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"Wir müssen über die Antworten streiten und diskutieren"

Der Grundsatzprogramm-Kongress der CDU in Berlin ist nach Ansicht der baden-württembergischen Umweltministerin Tanja Gönner wichtig, damit die Partei nach einer tiefgehenden Diskussion neue Leitlinien festlegen kann. Jetzt sei noch ausreichend Zeit, das neue Konzept bis zu den Wahlen 2009 umzusetzen und sich damit dem Wähler zu stellen.

    Breker: Wenn es schlechter kaum geht, was bedeutet dann die Wende zum Besseren? Für die Bundeskanzlerin ist der Urlaub seit gestern beendet und heute endet der Urlaub für die CDU-Vorsitzende. Es geht um ein Grundsatzprogramm für die Union, besser wohl um eine Anpassung desselben, denn wie umfassend waren doch die Beschlüsse von Leipzig. Nur für Leipzig hat der Wähler die CDU ordentlich abgestraft. Das Ergebnis ist die Große Koalition in Berlin, deren Grundlage, der Koalitionsvertrag, spiegelt das Unionsprogramm nicht gerade in Reinkultur wieder. Die Union sucht ihr eigenes Profil auf einem Grundsatzprogramm-Kongress in Berlin.
    In unserem Übertragungswagen in Berlin ist Tanja Gönner. Sie ist die Umweltministerin in Baden-Württemberg. Guten Tag Frau Gönner!

    Gönner: Guten Tag!

    Breker: Frau Gönner, ist für Sie das Profil der Union in der Großen Koalition in Berlin deutlich erkennbar?

    Gönner: Zunächst einmal ist das Problem immer in einer Großen Koalition, dass man unterschiedliche Positionen zueinander bringen muss. Wir haben ja schon, als wir über den Koalitionsvertrag diskutiert haben und ihn dann verabschiedet haben, gemerkt, dass es sehr schwierig sein wird, dann auch in der Umsetzung die einzelnen Punkte tatsächlich zu erreichen. Das ist nicht immer einfach und natürlich ist es für uns als Partei jetzt wichtig und genau deswegen machen wir etwas, was eigentlich bisher wir nie als Partei gemacht haben, dass wir ganz bewusst in Regierungsverantwortung sagen und wir führen jetzt die Grundsatzdiskussion, damit wir für uns wieder die Leitplanken festlegen können, damit wir auch unseren Mitgliedern sagen das ist das, woran wir uns auch nach wie vor orientieren. Aber man muss eben auch wissen, dass Regierungspolitik sehr häufig sehr konkret wird und dass sie diese mit einem Koalitionspartner machen müssen und dort hin und wieder nur das auch durchsetzen können, was ein Koalitionspartner zulässt.

    Breker: Aber offenbar erkennt der Wähler nicht mehr das Profil der Union, denn die Umfrageergebnisse sind ja geradezu ein Desaster.

    Gönner: Ich habe zwischenzeitlich gelernt, dass ich nicht immer wie die Schlange auf das Kaninchen auf Umfragewerte schaue, sondern ich glaube für uns ist wichtig, die Diskussion vor Ort mit den Menschen zu führen. Politik ist heute nicht mehr nur mit Schlagworten zu machen. Auch das ist glaube ich ein Fehler der Vergangenheit, dass man glaubte, mit Schlagworten könne man Politik erklären; sondern – und ich finde, dass das auch die Leitfragen noch mal deutlich macht, die wir uns jetzt gegeben haben für diese Diskussion – dass man tiefer einsteigen muss. Das ist die Herausforderung, vor der wir stehen, und das ist die Aufgabe, die wir haben. Wir dürfen nicht nur auf die kurzfristigen Umfragewerte schauen, sondern wir müssen ein Konzept darstellen und dann auch schauen, dass wir dieses Konzept umsetzen bis zum Jahre 2009 und dann uns dem Wähler wieder stellen.

    Breker: Reicht es dazu, Frau Gönner, die richtigen Fragen zu stellen, oder sind nicht vielmehr Antworten gefragt, um wirklich Zukunftsfähigkeit zu beweisen?

    Gönner: Zunächst mal geht es darum: ich kann dann Antworten geben, wenn ich mir vorher Fragen stelle. Ich könnte natürlich auch die Antworten geben, die wir uns seit vielen Jahren geben. Es ist ja nicht so, dass die CDU nicht in den vergangenen Jahren, seit sie 98 in die Opposition geraten ist, nicht viele programmatische neue Weichenstellungen vorgenommen hätte. Aber um Leitplanken, also auch Orientierungspunkte für die Mitglieder zu finden ist es schon wichtig, auch noch mal zu sagen was ist das, was uns eigentlich zusammen hält? Was sind die Dinge, die uns immer bewegt haben? Wo haben sich Veränderungen ergeben zwischen 94 und dem Jahr 2006? Im Übrigen hat man sich aber 94 auch die Frage gestellt, was war der Unterschied zwischen 78 und 94 und was müssen wir dort neu machen. Das ist die Herausforderung, die wir haben.

    Wenn wir – und das ist wichtig – auch die Mitglieder mitnehmen wollen und darüber hinaus auch andere Menschen wieder für Politik interessieren wollen, vor allen Dingen für die Politik der Christlich-Demokratischen Union, dann müssen wir Fragen definieren und dann müssen wir über die Antworten streiten und diskutieren. Das ist notwendig, damit wir dann zum Schluss Antworten haben, die die Volkspartei darstellen und die zeigen, dass sich dort viele Menschen – und das ist die Aufgabe einer Volkspartei – der unterschiedlichsten Schichten dann auch bei dieser Antwort zusammenfinden können. Deswegen glaube ich ist es zunächst richtig, die Fragen zu stellen, sich diese Zeit zu nehmen, um Antworten zu geben, dann aber auch zu wissen, dass die Antworten wieder für eine längere Zeit halten. Das ist die Aufgabe eines Grundsatzprogramms, das sie dann über 10, 15 Jahre tatsächlich auch halten können.

    Breker: Dennoch, Frau Gönner, man muss doch auch irgendwie konkret werden. Vielleicht sollte man es nicht unbedingt "Lebenslüge" nennen, aber Tatsache ist doch: soziale Marktwirtschaft heute ist etwas ganz anderes als zu Ludwig Erhards Zeiten.

    Gönner: Das sehe ich ähnlich wie Sie, und zwar deswegen, weil natürlich das Thema der Globalisierung zu Ludwig Erhards Zeiten in dieser Frage noch nicht beantwortet wurde. Ich erinnere mich allerdings auch noch sehr gut, wie wir im Jahre 2000, 2001 unter dem Stichwort "neue soziale Marktwirtschaft" uns dieser Frage schon sehr stark zugewandt haben. Das einzige was ich damals erlebt habe war, dass man darüber gestritten hat, dass es das Wort der "neuen sozialen Marktwirtschaft" gibt, sich aber nie mit den Inhalten auseinandergesetzt hat. Auch dort haben wir ganz bewusst diesen Weggewählt. Wir hatten eine Kommission eingesetzt, die auch mit Fragen begonnen hat. Ich kann jedem nur empfehlen, dieses Papier der "neuen sozialen Marktwirtschaft" noch einmal hervorzuheben und zu sehen, dass es in bestimmten Bereichen durchaus Antworten gibt. Aber – und das ist wichtig -, wir müssen unterscheiden zwischen der Frage Grundsatzprogramm, Leitplanken, Grundgedanken einer Partei, an der sie sich orientiert in dem Moment, wo neue Fragen auf sie zukommen in der Alltagspolitik, und der Frage der täglichen Politik. Dann müssen wir noch unterscheiden, kann diese Partei die Politik alleine umsetzen. Dann kann sie nämlich eins zu eins das umsetzen, was sie auch beschlossen hat, oder hat sie Koalitionspartner. Genau das ist eben der Unterschied zwischen einer Grundsatzdiskussion, einer Parteidiskussion und dem, was eine Regierung umsetzen kann.

    Breker: Mehr Freiheit für den Einzelnen, mehr Eigenverantwortung. Wie soll das gehen, wenn der Spielraum dazu beim Bürger überhaupt nicht mehr vorhanden ist?

    Gönner: Ich glaube, dass wir aufpassen müssen, dass wir genau nicht dadurch, dass wir diese Diskussion so führen, sagen, wir würgen sie von Vornherein ab. Wir müssen uns überlegen – und auch das ist eben die Aufgabe mit den Fragen, die wir uns gestellt haben -, wo können wir Freiräume schaffen, damit die Selbstentfaltung wieder da ist. Die Bundeskanzlerin hat heute Morgen über Solidarität gesprochen und hat dort vor allen Dingen über die Solidarität der Stärkeren für die Schwächeren gesprochen, hat das garniert mit dem Satz, sie schaue jetzt den saarländischen Ministerpräsidenten an, damit sie nicht Friedbert Pflüger anschauen müsse. Aber – und das gehört auch dazu – Solidarität bedeutet auch, dass letzten Endes derjenige, der Dinge empfängt, sie nur so lange empfängt, als er sie benötigt. Wir müssen die Solidarität wirklich von beiden Seiten noch mal anschauen und ich glaube, dass das notwendig ist.

    Hin und wieder würde ich mich freuen, wenn wir uns zurückbesinnen sowohl auf die christliche Soziallehre als auch auf die evangelische Sozialethik, weil wir dort die Frage der Solidarität und der Subsidiarität wunderbar dekliniert haben. Wenn wir zurückfinden würden in vielen Diskussionen über die Frage, was bedeutet Solidarität, und uns dort auf den Grundnenner bringen würden, dann wären manche Diskussionen in diesem Lande nicht so, wie wir sie führen. Ich glaube das würde dann auch wieder Freiheit für den Einzelnen in den unterschiedlichen Schichten, in den unterschiedlichen Einkommensbereichen auch mit sich bringen.

    Breker: Tanja Gönner war das. Sie ist die Umweltministerin von Baden-Württemberg und CDU-Mitglied. Danke für dieses Gespräch!