahren?

    Hacker: Eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes liegt noch nicht vor. Wir sind hier in entsprechenden Gesprächen und wir sollten abwarten, was die Kollegen des Auswärtigen Amtes, die hierfür die Zuständigkeit haben, in der nächsten Zeit uns sagen werden.

    Engels: Deutschland ist ein Land auf hohem Entwicklungsstand. Fürchten Sie, dass dieser Grippevirus, wenn er sich weiter ausbreitet, vor allen Dingen eine Gefahr für die Entwicklungs- und Schwellenländer werden könnte?

    Hacker: Das kann man bisher nur spekulativ beantworten, aber es ist natürlich so, dass Länder wie Deutschland, USA, Kanada ein hoch entwickeltes Gesundheitssystem haben, was natürlicherweise besser mit diesen Infektionen umgehen kann. Deshalb ist es wichtig, dass die Weltgesundheitsorganisation hier eine Rolle spielt, auch andere internationale Organisationen, die ja hier mithelfen, die Welle, die jetzt begonnen hat, einzudämmen.

    Engels: Können Sie schon abschätzen, wie lang diese Welle dauert?

    Hacker: Das kann man im Moment noch nicht sagen.

    Engels: Jörg Hacker, Präsident des Robert Koch-Institutes. Herzlichen Dank für diese Informationen zu den möglichen Folgen der Schweinegrippe.

    Hacker: Herzlichen Dank.