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"Wir müssen es mit dem Lernen in der Schule anders machen"

Der Lehr- und Lernansatz ist einer der Ursachen für die unterschiedlichen Leistungen deutscher Schüler, sagt Professor Peter Struck von der Uni Hamburg - und fordert dringend "anders ausgebildete Lehrer".

    Jochen Spengler: Das war eine nicht allzu ernst gemeinte Collage, die uns einführen soll in unser nächstes Thema: Die bayerischen Schüler sind die besten in Deutsch und Englisch, es folgen die Schüler in Baden-Württemberg und mit Einschränkungen die in Sachsen. Die schlechtesten Leistungen gab es in Hamburg, Berlin, Brandenburg und Bremen. So das Ergebnis des neuesten Schulleistungsvergleichs von Neuntklässlern, über den die Kultusminister gestern berichteten. Glücklicher Süden also. – Am Telefon jetzt um neun Minuten vor Sieben ist Professor Peter Struck, Erziehungswissenschaftler an der Universität Hamburg mit dem Arbeitsschwerpunkt Schulpädagogik und Bildungspolitik. Guten Morgen, Herr Struck.

    Peter Struck: Guten Morgen, Herr Spengler.

    Spengler: Was ist Ihre Erklärung dafür, dass schon seit Jahren die Schüler im Süden besser abschneiden als im Norden? Sind die einfach schlauer, oder sind die Lehrer, oder sind die Schulen besser?

    Struck: Na ja, wenn es um diese drei Dinge geht, die immer gemessen werden, Lesen, Mathematik, Naturwissenschaften, diesmal nun auch Englisch, dann schneiden die süddeutschen Bundesländer immer am besten ab, die Stadtstaaten immer am schlechtesten. Aber junge Menschen tragen ja über 500 Leistungsaspekte in sich, von denen wir immer nur drei bis vier messen.

    Spengler: Aber warum ist bei den drei bis vier immer der Süden besser?

    Struck: Man muss da natürlich ein bisschen aufpassen, weil das im Ganzen ein Multi-Problemkomplex ist. Die Bundesländer, die einen sehr hohen Migrantenanteil haben – den höchsten hat Bremen -, die schneiden sehr schlecht ab. Man kann nicht eine Stadt mit einem prosperierenden Flächenland wie Baden-Württemberg vergleichen. Bremen hat gewaltige Wirtschaftsstrukturprobleme, eine hohe Arbeitslosigkeit, zerfallende Familien und einen sehr hohen Migrantenanteil. Das kann man nicht so ohne Weiteres mit Baden-Württemberg vergleichen. Man könnte es mit Cottbus oder Mannheim vergleichen.

    Spengler: Wenn wir andere Flächenländer im Norden nehmen, Brandenburg oder Schleswig-Holstein, dann sieht es ja auch nicht viel besser aus.

    Struck: Ja, gut, aber wenn Sie jetzt soziale Gerechtigkeit nehmen, dann steht Berlin ganz oben und dann stehen Bayern und Baden-Württemberg ganz unten. Also es hat schon was damit zu tun, dass in den südlichen Bundesländern, also in diesem Fall Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen, Thüringen – die stehen ja immer ganz oben -, sich Unterricht nicht geändert hat. Das gibt den Eltern die Möglichkeit, auch den Schülern, sich rechtzeitig einzustellen auf das, was erwartet wird, und natürlich legen diese Länder auf die klassischen Leistungsaspekte sehr viel mehr Wert, als das die norddeutschen Bundesländer tun, für die soziales Lernen auch eine ganz wichtige Rolle spielt. Gesellschaftliche Integration gelingt über Schule oder misslingt über Schule. Im Übrigen hat es natürlich auch was mit Privilegien zu tun.

    Spengler: Das heißt also, die deutschen Schulsysteme sind entweder auf Leistung getrimmt, oder auf soziale Ausgewogenheit ausgerichtet?

    Struck: Ja, man darf das eigentlich nicht nach Ländern vergleichen. Wir haben schon sehr viele, etwa 5000 Exzellenzschulen in Deutschland, die es mit dem Lernen hervorragend machen. Die gibt es in allen Bundesländern, auch in den drei Stadtstaaten. Diese Länder machen es mit dem Lernen anders, aber vor allem machen es einzelne Schulen anders. Unser Problem ist, dass wir seit 2000 ständig diese Studien haben, Timss, Pisa, Iglu, Desi, Delfi und wie sie alle heißen, und wir geben uns dann in der Regel mit den Ergebnissen der Statistiken zufrieden, ohne etwas zu ändern. Es sind vor allem Schulen in Problemgebieten mit wirtschaftlicher oder sozialer Not, die sich deutlich zum Vorteil in die Zukunft hinein verändert haben. Dort wo die Welt noch heil ist, muss man eigentlich nichts ändern. Dann schlägt die klassisch bewährte Arbeitsteilung, dass die Familie erzieht und die Schule bildet, in solchen Ländern besser durch, also da, wo Erziehung noch traditionell funktioniert.

    Spengler: Herr Professor Struck, wir haben also zu viele Tests und zu wenig Änderung. Welche Änderung brauchen wir denn?

    Struck: Ja. Wir müssen es mit dem Lernen in der Schule anders machen. Das sagen uns aktuell ja die Hirnforscher. Kinder lernen besser, wenn sie selbst lernen, wenn sie zu zweit lernen, wenn sie durch Handeln, durch Ausprobieren, durch Fehler machen lernen. Das sagen uns in diesen Studien ja, vor allem immer die schlechten Ergebnisse der Jungen. Nur zehn Prozent der Jungen können gut durch Zuhören lesen und sehen lernen. Das können aber 40 Prozent der Mädchen. Also die Art und Weise, wie Jungen lernen, aber wie eigentlich alle Schüler, auch die Mädchen lernen, ist eigentlich durch Handeln, durch Fehler machen, durch Ausprobieren nebenbei, und solange wir noch frontalen, lehrerzentrierten Unterricht haben, schneiden die Bundesländer, die klassisch auf den herkömmlichen Leistungsbegriff vertrauen, natürlich dann besser ab, weil sie auch die familiäre Unterstützung dafür haben. Also die Schulen, die es anders machen, schneiden, wenn man einzelne Schulen nimmt, dann auch immer besser ab als die Schulen, die alles so machen, wie es immer war.

    Spengler: Brauchen denn diese Schulen auch anders ausgebildete Lehrer?

    Struck: Wir brauchen dringend anders ausgebildete Lehrer, und was sich in diesen Studien wie Pisa immer durchschlägt ist eben auch die Lehrerbildung. Schleswig-Holstein hat eine ziemlich schlechte Lehrerbildung und das schlägt sich dann auch in dem schlechten Ergebnis wieder. Da aber für die Lehrerbildung in der Regel die Universitäten verantwortlich sind und die dort autonom sind, macht man es bundesweit mit der Lehrerbildung immer noch sehr anders, und da Deutschland gleichzeitig im Moment die ältesten Lehrer der Welt hat, hat sich natürlich auch noch nicht so durchgesetzt, das was man modern über Lehren und Lernen, also über Unterrichten und selbst lernen macht, denn die jungen Lehrer sind ja jahrelang in Deutschland gar nicht eingestellt worden.

    Spengler: Profitieren eigentlich die süddeutschen Länder noch von einem anderen Umstand? Dort gab es wegen der politischen Machtverhältnisse ja seit Jahrzehnten kein radikales Hin und Her in der Schulpolitik, wie etwa in Hamburg, in Berlin, oder in Nordrhein-Westfalen. Also die Frage: wie wichtig ist Beständigkeit, Ruhe und Verlässlichkeit im Schulsystem?

    Struck: Ja, das ist das Problem. Wir müssen einerseits eine ganze Menge beim Lernen ändern, aber andererseits darf man auch nicht zu viel Reformen machen, weil das alle verunsichert, die Schüler, die Eltern, die Lehrer können sich auf den ständigen Regierungswechsel mit immer neuen Schulgesetzen nicht gut einstellen. Ein Hamburger Lehrer sagte mir mal, ich bin jetzt 30 Jahre im Schuldienst, ich habe schon hunderte von Schulreformen miterlebt, aber noch keine einzige mitgemacht.

    Spengler: Kurze Frage, Herr Struck: Was bringt es hier in Nordrhein-Westfalen zum Beispiel, wenn jetzt wieder die Kopfnoten abgeschafft werden, die erst vor fünf Jahren eingeführt wurden?

    Struck: Ja, gut, das mit den Kopfnoten ist ein separates Problem. An sich lernen Kinder bis zur 8., 9. Klasse mehr, wenn sie keine Noten kriegen, Jugendliche über 14 lernen aber mehr, wenn sie Noten kriegen. Das mit den Kopfnoten haben viele nicht richtig verstanden, zumal die Eltern nicht. Das ist wahrscheinlich alles nicht so wichtig. Wir müssten andere Aspekte der Resonanz für Schüler finden. Kinder brauchen dringend Resonanz für ihr Lernen, nicht unbedingt Kopfnoten, und wenn Kopfnoten, dann muss man die richtigen geben und nicht Fleiß, Ordnung, Mitarbeit und Betragen, sondern Selbstständigkeit, Teamfähigkeit, Erkundungs- und Handlungskompetenz in dem Mittelpunkt stellen.

    Spengler: ..., sagt Professor Peter Struck, Erziehungswissenschaftler an der Universität Hamburg. Herr Professor Struck, danke für das Gespräch.

    Struck: Gerne, Herr Spengler!

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