Dienstag, 30. April 2024

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"Wir müssen hier durchhalten"

General Dieter Warnecke, Kommandeur des ISAF-Regionalkommandos Nord, hat vor einem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan gewarnt. "Was wir hier in den fünf Jahren geleistet haben, ist enorm für dieses Land", sagte Warnecke. Ein Abzug sei abwegig und weltfremd.

Moderation: Friedbert Meurer | 29.09.2007
    Friedbert Meurer: Wie sehen Sie trotz der jüngsten Anschläge die Sicherheitslage im Norden Afghanistans?

    Dieter Warnecke: Die Lage insgesamt hat sich im Norden gegenüber dem Jahr 2006, wenn man das mal statistisch betrachtet eigentlich nicht verschlechtert, sondern es gibt weniger Anschläge als im Jahr 2006. Aber leider hat sich die Qualität der Anschläge, das heißt, so wie die Taliban eigentlich vorgehen oder die Kriminellen, Sie können das sagen, wie Sie wollen, sie versuchen mehr mit Selbstmordanschlägen und mit IED-Anschlägen (improvised explosive device, selbstgebaute Sprengsätze, Anm. d. Red.). Das sind Bombenanschläge, die natürlich nicht aufzuklären sind, denen man eigentlich ausgeliefert ist. Sie versuchen damit halt größeren Schaden anzurichten. Das gelingt ihnen.

    Friedbert Meurer: Wie sehr gefährdet das hier Ihre Arbeit, dass dies zunehmend gelingt?

    Warnecke: Insgesamt die Arbeit im Norden gefährdet das eigentlich nicht. Sie stört uns natürlich, weil wir uns gegen diese Dinge nicht richtig wehren können. Wir sind zwar alle gut ausgebildet. Wir sind sehr aufmerksam, sehr stark sensibilisiert, ISAF-Truppen ganz besonders, die Polizei aber nicht.

    Meurer: Es gibt eine These dafür, dass die Anschläge zugenommen haben. Nämlich es habe damit zu tun, dass hier die deutschen Tornados stationiert worden seien. Die Tornados würden als Provokation empfunden von den Taliban oder Aufständischen und deswegen hier vermehrte Anschläge. Würden Sie sagen, dieser kausale Zusammenhang, das ist was dran?

    Warnecke: Also das kann ich überhaupt nicht bestätigen. Ich sehe es das eher im Gegenteil. Die Aufklärungstornado haben maßgeblich dazu beigetragen, dass wir hier erfolgreicher im Norden operieren konnten, in ganz Afghanistan. Und sie sind von der Bevölkerung hier in Mazar-i-Sharif überhaupt nicht in irgendeiner Weise in Frage gestellt. Ganz im Gegenteil. Sie helfen uns maßgeblich, diese Mission erfolgreich zu gestalten.

    Meurer: Also haben Sie keine Erklärung dafür, wieso die Gewalt hier zugenommen hat?

    Warnecke: Nein, die Gewalt, die hier zugenommen hat, das können kriminelle Aktivitäten zwischen unterschiedlichen Gruppierungen sein, die es hier im Norden von Afghanistan schon seit Hunderten von Jahren gibt. Das wird mal mehr, das wird auch mal weniger werden.

    Meurer: Wie fällt in diesen Tagen und Wochen im Zusammenhang auch aus Anlass der bevorstehenden Abstimmung im Bundestag Ihre Bilanz aus, wie der Aufbau in der Nordprovinz vorangeht?

    Warnecke: Ich glaube, dass Deutschland und die uns an ISAF beteiligten Nationen hier im Norden eine hervorragende Arbeit geleistet haben. Wir haben hier im Norden einen Entwicklungsstand erreicht, der deutlich besser ist in vielen anderen Regionen. Wir haben die Zustimmung der Bevölkerung in weiten Teilen. Unsere Projekte sind gut angenommen worden. Wir beteiligen die Afghanen an allen unseren Projekten. Und wir versuchen sie selber zur Initiative zu zwingen, zu sagen, wo soll etwas aufgebaut werden. Und ich glaube, dass wir hier im Regionalkommando Nord mit unseren Kräften für eine angemessene Sicherheit sorgen können mit den afghanischen Sicherheitskräften, so dass der Wiederaufbau auch in der nächsten Zeit weiter gut gelingen kann.

    Meurer: Und welche Projekte sind da Ihrer Ansicht nach besonders wichtig? Welche können Sie besonders hervorheben?

    Warnecke: Ja, es gibt natürlich hier im Norden, ich glaube, wir haben über 220 Millionen Dollar bereits hier verbaut für alle möglichen Projekte von allen Hilfsorganisationen. Besonderes Leuchtturmprojekt ist natürlich der Wiederaufbau des regionalen Krankenhauses hier in Marza-i-Sharif, das Balk Hospital, das vor einem Jahr abgebrannt ist. Das wird Deutschland jetzt mit unserer Unterstützung, mit Geld wiederaufbauen. Und da sind wir auf einem guten Weg. Das wird für die ganze Region ein herausragendes Projekt werden.

    Meurer: Es gab die Kritik, dass die Ausbildung an Schulen von Frauen hier nachlassen würde, von Mädchen nachlassen würde. Ist Ihnen das bekannt?

    Warnecke: Nein, das ist mir überhaupt nicht bekannt. Das ist eher ganz im Gegenteil. Sondern die Anzahl der Frauen, die hier an den Schulen jetzt die Möglichkeit haben, Ausbildung zu bekommen, ist ganz enorm gestiegen. Ich war heute noch in einer Schule, die wir selber hier renoviert und aufgebaut haben, eine Grundschule. Das sind 320 Schüler. Das sind über 250, glaube ich, mittlerweile Mädchen. Deswegen sehe ich den Trend eher genau andersherum.

    Meurer: In welchem Maße können Sie hier auf einfach stabilere Verhältnisse im Vergleich zum Süden schauen? Inwieweit ist die Arbeit Ihrer Kameraden im Süden in Afghanistan wesentlich erschwert gegenüber der Nordprovinz?

    Warnecke: Ja, durch Afghanistan läuft eigentlich eine Trennlinie. Im Süden haben wir Pashtun. Wir haben dort die Taliban-Strukturen. Die versuchen, die Macht in Kabul zurückzugewinnen und in einen offenen Krieg mit ISAF getreten sind. Im Norden haben wir völlig andere Verhältnisse. Im Norden haben wir die alte Nordallianz, wo wir die Usbeken, die Tadschiken und, ich sage mal, die Strukturen der alten Region hier oben auch haben, die völlig andere Interessenlagen haben. Die eher an Ruhe und Geschäfte interessiert sind und an Wiederaufbau und nicht so sehr da erpicht sind, sich mit Taliban anzulegen.

    Meurer: In der deutschen Öffentlichkeit wird der Einsatz der Bundeswehr im Norden der Gestalt diskutiert, dass die Bundeswehr hier ein relativ starken Akzent auf den Wiederaufbau setzt. Würden Sie denjenigen Recht geben, die sagen, die Amerikaner könnten sich im Süden davon eine Scheibe abschneiden?

    Warnecke: Das kann abschließend überhaupt nicht beurteilen. Ich war im Süden noch nicht, wo die Amerikaner und wie die da mit PRTs (Provincial Reconstruction Teams, Anm. d. Red.) arbeiten. Ich kann nur sagen, wir im Norden haben ein Konzept.

    Meurer: Die PRTs sind die Wiederaufbauteams?

    Warnecke: ... die Wiederaufbauteams. Wir haben hier im Norden ein Konzept gewählt, was absolut tragfähig ist. Wir haben vier Ressorts zusammen in solch einem Wiederaufbauteam. Das ist das BMVg, da ist der militärische Teil. Wir haben das Entwicklungshilfeministerium. Wir haben das Auswärtige Amt und das Innenministerium. Und ich glaube, das ist sehr tragfähig, weil die Experten für solch einen Wiederaufbauprozess, wie er hier abläuft, alle in diesen Wiederaufbauteams haben. Wir können sofort entscheiden. Wir können gemeinsam vorangehen und uns gut abstimmen. Und das ist der Weg, wie man solch ein Land hier auch wieder aufbauen kann.

    Meurer: Denken Sie, dass im Süden die militärische Komponente zu stark betont wird, dass man dort auch mehr auf die zivile Karte setzen sollte?

    Warnecke: Ich hatte ja schon mal angedeutet, dass Wiederaufbau und Sicherheit ganz eng miteinander zusammenhängen. Ich glaube, im Süden haben wir noch die Sicherheitslage, dass wir den Wiederaufbau so dramatisch nach vorne bringen können wie hier im Norden. Im Norden ist es genau anders herum. Ich glaube, im Süden braucht man noch Zeit, um die Sicherheit so zu garantieren, dass Wiederaufbau in dem Maße auch voranschreiten kann.

    Meurer: Es gibt auch eine Fraktion im Deutschen Bundestag, die den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan fordert. Das ist die Linkspartei. Es gibt eine Mehrheit der deutschen Gesellschaft, die dafür ist, die Bundeswehr aus Afghanistan abzuziehen. Was würden Sie denjenigen sagen, die jetzt fordern, Bundeswehr raus aus Afghanistan?

    Warnecke: Also ich halte einen Abzug für absolut abwegig und aus meiner Sicht völlig weltfremd. Weil das, was wir hier in den fünf Jahren geleistet haben, ist enorm für dieses Land. Und jeder, der hier mal herkommen wird oder in dem Land mal gewesen ist, wird das bestätigen. Und ich habe das in den letzten Wochen erlebt. Viele, die hier zu Besuch waren und sich einen persönlichen Eindruck verschafft haben von dem Land, von der Arbeit, die hier geleistet worden ist, bestätigen das. Wir müssen hier durchhalten. Wir müssen weiter dieses Land aufbauen, weil die Menschen haben es hier verdient für eine bessere Zukunft.