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"Wir müssen so oder so zahlen"

Der Wirtschaftswissenschaftler Max Otte hat mehr staatliche Anstrengungen bei der Abwehr der Wirtschaftskrise gefordert. Entweder man versuche jetzt massiv, sich auch mit einer höheren Staatsverschuldung gegen den Abschwung zu stemmen oder man zahle "später mit höherer Arbeitslosigkeit".

Max Otte im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dirk Müller: Der größte Einbruch der Wirtschaftsgeschichte überhaupt. So weit gehen die Experten und Institute noch nicht, bislang jedenfalls noch nicht. Aber die Finanz- und Wirtschaftskrise ist wohl die größte seit 80 Jahren, und das weltweit, das heißt in allen Regionen. Selbst der Zweite Weltkrieg hat global betrachtet weniger ökonomische Verwerfungen mit sich gebracht. Die Weltbank mahnt nun vor dem ersten Rückgang der Wirtschaftsleistung global gesehen seit 1945. Einer für alle, alle für einen, also niemand wird allein gelassen in der Europäischen Union, mag er auch noch so ins Straucheln geraten sein, mag er vielleicht sogar Pleite sein. Die EU-Staaten versprechen sich gegenseitig Unterstützung. Dabei sind sie alle angeschlagen, auch die großen drei, auch Frankreich, Großbritannien und Deutschland. Die Finanzminister beraten heute in Brüssel über Strategien dagegen. Am Telefon begrüße ich nun den Kölner Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler Professor Max Otte. Guten Tag!

    Max Otte: Guten Tag, Herr Müller.

    Müller: Herr Otte, können sich bei einer Weltwirtschaftskrise, wo alle beteiligt sind, wo alle involviert sind, selbst die Großen und die Starken und die Überlegenen, können sich Staaten dort gegenseitig helfen?

    Otte: Sie müssen sich gegenseitig helfen, denn es geht ja überall mit rasender Geschwindigkeit bergab. Und wenn Frau Merkel vor einigen Tagen gesagt hat, das Vertrauen ist noch nicht wieder hergestellt oder noch nicht vollständig, dann müsste man sagen, wir haben noch gar nicht begonnen, das Vertrauen wieder herzustellen. Im Moment schwindet das noch, die Märkte gehen runter. Es müsste eigentlich noch viel mehr passieren. Die Staaten treffen sich, sie machen auch gewisse Dinge. Das ist ein Anfang, aber letztlich müsste da wirklich noch eine viel stärkere konzertierte Aktion erfolgen.

    Müller: Aber wie kann ein Staat, der selbst inzwischen immens hohe Schulden aufbaut, um Konjunkturprogramme beispielsweise anzuschieben, einem anderen Staat unter die Arme greifen?

    Otte: Nehmen wir mal das Beispiel der europäischen Anleihe. Sicherlich würde die den deutschen Steuerzahler etwas belasten, aber nicht so extrem. Wir stehen sehr gut da in Deutschland, was die Staatsfinanzen angeht. Wir haben nur um die drei Prozent Neuverschuldung. Amerika hat zehn Prozent, England hat zehn Prozent, Irland hat zwölf Prozent. Das sind ganz andere Dimensionen. Das heißt, wenn sie jetzt eine gemeinsame europäische Anleihe aufgeben, die auch durch die Bonität der Bundesrepublik hinterlegt ist, dann würde das die Konditionen für Deutschland etwas verschlechtern, aber es würde sie für viele Randstaaten in der EU deutlich verbessern. Das heißt, in Summe hätte die EU was davon und der Euro wäre als Währungsblock deutlich gestärkt und auch als vertrauensbildender Block, was man ja gegenüber den schwindenden Werten im Dollar durchaus auch als politisches Statement sehen könnte. Also ich verstehe Herrn Steinbrück, dass er da Angst vor den deutschen Wählern hat, aber es wäre eine Führungsrolle, die Deutschland einnehmen könnte, ohne letztlich zu viel zu zahlen, und letztlich auch Europa zu helfen.

    Müller: Aber eine Führungsrolle würde wieder Geld kosten und wieder würde der Steuerzahler zahlen müssen.

    Otte: Das ist richtig, aber wir müssen so oder so zahlen. Entweder wir versuchen jetzt massiv, uns gegen den Abschwung zu stemmen, oder wir zahlen es eben später mit höherer Arbeitslosigkeit, mit Problemen in der EU, vielleicht auch mit dem Bankrott einiger Länder am Rande der EU. Das kann ja alles passieren. Wir sind wirklich in einer ziemlich dramatischen Situation und eigentlich muss man da klotzen und nicht kleckern.

    Müller: Und dieses klotzen bedeutet, wir würden noch eine höhere Staatsverschuldung in Kauf nehmen?

    Otte: Aus meiner Sicht ist das notwendig. Wenn es jetzt heißt, wir haben zwölf Länder, die über drei Prozent gehen, dann muss man ja überlegen: Sind es drei Prozent, sind es acht Prozent, sind es zehn Prozent. Sagen wir mal allein zwischen drei und fünf Prozent Neuverschuldung, wenn die jetzt in einem solchen rasenden Abwärtsgang passieren, wenn man sagt, man verschuldet sich mit fünf, sechs Prozent neu, also das doppelte, was wir jetzt im Moment aufnehmen, dann wäre das schon mal ein kräftiger Schub, aber das wäre ja einmalig, vor allem wenn es in Infrastruktur fließt. Ja, ich denke, im Moment müssten die Staaten noch mehr tun.

    Müller: Jetzt haben wir heute von der Weltbank gehört, der größte Einbruch in der Wirtschaftsleistung seit dem Zweiten Weltkrieg. Zum ersten Mal wird die globale Wirtschaft schrumpfen. Um diese Position, an der wir uns befinden, vielleicht noch etwas genauer zu bestimmen: Sind wir immer noch am Anfang dieser Krise?

    Otte: Wenn man das so genau wüsste? Das Problem dieser Krise ist, dass sie wirklich einzigartig ist in der Nachkriegsgeschichte. Wir befinden uns in fast allen Indikatoren im freien Fall. Es gibt aber auch Unternehmen wie Henkel zum Beispiel, die auch schon wieder Gewinnanstiege haben, oder Volkswagen mit einem Umsatzanstieg. Also es ist nicht alles rabenschwarz. Nur jetzt sind wir schon absehbar auf einer Ebene, die uns der letzten schweren Rezession 1981/1982 annähert. Wollen wir hoffen, dass es dabei bleibt, aber das möchte ich nicht garantieren. Es kann also durchaus sein, wenn weitere Belastungen kommen, die Versicherungsbranche ist weltweit auch nicht gut aufgestellt, es gibt die Kreditkartenschulden, es gibt viele Dinge, die noch nicht durch die Bücher gelaufen sind, wenn da noch weitere Belastungswellen kommen, wenn erste Entlassungswellen kommen, kann es eben sich auch bis zu einer Weltwirtschaftskrise auswachsen. Das muss man immer im Hinterkopf behalten.

    Müller: Bleiben wir, Herr Otte, dabei und gehen über diesen europäischen Tellerrand hinaus. Bleiben wir bei der Welt. Welche Region wird es als erste schaffen, rauszukommen aus dieser Krise?

    Otte: Die Hoffnungen ruhen auf Asien. Da bin ich mal gespannt. China hat mit einem nie da gewesenen Konjunkturprogramm in Höhe von 20 Prozent des Inlandsproduktes reagiert. Nichtsdestotrotz geht es da auch im Moment rapide herunter. Jetzt hat sich das Verbrauchervertrauen etwas stabilisiert. Die Hoffnungen ruhen sicherlich zurecht auf China, die haben auch kaum Verschuldung, die können tief in die Tasche greifen, die haben Auslandsguthaben. Das wäre vielleicht eine Chance. Japan hat ja seine eigene Krise schon vor 19 Jahren gehabt. Das heißt, da sind die Unternehmensbilanzen sehr solide und sehr sauber. Das heißt, die sind zumindest stabil. Die USA sind zwar in einer tiefen, tiefen Krise, aber Amerika schafft das oftmals, sagen wir mal die Vergangenheit schnell zu beerdigen, klaren Tisch zu machen, die Dinge abzuschreiben und dann vielleicht schneller wieder da zu sein, als man denkt. Man sollte auch diese Wirtschaft, die im Moment sicherlich in einer viel tieferen Krise ist als die europäische, nicht abschreiben.

    Müller: Weil Entscheidungsprozesse, weil mehr Mut da ist, weil die schneller laufen als bei uns?

    Otte: Ja und weil man dann auch mal die Vergangenheit Vergangenheit sein lässt und Dinge abschreibt und zwei Augen zudrückt und dann werden die Probleme von gestern eben beerdigt und dann guckt man wieder in die Zukunft.

    Müller: China/Japan, Herr Otte, haben Sie als Stichwort genannt. Sind das Staaten, wenn ich Sie richtig verstanden habe, die durchaus erfolgreich und effizient platzieren, produzieren, die Märkte wiederum aber eigentlich das Gegenteil sprechen?

    Otte: Ja. Im Prinzip produzieren ja alle effizient. Es ist im Moment ein Problem der fehlenden Nachfrage. Deswegen auch diese einmalige Rolle des Staates. Da bin ich normalerweise überhaupt kein Befürworter, aber in einer so großen Krise muss was getan werden. Japan produziert stabil auf einem Niveau. Die haben natürlich abnehmende Bevölkerung. Also die sind jetzt nicht der große Wachstumstreiber. Aber sie können gewisse Stabilität reinbringen. Und China könnte eben über den fiskalpolitischen Spielraum noch mehr tun. Im Moment ist dort die paradoxe Situation, dass ihre Exporte zwar sinken, aber die Importe noch schneller als die Exporte. Das heißt, der chinesische Außenhandelsüberschuss steigt, was auch nicht gut ist für die Weltwirtschaft.

    Müller: Aber dennoch haben Sie gesagt, China könnte dieser Motor sein, dieser erste Staat, der eventuell wieder aufsteigt aus dem Sumpf der Krise. Wer wird denn wiederum von einer chinesischen Erholung am ehesten profitieren, Europa, Deutschland oder Amerika?

    Otte: Das können sie so gar nicht sagen, denn da sind ja letztlich auch Strukturveränderungen im Gefüge da, denn China würde ja dann mehr importieren. Und ob die USA schnell wieder zu alter Importstärke zurückkommen und die chinesischen Exporte anreizen, das ist die Frage, denn die Privatpersonen sind da extrem überschuldet. Das heißt, wenn China mehr nachfragt, dann könnten das Investitionsgüter sein aus in der Tat Europa, Deutschland. Das wäre für Deutschland gar nicht so schlecht, denke ich, denn wir haben auch so viele Infrastrukturgüter hingeliefert, die in dem Aufschwung jetzt eine Rolle gespielt haben, und die Bestellungen für Infrastruktur, für Maschinen und so weiter, die brechen natürlich in so einer Krise als allererstes weg.

    Müller: Sie haben, Herr Otte, ja die Regierung in Peking auch gelobt, weil dort richtig geklotzt wird, also ein Riesen Konjunkturpaket geschnürt worden ist. In Relation ist das in den Vereinigten Staaten auch sehr, sehr groß. Bei uns in Deutschland ist es immer noch gering. Ist das immer noch kleckern statt klotzen?

    Otte: Ich denke, ja. Wenn man von 50 Milliarden als größte Neuverschuldung aller Zeiten spricht, dann ist das zwar auf der einen Seite richtig, aber in Relation zum Bruttosozialprodukt eben nicht. Wenn wir mal gerade über diese drei Prozent Verschuldungsgrenze rausgehen, dann ist das wirklich klotzen. Ich kann die Vorsicht verstehen. Nun hatten wir in Europa lange die Konsolidierung auf den Fahnen; jetzt sind wir da zum ersten Mal erfolgreich und haben erste Erfolge erzielt, und jetzt kommt so was. Ich kann das sehr gut verstehen, was da unsere Spitzenpolitiker treibt, dort sehr vorsichtig zu sein, aber ich würde da für mehr Mut plädieren.

    Müller: Der Kölner Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler Professor Max Otte bei uns im Deutschlandfunk. Vielen Dank!