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"Wir Polizei wollen nicht einfach so in Daten gucken"

"Polizei will eine Rechtsgrundlage haben, dass sie unter bestimmten Bedingungen auch Zugriff auf diese Daten haben kann", sagt Bernd Carstensen, stellvertretender Bundesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, über die Daten-Vorratsspeicherung. Nicht alles müsse gespeichert werden - und verweist auf die Grenzen des Grundgesetzes.

Bernd Carstensen im Gespräch mit Stefan Heinlein |
    Stefan Heinlein: Schon jetzt ein historisches Verfahren, ein Prozess für das Guinness-Buch. Fast 35.000 Kläger haben Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung eingelegt. Aber auch inhaltlich ist das Verfahren in Karlsruhe von enormer Bedeutung. Es geht um die Praxis der Polizeiarbeit in der Zukunft. Dürfen BKA, BND oder MAD auf die Daten von Telefonanbietern zurückgreifen? Darf gespeichert werden, wer mit wem wie lange telefoniert hat und von wo ein Handy-Gespräch geführt wurde? Das Bundesverfassungsgericht verhandelt seit heute Vormittag, doch ein Urteil wird erst in einigen Monaten erwartet.
    Mitgehört hat Bernd Carstensen, er ist stellvertretender Bundesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. Guten Tag, Herr Carstensen.

    Bernd Carstensen: Guten Tag!

    Heinlein: Warum wollen Sie wissen, wer wann mit wem wie lange telefoniert hat?

    Carstensen: Wir wollen es wissen unter den Bedingungen, wenn wir eine Straftat verfolgen, ermitteln, aufklären wollen, wenn wir Gefahrenabwehr betreiben wollen. Ob das nun im betrügerischen, im Drogenbereich, im wirtschaftskriminellen Bereich ist, da ist es mittlerweile dringend erforderlich, auf diese Daten zugreifen zu können.

    Heinlein: Aber Sie speichern ja nicht nur die Daten von Drogen-Dealern und anderen Kriminellen; auch von unbescholtene Bürger werden die Daten gespeichert. Hat man nicht das Recht auf die Privatheit der Daten? Niemand muss wissen, mit wem ich gestern telefoniert habe.

    Carstensen: Da bin ich vollkommen mit Ihnen einer Meinung. Selbstverständlich hat jeder das Anrecht auf seine persönlichen Daten. Die Polizei selbst will ja auch nicht diese Daten besitzen, sondern die Polizei will eine Rechtsgrundlage haben, dass sie unter bestimmten Bedingungen auch Zugriff auf diese Daten haben kann. Ich habe vor sehr langer Zeit schon mal den Vorschlag gemacht, dass auch unsere Datenschützer - ob das die aus dem Bund, oder aus dem Land, oder wer auch immer sind - auf die sichere Verwahrung, die Sicherheit dieser Daten acht geben müssten und dass wir dann eben halt nur mit Rechtsgrundlagen auf diese Daten zugreifen dürfen. Es ist also weit entfernt davon und es wird auch immer gerne so transportiert. Das ist falsch. Wir Polizei wollen nicht einfach so in Daten gucken.

    Heinlein: Aktuell, Herr Carstensen, unterliegt in der Tat ja der Zugriff auf diese Telefondaten der Bürger ja strengen Voraussetzungen. Können Sie denn mit diesen Regelungen leben, oder brauchen Sie künftig mehr Freiheit, um Verbrecher fangen zu können?

    Carstensen: Wir brauchen künftig nicht mehr Freiheit. Ich muss aber einen Hinweis geben: Wir sind in einer Informationsgesellschaft. Das Internet ist ein tägliches Brot in unserem Tagesablauf, in unserer Kommunikation, ob beruflich, privat oder wie auch immer. Diese Wege müssen auch überprüfbar sein, dann wenn Straftaten stattfinden. Mittlerweile ist es so: ob es bandenmäßige Begehung von Kfz-Diebstahl ist, wir haben kaum noch andere Möglichkeiten, als über eine Handy-Ortung zum Beispiel festzustellen, wo die Übergabe von solchen Fahrzeugen ist. Es ist Gang und Gäbe, dass auch Geschäfte per E-Mail gemacht werden. Wenn wir auf so etwas nicht zugreifen können, auch für den Bereich, wo zum Beispiel gewerblich betrogen wird, das müssen wir wissen. Sonst findet dort keine Strafverfolgung mehr statt.

    Heinlein: Noch einmal die Frage, Herr Carstensen: Eine Bestätigung der bestehenden Rechtsvorschrift mit diesen strengen Auflagen der Verwendung der Daten durch Karlsruhe, das wäre für Sie ein Erfolg, damit könnten Sie leben?

    Carstensen: Ein Erfolg ist es nicht. Wir können damit selbstverständlich leben, aber wie gesagt, ich weise darauf hin: es gibt andere Bereiche, wo man wesentlich niedrigschwelliger schon auch ansetzen müsste. Aber das wird die Entwicklung zeigen.

    Heinlein: Träumen Sie manchmal von den Möglichkeiten der NSA, der nationalen Sicherheitsbehörde in den USA? Dort ist ja vieles möglich, was hier in Deutschland bislang noch verboten ist.

    Carstensen: Nein, das gar nicht mal. Es ist nicht einfach, die Überwachung rund um die Uhr zu jeder Tages- und Nachtzeit. Das ist für uns überhaupt nichts, sondern ich möchte das gerne sagen: Wir brauchen Rechtsgrundlagen, weil wir auch die Gründe dafür nennen, weshalb Strafverfolgung nur so stattfinden kann.

    Heinlein: Wie kann denn ein Bürger verhindern, dass er ungewollt in das Netz der Fahnder gerät?

    Carstensen: Es gibt selbstverständlich Stellen und auch bei den Polizeien ist es so, dass jeder ja ein Auskunftsrecht hat, ob seine Daten in irgendeinem Verfahren gespeichert werden oder verwendet werden. Das kann jeder an jede Polizeidienststelle richten. Das wird dann meistenteils über die Polizeidirektion oder Landeskriminalbeamte beantwortet, ob man tatsächlich mit seinen persönlichen Daten schon in irgendwelchen Vorgängen aufgetaucht ist.

    Heinlein: Geht es Ihnen auch um eine Art Rasterfahndung mit diesen Telefondaten?

    Carstensen: Nein, um Rasterfahndung geht es gar nicht. Wir müssen aber natürlich auch bestimmte Verfahren automatisiert betreiben, weil die Datenmenge Riesen groß ist. Ich erinnere an die millionenfachen E-Mail-Adressen in umfangreichen Kinderpornografie-Ermittlungsverfahren. Da muss natürlich automatisiert überprüft werden.

    Heinlein: Was ist das denn anderes, eine automatisierte Auswertung dieses gigantischen Daten-Pools, als eine Rasterfahndung? Das ist doch das gleiche?

    Carstensen: Ja, im weitesten Sinne ist es das, dass natürlich bestimmte Bedingungen vorgegeben werden, wonach automatisiert überprüft wird. Das ist richtig.

    Heinlein: Muss denn alles erlaubt werden, nur weil es technisch möglich ist?

    Carstensen: Nein, ganz sicher nicht, und ich muss auch nicht für einen Ladendiebstahl eine große Durchsuchung auf einem Online-Computer machen. Das ist doch selbstverständlich. Die Relation muss immer gewahrt bleiben, die Schwere der Straftat, des Einwirkens mit dem, was auch Polizei dann darf.

    Heinlein: Wo sind denn für Sie die Grenzen?

    Carstensen: Die Grenzen finden sich doch auch in unserem Grundgesetz, in unseren Persönlichkeitsrechten, in unseren Freiheitsrechten wieder, und die sind in jedem Falle mit jedem Einsatz, den wir auch als Polizeibeamte machen, zu begrenzen.

    Heinlein: Heute Mittag im Deutschlandfunk Bernd Carstensen, stellvertretender Bundesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Carstensen: Danke. Auf Wiederhören!