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"Wir müssen hier was tun"

Der CDU-Politiker Karl A. Lamers unterstützt den Vorstoß seines Parteikollegen Franz Josef Jung, der eine rechtliche Grundlage zum Abschuss entführter Flugzeuge verlangt hat. "Wir müssen hier für Rechtssicherheit sorgen," sagt Lamers zu den Äußerungen des Verteidigungsministers. Ziel sei es, einen Angriff auf die Grundlagen des Gemeinwesens abwehren zu können.

Moderation: Bettina Klein |
    Bettina Klein: Die Gefahren terroristischer Angriffe gegen Deutschland und die notwendigen Konsequenzen haben am Wochenende wieder für Kontroversen gesorgt: ausgelöst zum einen durch den Bundesinnenminister mit seiner Bemerkung in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", wonach Experten davon ausgehen, dass ein Anschlag mit nuklearem Material nur noch eine Frage der Zeit sei, zum anderen durch den Bundesverteidigungsminister, der darlegte, im Notfalle müssten entführte Passagierflugzeuge in Deutschland abgeschossen werden können. Jung befindet sich damit nach Ansicht von Politikern anderer Parteien im deutlichen Widerspruch zum Karlsruher Urteil, das vor einigen Monaten befunden hatte, eine Abwägung Leben gegen Leben sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.

    Am Telefon ist jetzt Karl Lamers, CDU-Bundestagsabgeordneter, stellvertretender Vorsitzender des Verteidigungsausschusses. Guten Tag, Herr Lamers!

    Karl Lamers: Guten Tag!

    Klein: Verteidigungsminister Jung wird von Oppositionspolitikern, aber auch aus der eigenen Koalition von der SPD hart angegangen wegen seiner Äußerung. Weshalb sagt der Minister jetzt öffentlich nach Ihrer Einschätzung, notfalls muss ein Flugzeug durch die Bundeswehr abgeschossen werden, obwohl diese Abwägung Leben gegen Leben durch das Grundgesetz nicht gedeckt ist?

    Lamers: Bundesverteidigungsminister Jung nimmt seine Verantwortung als Verteidigungsminister wahr, wenn er durch seine Äußerungen darauf hinweist, dass hier eine Rechtslücke besteht. Das ist offensichtlich der Fall, und wir alle wissen, dass ja im Koalitionsvertrag ausdrücklich geregelt wurde, gerade im Hinblick auf die große Bedrohung durch den internationalen Terrorismus, dass nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz geprüft werden muss, ob und inwieweit verfassungsrechtlicher Regelungsbedarf besteht. Dieser ist offensichtlich da. Wir merken es an der Diskussion jetzt seit einigen Tagen. Und Bundesminister Jung spricht ja auch nur das an, was auch schon seit es dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichts gibt offen diskutiert wird. Wir müssen hier was tun. Wir müssen hier für Rechtssicherheit sorgen, sowohl für den, der politisch die Verantwortung trägt, als auch für diejenigen, die in einem Flugzeug sitzen und eventuell solchen Aufforderungen nachkommen müssen.

    Klein: Herr Lamers, der Minister sagt aber nicht nur, es gibt hier eine juristische Lücke, die wir schließen müssen, sondern er hat wörtlich gesagt, notfalls muss ein Flugzeug, ein entführtes Passagierflugzeug eben auch abgeschossen werden. Rechtsexperten warnen vor einer solchen Vorfestlegung, denn dann könne man es ja auch festschreiben. Aber genau das ist ja verfassungswidrig im Moment.

    Lamers: Ich glaube, es geht auch dem Bundesinnenminister, der ja über eine Grundgesetzänderung nachdenkt, darum zu regeln, wie wir bei einem Angriff auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung - und um eine solche handelt es sich in solchen Fällen - vorgehen. Das ist praktisch in dem Fall, über den wir hier sprechen, gesetzlich nicht geregelt. Wir wissen, dass der Bund Streitkräfte zur Verteidigung zur Verfügung stellt. Wir meinen, dass wir diesen Anwendungsbereich ausweiten müssen, nämlich um den Fall Einsatz der Bundeswehr auch zur unmittelbaren Abwehr eines sonstigen Angriffs auf die Grundlagen des Gemeinwesens. Darum geht es, dass wir in einer Zeit zunehmenden Terrors - und wir erleben es ja fast jede Woche, die Bedrohungen bei uns und in anderen Ländern –, dass wir uns auf solche Situationen einstellen und diese auch verfassungsrechtlich lückenlos klären müssen.

    Klein: Aber, Herr Lamers, genau das ist ja innerhalb der Großen Koalition umstritten. Sie haben es angedeutet. Die Position der Union ist, wir müssen den Verteidigungsfall eventuell erweitern. Angesprochen wäre damit Artikel 87a Grundgesetz. Das andere wäre eben, die Bundeswehr könne als eine Art Hilfskraft der Polizei agieren. Das wäre Artikel 35. Die Position der SPD ist eine andere. Bundesjustizministerin Zypries verweist eben im Fall, es handelt sich um entführte Passagiermaschinen, das heißt um Maschinen, in denen unschuldige Menschen sitzen, 100, 200 oder wie auch immer, und sagt, es ist eben nicht gedeckt mit dem Grundgesetz - darauf hat Karlsruhe gerade hingewiesen - zu sagen, wir entscheiden uns, hier Menschenleben gegen anderes Menschenleben abzuwägen. Wo sehen Sie dann den Ausweg dabei?

    Lamers: Sie hat ja Recht. Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, dass auf der Grundlage der jetzigen Rechtslage dieser Paragraf 14 Absatz 3 Luftsicherheitsgesetz nicht verfassungskonform ist. Es hat aber auch darauf hingewiesen, dass es Situationen gibt, bei der Abwehr von Angriffen auf die Grundlagen des Gemeinwesens Regelungen zu treffen, und um genau das geht es. Hier meinen wir, dass man bei solchen potenziellen Angriffen, wie sie vorgenommen wurden - denken Sie an den 11. September 2001; das war nicht ein Angriff auf das World Trade Center, sondern das war ein Angriff auf unsere Zivilisation, auf einen Staat, so hat es auch die UNO festgelegt – hier muss man den Rahmen weiter ziehen. Ich glaube, das ist genau das, was der Bundesinnenminister anspricht und auch der Verteidigungsminister. Wenn wir jetzt eine Regelung und Klärung in der Verfassung in dem Sinne uns vorstellen, dass wir den Einsatz der Streitkräfte für solche potenziellen Angriffe auf die Grundlagen des Gemeinwesens erweitern. Das ist sinnvoll, das ist richtig, und ich glaube, damit wird der Verteidigungsminister seiner Aufgabe gerecht, und die Große Koalition sollte auf der Grundlage des Koalitionsvertrages sich dieser Frage annehmen. Hier geht es um den Schutz der Menschen in einem wichtigen Fall.

    Klein: Aber es ist eben noch nicht geklärt, wie es juristisch wasserdicht gemacht werden kann, so dass auch das Karlsruher Urteil vom Februar Eingang findet, das eben genau mit dem Hinweis auf die Menschenwürde das bisher abgelehnt hat?

    Lamers: Ja. Ich meine, dass die Formulierung, wie ich sie gerade gebracht habe, Abwehr eines Angriffs auf die Grundlagen des Gemeinwesens, den Rahmen weiter fasst, als es in der ursprünglichen Fassung des Luftsicherheitsgesetzes Paragraf 14 der Fall war, so dass eine Formulierung des Luftsicherheitsgesetzes in Anlehnung an eine solche Verfassungsänderung meines Erachtens auch vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben kann.

    Klein: Die Einschätzung von Karl Lamers (CDU), Verteidigungspolitiker im Deutschen Bundestag. Danke Ihnen, Herr Lamers, für das Gespräch.

    Lamers: Bitte sehr.