Montag, 29. April 2024

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"Wir sind ganz klar auf der Seite der Syrer"

Rupert Neudeck, Vorsitzender der Grünhelme, zeigt sich erleichtert über die Selbstbefreiung und den Zustand des Mitarbeiters der Hilfsorganisation, der Mitte Mai von Islamisten entführt worden war. Er ist überzeugt, dass die Grünhelme die Arbeit mit syrischen Kräften im Lande irgendwann fortsetzen können.

Rupert Neudeck im Gespräch mit Thielko Grieß | 04.09.2013
    Thielko Grieß: Der Bürgerkrieg in Syrien hat nach Angaben der Vereinten Nationen inzwischen mehr als zwei Millionen Menschen in die Flucht getrieben. Ein Teil ist über die Grenzen in den Nachbarländern angekommen und ein anderer Teil ist im Land selbst auf der Flucht vor der Gewalt. In Syrien selbst, in dem Land selbst sind nicht mehr viele Hilfsorganisationen tätig. Vielen ist es zu gefährlich geworden. Aber eine von den Organisationen, die im Land geblieben sind, waren über lange Zeit die Grünhelme, die Organisation, die versucht hat, im Norden des Landes Schulen und Krankenhäuser funktionstüchtig zu halten. Diese Grünhelme mussten ihr Engagement in Syrien Mitte Mai unterbrechen, weil drei ihrer Helfer entführt worden waren – von Islamisten. Es gab Lösegeldforderungen und es gab Verhandlungen. Und dann gelang Anfang Juli die Flucht zweien von ihnen der drei Entführten, und nun ist auch der Dritte in die Türkei geflohen, auf sicheren Grund. – Am Telefon ist jetzt Rupert Neudeck, der Gründer und Vorsitzende der Grünhelme. Herr Neudeck, guten Tag.

    Rupert Neudeck: Guten Tag!

    Grieß: Wie hat es denn Ihr Helfer, Ihr Kollege geschafft, aus Syrien zu fliehen?

    Neudeck: Er hat gesehen, dass kein anderer Weg geht als der, den seine beiden Mitentführten schon gegangen sind, nämlich das selbst zu tun. Er hat lange beobachtet. Er hat kein Papier gehabt, um das aufzuschreiben, aber er hat lange beobachtet, wann die Wachen kommen, mit welchem Abstand das Essen kommt für ihn in diese Zelle, in der er gelebt hat, und dann hat er die Flucht schon geplant. Er hat die Tür aufgebrochen, das hat er auch vorher so schon untersucht, dass das möglich wäre. Er hat das mit einem abgebrochenen Wasserhahn versucht und gemacht und ist dann zweieinhalb Stunden als 72-Jähriger gegangen in eine Ortschaft, wo er auch FSA-, also Freie-Syrische-Armee-Bekannte hatte, und die haben ihn dann über die türkische Grenze auf sicheren Boden in die Türkei gebracht, und ich vermute, dass er heute noch in Ankara ist und heute oder morgen nach München zurück zu seiner Familie kommen wird.

    Grieß: Und körperlich ist er unversehrt?

    Neudeck: Unversehrt wissen wir nicht, weil wir nicht wissen, was das Innere angeht eines Menschen. Die Traumatisierungen, die man durch 100 Tage Geiselhaft erleiden kann, die können wir heute natürlich noch nicht ganz ausschließen. Aber der äußere Zustand von Ziad Nouri war so ausgezeichnet, dass wir uns auch darüber wahnsinnig gefreut haben. Ich habe am Telefon mit ihm gesprochen, es war eine ganz klare, laute und starke Stimme. Wir haben auch ein Bild von ihm jetzt bekommen. Also wir sind sehr froh, A über die Selbstbefreiung und dann auch über den Zustand, in dem er jetzt gegenwärtig sich befindet.

    Grieß: Herr Neudeck, hatten Sie die Sicherheitslage unterschätzt in Syrien?

    Neudeck: Ich glaube, dass ich das nicht unterschätzt hatte. Wir wussten und haben das unseren Mitarbeitern ja auch gesagt und der eine der Entführten, Bernd Blechschmidt, der Teamleiter, hat das Projekt ja auch das zweite Mal jetzt schon sich unter die Fittiche genommen. Wir wussten um die prekäre Sicherheitslage auch im sogenannten befreiten Nordosten Syriens. Wir wussten das, weil wir auch im Krankenhaus in Asas, dem ersten Punkt, in dem wir vier Monate gearbeitet haben, haben wir im Keller jeweils geschlafen aus Sorge darum, dass eine Bombe trifft. Die Bombenangriffe waren endemisch, sie fanden meist in der Nacht statt. Das war ein Gebäude, das hatte vier Stöcke, deshalb fühlte man sich im Keller einigermaßen "sicher". Wir wussten, aber damals im letzten Jahr war die Situation natürlich noch anders, weil die syrische freie Armee war im ständigen Fortgang dahin, das Regime zu stürzen. Es gab eigentlich unter den Experten nur immer die Frage, ist es jetzt im Januar 13 oder Februar 13, dass der Herrscher in Damaskus stürzt. Das war eigentlich eine andere Situation.

    Dann kam eine große Intervention von ausländischen Mudschahedin, Pakistan, Tunesien, aber besonders auch Bosnien, Tschetschenien, Dagestan und auch Deutschland, was man klar sagen muss. Die haben die Situation für die syrische Befreiungsrevolution, die ja eine sehr junge war, sehr viel schwieriger gemacht, weil sie eben auch diese Entführung gemacht haben.

    Grieß: Verzichten die Grünhelme künftig auf ihr Engagement in Syrien, zumal ja auch unklar ist, ob nicht in den nächsten Tagen oder Wochen ein Militärschlag von außen gegen das Land ansteht?

    Neudeck: Ja, wir wären natürlich tollkühn und nicht gut beraten, wenn wir jetzt morgen irgendetwas in der Weise entscheiden würden. Aber ich denke, wir sind ganz klar auf der Seite der Syrer. Wir werden die Syrer nicht dafür bestrafen, dass ihnen ausländische Mudschahedin unsere drei Leute entführt haben. Wir haben in Afghanistan eine ähnliche Situation mal gehabt, dass wir einen Überfall hatten auf ein deutsches Team bei einem Schulbau, haben dann die Arbeit aber weitergeführt. Das ist eine klassische Methode von Hilfsorganisationen mit einheimischen Leuten. Und ich denke, jetzt würde es sich auch für uns anbieten, wenn überhaupt das in den nächsten Tagen möglich ist, aber in den nächsten Wochen und Monaten – es ist so viel zerstört worden -, wir werden sicher mit syrischen Mitarbeitern, mit syrischen Kräften, die im Lande sind, die Arbeit an dem einen oder anderen Platz wieder fortsetzen können. Davon gehe ich einfach aus.

    Grieß: Sie wollen aber nicht den Weg gehen, den andere Hilfsorganisationen auch schon gegangen sind, aus Syrien heraus und stattdessen in den Nachbarländern, in den Flüchtlingslagern dort helfen?

    Neudeck: Das ist auch ganz legitim und wichtig, aber ich denke, unsere Aufgabe wird sein, vielleicht auch – es gibt einige Lager, Azmeh zum Beispiel. Das liegt zwischen Rehangli und Antakya in der Nähe der türkischen Provinz Hatay. Dort liegt ein Flüchtlingslager, das mit bestimmt Zehntausenden von Syrern schon belastet ist. Das liegt direkt auf der syrisch-türkischen Grenze und da kann man natürlich auch schon arbeiten, das tun auch einige. Also es gibt solche Plätze, in denen man jetzt auch schon was tun kann. Das müssen nicht unbedingt die Lager sein. Die Lager sind natürlich in ihrer Größe und ihrer Herausforderung die große Aufgabe des mächtigen, weltweit agierenden UNHCR und des Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen, und ich glaube, diese Arbeitsteilung sollten wir auch aufrechterhalten.

    Grieß: Ein entführter Helfer der Grünhelme ist freigekommen, ist geflohen und nun in Sicherheit in der Türkei. Das war der Gründer und Vorsitzende der Hilfsorganisation Grünhelme, Rupert Neudeck. Vielen Dank.

    Neudeck: Danke auch.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.