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"Wir sind die Gewinner des Euros"

Deutsche Unternehmen und die Arbeitnehmer hätten von der Einführung des Euros profitiert, sagt IG-Metall-Chef Berthold Huber. Jetzt müsse man größten Wert darauf legen, dass die gemeinsame Währung erhalten bleibe. Außerdem müsse die Politik klare Regeln für den Finanzmarkt formulieren, sagte der Gewerkschafter.

Berthold Huber im Gespräch mit Friedbert Meurer | 11.10.2011
    Friedbert Meurer: Sie ist die größte deutsche Einzelgewerkschaft, die IG Metall: Zwei Millionen Mitglieder etwa hat sie. Seit Sonntagabend tagen die Delegierten auf dem Karlsruher Messegelände auf ihrem Gewerkschaftskongress. Insgesamt ist die Lage positiv. Die Gewerkschaft erlebt einen Zulauf an neuen Mitgliedern. Der Autoindustrie geht es gut, die Arbeitslosigkeit in Deutschland sinkt, wenn da nicht unter anderem die Schatten der Euro-Krise wären. Heute wird der Vorstand neu gewählt. Niemand zweifelt daran, dass Gewerkschaftschef Berthold Huber wiedergewählt wird.
    Berthold Huber ist der Vorsitzende der Gewerkschaft. Guten Morgen, Herr Huber.

    Berthold Huber: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Mehr Mitglieder, mehr Geld in der Kasse, weniger Arbeitslose, trotz der Krise. Sind das die besten Zeiten, Herr Huber, die Sie als Vorsitzender erleben?

    Huber: Ja, im Moment sind es ganz gute Zeiten. Aber ich will schon meine Bedenken über die weitere wirtschaftliche Zukunft formulieren oder anbringen. Wenn die Bankenkrise, nehmen wir mal an, es geht eine große, zum Beispiel französische Bank hops, dann haben wir den Lehman-Effekt vom 15. September 2011. Insofern würde ich einfach sagen, wir haben eine sehr volatile Situation, wir haben gute Auftragspolster, aber ob das hält, weiß ich nicht.

    Meurer: Wie groß schätzen Sie die Gefahr für die Arbeitsplätze ein?

    Huber: Ja ich schätze, wenn die Politik nicht reagiert und klare Regeln für den Finanzmarkt formuliert, schätze ich die Gefahr extrem groß ein. Wissen Sie, es ist ja so: Man muss ja die Finanzierung der Unternehmen der Realwirtschaft sichern, und wenn das nicht gelingt, ist das ein großes Problem.

    Meurer: Was erwarten Sie genau von der Bundesregierung? Was soll sie tun?

    Huber: Die Bundesregierung soll erst einmal klar sagen, dass wir in einer Solidarverpflichtung in der Europäischen Union sind, zweitens, dass die Finanzmarkt-Transaktionssteuer eingeführt wird, um diesen Computerhandel zumindest zu erschweren, drittens, dass die Regierung ankündigt, dass man Realökonomie und Investmentbanking, insbesondere den spekulativen Teil davon lostrennt.

    Meurer: Nehmen wir kurz mal den ersten Punkt: Solidarverpflichtung. Auch bei Ihren Mitgliedern in der IG Metall gehe ich mal davon aus, dass es viele geben wird, die gar nicht so damit einverstanden sind, wie viel Geldsicherheiten den Griechen gewährt werden. Wie groß ist da die Solidarität wirklich?

    Huber: Also ich will jetzt mal sagen, die IG Metall hat schon seit Anfang der 50er-Jahre diese große Idee des vereinigten Europas gehabt, bevor überhaupt die politischen Parteien auf diese Idee gekommen sind, und da kann man nur den Jean-Claude Juncker zitieren: Schaut euch die Soldatenfriedhöfe in Europa an, dann könnt ihr den Wert eines vereinigten Europas sehen.

    Meurer: Also die Antwort lautet mehr Europa, größere Rettungsschirme, Eurobonds?

    Huber: Ich will noch mal sagen, Herr Meurer, die Bundesrepublik und ihre Wirtschaft und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer indirekt haben profitiert von der Einführung des Euros, und dass das immer nicht nur nach oben geht, sondern auch mal in solchen schwierigen Zeiten endet, ist ja doch ganz klar. Wir sind die Gewinner des Euros und wir müssen als Bundesrepublik Deutschland größten Wert darauf legen, dass dieser Euro erhalten bleibt. Da fühle ich mich mit auch den Arbeitgebern ziemlich einig.

    Meurer: Der weitere Fortgang der Euro-Krise, der Schuldenkrise, Herr Huber, wird das Einfluss haben auf Ihre Lohnpolitik und auf die nächste Tarifauseinandersetzung?

    Huber: Ja, darüber können wir diskutieren im Januar, Februar nächsten Jahres. Das weiß ich noch nicht. Ich bin kein Defätist, ich bin keine Kassandra, man muss sich das dann ganz genau anschauen. Vielleicht haben wir dann das Schlimmste überstanden, was ich sehr hoffe, haben gute Aufträge, wie wir die heute haben. Aber entscheiden kann man das erst ziemlich punktgenau vor der Tarifrunde.

    Meurer: Aber Sie haben schon gesagt, ordentliche Lohnsteigerungen sollen her?

    Huber: Ja klar!

    Meurer: Was meinen Sie damit?

    Huber: Würde man was anderes von mir erwarten?

    Meurer: Die Franzosen sagen, in der Vergangenheit haben Sie zu geringe Lohnsteigerungen angestrebt.

    Huber: Ach, das ist alles dummes Zeug. Entschuldigung! Unser größtes Problem ist der Niedriglohnsektor, der inzwischen über sieben Millionen Menschen umfasst. Die Lohnsteigerungen in den Produktivitätsindustrien wie Chemie und IG Metall, also Metall, Elektrobereich, ist am obersten Ende innerhalb von Europa. Ehrlich gesagt, das halte ich für eine Polemik, die ich nicht akzeptiere. Wir wissen schon, was wir zu tun haben, aber wir können auch nichts tun, wenn der Niedriglohnsektor wächst. Der ist innerhalb von etwa acht Jahren um das Doppelte gewachsen. Und Sie kennen doch unsere Kampagnen gegen Leiharbeit, gleicher Lohn für gleiche Arbeit als Stichwort.

    Meurer: Nur, Herr Huber, die großen Exporterfolge Deutschlands gehen ja nur sehr eingeschränkt auf die Niedriglöhne zurück, sondern eher insgesamt unter anderem auf das Lohnniveau.

    Huber: Also es tut mir leid, das hat mit dem Lohnniveau gar nichts zu tun. Die deutsche Industrie – und das ist ein Projekt auch der IG Metall – treibt die Produktivität nach vorne, treibt neue Entwicklungen nach vorne, und wir sind wirklich ganz gut in diesem weltwirtschaftlichen Konzert. Was hat das mit der Lohnentwicklung bei der Metall- und Elektroindustrie zu tun? Gar nichts! - Wir sind gut! Ist das eine Schande?

    Meurer: Es ist keine Schande, wenn es nicht zulasten anderer Länder geht, wie man immer wieder hört.

    Huber: Das geht nicht zulasten anderer Länder. Wir können doch nicht sagen, Leute, jetzt schafft weniger, seid weniger innovativ, seid weniger qualitätsbewusst. Wie soll denn das gehen! – Die IG Metall ist eine produktivitätsorientierte Gewerkschaft, und das wird auch so bleiben.

    Meurer: Ein Thema auf Ihrem Gewerkschaftskongress, Herr Huber, sind die Niedriglöhne, haben wir gerade angesprochen.

    Huber: Ja!

    Meurer: Was genau wollen Sie da tun?

    Huber: Ja als Erstes wollen wir Equal Pay für die Leiharbeit. Wir wollen Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte, was die Übernahme was weiß ich, nach sechs Monaten, nach zwölf Monaten, nach 15 Monaten anbelangt. Wir haben auch so einzelbetriebliche Vereinbarungen, wo die Leute zum Beispiel nach 15 Monaten fest übernommen werden. Wir haben Betriebe, wo auch Leiharbeiter von Anfang an gleichen Lohn für gleiche Arbeit bekommen, und das wollen wir von den Arbeitgebern haben. Wir wollen den Niedriglohnsektor eindämmen und wir wollen dafür sorgen, dass einigermaßen faire Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt herrschen und die Verrohung des Arbeitsmarktes beendet wird.

    Meurer: Wie schätzen Sie die Bereitschaft der Arbeitgeber ein, hier entgegenzukommen? In letzter Zeit hat man den Eindruck, der Niedriglohnsektor wird größer und größer.

    Huber: Natürlich! Der ist ja auch objektiv größer und größer geworden. Das ist kein Eindruck, das ist so. Da wollen wir mal schauen. Das ist ja auch eine Frage der Tarifverhandlungen im nächsten Jahr. Ich kann Ihnen noch nicht sagen, wie das ausgeht, aber wir sind wild entschlossen oder fest entschlossen, dass wir das machen.

    Meurer: Sind die Unternehmen, die nicht im Tarifbereich organisiert sind, eher die schwarzen Schafe und die können Sie dann gar nicht erreichen mit Tarifverhandlungen?

    Huber: Ja, teilweise ja. Muss ich sagen ja, ist so.

    Meurer: Welche Rolle spielt da der gesetzliche Mindestlohn?

    Huber: Der gesetzliche Mindestlohn hat ja mit Equal Pay nichts zu tun, mit gleichem Lohn für gleiche Arbeit. Der gesetzliche Mindestlohn: Wir brauchen den, da bin ich sehr überzeugt, für Bereiche, wo Gewerkschaften nicht handlungsfähig sind, weil wir gar keine Tarifbindung mit den Arbeitgebern haben. Darf ich Ihnen mal ein Beispiel sagen? – Im ostdeutschen Bereich haben sich die Arbeitgeber des Kfz-Handwerks aufgelöst und haben gesagt, wir wollen mit der IG Metall keine Tarifvereinbarung mehr machen. Das liegt jetzt schon ein paar Jahre zurück. Das sind vor allem kleinere Betriebe mit drei, fünf, acht Beschäftigten, und wir haben im Kfz-Handwerk insgesamt 430.000 Beschäftigte in Deutschland. Und wir brauchen da den Gesetzgeber, dass es ein unteres Ende gibt, anders wird das nicht gehen.

    Meurer: Das war der IG-Metall-Vorsitzende Berthold Huber zum laufenden Gewerkschaftskongress der IG Metall. Herr Huber, besten Dank und auf Wiederhören!

    Huber: Ich danke Ihnen. Auf Wiederhören!

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