Sonntag, 28. April 2024

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"Wir müssen jetzt nach vorne gucken"

Hans-Heinrich Sander (FDP), niedersächsischer Umweltminister, fordert eine zügige Entscheidung zum Atom-Versuchsendlager Asse II. Der bisherige Betreiber hatte jahrelang umgenehmigt mit radioaktiven Stoffen in dem undichten Salzbergwerk gearbeitet. Nun habe man "nicht unbegrenzt Zeit", um das Problem zu lösen, so Sander.

03.09.2008
    Bettina Klein: Zu unserem nächsten Thema, und das lautet: was wird aus dem Atommüll-Lager Asse? Der gestern vorgestellte Status-Bericht hat die gravierenden Mängel bei der Lagerung radioaktiver Materialien dort in dem Salzbergwerk, das vom Einsturz bedroht ist, noch einmal bestätigt und bekräftigt - Mängel, Versäumnisse und Fehler, die Bundesumweltminister Gabriel gestern aufzählte:

    O-Ton Sigmar Gabriel: Der Betreiber ist seit langer Zeit ungenehmigt mit radioaktiven Stoffen umgegangen. Zweitens: Dokumentationsstandards bei Strahlenschutzanweisungen wurden nicht eingehalten. Drittens: Der Betreiber hat keine ausreichende Fachkunde im Atom- und Strahlenschutzrecht. Viertens: Der Betreiber schafft durch Baumaßnahmen selbst neue Risiken. Der Betreiber trifft Maßnahmen ohne ausreichende Kenntnis über Rückwirkungen auf die Störfallsicherheit und Langzeitsicherheit. Die Kommunikation des Landesbergamts mit der vorgesetzten Strahlenschutzbehörde, dem niedersächsischen Landesumweltministerium, war unzureichend.

    Klein: So weit also Sigmar Gabriel gestern, der Bundesumweltminister. - Am Telefon begrüße ich seinen niedersächsischen Kollegen. Das ist Hans-Heinrich Sander von der FDP. Guten Morgen, Herr Sander.

    Hans-Heinrich Sander: Guten Morgen, Frau Klein.

    Klein: In der Bewertung der Fehler und Versäumnisse rund um Asse kommen Sie deckungsgleich zu ähnlichen Einschätzungen wie Ihr Kollege auf Bundesebene?

    Sander: Ja. Wir haben ja gemeinsamen mit der Bundesforschungsministerin und dem Bundesumweltminister im Juni vereinbart, dass wir eine Bestandsaufnahme, also den Statusbericht, erstellen werden, und wir hatten damals schon den Eindruck, dass viele Dinge nicht nach dem geltenden Recht abgehandelt worden sind, und dieses kann ich bestätigen. Zu diesem Ergebnis, zu dem Herr Gabriel gekommen ist, komme ich ebenfalls.

    Klein: Man fragt sich aber, wenn man das hört, Herr Sander, wie konnte der Betreiber in dieser Weise versagen, ohne dass es jemand wirklich aufgefallen ist. Welche Erklärung haben Sie dafür?

    Sander: Das ist im Grunde genommen das, was wir auch noch weiter erforschen müssen, was uns allerdings nichts bringt, weil wir ja nur eine Rückwärtsbetrachtung machen. Wir müssen jetzt nach vorne gucken. Fest steht, dass es radioaktive Laugen seit den 90er Jahren gegeben hat, dass es Wassereintritt seit den 60er Jahren gegeben hat, und dieses ist im Grunde genommen unverständlich, dass es den Aufsichtsbehörden, aber auch dem Betreiber, der dieses Forschungsbergwerk - so hieß es ja damals - betrieben hat, nicht weiter gemeldet worden ist.

    Klein: Ihr Ressort, Herr Sander, hat sich gestern bereits im Landtag von Hannover verteidigen müssen und Ihr Staatssekretär gab zu, Sie hätten es wissen müssen. Weshalb haben Sie es nicht gewusst, dass dort zum Beispiel für den Umgang mit radioaktiver Lauge keine strahlenschutzrechtliche Genehmigung vorlag? Das habe ich nicht verstanden.

    Sander: Das ist im Grunde genommen der größte Vorwurf, dass man nachdem man feststellte, dass die Laugen belastet waren, dieses nicht weitergemeldet hat. Aber das, Frau Klein, ist so etwas, wenn sie keine Kenntnis davon haben. Und dies ist auch keine Frage der jetzigen Landesregierung. All die Vorkommnisse, über die wir heute sprechen, sind nicht im Verantwortungsbereich der jetzigen Landesregierung, sondern die Vorgänge liegen weit zurück. Und das ist im Grunde genommen nicht verständlich, dass über Jahre hinweg mit diesen Stoffen dort gearbeitet worden ist und nicht die rechtlichen Dinge beachtet worden sind.

    Klein: Aber auch zu Ihrer Amtszeit, Herr Sander, hatten Sie die Kenntnisse nicht und deshalb: es muss ja offensichtlich auch auf der Ebene der Kontrollmechanismen nach wie vor große Defizite geben.

    Sander: Frau Klein, auch wir haben immer, oder ich kann nur wieder sagen: seit 1993 ist immer wieder dem Landesbergamt gesagt worden, wenn ihr dort feststellt, dass dort kontaminierte Lauge ist, dann bitte unbedingt sofort melden. Natürlich kann man im Nachhinein sagen, dass das hätte noch stärker gemacht werden sollen. Nur was wollen sie machen, wenn die Menschen, die dort arbeiten, der Meinung sind, sie hätten dieses im Griff. Das ist im Grunde genommen nicht akzeptabel, dass dort nach Bergrecht gearbeitet worden ist, aber alle strahlenschutzrechtlichen Dinge nicht dementsprechend beachtet worden sind.

    Klein: Sie sehen die Hauptverantwortung also tatsächlich bei der Helmholz-Gesellschaft, den Mitarbeitern dort, dem Betreiber?

    Sander: Ja, natürlich sehe ich den Betreiber. Wenn ich eine Anlage betreibe - und die sind damals davon ausgegangen, es sei ein Bergwerk. Heute müssen wir einfach feststellen, es ist eine kerntechnische Anlage und die kerntechnische Anlage muss nach anderen Dingen eben abgearbeitet werden oder in der Anlage gearbeitet werden als in einem Bergwerk.

    Klein: Die Vorsitzende der Grünen-Fraktikon, Renate Künast, hat jetzt Strafanzeige gestellt. Sie will, dass die Staatsanwaltschaft eingeschaltet wird. In der Rechtsprechung schützt im Allgemeinen Unwissenheit nicht vor Strafe oder vor Haftung. Rechnen Sie für Ihr Ressort mit Konsequenzen?

    Sander: Natürlich haben wir sofort Konsequenzen gezogen, nachdem wir davon Kenntnis erhalten haben.

    Klein: Ich meine juristische Konsequenzen. Rechnen Sie mit juristischen Konsequenzen?

    Sander: Nein. Mit juristischen Konsequenzen rechne ich in diesem Fall nicht für das Ministerium, denn diese Vorgänge liegen alle weit zurück. Man muss natürlich beachten, dass ein Betreiber dieses nach Recht und Ordnung dementsprechend durchführt, und da muss man natürlich gucken, wo gibt es ein Versäumnis. Nur ein politisches Versäumnis - auch das, Frau Klein -, ich habe keinen gehört, weder ich würde Herrn Gabriel noch Frau Schavan in irgendeiner Form als Bund dementsprechend angreifen. Ich habe aber auch nicht gehört, dass Herr Gabriel es getan hat. Nein! Wir müssen jetzt nach vorne gucken und alle drei Beteiligten versuchen, dieses möglichst schnell nach rechtlichen Dingen abzuhandeln, und dabei natürlich auch immer die Menschen im Auge behalten.

    Klein: Sie alle drei, also Sie als Umweltminister von Niedersachsen, Ihr Kollege Gabriel und Annette Schavan, die Bundesforschungsministerin, werden sich ja wohl morgen zusammensetzen. Was muss das Hauptergebnis dieser Unterredung sein?

    Sander: Das Ergebnis muss sein, dass jetzt, wo die Frage des Betreiberwechsels in den Mittelpunkt gestellt wird, abgewogen werden muss - und zwar sachlich abgewogen werden muss -, was bringt ein Betreiberwechsel. Was kann sich verbessern? Ich glaube, das ist das Entscheidende, dass wir morgen das tun, denn alle sind sich darüber einig: wir haben auch nicht mehr unbegrenzt Zeit, dieses Thema wieder in den Griff zu bekommen.

    Klein: Haben Sie Vorstellungen, wer wäre ein geeigneter anderer Betreiber?

    Sander: Es gibt unterschiedliche andere Betreiber, die dafür in Frage kommen. Es wird immer das Bundesamt für Strahlenschutz genannt, aber es gibt auch andere Betreiber, die über den strahlenschutzrechtlichen Sachverstand verfügen. Das ist das Entscheidende: sowohl das Bergmännische als auch den strahlenschutzrechtlichen Sachverstand.

    Klein: Herr Sander, lassen Sie uns noch auf die praktischen Aspekte kommen. Ist Sicherheit für den dort lagernden strahlenden Müll überhaupt noch herzustellen?

    Sander: Ich glaube schon, dass das herzustellen ist. Eines, Frau Klein, muss man auch mal feststellen - und das wird vom Bundesumweltminister ja bestätigt -, dass in der Asse nach jetzigem Kenntnisstand kein hoch radioaktiver Abfall ist. Und wir müssen auch feststellen, dass die Asse für die Menschen in der Region im Augenblick nach dem, was wir alles an Hinweisen haben, sicher ist und für die Menschen keine Gefahren ausgehen. Das ist das Entscheidende. Für die Menschen in der Region, aber auch im Grunde genommen für uns alle dürfen keine Gefahren davon ausgehen.

    Klein: Aber das Bundesforschungsministerium hat gestern darauf hingewiesen, dass ein erheblicher Zeitdruck herrsche, der dadurch entsteht, dass das Bergwerk einsturzgefährdet ist, und zwar in den nächsten Jahren schon. Sehr sicher klingt das nicht?

    Sander: Das hat nicht nur das Forschungsministerium gesagt, sondern wir sind uns alle darüber einig, dass es eben wissenschaftliche Untersuchungen gibt, dass die Standfestigkeit des Deckgebirges über das Jahr 2014 nicht gegeben ist. Deswegen müssen wir schnell nach Lösungen suchen, gemeinsam mit allen, die über den Sach- und Fachverstand verfügen, aber gleichzeitig immer unter Beachtung der rechtlichen Lage und der Gesetze, die insbesondere nach Atomgesetz anzuwenden sind.

    Klein: Hans-Heinrich Sander war das, der Umweltminister von Niedersachsen. Danke Ihnen für das Gespräch, Herr Sander.

    Sander: Danke, Frau Klein.