Jürgen Zurheide: Die Krankenkassenbeiträge werden im kommenden Jahr teurer. Das steht auf jeden Fall heute schon fest. Der Schätzerkreis hat sich zwar nicht geeinigt, aber 15,5 Prozent werden es wohl. Das Bundesgesundheitsministerium hat diese Summe jedenfalls mehr oder weniger bestätigt, und der Koalitionsausschuss wird morgen darauf verständigen. Für viele wird die Krankenkasse teurer und dennoch schlagen die Krankenkassen Alarm, weil sie sagen, das wird nicht reichen für die Ausgaben, die man jetzt schon absehen kann. Ist das alles so richtig? Darüber wollen wir jetzt reden. Und ich begrüße am Telefon Johannes Vöcking, den Vorstandsvorsitzenden der Barmer Ersatzkasse. Guten Tag, Herr Vöcking!
Johannes Vöcking: Guten Morgen, Herr Zurheide!
Zurheide: Herr Vöcking, die Bundesgesundheitsministerin hält ja Ihre Kritik für maßlos, ja für unverschämt. Warum sind Sie so maßlos?
Vöcking: Wir sind absolut nicht maßlos, sondern wir wollen zunächst mal, dass der Beitragssatz (..) Krankenversicherung so gering wie möglich ist. Am liebsten würden wir einen Beitragssatz senken. Nur man muss sehen, dass gerade die Politik in den letzten Wochen der Krankenversicherung Milliarden-Pakete aufgelegt hat, das sind deutlich mehr als fünf Milliarden für den Bereich der Ärzte, der Krankenhäuser. Und vor allen diese Entwicklung ist noch nicht mal am Ende. Insofern glaube ich, dass dieser Beitragssatz von 15,5 nicht ausreicht. Ich kann verstehen, dass sich alle drüber aufregen, aber ich halte diesen Beitragssatz, so wie er jetzt festgelegt werden soll, für eine Mogelpackung.
Zurheide: Wir kommen gleich noch mal auf das zu sprechen, was die Politik Ihnen da abverlangt. Wollen wir zunächst mal bei Ihnen selbst bleiben. Viele sagen ja, Ihre Verwaltungskosten seien zu hoch, Sie würden zu viel verdienen, die Vorstände zum Beispiel. Verdienen Sie zu viel, Herr Vöcking?
Vöcking: Das ist immer wieder geprüft worden vom Bundesversicherungsamt, vom Bundesrechnungshof. Und alle bestätigen, dass Chefs von großen Krankenkassen zumindest so viel verdienen sollten wie dann ein Vorstandsvorsitzender in einer kleinen Kreissparkasse, mehr verdiene ich nicht, das ist auch öffentlich. Wir haben Verwaltungskosten, die liegen im Vergleich zur privaten Krankenversicherung an dem unteren Level, das sind nicht mal fünf Prozent. Insofern glaube ich, das ist durchaus angemessen.
Zurheide: Kommen wir auf den Kostentreiber Politik. Sie haben es gerade angesprochen. Da könnte man ja dann auch sagen, die Politik verteilt die Wohltaten, Sie haben darauf hingewiesen, die Krankenhäuser sollen mehr Geld kriegen, viele sagen, das sei auch notwendig, die Ärzte, ob das nun notwendig ist, kann man vielleicht mehr drüber streiten. Aber die Versicherten müssen es dann bezahlen und damit haben Sie den Schwarzen Peter. Ist das das Spiel im Moment?
Vöcking: Das ist richtig. Das kann man noch etwas anders ausdrücken, dass mittlerweile im Grunde die Brandstifter dann die Feuerwehr beschimpfen, dass der Brand so lodert und man nicht schnell genug den Brand dann eindämpft.
Zurheide: Aber was können Sie dagegen tun? Gar nichts?
Vöcking: Man muss versuchen, jetzt mit dem Beitragssatz von 15,5, wenn er denn so festgesetzt wird, auszukommen. Ich kann nur die Politik nachdrücklich auffordern, noch mal drüber nachzudenken, wo man einsparen kann. Es gibt Möglichkeiten. Es gibt die Möglichkeit, dass man endlich mal einen gerechten fairen Beitrag zum Beispiel für Versicherte bezahlt vom Bund aus, die Hartz-IV-Empfänger sind. Da fehlen der Krankenversicherung zwei Milliarden.
Es gibt andere Möglichkeiten. Nehmen wir zum Beispiel mal die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel. Es ist für mich nach wie vor unverständlich, dass auf Hundefutter in Deutschland der halbe Mehrwertsteuersatz gezahlt wird oder ermäßigter, auf Arzneimittel aber dann der erhöhte. Genauso muss man schauen im Grunde, dass die Pharmaindustrie immer noch sehr gut verdient an der gesetzlichen Krankenversicherung. Auch hier könnte man entsprechende Abschläge erhöhen. Es gibt ausreichend Möglichkeiten. Ich halte es nur für fatal, dass im Grunde der Fonds, der so kritisiert wird, offensichtlich auch mit dem Bruch eines Versprechens danach starten soll.
Zurheide: Jetzt haben Sie geraden angesprochen, die Möglichkeiten, die Ihnen ja gegeben sind, über den Markt, über den Wettbewerb, den man haben will, möglicherweise Effizienzreserven zu heben. Sind da aus Ihrer Sicht immer noch nicht genügend Möglichkeiten drin, im System, dass Sie auf die vernünftige Art und Weise sparen können?
Vöcking: Also, wir bemühen uns seit Jahren im Grunde zu entsprechenden Einsparungen zu kommen. Man muss mal sehen, das System ist insgesamt sehr, sehr komplex, und es ist vor allen Dingen, wir haben natürlich nun einen Regelungsmechanismus. Wir können nicht einfach frei die Preise bestimmen, sondern sie sind gekettet an den gesetzlich vorgegebenen Rahmen.
Zurheide: Kommen wir noch mal zum Konjunkturrisiko. Das ist ja sozusagen die Einnahmeseite, über die man noch mal diskutieren muss. Da sagen natürlich viele, je nachdem, wie die Konjunktur läuft, wird das möglicherweise gar nicht reichen. Und dann kommt man mit diesen 15,5 Prozent nicht aus. Aber dann gibt es im Gesetz doch die Möglichkeit, dass der Bund zunächst mal jedenfalls da eintreten muss. Warum reicht Ihnen das nicht?
Vöcking: Das reicht deswegen nicht, weil die gesetzliche Vorschrift, das ist der Paragraph 271 des Sozialgesetzbuches im fünften Buch, vorsieht, dass diese Liquiditätsreserve (…) zurückzuzahlen ist, mit einer Ausnahme. Nach dem Fondsstart 2009 wäre diese Reserve dann im Jahr 2010 zurückzuzahlen. Das ist nur eine zeitliche Verschiebung. Das heißt, das Geld könnte auf gar keinen Fall endgültig bei der Krankenversicherung bleiben, sondern muss an den Bund zurückgezahlt werden. Insofern heißt es, letztlich zahlt doch der Beitragszahler. Auch an dem Punkt sieht man, dass hier im Grunde nicht mit der vollen Wahrheit bislang argumentiert worden ist.
Zurheide: Ja, dann sagen ja viele, zum Beispiel aus der Bundesregierung Frau von der Leyen, die hat dann gesagt, ja, wenn eine Kasse eben schlecht wirtschaftet, dann muss sie Zusatzbeiträge erheben und dann kann man den Versicherten nur raten, geht da weg. Das ist eine Argumentation, die halten Sie für falsch. Warum eigentlich?
Vöcking: Also, ich halte sie für falsch, zunächst mal, wenn der sogenannte morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich kommt …
Zurheide: Das ist ein Wort, das versteht jetzt erst mal keiner. Was heißt das auf Deutsch?
Vöcking: Das ist ein Finanzausgleich unter den Krankenkassen, der die unterschiedliche Morbidität, das heißt, den unterschiedlichen Krankenzustand der Versicherten berücksichtigt. Und das führt dazu, dass sie schon mehr Verteilungsgerechtigkeit bekommen. Und wenn unter den Prämissen künftig dann Kassen Prämien nehmen müssen, dann nicht, weil sie unwirtschaftlich handeln, sondern weil sie immer noch eine höhere Morbiditätsbelastung haben. Das Ganze, was Frau von der Leyen angedeutet hat, führt dann zu einer weiteren Entsolidarisierung. Und meine große Sorge ist, dass solche Wandlungen im System der gesetzlichen Krankenversicherung dann daraus resultieren, dass das gesamte System dann kollabiert.
Zurheide: Jetzt könnte man natürlich sagen, gerade weil Sie das angesprochen haben, wenn Menschen, die mehr krank sind als andere und Kassen mehr solcher kranker Menschen haben, wenn die dann künftig besser gestellt werden, reicht Ihnen das immer noch nicht aus über diesen Risikoausgleich?
Vöcking: Dieser neue Risikostrukturausgleich gleicht Erkrankungen und Morbiditäten immer noch nicht zu 100 Prozent aus, sondern maximal zu 47 Prozent. Das heißt, eine Krankenkasse, die eine erhöhte Zahl von kränkeren Personen hat, hat immer noch ein größeres finanzielles Risiko. Es gibt weiterhin keine entsprechende ausreichende Verteilungsgerechtigkeit.
Zurheide: Wie müsste die denn aussehen, diese Verteilungsgerechtigkeit, aus Ihre Ihrer Sicht?
Vöcking: Wir müssten im Grunde etwas tun, was aber die Union politisch nicht gewollt hat, den Kreis zum Beispiel der sogenannten 50 bis 80, oder jetzt (…) Erkrankungen in den Finanzausgleich erweitern, gerechter machen und vor allen Dingen, es muss das ausreichende Geld zur Verfügung gestellt werden. Das heißt, der Fonds muss wohl zu 100 Prozent gefüllt sein, und zwar permanent. Denn sonst wird es dazu führen, dass die Krankenkassen über kurz oder lang alle entsprechende Prämien erheben müssen. Und je "kränker", in Anführungszeichen, eine Krankenkasse ist, desto höher müssten die Prämien sein.
Zurheide: Und die Prämien werden natürlich nur von den Versicherten aufgebracht, die Arbeitgeber sind da fein raus. Die freuen sich doch?
Vöcking: Das ist richtig. Das ist ja das Fatale, dass nämlich momentan immer noch so in einem Schockzustand oder im Zornzustand, dass offensichtlich den Arbeitgebern mit dem 01.01.2009 das gelingt, was sie kürzlich gefordert haben, den Einstieg in den Ausstieg, nämlich sie wollen das System verlassen, sie wollen nicht mehr die Arbeitgeberbeiträge zahlen. Sie wollen, dass diese eingefroren werden oder gar mit dem Lohn ausgezahlt werden.
Zurheide: Jetzt könnte man sagen, deshalb ist der Fonds konstruiert worden, weil viele da in ein neues Modell wollen. Warum haben Sie denn so was dagegen?
Vöcking: Ich habe die große Sorge, dass wir ganz am Ende einer Privatisierung der Finanzierung und damit einer Privatisierung der Krankheitslasten bekommen. Und das wäre fatal für 70 Millionen Menschen in Deutschland.
Zurheide: Warum ist das fatal für 70 Millionen Menschen in Deutschland?
Vöcking: Weil damit der Versuch verbunden wäre, dann da eine Grundversicherung auf einem ganz niedrigen Niveau zu vereinbaren und es dann vom Vermögen im Grunde des Einzelnen abhängig zu machen, dass er sich zusätzlich versichert. Und dann würde wirklich etwas passieren, was ich für eine Katastrophe, für unsere Gesellschaft hielte, dass dann hieße im Grunde, weil du arm bist, musst du schneller sterben. Das ist eine total fatale Richtungsentscheidung.
Zurheide: Jetzt kommen wir noch mal auf einen anderen Punkt. Es soll weniger und wird weniger Krankenkassen geben. Das sagen viele voraus. Ist das nicht positiv oder ist das negativ für den Markt, wenn es weniger Krankenkassen gibt?
Vöcking: Ich halte es nicht für negativ, sondern wir bekommen eine Konsolidierung, wobei ich mich gar nicht festlege, ob am Ende dann 40, 50 oder 60 Krankenkassen entstehen, sondern es geht wirklich um die gut ausgezeichnete Versorgung. Und wer dort nun gute Verträge machen will, braucht eine entsprechende Kapazität und Kompetenz. Und die ist nur bei größeren Krankenkassen, bei größeren Trägern vorhanden. Und deswegen braucht der Markt schon eine Konsolidierung des Marktes insgesamt.
Zurheide: Jetzt kommen wir noch mal auf diesen Punkt der Möglichkeit, solche Verträge abzuschließen und damit auch den Versicherten wirklich etwas zu bieten, was jemand anders möglicherweise nicht hat. Wie gibt Ihnen das Gesetz die Chance oder gibt Ihnen das Gesetz ausreichend Chancen, eigene Verträge abzuschließen?
Vöcking: Mit diesem sogenannten Wettbewerbsstrukturgesetz gibt es schon mehr Chancen im ärztlichen Bereich, im fachärztlichen Bereich, im Bereich Hilfsmittel etc. Verträge zu machen. Der Bereich, der immer noch fehlt, ist der Bereich der Krankenhausversorgung. Hier gibt es nach wie vor keinen Konsens zwischen dem Bund und den Ländern. Insofern ist hier ein Handikap vorhanden.
Zurheide: Das war Johannes Vöcking, der Vorstandsvorsitzende der Barmer Ersatzkasse zu den Steigerungen im Krankenkassenbereich. Dankeschön für dieses Gespräch!
Vöcking: Danke sehr!
Johannes Vöcking: Guten Morgen, Herr Zurheide!
Zurheide: Herr Vöcking, die Bundesgesundheitsministerin hält ja Ihre Kritik für maßlos, ja für unverschämt. Warum sind Sie so maßlos?
Vöcking: Wir sind absolut nicht maßlos, sondern wir wollen zunächst mal, dass der Beitragssatz (..) Krankenversicherung so gering wie möglich ist. Am liebsten würden wir einen Beitragssatz senken. Nur man muss sehen, dass gerade die Politik in den letzten Wochen der Krankenversicherung Milliarden-Pakete aufgelegt hat, das sind deutlich mehr als fünf Milliarden für den Bereich der Ärzte, der Krankenhäuser. Und vor allen diese Entwicklung ist noch nicht mal am Ende. Insofern glaube ich, dass dieser Beitragssatz von 15,5 nicht ausreicht. Ich kann verstehen, dass sich alle drüber aufregen, aber ich halte diesen Beitragssatz, so wie er jetzt festgelegt werden soll, für eine Mogelpackung.
Zurheide: Wir kommen gleich noch mal auf das zu sprechen, was die Politik Ihnen da abverlangt. Wollen wir zunächst mal bei Ihnen selbst bleiben. Viele sagen ja, Ihre Verwaltungskosten seien zu hoch, Sie würden zu viel verdienen, die Vorstände zum Beispiel. Verdienen Sie zu viel, Herr Vöcking?
Vöcking: Das ist immer wieder geprüft worden vom Bundesversicherungsamt, vom Bundesrechnungshof. Und alle bestätigen, dass Chefs von großen Krankenkassen zumindest so viel verdienen sollten wie dann ein Vorstandsvorsitzender in einer kleinen Kreissparkasse, mehr verdiene ich nicht, das ist auch öffentlich. Wir haben Verwaltungskosten, die liegen im Vergleich zur privaten Krankenversicherung an dem unteren Level, das sind nicht mal fünf Prozent. Insofern glaube ich, das ist durchaus angemessen.
Zurheide: Kommen wir auf den Kostentreiber Politik. Sie haben es gerade angesprochen. Da könnte man ja dann auch sagen, die Politik verteilt die Wohltaten, Sie haben darauf hingewiesen, die Krankenhäuser sollen mehr Geld kriegen, viele sagen, das sei auch notwendig, die Ärzte, ob das nun notwendig ist, kann man vielleicht mehr drüber streiten. Aber die Versicherten müssen es dann bezahlen und damit haben Sie den Schwarzen Peter. Ist das das Spiel im Moment?
Vöcking: Das ist richtig. Das kann man noch etwas anders ausdrücken, dass mittlerweile im Grunde die Brandstifter dann die Feuerwehr beschimpfen, dass der Brand so lodert und man nicht schnell genug den Brand dann eindämpft.
Zurheide: Aber was können Sie dagegen tun? Gar nichts?
Vöcking: Man muss versuchen, jetzt mit dem Beitragssatz von 15,5, wenn er denn so festgesetzt wird, auszukommen. Ich kann nur die Politik nachdrücklich auffordern, noch mal drüber nachzudenken, wo man einsparen kann. Es gibt Möglichkeiten. Es gibt die Möglichkeit, dass man endlich mal einen gerechten fairen Beitrag zum Beispiel für Versicherte bezahlt vom Bund aus, die Hartz-IV-Empfänger sind. Da fehlen der Krankenversicherung zwei Milliarden.
Es gibt andere Möglichkeiten. Nehmen wir zum Beispiel mal die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel. Es ist für mich nach wie vor unverständlich, dass auf Hundefutter in Deutschland der halbe Mehrwertsteuersatz gezahlt wird oder ermäßigter, auf Arzneimittel aber dann der erhöhte. Genauso muss man schauen im Grunde, dass die Pharmaindustrie immer noch sehr gut verdient an der gesetzlichen Krankenversicherung. Auch hier könnte man entsprechende Abschläge erhöhen. Es gibt ausreichend Möglichkeiten. Ich halte es nur für fatal, dass im Grunde der Fonds, der so kritisiert wird, offensichtlich auch mit dem Bruch eines Versprechens danach starten soll.
Zurheide: Jetzt haben Sie geraden angesprochen, die Möglichkeiten, die Ihnen ja gegeben sind, über den Markt, über den Wettbewerb, den man haben will, möglicherweise Effizienzreserven zu heben. Sind da aus Ihrer Sicht immer noch nicht genügend Möglichkeiten drin, im System, dass Sie auf die vernünftige Art und Weise sparen können?
Vöcking: Also, wir bemühen uns seit Jahren im Grunde zu entsprechenden Einsparungen zu kommen. Man muss mal sehen, das System ist insgesamt sehr, sehr komplex, und es ist vor allen Dingen, wir haben natürlich nun einen Regelungsmechanismus. Wir können nicht einfach frei die Preise bestimmen, sondern sie sind gekettet an den gesetzlich vorgegebenen Rahmen.
Zurheide: Kommen wir noch mal zum Konjunkturrisiko. Das ist ja sozusagen die Einnahmeseite, über die man noch mal diskutieren muss. Da sagen natürlich viele, je nachdem, wie die Konjunktur läuft, wird das möglicherweise gar nicht reichen. Und dann kommt man mit diesen 15,5 Prozent nicht aus. Aber dann gibt es im Gesetz doch die Möglichkeit, dass der Bund zunächst mal jedenfalls da eintreten muss. Warum reicht Ihnen das nicht?
Vöcking: Das reicht deswegen nicht, weil die gesetzliche Vorschrift, das ist der Paragraph 271 des Sozialgesetzbuches im fünften Buch, vorsieht, dass diese Liquiditätsreserve (…) zurückzuzahlen ist, mit einer Ausnahme. Nach dem Fondsstart 2009 wäre diese Reserve dann im Jahr 2010 zurückzuzahlen. Das ist nur eine zeitliche Verschiebung. Das heißt, das Geld könnte auf gar keinen Fall endgültig bei der Krankenversicherung bleiben, sondern muss an den Bund zurückgezahlt werden. Insofern heißt es, letztlich zahlt doch der Beitragszahler. Auch an dem Punkt sieht man, dass hier im Grunde nicht mit der vollen Wahrheit bislang argumentiert worden ist.
Zurheide: Ja, dann sagen ja viele, zum Beispiel aus der Bundesregierung Frau von der Leyen, die hat dann gesagt, ja, wenn eine Kasse eben schlecht wirtschaftet, dann muss sie Zusatzbeiträge erheben und dann kann man den Versicherten nur raten, geht da weg. Das ist eine Argumentation, die halten Sie für falsch. Warum eigentlich?
Vöcking: Also, ich halte sie für falsch, zunächst mal, wenn der sogenannte morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich kommt …
Zurheide: Das ist ein Wort, das versteht jetzt erst mal keiner. Was heißt das auf Deutsch?
Vöcking: Das ist ein Finanzausgleich unter den Krankenkassen, der die unterschiedliche Morbidität, das heißt, den unterschiedlichen Krankenzustand der Versicherten berücksichtigt. Und das führt dazu, dass sie schon mehr Verteilungsgerechtigkeit bekommen. Und wenn unter den Prämissen künftig dann Kassen Prämien nehmen müssen, dann nicht, weil sie unwirtschaftlich handeln, sondern weil sie immer noch eine höhere Morbiditätsbelastung haben. Das Ganze, was Frau von der Leyen angedeutet hat, führt dann zu einer weiteren Entsolidarisierung. Und meine große Sorge ist, dass solche Wandlungen im System der gesetzlichen Krankenversicherung dann daraus resultieren, dass das gesamte System dann kollabiert.
Zurheide: Jetzt könnte man natürlich sagen, gerade weil Sie das angesprochen haben, wenn Menschen, die mehr krank sind als andere und Kassen mehr solcher kranker Menschen haben, wenn die dann künftig besser gestellt werden, reicht Ihnen das immer noch nicht aus über diesen Risikoausgleich?
Vöcking: Dieser neue Risikostrukturausgleich gleicht Erkrankungen und Morbiditäten immer noch nicht zu 100 Prozent aus, sondern maximal zu 47 Prozent. Das heißt, eine Krankenkasse, die eine erhöhte Zahl von kränkeren Personen hat, hat immer noch ein größeres finanzielles Risiko. Es gibt weiterhin keine entsprechende ausreichende Verteilungsgerechtigkeit.
Zurheide: Wie müsste die denn aussehen, diese Verteilungsgerechtigkeit, aus Ihre Ihrer Sicht?
Vöcking: Wir müssten im Grunde etwas tun, was aber die Union politisch nicht gewollt hat, den Kreis zum Beispiel der sogenannten 50 bis 80, oder jetzt (…) Erkrankungen in den Finanzausgleich erweitern, gerechter machen und vor allen Dingen, es muss das ausreichende Geld zur Verfügung gestellt werden. Das heißt, der Fonds muss wohl zu 100 Prozent gefüllt sein, und zwar permanent. Denn sonst wird es dazu führen, dass die Krankenkassen über kurz oder lang alle entsprechende Prämien erheben müssen. Und je "kränker", in Anführungszeichen, eine Krankenkasse ist, desto höher müssten die Prämien sein.
Zurheide: Und die Prämien werden natürlich nur von den Versicherten aufgebracht, die Arbeitgeber sind da fein raus. Die freuen sich doch?
Vöcking: Das ist richtig. Das ist ja das Fatale, dass nämlich momentan immer noch so in einem Schockzustand oder im Zornzustand, dass offensichtlich den Arbeitgebern mit dem 01.01.2009 das gelingt, was sie kürzlich gefordert haben, den Einstieg in den Ausstieg, nämlich sie wollen das System verlassen, sie wollen nicht mehr die Arbeitgeberbeiträge zahlen. Sie wollen, dass diese eingefroren werden oder gar mit dem Lohn ausgezahlt werden.
Zurheide: Jetzt könnte man sagen, deshalb ist der Fonds konstruiert worden, weil viele da in ein neues Modell wollen. Warum haben Sie denn so was dagegen?
Vöcking: Ich habe die große Sorge, dass wir ganz am Ende einer Privatisierung der Finanzierung und damit einer Privatisierung der Krankheitslasten bekommen. Und das wäre fatal für 70 Millionen Menschen in Deutschland.
Zurheide: Warum ist das fatal für 70 Millionen Menschen in Deutschland?
Vöcking: Weil damit der Versuch verbunden wäre, dann da eine Grundversicherung auf einem ganz niedrigen Niveau zu vereinbaren und es dann vom Vermögen im Grunde des Einzelnen abhängig zu machen, dass er sich zusätzlich versichert. Und dann würde wirklich etwas passieren, was ich für eine Katastrophe, für unsere Gesellschaft hielte, dass dann hieße im Grunde, weil du arm bist, musst du schneller sterben. Das ist eine total fatale Richtungsentscheidung.
Zurheide: Jetzt kommen wir noch mal auf einen anderen Punkt. Es soll weniger und wird weniger Krankenkassen geben. Das sagen viele voraus. Ist das nicht positiv oder ist das negativ für den Markt, wenn es weniger Krankenkassen gibt?
Vöcking: Ich halte es nicht für negativ, sondern wir bekommen eine Konsolidierung, wobei ich mich gar nicht festlege, ob am Ende dann 40, 50 oder 60 Krankenkassen entstehen, sondern es geht wirklich um die gut ausgezeichnete Versorgung. Und wer dort nun gute Verträge machen will, braucht eine entsprechende Kapazität und Kompetenz. Und die ist nur bei größeren Krankenkassen, bei größeren Trägern vorhanden. Und deswegen braucht der Markt schon eine Konsolidierung des Marktes insgesamt.
Zurheide: Jetzt kommen wir noch mal auf diesen Punkt der Möglichkeit, solche Verträge abzuschließen und damit auch den Versicherten wirklich etwas zu bieten, was jemand anders möglicherweise nicht hat. Wie gibt Ihnen das Gesetz die Chance oder gibt Ihnen das Gesetz ausreichend Chancen, eigene Verträge abzuschließen?
Vöcking: Mit diesem sogenannten Wettbewerbsstrukturgesetz gibt es schon mehr Chancen im ärztlichen Bereich, im fachärztlichen Bereich, im Bereich Hilfsmittel etc. Verträge zu machen. Der Bereich, der immer noch fehlt, ist der Bereich der Krankenhausversorgung. Hier gibt es nach wie vor keinen Konsens zwischen dem Bund und den Ländern. Insofern ist hier ein Handikap vorhanden.
Zurheide: Das war Johannes Vöcking, der Vorstandsvorsitzende der Barmer Ersatzkasse zu den Steigerungen im Krankenkassenbereich. Dankeschön für dieses Gespräch!
Vöcking: Danke sehr!