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"Wir sind mitten in der Abwehrschlacht"

Der hessische Gesundheitsminister Jürgen Banzer, CDU, rechnet mit Toten durch die Schweinegrippe in Deutschland. Vor allem die jüngere Generation sei betroffen. Bislang sei er aber sehr zufrieden mit den Abwehrmaßnahmen.

Jürgen Banzer im Gespräch mit Gerwald Herter | 28.07.2009
    Gerwald Herter: Die Schweinegrippe breitet sich in beachtlichem Tempo in Deutschland aus. Panik hätte uns jetzt gerade noch gefehlt. Ruhe bewahren, sagen deshalb die Gesundheitspolitiker in Berlin und auch in den Ministerien der Bundesländer. Deutschland ist gut gewappnet, es ist genügend Serum, also Impfstoff, bestellt. Normalerweise klingt die Krankheit bald wieder ab und sie verläuft im Allgemeinen harmlos. Das alles ist zweifellos richtig, aber viele Fragen sind bisher trotzdem offen geblieben, zum Beispiel: Wer bezahlt den Impfstoff und wer wird wo geimpft? Der hessische Gesundheitsminister Jürgen Banzer, CDU, weiß Bescheid, mit ihm bin ich nun verbunden. Herr Banzer, das renommierte Robert-Koch-Institut rechnet auch mit gravierenden Krankheitsverläufen. Heißt das, auch in Deutschland werden Menschen an der Schweinegrippe sterben?

    Jürgen Banzer: Wir wollen es hoffen, dass das nicht so ist, aber wir müssen damit rechnen, ja.

    Herter: Gravierende Krankheitsverläufe - welche Bevölkerungsgruppen könnten hier betroffen sein?

    Banzer: Es ist ganz interessant, es ist diesmal eher die jüngere Generation, die betroffen ist, weil wohl die ältere Generation vor 30 Jahren mit einem Grippevirus ähnlicher Bauweise zu tun hatte und im Wesentlichen immunisiert ist. Es sind die jüngeren Leute und es sind die Leute, bei denen eine gewisse Immunitätsschwäche vorhanden ist, also chronisch Kranke, Herz-Kreislauf, Asthma, Übergewichtige. In diesen Bereichen sind die besonderen Risikobereiche.

    Herter: Wie viel Zeit bleibt Ihrem Ministerium noch, um Ihr Bundesland Hessen auf die Pandemie vorzubereiten?

    Banzer: Nun, wir sind ja eigentlich mitten in der Abwehrschlacht. Der nächste große Schritt wird das Impfen von größeren Teilen der Bevölkerung sein, und damit können wir anfangen, ich denke, Anfang Oktober.

    Herter: Wird dieser Impfstoff wirksam sein?

    Banzer: Nach all dem, was wir bisher wissen und was uns auch das Robert-Koch-Institut sagt, ist dieser Impfstoff hochwirksam, allerdings nur, solange der Virus sich so verhält wie gegenwärtig. Es kann natürlich sein, dass im Rahmen der Übertragungen Mutationen eintreten und je nachdem, wie schwierig und wie breit sich diese Mutation durchsetzt, kann es natürlich auch wieder dazu kommen, dass der Impfstoff nicht mehr greift.

    Herter: Das heißt, wenn sich das Virus verändert?

    Banzer: Wenn sich das gravierend verändert. Ein bisschen verändern, das ist schon möglich, damit rechnen wir auch, das müsste der Impfstoff abdecken können, aber wenn es sich gravierend verändert, wird es problematisch, ja.

    Herter: Sie sagen, wir sind mitten in der Abwehrschlacht. Ist da schon geklärt, in dieser Abwehrschlacht, wer das Geld aufbringen wird für den Impfstoff?

    Banzer: Im Prinzip ja, auch wenn wir noch nicht die juristischen Grundlagen haben. Das Bundesgesundheitsministerium wird eine Verordnung erlassen, wonach klar ist, dass die Krankenkassen die Impfungen zu tragen haben. Dann werden die einzelnen Länder in Vereinbarung mit den Krankenkassen zu beschließen haben, wo die Einzelheiten geregelt sind, und dann ist eindeutig klar, dass die zu Impfenden dies abrechnen können über die Krankenkassen beziehungsweise es von den Krankenkassen finanziert wird.

    Herter: Klingt, ehrlich gesagt, ein bisschen langwierig.

    Banzer: Nein, ich glaube nicht. Die Verordnung ist uns bereits zur Anhörung zur Verfügung gestellt, sie wird Anfang August im Bundeskabinett beschlossen werden. Mit den Kassen verhandeln wir bereits über die Impfvereinbarung, die wird bis von jetzt an, sagen wir mal, in drei Wochen vorliegen. Wir haben ja Pandemiepläne, bei denen wir genau wissen, wie man mit solchen Situationen umgeht. Wir kennen die Orte und die Stellen, bei denen die Impfung stattfindet. Wir haben dazu ja jede Menge Diskussionen mit unseren Gesundheitsämtern in den Kreisen und kreisfreien Städten geführt. Das macht viel Arbeit, das soll man nicht unterschätzen, wenn in einem Land wie Hessen 1,8 von 6 Millionen Menschen zwei Mal geimpft werden müssen, dann ist das schon eine größere Aktion.

    Herter: Und wie wollen Sie herausfinden, wer chronisch krank ist?

    Banzer: Nun, die Krankenkassen verfügen ja über Informationen, über Material. Die Menschen, die auch entsprechende Medikamente erstattet bekommen haben in den letzten Jahren, sind natürlich zum Beispiel Herz-Kreislauf-krank, wenn sie dazu entsprechende Medikamente bekommen haben, oder Diabetesmedikamente, und darüber sind diese Personen schon zu identifizieren.

    Herter: Besteht da nicht Datenschutz?

    Banzer: Der Datenschutz besteht schon, aber nicht zwischen Krankenkasse und Patient. Der Patient wird ja gebeten, zur Impfung zu kommen, wir können ja keinen zwingen. Insoweit hat der Patient ja dann die Möglichkeit, ob er sich zu erkennen gibt und sagt, jawohl, ich will geimpft werden, oder ob er darauf verzichtet.

    Herter: Sind alle chronisch Kranken von den Krankenkassen erfasst?

    Banzer: Wir hoffen ja. Es wäre eigentlich ja nur denkbar, dass ein Patient dabei ist, ein Versicherter, der zwar krank ist, aber es noch nicht weiß und deswegen nicht behandelt wurde.

    Herter: Werden Sie sich mit anderen Bundesländern abstimmen? Beispielsweise, sollen Schwangere in Hessen die gleiche Priorität genießen wie in Rheinland-Pfalz?

    Banzer: Ja. Wir werden uns eng abstimmen, das ist eine Sache, die uns als Gesamtstaat angeht, deswegen gibt es auch einen intensiven Kontakt zwischen einzelnen Ländern. Die Risikogruppen sind ja auch nicht unterschiedlich je nach Bundesland, sondern die sind ja überall gleich, und die sind auch nach der entsprechenden Empfehlung der WHO und des Robert-Koch-Instituts zu definieren. Schwangere gehören dazu. Wir werden in den nächsten Wochen noch zu überprüfen haben, wie weit der Impfstoff sich im klinischen Test auch für wirksam und für richtig angewandt bei Schwangeren ergibt.

    Herter: Wer unter Quarantäne steht, kann nicht arbeiten gehen. Wer kommt in Hessen für Verdienstausfälle auf?

    Banzer: Wir gehen davon aus, dass das, was an Krankheit notwendig ist, beziehungsweise an Quarantäne, genauso behandelt werden muss, als würde ich krank sein, also wird das durch die Krankenversicherung im Rahmen der Lohnfortzahlung erstattet.

    Herter: Das kann viel Geld kosten.

    Banzer: Ja, das wird auch viel Geld kosten. Wir nehmen sehr ernst die wirtschaftlichen Folgen einer Pandemie. Wenn wir sie nicht bekämpfen würden, wenn wir sie nicht mit Impfstoff wenigstens einigermaßen in Griff bekommen können, kann man davon ausgehen, dass das Bruttosozialprodukt zwischen 1,5 und bis zu 3 Prozent senken wird, weil einfach zu viel Arbeitstage ausfallen. Dem dient ja gerade die Impfstrategie, um diese dramatischen Zeitverluste in den Griff zu bekommen.

    Herter: Haben sich die Unternehmen in Hessen schon gut vorbereitet, mit Pandemieplänen, mit Anweisungen an Mitarbeiter und Ausrüstung wie zum Beispiel Mundschutz?

    Banzer: Die Unternehmen sind frühzeitig informiert. Wir wissen aus auch vielen Informationen, die wir jetzt bekommen, auch von Rückfragen aus den Unternehmen, dass man sich darauf vorbereitet, dass Mundschutz geordert ist, dass man sich auf diese Situation einstellt. Wir hören von Pandemieplänen. Natürlich leben wir alle auch nach wie vor von der Hoffnung und der Erwartung, dass bisher diese Krankheit sehr milde verlaufen ist und dass deswegen diese wirkliche, existenzielle Gefahr nicht besteht. Aber es ist für ein Unternehmen natürlich auch relevant, wenn ein Drittel einer Arbeitnehmerschaft zum Beispiel wegen Grippe ausfällt.

    Herter: Handelt es sich bisher um ein Musterbeispiel für eine gelungene Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern?

    Banzer: Ich bin bisher sehr zufrieden. Wir haben immerhin so viel Zeit gewonnen durch die bisherigen Strategien, dass der Impfstoff hergestellt werden kann. Er muss jetzt noch erprobt werden. Wenn er Ende September, Anfang Oktober zur Verfügung steht, dann ist das gerade noch rechtzeitig, aber solange dauert es nun einmal, bis die Wissenschaft einen solchen Stoff entwickelt und bis wir auch wissen, dass er nicht gefährlich ist, denn jeder Impfstoff kann natürlich auch Risiken entwickeln. Deswegen brauchen wir auch die klinische Erprobung und Testung. Dass dies alles möglich ist, ist dadurch gelungen, weil doch im Bereich der Quarantäne das explosionsartige Ausbreiten, wie wir es ja in anderen europäischen Staaten in sehr viel dramatischeren Weise haben, in Deutschland wenigstens bis jetzt vermieden werden konnte, auch wenn wir jetzt erkennen durch die Urlaubsaktivitäten, durch all die anderen Faktoren, dass inzwischen der Virus nicht mehr an der Ausbreitung gehindert werden kann.

    Herter: Informationen des hessischen Gesundheitsministers Jürgen Banzer, CDU, im Gespräch mit dem Deutschlandfunk, vielen Dank!