Jochen Spengler: Es herrscht derzeit eitel Sonnenschein bei den Grünen in Baden-Württemberg. Schon seit Jahren sind sie in den Uni-Städten eine prägende politische Kraft - in Tübingen, in Freiburg und in Konstanz regieren grüne Oberbürgermeister. Jetzt aber haben sie bei den Kommunalwahlen am Sonntag so richtig abgeräumt: 32,9 Prozent in Tübingen etwa, mit großem Abstand die meisten Stimmen.
Ähnliche Zahlen gibt es auch aus anderen Städten, und sie sind erstmals die stärkste Partei in einer deutschen Landeshauptstadt: 25,3 Prozent der Stimmen in Stuttgart, 16 Stadträte stellen sie da, mehr als die CDU. Das ist schon ein politisches Erdbeben im Ländle, und wir wollen in den nächsten Minuten nach Gründen dafür suchen. Am Telefon begrüße ich nicht Robert Palmer, sondern Boris Palmer, den Politiker der Grünen, der seit fast drei Jahren in Tübingen Oberbürgermeister ist. Guten Morgen, Herr Palmer.
Boris Palmer: Ja, guten Morgen, aber Robert Palmer finde ich nicht schlecht, weil das zeigt ja, wo die Musik spielt, nicht wahr?
Spengler: Worin besteht das Erfolgsgeheimnis der Grünen in Baden-Württemberg?
Palmer: Wir haben seit 1980 in Baden-Württemberg Wert darauf gelegt, bodenständig zu sein. Unsere Politik war immer geerdet, wir hatten Ökologie und Wirtschaft im Blick, aber wir haben das nie auf einer irrationalen Basis gemacht, und das kommt hier in einem Land der Mittelstädte, der mittelständischen Industrie sehr gut an.
Spengler: Das heißt, sie sind deutlich konservativer als anderswo?
Palmer: Ich würde nicht den Begriff konservativ wählen. Von mir aus können Sie bürgerlich sagen, mein Begriff ist bodenständig. Ich bin auf einem Wochenmarkt aufgewachsen, mein Vater war Unternehmer, und ich habe großen Sinn dafür, mit grünen Ideen schwarze Zahlen zu schreiben.
Spengler: Den Müsli-Men mit Birkenstock-Sandalen, den gibt’s nicht mehr?
Palmer: Den gibt’ schon, der wählt auch weiterhin grün. Aber der ist nicht dominant, und vor allem ist er für diejenigen, die uns früher mal nicht wählen wollten, weil sie dachten, so sind alle Grüne, kein Schreckgespenst mehr. Wir sind heute für alle wählbar.
Spengler: Wenn Baden-Württemberg als Land von Porsche und Daimler, als Hochtechnologieland, als Land des Maschinenbaus gilt, sind die Grünen dann da eine ergänzende Bewegung oder eine Gegenbewegung?
Boris Palmer: In der Gründungsphase sicher eine Gegenbewegung, heute aus meiner Sicht eine notwendige Voraussetzung, dass die Industrie eine Zukunft hat. Wir werden nur dann als Wirtschaftsstandort erfolgreich sein, wenn wir Produkte herstellen, die die großen Fragen der Ressourcenknappheit und Umweltzerstörung beantworten, und insoweit sind die Grünen heute die Industriepartei der Zukunft.
Spengler: Besonders auffällig ist das Wahlergebnis in Stuttgart. Sie waren derjenige, der den Widerstand gegen das Milliarden-Bahnprojekt Stuttgart 21 seit Jahren organisiert. Welche Rolle hat dieses Großprojekt für das Wahlergebnis gespielt?
Palmer: Es war wichtig, aber nicht allein entscheidend. Wir haben bisher gute Voraussetzungen, wir haben schon bei zwei Oberbürgermeisterwahlen gut abgeschnitten, Rezzo Schlauch hatte 39 Prozent, wäre fast selbst OB geworden. Wir haben konstant gute Wahlergebnisse über Bundestags-, Landtagswahlen hinweg.
Wir haben auch außerhalb von Stuttgart – Freiburg, Heidelberg, Konstanz, Tübingen - Oberbürgermeister gestellt, hohe Prozentwerte. Aber in Stuttgart ist sicher eins dazugekommen: dass die Mehrheit, und zwar die große Mehrheit der Menschen in dieser Stadt nicht will, dass ihre Stadt durch ein sinnloses Neubauprojekt, und zwar einen milliardenteuren Bahnhof, zerstört wird. Und dafür hat jetzt die große Koalition der Befürworter eine harte Quittung bekommen.
Spengler: Herr Palmer, jetzt muss ich fragen - wenn Sie sagen, die große Mehrheit will das nicht: 25 Prozent sind ein toller Erfolg für die Grünen in Stuttgart, aber 75 Prozent haben Sie nicht gewählt. Muss man nicht schlussfolgern, dass 75 Prozent der Wähler dieses Bahnprojekt dann doch wollen? Sonst hätten sie ja Sie wählen können.
Palmer: Das muss man nicht, weil es ziemlich präzise Meinungsumfragen gibt. Dieselbe Meinungsumfrage, die dieses Wahlergebnis auf den Prozent vorhergesagt hat am Sonntagabend um 18 Uhr, sagt: 52 Prozent der Leute in Stuttgart sind dagegen. Das ist auch meine Erfahrung aus Wahlkämpfen in dieser Stadt. Aber nicht jeder, der gegen den Bahnhof ist, schafft es bisher, dann auch Grün zu wählen. Soweit gibt es da noch eine gewisse Differenz.
Spengler: Wollen Sie das Bahnprojekt … Nein, Sie wollen das Bahnprojekt noch stoppen, dumme Frage, aber: Können Sie das noch stoppen?
Palmer: Ich halte das für möglich, denn die Befürworter verschanzen sich ja hinter Verträgen, die sie selbst geschlossen haben, damit die Bürger nicht mehr mitbestimmen können. Zum Glück gibt es aber keine Privaten, die beteiligt sind, das heißt, es geht um den Bahnchef, es geht um die Bundeskanzlerin und den OB von Stuttgart, dann auch noch den Ministerpräsidenten. Ich bin fest davon überzeugt: Wenn ein Gemeinderat in Stuttgart mit dem OB gemeinsam zu den anderen Beteiligten fährt und sagt, wir wollen das nicht mehr, dann ist das innerhalb von 24 Stunden beerdigt, weil die anderen Beteiligten wegen der hohen Kosten auch keinen Spaß daran haben.
Spengler: Herr Palmer, dann erklären Sie uns, was so schlimm daran ist, wenn aus einem Sackbahnhof Stuttgart ein Durchgangsbahnhof wird, der dann die Lücke in dem transeuropäischen Hochgeschwindigkeitsnetz schließen würde?
Palmer: An einem Durchgangsbahnhof ist nichts schlimm, aber fünf Milliarden sinnlos zu vergraben ist halt für Schwabenseelen unerträglich, für meine auch, denn es geht nicht darum, eine Lücke zu schließen. Man kann mit dem Kopfbahnhof genauso gut das Hochgeschwindigkeitsnetz befahren, das sieht man daran, dass Frankfurt, der größte Bahnhof in Deutschland, oder Leipzig weiterhin Kopfbahnhöfe sind und dort viel mehr ICEs fahren als in Stuttgart heute schon.
Spengler: Sie sind nicht prinzipiell gegen die Modernisierung der Strecken?
Palmer: Im Gegenteil, wir wollen die neue Strecke von Stuttgart nach Ulm. Die bringt große Zeitgewinne. Aber man muss dafür nicht Stuttgart verunstalten und den Bahnhof versenken.
Spengler: Was wäre Ihre Alternative?
Palmer: Die Alternative ist, das Hochgeschwindigkeitsnetz auszubauen, aber die vorhandene Stadtstruktur in ihrer historischen Gestalt zu beachten, und dazu gehört der denkmalgeschützte Bahnhof in Stuttgart ganz elementar dazu.
Spengler: Und wie viel Zeitverlust wäre das dann, wenn der Zug immer erst rein- und dann wieder rausfahren müsste?
Palmer: Vier Minuten, aber Sie können durch den Streckenneubau 20 Minuten gewinnen, und da sehen Sie schon, was eigentlich wichtig ist.
Spengler: Herr Palmer – Sie werden als grüner Oberbürgermeisterkandidat für Stuttgart im Jahre 2012 gehandelt. Sie haben bereits mal kandidiert, jetzt sind Sie aber in Tübingen Oberbürgermeister. Ist da was dran, dass Sie sich für Stuttgart interessieren?
Palmer: Eher umgekehrt. Die Medien fragen mich jetzt, ob ich bereit sei, das für alle Zeiten auszuschließen, und dazu lasse ich mich nicht drängen. Der amtierende Oberbürgermeister sagt, er entscheidet 2011, ob er wieder kandidiert, und deswegen sehe ich auch gar keinen Grund, mich vor diesem Jahr als Tübinger Oberbürgermeister festzulegen, ob ich vielleicht eine Kandidatur in Stuttgart erwäge. Aber auszuschließen habe ich im Moment nichts, warum denn auch? Ich fühle mich in Tübingen sehr wohl, die Bürger fragen mich dort eigentlich nur: "Sie bleiben doch hoffentlich?", und es ist für die Tübinger sicherlich auch angenehmer zu wissen, dass ihr OB anderswo auch eine Chance hätte, als wenn man sagen würde, den will sonst keiner.
Spengler: Aber Tübingen würde Ihnen reichen?
Palmer: Tübingen ist für mich im Moment ein sehr, sehr schönes Betätigungsfeld. Wir haben dort große Fortschritte erzielt, sind auf Platz eins bei der Kinderbetreuung in Baden-Württemberg, wir sind die Klimaschutz-Stadt geworden, und wir haben viele, sehr erfolgreiche Projekte auf den Weg gesetzt, die ich gerne weiterführen möchte. Es gibt keinen Grund, Tübingen zu verlassen.
Spengler: Ist dieses Wahlergebnis für die Grünen eigentlich ein Schritt in Richtung schwarz-grün?
Palmer: Es ist jedenfalls eine Öffnung, die zeigt, dass Menschen, die bisher streng CDU gewählt haben, sich auch für eine Stimme für die Grünen entschließen können, wenn die Themen stimmen und die Personen stimmen, und ich glaube, dass dieser Prozess weitergehen wird. Die Grünen sind die Stadtkraft geworden in Baden-Württemberg, und sie haben dabei Milieus erschlossen, die ihnen früher nicht offenstanden. Das ist ein Prozess, der sicherlich die Tektonik des Parteiengefüges beeinflussen wird.
Spengler: Wie stehen Sie eigentlich zu einer Zusammenarbeit mit der FDP, die ja auf Bundesebene immer heftiger ausgeschlossen wird?
Palmer: Ich kann im Moment nicht sehen, dass eine Zusammenarbeit mit der FDP funktionieren würde. In Baden-Württemberg stellt sich die Frage nicht, da braucht man die FDP nicht, schwarz-grün hat eine satte Mehrheit, und auch auf der Bundesebene denke ich, dass es eine gute Chance gibt, ohne die FDP eine vernünftige Regierung zusammenzustellen. Ich persönlich habe keine Aversionen, die das ausschließen würden, aber ich glaube, das steht politisch nicht auf der Agenda.
Spengler: Boris Palmer, Politiker der Grünen, seit fast drei Jahren Oberbürgermeister von Tübingen. Danke für das Gespräch, Herr Palmer!
Palmer: Danke Ihnen!
Ähnliche Zahlen gibt es auch aus anderen Städten, und sie sind erstmals die stärkste Partei in einer deutschen Landeshauptstadt: 25,3 Prozent der Stimmen in Stuttgart, 16 Stadträte stellen sie da, mehr als die CDU. Das ist schon ein politisches Erdbeben im Ländle, und wir wollen in den nächsten Minuten nach Gründen dafür suchen. Am Telefon begrüße ich nicht Robert Palmer, sondern Boris Palmer, den Politiker der Grünen, der seit fast drei Jahren in Tübingen Oberbürgermeister ist. Guten Morgen, Herr Palmer.
Boris Palmer: Ja, guten Morgen, aber Robert Palmer finde ich nicht schlecht, weil das zeigt ja, wo die Musik spielt, nicht wahr?
Spengler: Worin besteht das Erfolgsgeheimnis der Grünen in Baden-Württemberg?
Palmer: Wir haben seit 1980 in Baden-Württemberg Wert darauf gelegt, bodenständig zu sein. Unsere Politik war immer geerdet, wir hatten Ökologie und Wirtschaft im Blick, aber wir haben das nie auf einer irrationalen Basis gemacht, und das kommt hier in einem Land der Mittelstädte, der mittelständischen Industrie sehr gut an.
Spengler: Das heißt, sie sind deutlich konservativer als anderswo?
Palmer: Ich würde nicht den Begriff konservativ wählen. Von mir aus können Sie bürgerlich sagen, mein Begriff ist bodenständig. Ich bin auf einem Wochenmarkt aufgewachsen, mein Vater war Unternehmer, und ich habe großen Sinn dafür, mit grünen Ideen schwarze Zahlen zu schreiben.
Spengler: Den Müsli-Men mit Birkenstock-Sandalen, den gibt’s nicht mehr?
Palmer: Den gibt’ schon, der wählt auch weiterhin grün. Aber der ist nicht dominant, und vor allem ist er für diejenigen, die uns früher mal nicht wählen wollten, weil sie dachten, so sind alle Grüne, kein Schreckgespenst mehr. Wir sind heute für alle wählbar.
Spengler: Wenn Baden-Württemberg als Land von Porsche und Daimler, als Hochtechnologieland, als Land des Maschinenbaus gilt, sind die Grünen dann da eine ergänzende Bewegung oder eine Gegenbewegung?
Boris Palmer: In der Gründungsphase sicher eine Gegenbewegung, heute aus meiner Sicht eine notwendige Voraussetzung, dass die Industrie eine Zukunft hat. Wir werden nur dann als Wirtschaftsstandort erfolgreich sein, wenn wir Produkte herstellen, die die großen Fragen der Ressourcenknappheit und Umweltzerstörung beantworten, und insoweit sind die Grünen heute die Industriepartei der Zukunft.
Spengler: Besonders auffällig ist das Wahlergebnis in Stuttgart. Sie waren derjenige, der den Widerstand gegen das Milliarden-Bahnprojekt Stuttgart 21 seit Jahren organisiert. Welche Rolle hat dieses Großprojekt für das Wahlergebnis gespielt?
Palmer: Es war wichtig, aber nicht allein entscheidend. Wir haben bisher gute Voraussetzungen, wir haben schon bei zwei Oberbürgermeisterwahlen gut abgeschnitten, Rezzo Schlauch hatte 39 Prozent, wäre fast selbst OB geworden. Wir haben konstant gute Wahlergebnisse über Bundestags-, Landtagswahlen hinweg.
Wir haben auch außerhalb von Stuttgart – Freiburg, Heidelberg, Konstanz, Tübingen - Oberbürgermeister gestellt, hohe Prozentwerte. Aber in Stuttgart ist sicher eins dazugekommen: dass die Mehrheit, und zwar die große Mehrheit der Menschen in dieser Stadt nicht will, dass ihre Stadt durch ein sinnloses Neubauprojekt, und zwar einen milliardenteuren Bahnhof, zerstört wird. Und dafür hat jetzt die große Koalition der Befürworter eine harte Quittung bekommen.
Spengler: Herr Palmer, jetzt muss ich fragen - wenn Sie sagen, die große Mehrheit will das nicht: 25 Prozent sind ein toller Erfolg für die Grünen in Stuttgart, aber 75 Prozent haben Sie nicht gewählt. Muss man nicht schlussfolgern, dass 75 Prozent der Wähler dieses Bahnprojekt dann doch wollen? Sonst hätten sie ja Sie wählen können.
Palmer: Das muss man nicht, weil es ziemlich präzise Meinungsumfragen gibt. Dieselbe Meinungsumfrage, die dieses Wahlergebnis auf den Prozent vorhergesagt hat am Sonntagabend um 18 Uhr, sagt: 52 Prozent der Leute in Stuttgart sind dagegen. Das ist auch meine Erfahrung aus Wahlkämpfen in dieser Stadt. Aber nicht jeder, der gegen den Bahnhof ist, schafft es bisher, dann auch Grün zu wählen. Soweit gibt es da noch eine gewisse Differenz.
Spengler: Wollen Sie das Bahnprojekt … Nein, Sie wollen das Bahnprojekt noch stoppen, dumme Frage, aber: Können Sie das noch stoppen?
Palmer: Ich halte das für möglich, denn die Befürworter verschanzen sich ja hinter Verträgen, die sie selbst geschlossen haben, damit die Bürger nicht mehr mitbestimmen können. Zum Glück gibt es aber keine Privaten, die beteiligt sind, das heißt, es geht um den Bahnchef, es geht um die Bundeskanzlerin und den OB von Stuttgart, dann auch noch den Ministerpräsidenten. Ich bin fest davon überzeugt: Wenn ein Gemeinderat in Stuttgart mit dem OB gemeinsam zu den anderen Beteiligten fährt und sagt, wir wollen das nicht mehr, dann ist das innerhalb von 24 Stunden beerdigt, weil die anderen Beteiligten wegen der hohen Kosten auch keinen Spaß daran haben.
Spengler: Herr Palmer, dann erklären Sie uns, was so schlimm daran ist, wenn aus einem Sackbahnhof Stuttgart ein Durchgangsbahnhof wird, der dann die Lücke in dem transeuropäischen Hochgeschwindigkeitsnetz schließen würde?
Palmer: An einem Durchgangsbahnhof ist nichts schlimm, aber fünf Milliarden sinnlos zu vergraben ist halt für Schwabenseelen unerträglich, für meine auch, denn es geht nicht darum, eine Lücke zu schließen. Man kann mit dem Kopfbahnhof genauso gut das Hochgeschwindigkeitsnetz befahren, das sieht man daran, dass Frankfurt, der größte Bahnhof in Deutschland, oder Leipzig weiterhin Kopfbahnhöfe sind und dort viel mehr ICEs fahren als in Stuttgart heute schon.
Spengler: Sie sind nicht prinzipiell gegen die Modernisierung der Strecken?
Palmer: Im Gegenteil, wir wollen die neue Strecke von Stuttgart nach Ulm. Die bringt große Zeitgewinne. Aber man muss dafür nicht Stuttgart verunstalten und den Bahnhof versenken.
Spengler: Was wäre Ihre Alternative?
Palmer: Die Alternative ist, das Hochgeschwindigkeitsnetz auszubauen, aber die vorhandene Stadtstruktur in ihrer historischen Gestalt zu beachten, und dazu gehört der denkmalgeschützte Bahnhof in Stuttgart ganz elementar dazu.
Spengler: Und wie viel Zeitverlust wäre das dann, wenn der Zug immer erst rein- und dann wieder rausfahren müsste?
Palmer: Vier Minuten, aber Sie können durch den Streckenneubau 20 Minuten gewinnen, und da sehen Sie schon, was eigentlich wichtig ist.
Spengler: Herr Palmer – Sie werden als grüner Oberbürgermeisterkandidat für Stuttgart im Jahre 2012 gehandelt. Sie haben bereits mal kandidiert, jetzt sind Sie aber in Tübingen Oberbürgermeister. Ist da was dran, dass Sie sich für Stuttgart interessieren?
Palmer: Eher umgekehrt. Die Medien fragen mich jetzt, ob ich bereit sei, das für alle Zeiten auszuschließen, und dazu lasse ich mich nicht drängen. Der amtierende Oberbürgermeister sagt, er entscheidet 2011, ob er wieder kandidiert, und deswegen sehe ich auch gar keinen Grund, mich vor diesem Jahr als Tübinger Oberbürgermeister festzulegen, ob ich vielleicht eine Kandidatur in Stuttgart erwäge. Aber auszuschließen habe ich im Moment nichts, warum denn auch? Ich fühle mich in Tübingen sehr wohl, die Bürger fragen mich dort eigentlich nur: "Sie bleiben doch hoffentlich?", und es ist für die Tübinger sicherlich auch angenehmer zu wissen, dass ihr OB anderswo auch eine Chance hätte, als wenn man sagen würde, den will sonst keiner.
Spengler: Aber Tübingen würde Ihnen reichen?
Palmer: Tübingen ist für mich im Moment ein sehr, sehr schönes Betätigungsfeld. Wir haben dort große Fortschritte erzielt, sind auf Platz eins bei der Kinderbetreuung in Baden-Württemberg, wir sind die Klimaschutz-Stadt geworden, und wir haben viele, sehr erfolgreiche Projekte auf den Weg gesetzt, die ich gerne weiterführen möchte. Es gibt keinen Grund, Tübingen zu verlassen.
Spengler: Ist dieses Wahlergebnis für die Grünen eigentlich ein Schritt in Richtung schwarz-grün?
Palmer: Es ist jedenfalls eine Öffnung, die zeigt, dass Menschen, die bisher streng CDU gewählt haben, sich auch für eine Stimme für die Grünen entschließen können, wenn die Themen stimmen und die Personen stimmen, und ich glaube, dass dieser Prozess weitergehen wird. Die Grünen sind die Stadtkraft geworden in Baden-Württemberg, und sie haben dabei Milieus erschlossen, die ihnen früher nicht offenstanden. Das ist ein Prozess, der sicherlich die Tektonik des Parteiengefüges beeinflussen wird.
Spengler: Wie stehen Sie eigentlich zu einer Zusammenarbeit mit der FDP, die ja auf Bundesebene immer heftiger ausgeschlossen wird?
Palmer: Ich kann im Moment nicht sehen, dass eine Zusammenarbeit mit der FDP funktionieren würde. In Baden-Württemberg stellt sich die Frage nicht, da braucht man die FDP nicht, schwarz-grün hat eine satte Mehrheit, und auch auf der Bundesebene denke ich, dass es eine gute Chance gibt, ohne die FDP eine vernünftige Regierung zusammenzustellen. Ich persönlich habe keine Aversionen, die das ausschließen würden, aber ich glaube, das steht politisch nicht auf der Agenda.
Spengler: Boris Palmer, Politiker der Grünen, seit fast drei Jahren Oberbürgermeister von Tübingen. Danke für das Gespräch, Herr Palmer!
Palmer: Danke Ihnen!