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"Wir müssen uns andere Finanzierungswege öffnen"

Deutschland sei weiterhin entschlossen, bis 2015 einen Anteil von 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes als Entwicklungshilfe auszugeben, sagt Entwicklungsminister Dirk Niebel. Aufgrund der der Wirtschafts- und Finanzkrise liege man aber nicht im Plan, räumte der FDP-Politiker ein.

Dirk Niebel im Gespräch mit Jasper Barenberg | 21.09.2010
    Jasper Barenberg: Es geht um den Kampf der internationalen Gemeinschaft gegen Armut und Hunger, gegen Krankheiten wie Aids und Malaria. Es geht darum, dass Kinder zumindest zur Grundschule gehen können, dass Mädchen und Frauen mehr Chancen haben. Acht konkrete sogenannte Milleniums-Entwicklungsziele haben sich die Vereinten Nationen dazu versprochen, zehn Jahre ist das her; fünf bleiben noch, dann sollen diese Ziele erreicht sein.

    Auf einer Konferenz der Vereinten Nationen in New York wird jetzt eine Art Zwischenbilanz gezogen. Mit dabei ist auch Entwicklungsminister Dirk Niebel, er ist jetzt am Telefon. Ich grüße Sie, Herr Niebel.

    Dirk Niebel: Guten Morgen, Herr Barenberg.

    Barenberg: Die Zahl der Hungernden, Herr Niebel, sie wurde bislang nicht halbiert, wie angestrebt. Im Gegenteil: Mit über einer Milliarde hungern so viele Menschen wie nie zuvor. Gilt für dieses wie für die anderen Milleniumsziele: Sie werden aller Voraussicht nach verfehlt?

    Niebel: Nein, das gilt nicht. Es gilt für die Frage des Hungers natürlich. Die Situation ist so, dass die Lebensmittelpreise dramatisch gestiegen sind und die Hungernden auf der Welt auf über eine Milliarde gestiegen waren, und jetzt sinken sie zum Glück wieder – noch nicht auf die Zahl von vor der Krise, aber jeder, der nicht mehr hungern muss, ist ein großer Erfolg. Und was die Milleniumsziele anbetrifft, muss man sagen, es gibt Licht und Schatten. Es gibt einige, die wir sehr gut erreicht haben, zum Beispiel den Zugang zu Grundbildung oder zu sauberem Trinkwasser, und welche, die eher fast gar nicht erreicht wurden, wie die Verbesserung des Schutzes von Mütter- und Kindergesundheit, aber auch von Wasseraufbereitung. Obwohl Deutschland dort der weltgrößte Geber ist, beteiligen sich halt zu wenige andere noch an diesem Ziel. Deswegen muss man hier sehen, wie wir für die nächsten fünf Jahre versuchen, möglichst viele von den Zielen zu erreichen.

    Barenberg: Auch die Kindersterblichkeit sollte um zwei Drittel verringert werden. Wie steht es damit?

    Niebel: Mütter- und Kindersterblichkeit ist eines der am wenigsten erreichten Ziele. Deswegen hat der G8-Gipfel in Muskoka in Kanada entschieden, hier noch mal ein zusätzliches Engagement zu setzen, und Deutschland hat sich mit 400 Millionen Euro für die nächsten fünf Jahre daran beteiligt. Ich glaube, dass hier noch mal deutlich gemacht werden muss, dass gerade in diesem Bereich, der insbesondere in Subsahara-Afrika am wenigsten erreicht wurde, vieles erreicht werden kann, wenn man die Milleniumsziele als ganzheitliche Ziele und nicht als Einzelziele betrachtet.

    Mütter- und Kindergesundheit hat auch eine Menge mit Bildung zu tun. Wenn Mütter besser gebildet sind, wissen sie, wie sie Hygienevorschriften einhalten, wie sie ihre Kinder besser ernähren können. Wenn sie besseren Zugang zu sauberem Trinkwasser haben, sterben die Kinder weniger. Das heißt also, alle Ziele gehören zueinander und deswegen sollte man keines herausbrechen. Aber dieses Ziel ist eines der am schlechtesten erreichten und muss mit allen Nebenzielen versucht werden, besser erreicht zu werden.

    Barenberg: Welche Verantwortung trägt Deutschland dafür, dass es auch viel Schatten gibt bei dieser Zwischenbilanz?

    Niebel: Nun, Deutschland ist drittgrößter Geber bei der Entwicklungszusammenarbeit weltweit. Da brauchen wir uns im Grunde nicht zu verstecken. Aber es gibt natürlich immer Dinge, die man besser machen kann. Wir haben uns verzettelt in unserer entwicklungspolitischen Zusammenarbeit durch zu viele Organisationen. Deswegen hat die Bundesregierung eine der größten entwicklungspolitischen Reorganisationen auf den Weg gebracht, indem wir GTZ, DED und Invent fusionieren.

    Wir werden am 1. Januar mit der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit einen einheitlichen Ansprechpartner für unsere Partner zur Verfügung stellen und dadurch Doppelt- und Dreifachstrukturen abbauen. Das führt dazu, dass mehr von dem ausgegebenen Geld tatsächlich für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung steht.

    Barenberg: Auch die Bundesregierung hat sich ja verpflichtet, 0,7 Prozent ihrer Wirtschaftskraft für die Entwicklungszusammenarbeit auszugeben. Die skandinavischen Staaten erreichen diese Messlatte, Deutschland liegt weit darunter. Warum hält Deutschland sein Versprechen nicht?

    Niebel: Als ich das Amt übernommen habe, hat Deutschland eine Quote von 0,35 Prozent gehabt. Wir werden in diesem Jahr 0,4 Prozent erreichen. Das ist weniger, als wir uns wünschen würden. Auf der anderen Seite sind wir gerade durch eine, hoffentlich gerade durch eine schwere Wirtschafts- und Finanzkrise durchgekommen, sodass man auch immer die realistische Messlatte anlegen muss.

    Wir bleiben bei dem Ziel, 0,7 Prozent erreichen zu wollen, alleine schon, weil alles andere die Schleusentore öffnen würde in die andere Richtung, und wir halten es für nach wie vor richtig, mehr Engagement in die Entwicklungszusammenarbeit zu legen, weil das auch wirklich Investitionen in unsere Sicherheit, aber auch wirtschaftliche Investitionen sind. Es nützt beiden, wenn man es richtig macht. Nur dass wir das alles nur mit Steuermitteln finanzieren können, das halte ich nicht für sinnvoll und nicht für realistisch.

    Ich glaube, wir müssen uns andere Finanzierungswege öffnen, und da sieht der Koalitionsvertrag vor, dass für die Entwicklungszusammenarbeit die Hälfte der Erlöse aus CO2-Zertifikate-Emissionen eingesetzt werden soll. Darüber hinaus, glaube ich, sollten wir diskutieren, ob die Rückflüsse aus Krediten der Entwicklungszusammenarbeit tatsächlich in den allgemeinen Haushalt, oder quotenmindernd fließen sollten, oder nicht vielleicht wieder für neue zusätzliche Entwicklungszusammenarbeit generiert werden könnten. Das ist noch ein weiterer Diskussionsprozess, den wir führen werden, aber wir wollen darüber hinaus auch noch das Geld von anderen, nämlich privaten und vor allem der privaten Wirtschaft für die Entwicklungszusammenarbeit mobilisieren, weil wir glauben, dass nichts besser hilft, unsere Partner zu selbstständigen Staaten, zu eigenständig handelnden Staaten zu führen, als eigenes Wirtschaftswachstum mit eigenen Einkommensmöglichkeiten für Menschen, um Armut zu bekämpfen, aber auch eigenen Einkommensmöglichkeiten für den Staat, um Basisdienstleistungen für die Bürger wie Gesundheit und Bildung zu erbringen.

    Barenberg: Vorerst wird die Bundesregierung allerdings ihr Ziel von 0,7 Prozent also nicht erreichen. Dann hat Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin also Recht, wenn er Ihnen Wortbruch vorwirft?

    Niebel: Nein! Das Ziel ist für 2015 anvisiert. Wir sind im Moment nicht im Plan, das ist richtig, aber es war ja auch nicht im Plan, dass die Währung unter so enorme Belastungen gestellt wird, wie das in der Vergangenheit gewesen ist, und wir überlegen viele verschiedene kreative Wege, diese Mittel zur Verfügung zu stellen. Darüber hinaus müssen wir uns eines mal deutlich machen: Viel Geld ausgeben kann jeder, aber das Geld wirksam und zielgerichtet ausgeben, das ist die Kunst an der ganzen Geschichte. Deswegen ist das 0,7-Prozent-Ziel wichtig und wird aufrecht erhalten, aber die Frage der Wirksamkeit der Mittel, das ist die entscheidende für unsere Partner.

    Barenberg: Die Staaten verpflichten sich, die Ausbreitung von Aids, von Malaria und von anderen schweren Krankheiten zu stoppen. Auch das eines der acht Milleniums-Entwicklungsziele. Bei diesem Ziel hat vor allem der globale Fonds viel erreicht. Zum Beispiel könnte Malaria vor 2015 schon weitgehend ausgerottet sein. Nun ist die Rede davon, dass Sie die Mittel dafür zusammenstreichen wollen. Wie ist das?

    Niebel: Nun, die Bundesrepublik Deutschland hat am Ende diesen Jahres alle internationalen Verpflichtungen, auch die gegenüber dem globalen Fonds, internationalen Rechtsverpflichtungen deutlich übererfüllt, und es wird im Oktober eine neue Geberrunde geben für die weitere Finanzierung des Fonds. Im Vorgriff auf diese Geberrunde habe ich im Haushaltsentwurf der Bundesregierung 200 Millionen Euro für das Jahr 2011 zur Verfügung gestellt. Das ist etwas, was übrigens sehr ungewöhnlich ist gegenüber dem Haushaltsgesetzgeber, und ich hoffe, dass er das nicht übel nimmt, weil der globale Fonds gute Arbeit macht und ein gutes Instrument ist bei der Bekämpfung von Tuberkulose, Aids und Malaria, habe ich das ausdrücklich gewollt.

    Allerdings muss man auch feststellen, dass es ein Instrument ist von vielen anderen, die man für die Bekämpfung dieser Krankheiten einsetzen kann, und der Koalitionsvertrag sieht ganz klar vor, die Struktur der Hilfsleistungen von multilateral zu bilateral weiterzuentwickeln. Deshalb habe ich dem globalen Fonds vorgeschlagen, einen Beschluss seines Aufsichtsgremiums herbeizuführen, dass wir über diese 200 Millionen Euro hinaus zusätzliche bilaterale Mittel beistellen können. Dieser Beschluss ist bisher nicht herbeigeführt worden und deswegen liegt der Ball jetzt im Feld des globalen Fonds. Auf der anderen Seite ist es natürlich so, dass wir seit vielen Jahren bilateral und in anderen Fonds und Einrichtungen wie zum Beispiel der Weltgesundheitsorganisation diese furchtbaren Krankheiten intensiv bekämpfen.

    Barenberg: Herr Niebel, der globale Fonds erwartet eine Zusage von je 200 Millionen Euro für die nächsten drei Jahre. Das können Sie aber nicht gewährleisten?

    Niebel: Es gibt eine Möglichkeit, 200 Millionen Euro für das Jahr 2011 zuzusagen. Wenn weitere Zahlungen über Schuldenerlasse und Ähnliches, was es in der Vergangenheit ohnehin schon gegeben hat, erwartet werden, dann muss der globale Fonds seine Regeln so verändern, dass wir bilaterale Mittel beistellen können. Dazu sind wir sehr herzlich bereit. Alleine im Bereich dessen, was der globale Fonds macht, können wir mindestens 50 Millionen Euro jährlich 1:1 bilateral umsetzen, und wenn der globale Fonds bereit ist, hier seine Regeln entsprechend zu ändern, dann werden wir weiter im Gespräch bleiben. Ansonsten kann ich diese Forderung leider so nicht erfüllen.

    Barenberg: ... , sagt der FDP-Politiker Dirk Niebel, Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Danke schön, Herr Niebel, für dieses Gespräch.

    Niebel: Gerne, Herr Barenberg.