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"Wir sind soziale Wesen"

Die Vorteile des Online-Lernens und der Präsenz im Hörsaal nutzen und die Nachteile vermeiden - das ist das Konzept, mit dem die Ruhr-Uni Bochum gute Erfahrungen macht. E-Learning-Beauftragter Holger Hansen weiß, dass Kommilitonen auch mal einen Kaffee zusammen trinken müssen.

Holger Hansen im Gespräch mit Manfred Götzke | 07.01.2011
    Manfred Götzke: Die London School of Business and Finance bietet seit November eine Master-App auf Facebook an, ein international anerkannter Master, den man über eine bestimmte Facebook-Applikation erwerben kann. Das Ausprobieren und Studieren ist dabei erst mal kostenlos, teuer wird es erst, wenn man die Prüfung ablegt. Kann so was funktionieren? Darüber möchte ich jetzt mit jemandem sprechen, der sich gut auskennt mit dem Thema virtuelles Studium, und zwar Holger Hansen. Er leitet die Abteilung E-Learning an der Ruhr-Uni Bochum. Guten Tag, Herr Hansen!

    Holger Hansen: Einen schönen guten Tag!

    Götzke: Herr Hansen, Master über Facebook, ist das ein Marketing-Gag oder eine ernst zu nehmende Studienmethode?

    Hansen: Och, in erster Linie muss ich sagen, eine schöne innovative Idee, um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Also da lässt sich sicher ein gewisser Marketingaspekt nicht verstecken. Was ich ganz nett finde - ich hab mir das auch mal angesehen -, ist, man kann dort schon einige Informationen sich einfach mal ansehen, und warum sollte man nicht zunehmend dazu übergeben, auch universitäre Inhalte online zur Verfügung zu stellen und zu sagen, wenn ihr Prüfungen ablegen wollt, dann müsst ihr kommen. Aber ich sag mal, für uns als Ruhr-Universität Bochum wäre das sicher kein Zukunftsmodell, wir setzen da auf anderes: "Blended Learning", eine andere Verschränkung zwischen Online- und Präsenzphasen.

    Götzke: "Blended Learning", können Sie das mal kurz erläutern?

    Hansen: Ja, "Blended Learning" ist eigentlich nichts anderes als zu versuchen, Onlinephasen und Präsenzphasen miteinander in Kombination zu bringen, und zwar eigentlich mit einem ganz trivialen Grundsatzgedanken: Nämlich dem, zu sagen, wir möchten die jeweiligen Vorteile von Präsenz- und Onlinelehre nutzen und die Nachteile meiden. Das heißt, wir fragen uns vorher genau, an welchen Stellen ist es notwendig, Studierende zum gleichen Zeitpunkt am gleichen Ort zusammenzutrommeln - das ist bei uns auch noch der Normalfall -, und welche Teile der Lehre kann man sehr gut auch online abwickeln. Und da gibt es sehr unterschiedliche, flexible Konzepte hier in Bochum.

    Götzke: Können Sie mal eins nennen, ein Beispiel?

    Hansen: Also ein Beispiel wäre, dass wir bei einer Veranstaltung starten mit einer Präsenzphase. Das hat sich bisher immer als ganz hilfreich erwiesen, tatsächlich in einem Raum gemeinsam den Lehrbetrieb sozusagen für eine Veranstaltung zu starten. Dann gibt es vielleicht für zwei, drei Wochen eine Onlinephase, in der Studierende Fachinhalte lernen, allerdings auch mit Kommilitonen in Diskussionsforen in Kontakt kommen, eine gute Onlinebetreuung haben durch einen Professor oder Professorin. Da gibt es vielleicht zwischendurch noch mal ein Präsenztreffen, in dem bestimmte Inhalte vertieft werden. Und in einer zweiten Onlinephase geht es darum, in virtuellen Teams bestimmte Inhalte gemeinsam weiterzuentwickeln und in einer Abschlusspräsenzphase sozusagen zum Abschluss zu bringen und sich gegenseitig zu zeigen die Ergebnisse. Das ist so ein Modell, was bei uns ganz hervorragend funktioniert.

    Götzke: Können Sie das vielleicht so ein bisschen prozentual beziffern, also wie viel Präsenz ist in der Regel notwendig und wie viel online geht?

    Hansen: Das kann man leider nicht pauschalisieren, und zwar deswegen nicht, weil die Lehrveranstaltungen zum Teil sehr unterschiedlich sind, auch bezogen auf die Fachinhalte, die vermittelt werden müssen. In der Regel ist es so, dass wir im Laufe eines Semesters, das sich ja so über zwölf, 13 Wochen erstreckt, mindestens drei oder vier Präsenzphasen haben. Es gibt wenige Beispiele, in denen die Präsenz weniger Anteile annimmt. Der Normalfall bei uns an der Ruhr-Universität Bochum ist allerdings der, dass nahezu alle Präsenzsitzungen stattfinden und online nur ergänzende Dinge vermittelt werden.

    Götzke: Sie haben jetzt seit zehn Jahren Erfahrung mit E-Learning, glauben Sie, dass so ein komplett virtuelles Studium irgendwann mal funktionieren kann?

    Hansen: Ich kann mir das im Augenblick sehr schwer vorstellen, hängt aber in erster Linie auch von der Zielgruppe ab. Ich glaube schon, dass man im Rahmen einer berufsbezogenen wissenschaftlichen Weiterbildung - das sind dann Studierende, die dann schon eine Hochschulausbildung hinter sich gebracht haben oder einen anderen qualifizierten Berufs-, Schulabschluss haben -, dass das schon mal interessant sein kann. Allerdings wird der Normalfall doch der sein, wir sind soziale Wesen, wir brauchen Phasen, in denen wir gemeinsam sozial in einem Raum interagieren. Da werden wir auch, glaube ich, große Präsenzanteile auch noch brauchen, und das finde ich auch vollkommen gut und in Ordnung so. Auch wenn wir als eine E-Learning-Stelle natürlich auch für die virtualisierte Lehre stehen, erkennen wir aber auch Grenzen, die es da einfach gibt. Und ich finde auch, man sollte einen hochschulkulturellen Aspekt auch mit einbeziehen, wie in Ihrem Beitrag vorhin auch schon genannt, einfach mal eine Tasse Kaffee miteinander trinken, und der Kommilitone ist auch schon nicht ganz unwichtig.

    Götzke: Vielen Dank für diese Einschätzung, Holger Hansen! Er leitet die E-Learning-Abteilung an der Ruhr-Uni Bochum.