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"Wir sind ja alle Menschen und keine Heiligen"

Heute beginnt in München der Zweite Ökumenische Kirchentag. Die Debatte um die Missbrauchsfälle kann da nicht ausgeblendet werden. Auch Katrin Göring-Eckardt, Vorstandsmitglied des Kirchentags, sagt, man werde sich natürlich mit diesen Fragen beschäftigen - allerdings nicht nur.

Katrin Göring-Eckardt im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Sandra Schulz: Als Meilenstein für die Ökumene gelten diese Tage Ende Mai, Anfang Juni vor sieben Jahren in Berlin. Mehr als 200.000 Menschen nahmen teil am ersten ökumenischen Kirchentag. Ein Bekenntnis Hunderttausender katholischer und evangelischer Christen zu einem neuen Miteinander. Daran soll in den kommenden Tagen angeknüpft werden mit dem zweiten ökumenischen Kirchentag, der heute in München beginnt. Überschattet sind die Veranstaltungen von den Debatten um Missbrauch und Misshandlung der vergangenen Tage und Wochen. Wir wollen das in den kommenden Minuten vertiefen. Frage an Katrin Göring-Eckardt, Vorstandsmitglied dieses Kirchentags und Präsidentin des evangelischen Kirchentags im kommenden Jahr: Die letzten Wochen und Monate waren überschattet von Debatten um Missbrauch und Misshandlungen. Mai 2010, ist das ein guter Zeitpunkt für den zweiten ökumenischen Kirchentag?

    Katrin Göring-Eckardt: Ich glaube, dass der ökumenische Kirchentag deutlich machen wird, dass wir eine ganz lebendige Christenheit in Deutschland haben, katholisch und evangelisch. Wir werden uns natürlich auch mit den schweren Fragen wie dem Missbrauch beschäftigen, aber es wird eben auch zu sehen sein, dass es ganz viele andere Fragen gibt, die Christinnen und Christen in der Gesellschaft bewegen, in ihren Kirchen bewegen. Das alles zusammen in München auf den Plätzen und in den Hallen und in den Räumen, in den Kirchen zu sehen, das wird, glaube ich, für alle auch ein Aufatmen sein, wie gesagt, ohne die schwierigen Themen zu umgehen.

    Schulz: Rechnen Sie denn damit, dass unterm Strich die Ökumene vielleicht noch profitieren wird von der schwierigen Situation?

    Göring-Eckardt: Ich glaube, wir haben natürlich in den letzten Wochen und Monaten sehr, sehr viel miteinander gesprochen, auch über die Frage, wie geht man mit solchen Themen auf dem Kirchentag um, wo ja über 100.000 Menschen sein werden, die sich genau dafür auch interessieren, und das hat schon an vielen Stellen auch mehr Vertrauen hervorgebracht, das hat an vielen Stellen dazu geführt, dass über Dinge geredet worden ist, die sonst selbstverständlich scheinen, oder über die gar nicht gesprochen wird. Also insofern, ich glaube, ja, das wird für die Ökumene in Deutschland ein wichtiger Schritt sein, auch weil wir sehen, was wir alles tatsächlich zusammen tun können und wie wir zusammenstehen in der Gesellschaft, unabhängig von den Unterschieden, die wir selbstverständlich nach wie vor haben.

    Schulz: Sie sagen gerade, das Vertrauen sei gewachsen. Ist die Kirche oder sind die Kirchen nicht beide eher in einer Vertrauenskrise?

    Göring-Eckardt: Das Vertrauen untereinander meinte ich damit zunächst und ich glaube, die Frage der Glaubwürdigkeit in der Gesellschaft ist natürlich eine, die eine ganz wichtige ist. Die Fragen stellen sich viele, die Fragen stellen sich viele gerade katholische Geschwister, was ihre eigene Kirche angeht, und ich glaube, der Kirchentag wird auch zeigen können, wie glaubwürdig wir in die Gesellschaft hinein sprechen können, und da ist ja die entscheidende Frage: wie geht man mit solchen Themen wie der Missbrauchsdiskussion und dem Missbrauch tatsächlich um. Deswegen haben wir extra neue Veranstaltungen konzipiert, die sich genau damit beschäftigen. Da wird Christine Bergmann sein, die Beauftragte der Bundesregierung, ehemalige Familienministerin, und es wird natürlich auch jemand da sein wie Pater Mertes, der die Diskussion ja erst ins Rollen gebracht hat, vom Canisius-Kolleg in Berlin.

    Schulz: Der Papst hat gestern auf seiner Portugal-Reise auch deutliche Worte gesprochen. Er sagt, der größte Angriff auf die Kirche komme heute aus dem Innern der Kirche selbst: durch die Sünde. Sind das Worte, die auch die Richtung in München vorgeben?

    Göring-Eckardt: Ich halte das für sehr hilfreich und ich glaube, dass es in aller Klarheit jetzt deutlich macht, dass sich niemand mehr hinter irgendwas verstecken kann und auch nicht will, und ich glaube, dass das für die Christinnen und Christen, die hierher nach München kommen, auch eine wichtige Botschaft ist, dass es nicht mehr darum gehen kann, sich zu verstecken, dass es nicht mehr darum gehen kann, so zu tun, als ob es an der einen oder anderen Stelle mal ein kleines Problem gibt, sondern dass man tatsächlich das auf den Tisch legt, was ist, und dass genau darüber gesprochen wird und dass darüber auch eine Diskussion stattfindet, die nicht nur von irgendwie ein, zwei Tagen geprägt ist, sondern dass selbstverständlich auch Strukturfragen gestellt werden müssen.

    Schulz: Ist der ökumenische Kirchentag denn auch ein Raum, wo die Debatte um den Zölibat fortgesetzt werden kann oder soll?

    Göring-Eckardt: Ich gehe davon aus, dass darüber auch diskutiert wird. Das schöne am Kirchentag ist ja, dass man tatsächlich offen über alles reden kann und dass es nicht irgendjemanden gibt, der sagt, darüber sprechen wir lieber nicht. Das ist nicht etwas, was sozusagen in einer Überschrift steht, aber ich gehe davon aus, dass es eine Rolle spielt. Aber Kirchentag ist eben auch nicht der Ort, wo diese Fragen gelöst werden, sondern sie werden diskutiert und möglicherweise wird auch eine Richtung diskutiert, die dann andere Dinge ins Rollen bringt.

    Schulz: Die Zeiten werden in Deutschland derzeit für viele Menschen nicht einfacher. Können Sie sich denn überhaupt vorstellen, dass Sie auch zu Themen jetzt jenseits des Missbrauchskandals Gehör finden?

    Göring-Eckardt: Da bin ich ehrlich gesagt ganz sicher, weil Kirchentag immer auch Zeitansage ist und weil die Frage gerade in Zeiten von Unsicherheit und Orientierungslosigkeit an Evangelische Kirche, an Katholische Kirche, auch an so eine ökumenische Veranstaltung ist, wie verorten wir uns eigentlich in einem Wirtschaftssystem, das ganz offensichtlich nicht mehr so funktioniert, wie es funktionieren sollte, wie es vielleicht irgendwann mal funktioniert hat, wie ist es mit den internationalen Finanzmärkten, was bedeutet das. Wir werden diskutieren über Fragen von Frieden, von Gerechtigkeit. Alles das werden Veranstaltungen sein, da bin ich mir jetzt schon ganz sicher, wo viele Christinnen und Christen unterwegs sein werden und sich genau mit diesen Fragen der Zeit beschäftigen, und zwar nicht, indem sie einfach nur irgendwas vom Podium hören wollen, sondern indem sie selbst mitdiskutieren.

    Schulz: Aber ist das Problem nicht, dass derzeit, wenn die Kirchen mitreden, die Gegenfrage doch auch immer lautet, wie groß ist denn euere moralische Integrität nach dem Fall Käßmann, nach den Missbrauchsfällen?

    Göring-Eckardt: Ich glaube, einmal ist die Frage, wie geht man damit um. Wir sind ja alle Menschen und keine Heiligen. Das ist nicht die Frage. Das gilt ja auch für Margot Käßmann, die ja auf diesem Kirchentag auch sein wird und auch deutlich gemacht hat, wie sie damit umgegangen ist. Auf der anderen Seite geht es hier um eine offene, wirklich offene Diskussion, auch über die Fragen der Zeit und die Fragen der Welt, und mein Eindruck ist, die Frage, die Botschaft, wie sehen wir das als Christinnen und Christen, die die Bibel kennen, die zu Hause sind in der heiligen Schrift, in ihren Gemeinden und die deswegen Maßstäbe haben und nicht wegen einzelner Personen, die deswegen Maßstäbe haben, weil sie getauft sind, weil sie an Jesus Christus glauben, diese Frage ist das alles entscheidende und ich glaube, auf die Weise, auch mit der offenen Diskussion, ist Glaubwürdigkeit auch gegeben. Wo, wenn nicht auf einem Kirchentag, sollen diese Fragen der Zeit auch tatsächlich jenseits der politischen Elite denn diskutiert werden?

    Schulz: Das würde ich mit Ihnen gerne noch konkreter machen. "Damit ihr Hoffnung habt" ist in München ja das Motto. Wie ist denn dieser Satz zu übersetzen in Wochen und Tagen, in denen wir befürchten müssen, dass die zweite Welle der Krise da ist?

    Göring-Eckardt: "Damit ihr Hoffnung habt" ist eben auch nicht einfach ein Ausrufezeichen, habt Hoffnung, und versucht, irgendwie drüberzukommen, sondern "damit ihr Hoffnung habt", das ist ja, sagen wir, das Ende eines Satzes, wo davor steht, was sich verändern sollte. Die Frage dieser Veränderung, darüber wird diskutiert. Wir sagen als Christinnen und Christen, auch in ganz schwierigen Zeiten können wir Hoffnung haben, aber wir sagen eben auch, wir wollen die Welt verändern und es muss sich was verändern. Dass die Finanzmärkte so nicht mehr funktionieren, dass unser Wirtschaftssystem so nicht mehr funktioniert, das wissen wir seit geraumer Zeit und wir werden natürlich auch über Alternativen reden auf diesem Kirchentag.