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"Wir sind mitten in einer Korrektur der Finanzmärkte"

Die Europäische Zentralbank sieht in den derzeitigen Kursstürzen an den internationalen Aktienmärkten eine Kurskorrektur. Diese werde noch einige Zeit dauern, sagte EZB-Direktoriumsmitglied Jürgen Stark. Angesichts der weltweiten Spannungen warnte er vor Schnellschüssen. Die Regierungen sollten auf keinen Fall zu mehr Nervosität beitragen und mehr Regulierung schaffen.

Moderation: Silvia Engels |
    Engels: Die US-Hypotheken- und Bankenkrise hat in den vergangenen Tagen noch einmal an Fahrt gewonnen. Die Börsen in Fernost und Europa gaben auf breiter Front nach. Der DAX schloss gestern mit einem Minus von 7,16 Prozent auf 6.790 Zählern. Das ist der größte prozentuale Tagesverlust seit dem 11. September 2001. Auslöser für den Einbruch sind immer neue milliardenschwere Abschreibungen, die die Banken infolge von Notleidenden Hypothekenkrediten vornehmen müssen. Was können die Notenbanken angesichts dieser Entwicklung tun? - Am Telefon ist Jürgen Stark. Er ist Direktoriumsmitglied der Europäischen Zentralbank. Guten Morgen Herr Stark!

    Stark: Schönen guten Morgen.

    Engels: Einige Händler sprachen gestern von einem Crash in Frankfurt. Gehen die Börsenturbulenzen, die wir jetzt sehen, noch weiter?

    Stark: Die Märkte sind sehr nervös, wie Sie es gesagt haben. Die Märkte erhalten jeden Tag neue Informationen und darauf wird sehr sensibel, vielleicht auch überaus sensibel reagiert. Diese hohe Volatilität, die wir jetzt sehen, ist sicherlich nicht hilfreich. Auf der anderen Seite sollte man aber auch Tagesereignisse nicht überbewerten.

    Wir sind jetzt in einer Phase, in der mehr Licht gebracht wird in die Verluste, die die Banken wegen ihres Engagements in sehr riskante Investitionen in den amerikanischen Hypothekenmarkt getätigt haben. Es wäre vielleicht hilfreich gewesen, wenn manche der Informationen, die heute erkennbar werden oder die bekannt werden, früher bekannt geworden wären.

    Vielleicht erleben wir im Moment auch ein Überschießen in einigen Marktsegmenten, bis der Markt in diesem Prozess der Korrektur ein neues Gleichgewicht gefunden hat.

    Engels: Können Sie abschätzen, wann die Talsohle erreicht sein wird?

    Stark: Wir sind mitten in einer Korrektur der Finanzmärkte. Ein Großteil der Hypotheken in den Vereinigten Staaten wird in diesem Jahr fällig, wird also neu zu finanzieren sein. Dieser Prozess wird noch eine Weile dauern. Auf der anderen Seite werden wir wahrscheinlich bis zum Ende dieses Quartals ein klares Bild haben über die Verluste der Banken, wenn die Banken mit ihren Jahresergebnissen in die Öffentlichkeit gehen.

    Engels: Dreh- und Angelpunkt der jetzigen Krise sind die Vereinigten Staaten von Amerika. US-Präsident Bush hat vergangene Woche ein Konjunkturprogramm im Umfang von rund 140 Milliarden Dollar angekündigt. Genügt das zur Stabilisierung der US-Ökonomie?

    Stark: Ich möchte nicht öffentlich politische Maßnahmen in anderen Regionen der Welt beurteilen, die dort diskutiert werden und eventuell auch beschlossen werden. Aber wir sollten nicht vergessen, wie Sie es auch gesagt haben, dass der Ausgangspunkt der Turbulenzen in den Vereinigten Staaten liegt. Hier hat es Übertreibungen in einzelnen Märkten gegeben. Das heißt konkret: es ist auch eine Korrektur der Exzesse der Vergangenheit notwendig. Und was wichtig ist, egal wie man nun politisch reagiert, dass man vermeidet, dass die Grundlage für neue Übertreibungen in der Zukunft an den Märkten geschaffen wird.

    Engels: Herr Stark, sehen wir eine Rezession in den USA? Wird das ganze also von den Finanzmärkten auf die reale Wirtschaft umschlagen?

    Stark: Der entscheidende Punkt ist, wie der private Verbrauch in den Vereinigten Staaten reagieren wird, denn immerhin 70 Prozent des amerikanischen Sozialprodukts werden vom privaten Verbrauch bestimmt. Wir müssen eine deutliche Abschwächung des Wachstums in den Vereinigten Staaten erwarten und die Risiken, wie es auch kürzlich von offizieller Seite der US-Regierung gesagt wurde, sind hoch und werden hoch bleiben für die amerikanische Konjunktur.

    Engels: Dann kommen wir nach Deutschland. Wir haben den Kursrutsch gestern gesehen. Rechnen Sie mit dem Abbremsen der deutschen Wirtschaft in ihrem Wachstum durch diese Börsenverluste und durch die Abschreibungen im Bankensektor?

    Stark: Die Situation heute im Jahr 2007/2008 ist eine andere als zu Beginn des Jahrzehnts, als wir ebenfalls eine deutliche Abschwächung des wirtschaftlichen Wachstums erlebt haben. Wir dürfen nicht vergessen, dass in Deutschland wie auch im Euro-Gebiet insgesamt die ökonomischen Fundamentaldaten gut sind. Das heißt konkret: nach wie vor ist die Ertragslage des Unternehmenssektors günstig. Nach wie vor stehen die privaten Haushalte in Deutschland und im Euro-Gebiet besser da als in anderen Regionen der Welt, wo die privaten Haushalte sehr hoch verschuldet sind. Und wir haben eine deutliche Verbesserung der Lage am Arbeitsmarkt und die Erwartungen, dass der Arbeitsmarkt sich weiter verbessert, die Arbeitslosenquote sinkt, die Beschäftigung weiter steigt und damit auch der private Verbrauch ein stärkeres Gewicht bekommt, wenn es um das wirtschaftliche Wachstum geht. Das sind Dinge, die sich deutlich unterscheiden von einer früheren Phase.

    Engels: Blicken wir auf den deutschen Bankenmarkt. Die Eigentümer der WestLB mussten gestern zwei Milliarden Euro bereitstellen, um die Bank zu stützen. Auch bei anderen Landesbanken drohen weiterhin Verluste. Haben wir hier den Boden erreicht, oder setzt sich die Wertberichtigung speziell bei den öffentlichen Banken fort?

    Stark: Sie werden verstehen, dass ich keinen Kommentar zu einzelnen Instituten abgebe, aber je mehr Informationen nun aus den Vereinigten Staaten bekannt werden und je mehr auch die Banken selbst einen Überblick über ihr Engagement bekommen, umso rascher wird Klarheit geschaffen und wir sind dann vielleicht der Talsohle näher. Ich hätte mir gewünscht, dass dieses Maß an Transparenz zu einem früheren Zeitpunkt schon hergestellt worden wäre, aber offenbar war das nicht möglich.

    Engels: Ist auch gerade diese fehlende Transparenz eine strukturelle Krise des öffentlichen Bankensektors?

    Stark: Es ist nicht nur eine Frage der fehlenden Transparenz des öffentlichen Bankensektors, sondern wir sehen ja in allen Bankenbereichen des Euro-Gebietes und darüber hinaus auch in anderen Ländern, dass vielfach die Unternehmensleitungen nicht die Klarheit darüber haben, inwieweit sie sich in der Vergangenheit in diesen hochriskanten Marktsegmenten in den Vereinigten Staaten engagiert haben. Das wird erst jetzt transparenter. Das möchte ich nicht festmachen an einem bestimmten Teil des Bankensektors.

    Engels: Was wird nun die Europäische Zentralbank tun?

    Stark: Die Europäische Zentralbank hat bereits in der Vergangenheit reagiert. Es gab ja wie Sie wissen Verspannungen am Geldmarkt, die insbesondere im August oder seit August des vergangenen Jahres aufgetreten sind. Die EZB hat sehr rasch reagiert und zusätzliche Liquidität kurzfristig zur Verfügung gestellt, um ihren Beitrag zur Entspannung am Geldmarkt zu leisten. Ich sage bewusst "einen Beitrag zu leisten", denn die Hauptaufgabe im Interbankenmarkt ist natürlich bei den Banken selbst, hier für funktionierende Bedingungen am Markt zu sorgen. Wir haben dies getan und haben gleichzeitig kommuniziert, dass wir dies tun werden solange dies nötig ist.

    Engels: Das heißt sie werden es auch ein zweites Mal tun, wenn es notwendig ist?

    Stark: Wir haben seit August mit gezielten Operationen den Geldmarkt insoweit beeinflusst, dass wir unseren Schlüsselzündsatz so weit gesteuert haben, dass wir zusätzliche Liquidität in den Markt gegeben haben, um diese vier Prozent auch zu halten.

    Engels: Wie steht es um weitere Zinssenkungen?

    Stark: Ich sehe hier nicht das Wort "weitere" als angemessen, denn es ist ganz klar, dass wir ein eindeutiges Mandat haben. Die EZB hat nach dem EG-Vertrag und nach ihren Statuten das Mandat, prioritär Preisstabilität zu gewährleisten, und augenblicklich haben wir es mit einer relativ hohen Inflationsrate von über drei Prozent zu tun, die noch über die nächsten Monate des Jahres anhalten wird. Wir werden genau beobachten, wie sich diese Inflationsrate entwickelt und wie sich die Marktteilnehmer auf diese neuen Bedingungen einstellen, und werden entsprechend handeln.

    Engels: Was erwarten Sie von den europäischen Regierungen zum Umgang mit dieser Krise?

    Stark: Zunächst einmal müssen die Ursachen und die Wirkungszusammenhänge der Turbulenzen und der jetzt erfolgenden Korrekturen identifiziert werden. Diese Ursachen und Wirkungszusammenhänge sind sehr vielschichtig. Deshalb warne ich vor Schnellschüssen, die zu mehr Regulierung führen.

    Es mag zwar hart klingen, aber ich sage noch einmal: diejenigen, die riskante Investitionen getätigt haben, müssen die Konsequenzen ihres Verhaltens dann auch tragen. Auf keinen Fall sollten die Regierungen zu mehr Nervosität beitragen.

    Engels: Jürgen Stark, Direktoriumsmitglied der Europäischen Zentralbank. Ich bedanke mich für das Gespräch.

    Stark: Ich bedanke mich!